Schwerpunkt

Rekonstruktion der Ausbeutung vor Ort

Über die Recherchen zur Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft in Thüringen

Luftaufnahme des Gustloff-Werkes Weimar
Alliierte Luftaufnahme des Gustloff-Werkes Weimar und des Zwangsarbeiterlagers an der Großkromsdorfer Straße, heute Kromsdorfer Straße (Bildmitte, nördlich der Bahngleise), 11. April 1944.
©GDI Thüringen

Es ist wahrlich nicht der aufregendste Teil einer Recherche – das Lesen digitalisierter historischer Zeitungen. Nicht immer sind die Scans von guter Bildqualität, und wenn es sich zudem um Frakturschrift handelt, erfordert das Lesen einige Konzentration. Während sich Minuten zu Stunden summieren, erscheinen die Seiten oft als reine Buchstabenwüsten. Wieder und wieder findet sich nichts Aufschlussreiches. Und doch kann es geschehen, dass inmitten einer weitgehend fruchtlosen Suche ein unerwarteter Glücksfund aufscheint. So erging es mir, als ich die großzügig vom Stadtmuseum Mühlhausen zur Verfügung gestellten Seiten der Lokalzeitung aus den Jahren 1944/45 durchlas. Eine Schlagzeile sprang ins Auge, sprach sie doch von der „Sühne für verbrecherischen Lagerführer“.1

Der dazugehörige Artikel berichtete von einem Lagerleiter, der sich derart brutal und habgierig gebärdet hatte, dass sogar die NS-Justiz ihn und seine Kumpane als Störfaktor einordneten, anstatt über das Treiben hinwegzugehen. Zwar war der Betrieb, in dem er arbeitete, nicht genannt, wohl aber sein eigener Name – Julius Waldhelm. Dieser Name führte nach einer Nachfrage beim Landesarchiv Thüringen zu einer dicken Prozessakte2 mit zahlreichen Zeugenaussagen von Angehörigen des deutschen Lagerpersonals und ausländischer Zwangsarbeiterinnen, umfassenden Ermittlungsberichten und der Urteilsbegründung – kurz und gut einem direkten Einblick in den Alltag eines Zwangsarbeitslagers, des so genannten Bereitschaftslagers am Stadtwald von Mühlhausen. Eine ein Stück weit bizarre Geschichte – denn wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die NS-Justiz tatsächlich einen Deutschen für das Schlagen von Zwangsarbeiterinnen maßregelt? Und zugleich handelt es sich auch um eine zutiefst grausame Erzählung, nicht nur wegen der Brutalität Waldhelms. Denn obgleich die Behörden genau wussten, warum so viele Frauen aus dem Lager zu fliehen versuchten, hinderte sie dies nicht daran, mindestens ein halbes Dutzend Flüchtige in ein KZ zu überstellen. Es sind faszinierende Funde wie dieser, die mich als Wissenschaftler ein Stück weit Demut vor der Macht des Zufalls lehren – und zugleich Ansporn sind, geduldig weiter zu suchen.

Auch wenn es lange Zeit eher ein Nischenthema war, haben in den letzten Jahren mehr und mehr Städte und Gemeinden begonnen, sich mit den Themen Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft vor Ort auseinanderzusetzen. Dies ist wohlbegründet, denn auch mehr als 75 Jahre nach Kriegsende sind die Spuren dieser Massenverbrechen auf deutschem Boden – namentlich auf deutschen Friedhöfen – zu finden. Dennoch ist es oftschwer, verlässliche Quellen zu ermitteln, von denen jede Geschichtsvermittlung lebt, ob es nun um den Entwurf eines Gesamtbildes geht oder eine exemplarische Einzelgeschichte, die Leser:innen in der Zeit zurücktragen soll. Oft gestaltet es sich bereits schwierig, in gebotener Kürze ein ebenso markantes wie vollständiges Bild zu vermitteln. Zu vielfältig präsentiert sich die Lebenswirklichkeit der betroffenen Männer und Frauen nicht nur innerhalb eines mittelgroßen Bundeslandes wie Thüringen, sondern oft auch bezogen auf eine einzige untersuchte Stadt. Und auch die Herkunft der Informationen variiert nicht minder, müssen sie doch vielfach in einer ganzen Reihe potenzieller Fundorte mühsam ausfindig gemacht werden – die wohl größte Herausforderung jedes Forschungsprojektes. Einige Ratschläge für die Bewältigung dieses Problems zu geben ist das Anliegen dieses Textes.

Wie also vorgehen, wenn es gilt, die Geschichte von Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft beispielsweise für eine bestimmte Stadt nachzuzeichnen? Es gibt selbstverständlich naheliegende erste Schritte wie die Lektüre von Büchern und Aufsätzen zur Ortsgeschichte im Nationalsozialismus, allgemeinen Stadtchroniken sowie Unternehmensgeschichten relevanter Betriebe. Sie liefern mitunter bereits Interpretationen der Ereignisse, und hoffentlich auch die Fundorte der Quellen, auf die sich die Angaben stützen. Dabei dürfen Forschende keine Berührungsängste vor eindeutig ideologisch geprägtem Material wie etwa Denkmals- und Gedenkstättenführern aus den Jahren der DDR haben. Auch wenn die Interpretation und Darstellung der Ereignisse voreingenommen sein mag, die Rechercheleistung nötigt nicht selten Respekt ab, und sie geben oft wertvolle Fingerzeige. Schlechter sieht es mit der Visualisierung aus, die zu Illustrationszwecken vielfach unerlässlich ist. Nur selten einmal bietet ein Fotoband bereits passende Bilder eines Lagers, von Gefangenen oder Zwangsarbeiter:innen, er mag aber darauf verweisen, wo Bildmaterial zu finden ist.

Zugleich sollte von Anfang an der Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Akteur:innen vor Ort gesucht werden. Ortschronist:innen, Geschichtsvereine und Hobbyforschende besitzen oft Detailkenntnisse über die Quellen im lokalen und regionalen Umfeld, können bei der Arbeit in den Archiven helfen. Im Umgang mit ihnen ist der verdiente Respekt vor ihren Leistungen selbstverständlich. Zugleich müssen Forscher:innen sich jedoch bewusst sein und darauf vorbereiten, als Außenstehende nicht immer herzlich aufgenommen zu werden. Wer sich jahrelang mit einem Thema, einem Ort befasst hat, mag auf vermeintliche Konkurrenz mitunter zurückweisend reagieren. Geduldige Überzeugungsarbeit kann weiterhelfen – garantiert ist der Erfolg jedoch leider keineswegs.

Parallel dazu steht am Anfang jeder Recherche erfahrungsgemäß ein umfassender Blick in die online zugängliche Datenbank der Arolsen Archives, dem Archiv des früheren Internationalen Suchdienstes (ITS)3. Sie ist nicht nur frei verfügbar, sondern in der Überlieferungsdichte auch kaum zu übertreffen. Mit Glück lässt sich auf diese Weise bereits ein solider Grundstock an Informationen ermitteln. Hier kann nach bekannten Unternehmens- wie Ortsnamen gesucht werden. Diese Suche erbringt erfahrungsgemäß in erster Linie Namenslisten von eingesetzten, ankommenden oder vom gesuchten Ort abtransportierten Zwangsarbeiter:innen (seltener von Kriegsgefangenen). Ebenso mögen sich die Listen von in örtlichen Krankenhäusern behandelten oder auf örtlichen Friedhöfen beigesetzten Ausländer:innen finden. Wenn gleich Details zum Lebensalltag seltener zu finden sind, kann dieses Material wertvolle Hinweise auf die lokale Dimension der Zwangsarbeit geben, das Wann, Wo und Wer der Ausbeutung. Sichtbar werden zumindest betroffene Nationalitäten, ungefähre Altersstruktur und Geschlechterverteilung – wobei zu berücksichtigen ist, dass die vorhandenen Listen weder komplett, noch in jedem Detail korrekt sein müssen. Mitunter finden sich auch Hinweise auf besondere Schicksale. Zudem sind solche Listen Grundlage der wahrscheinlich erst zu einem späteren Zeitpunkt der Recherchen lohnenden, und je nach Anzahl der bekannten Namen mitunter ebenso zeitaufwändigen wie mühevollen namentlichen Datenbanksuche nach einzelnen Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangenen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Schreibweise in den Quellen und damit auch in der Datenbank bei ein und derselben Person mitunter variiert. Diese Recherchen können Hinweise auf individuelle Dokumente, eine eventuelle Einweisung in ein Gefängnis oder Konzentrationslager erbringen. Erfahrungsgemäß müssen Forschende im Laufe der Recherchen immer wieder aufs Neue auf die Arolsen Archives zurückgreifen, sobald sich neue Hinweise und vor allem Namen ergeben.

Die traditionelle Vor-Ort-Archivarbeit kann durch die Onlinedatenbank jedoch nicht ersetzt werden. Eine verallgemeinernde Aussage über den zu erwartenden Ertrag lässt sich freilich nicht treffen. Zu stark schwankt die Überlieferungsdichte von Stadt zu Stadt. Dennoch muss der Versuch in jedem Fall unternommen werden. Denn es ist die Suche in nicht selten schwer lesbaren, mitunter bereits brüchigen Aktenbänden, die oft seit Jahrzehnten niemand durchgeblättert hat, die immer wieder wertvolle Neufunde bringt. Dies sind kostbare Erfolgsmomente einer Recherche, freilich stets hart erarbeitet. Denn interessante Dokumente mögen sich an zahllosen, oft nicht auf den ersten Blick erkennbaren Stellen verbergen. Hier gilt es, sowohl die lokalen (Gemeinde-, Stadt- und Kreisarchive) als auch die regionalen Archive (die Staatsarchive des Landesarchivs Thüringen, insbesondere das Hauptstaatsarchiv Weimar) zu besuchen. Die entweder online oder vor Ort verfügbaren Datenbanken sind zwar eine wertvolle Hilfestellung, allerdings so gut wie nie vollständig. Die Suche in diesen nach Worten wie Ausländer, Fremdarbeiter, Kriegsgefangene, Lager etc. und das Studium der so ermittelten Akten sind denn auch nur ein Teil der Arbeit. Ein weiterer offenkundiger Suchort sind Firmenbestände, namentlich von örtlichen Mittel- und Großunternehmen. Unter den Rahmenbedingungen der NS-Kriegswirtschaft kann unfehlbar davon ausgegangen werden, dass solche Betriebe Orte der Zwangsarbeit waren, mit zumindest dutzenden, wenn nicht hunderten Betroffenen. Hier lohnt es sich vor allem, jene Akten zu prüfen, die sich mit der Betriebsbelegschaft beschäftigen. Mitunter enthalten sie Namen von Zwangsarbeiter:innen, geben einen Eindruck von der Stärke des paramilitärischen Werkschutzdienstes, der oft die erste Linie der Repression vor Ort darstellte, nennen die Namen von Lagerleitern, ja es findet sich Schriftwechsel zu Fragen der Versorgung, Unterbringung und Behandlung. Selbst in den Besprechungsprotokollen des Vorstandes wird in einigen Fällen über den Einsatz von Deportierten aus der Perspektive der Unternehmensführung referiert. Dies ermöglicht aufschlussreiche Blicke auf das Ausbeutungskalkül, das hinter dem Masseneinsatz Deportierter stand. Ähnlich informativ präsentieren sich in Stadt- und Gemeindearchiven die Meldeunterlagen, in denen die Ankunft von Ausländer:innen (im Normalfall aber nicht von Kriegsgefangenen) vermerkt wurde, zumeist mit Name und Nationalität. Dies gilt ähnlich für Sterberegister, die oft auch die Todesursache verzeichnen, seltener das Lager, in dem die betroffene Person untergebracht war. Potentiell aufschlussreich ist zudem der Schriftwechsel der Ernährungs- und Gesundheitsämter sowie verwandter Behörden. Die administrative Verwaltung der vielfachkärglichen Verpflegung hunderter, wenn nicht tausender zumeist in Lagern kasernierter Männer und Frauen und die grassierenden Infektionskrankheiten hinterließen eine deutliche Spur von Dokumenten, die manchmal sogar eine relativ detaillierte Schilderungen der Zustände (aus deutscher Perspektive) bietet.

Schwarz-Weiß-Fotografie von sowjetischen Zwangsarbeiter_innen im Lager der Gustloff-Werke.
Sowjetische Zwangsarbeiter:innen im Lager der Gustloff-Werke, Weimar 12. Oktober 1944.
©StadtA Weimar, 53 50/90

Ein ebenso aufschlussreicher wie in der Auswertung komplexer Bestand sind die Gerichtsunterlagen, die sich vor allem in den Beständen des Landesarchivs Thüringen finden. Sie sind deshalb interessant, weil mitunter ausführlichere Aussagen und Urteilsbegründungen Detaileinblicke bieten, die Einzelpersonen hinter den Namen deutlicher sichtbar werden lassen. Hier sind sowohl die Unterlagen der Jahre 1939 bis 1945 als auch jene der Nachkriegszeit zu berücksichtigen. In den Jahren der NS-Diktatur lassen sich zahlreiche Prozessunterlagen und Strafregistereinträge finden, die mit dem Einsatz von Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangenen zu tun haben. Zumeist ging es dabei um die Bestrafung von Ausländer:innen, die irgendwelche Bestimmungen übertreten hatten. Doch bergen auch Vorgänge zu deutschen Männern und Frauen interessante Details. In nennenswerter Zahl finden sich Unterlagen zum so genannten verbotenen Umgang – was Hilfsleistungen wie auch intime Beziehungen mit Ausländer:innen umfassen konnte. In weit geringerer Zahl überliefert sind Dokumente zu Deutschen, die wie im eingangs geschilderten Fall wegen ihres brutalen Verhaltens gegenüber den Deportierten und der Unterschlagung ihrer Verpflegung verurteilt wurden. Dies geschah selbstverständlich nicht, weil der NS-Justiz an den Opfern etwas lag. Doch wenn Zwangsarbeiter:innen infolge von Unterernährung nicht mehr wunschgemäß arbeiten konnten oder zu Dutzenden flohen, um der täglich drohenden Prügel zu entgehen, schadete dies der Rüstungswirtschaft. Als sehr wichtige Quelle erwiesen haben sich jedoch vor allem die Nachkriegsuntersuchungen gegen Deutsche, denen die Misshandlung von Ausländer:innen vorgeworfen wurde. Hier existiert etwa im Hauptstaatsarchiv Weimar eine Reihe Akten – nach Gerichtsbezirken gegliedert –, die Ermittlungen wegen solcher und anderer Verbrechen in der NS-Zeit auflisten. Sind erst einmal die Namen der Beschuldigten bekannt, kann die Prüfung beginnen, ob nicht umfangreichere Ermittlungsakten an anderer Stelle vorliegen. Unorthodoxes Denken jenseits starrer Schemata, Geduld und die Bereitschaft, auch ungewöhnliche Quellen zu prüfen, sind bei der Arbeit in den Archiven unerlässlich. Die Recherchen führen zwar mitunter in die Irre, doch immer wieder auch auf einem Umweg ans ersehnte Ziel.

Forschung ist in mehr als einer Hinsicht ein kumulativer Prozess. Nicht nur, dass sich die Kenntnisse mit etwas Glück im Laufe der Zeit immer mehr verdichten und ergänzen. Im Fortgang der Recherchen ergeben sich zudem oft Hinweise, die als Ansatz für neue Forschungsansätze verwendet werden können. Es gilt deshalb, die eigenen Ergebnisse immer wieder kritisch zu prüfen.Sind die Adressen von Unterkunftslagern erst einmal ermittelt, kann etwa in Bauakten-, Stadt- und Gemeindearchiven nach Bauunterlagen zum konkreten Ort gesucht werden. Zudem bietet sich ein Besuch auf der Webseite des Thüringer Landesamtes für Bodenmanagement und Geoinformation an.4 Hier können anhand der (heutigen) Adressen historische Luftbilder ermittelt und kostenlos heruntergeladen werden – eine Möglichkeit der Visualisierung von Einsatzorten und Lagern. Namen von deutschen Entscheidungsträger:innen ermöglichen Recherchen zu ihrem Hintergrund oder einer möglichen Strafverfolgung nach 1945. Der Besuch überregionaler Archive, namentlich des Bundesarchivs, ist zweifellos in vielen Fällen lohnend, sollte aber wegen des notwendigen Zeit- und Geldaufwands am besten erst zu diesem späteren Zeitpunkt erfolgen, wenn die gezielte Nachsuche in den Datenbanken nach konkreten Namen von Personen und Firmen möglich ist.

Angesichts der verstrichenen Zeit ist der Versuch der Kontaktaufnahme mit Zeitzeug:innen oder deren Familien bedauerlicherweise inzwischen nur noch wenig aussichtsreich. Falls die ehemaligen Zwangsarbeiter:innen nicht ausführlich über ihre Erfahrungen berichtet oder gar Aufzeichnungen und Bildmaterial hinterlassen haben, sind oft nur noch kursorische Schilderungen aus zweiter Hand erhältlich. Doch bleibt noch die Option, Organisationen zu kontaktieren, die mit den Entschädigungsvorgängen Anfang des 21. Jahrhunderts betraut waren. Einrichtungen wie die tschechische ŽIVÁ PAMĚŤ (Lebende Erinnerung) oder das Bundesarchiv, das Material der International Organisation for Migration übernommen hat, können eventuell Antragsmaterial von Zwangsarbeiter:innen mit Bezug zu einem bestimmten Ort zur Verfügung stellen. Da die ehemaligen Deportierten bei ihren Entschädigungsanträgen in der Beweispflicht für ihre Ausbeutung standen, liegen den Anfragen mitunter Aussagen, historische Dokumente oder auch Fotos bei.

Im Fall Thüringens nahezu immer problematisch gestaltet sich die Suche nach Material zum Thema Kriegsgefangenschaft. Ursache dafür ist, dass die Unterlagen der Wehrmacht zu den auf thüringischem Boden befindlichen Stammlagern IX C Bad Sulza und IV E Altenburg nahezu vollständig vernichtet wurden. Im Bundesarchiv finden sich deshalb kaum aufschlussreiche Unterlagen, und ob die lokalen und regionalen Archive Informationen zu Lagern in einer bestimmten Region oder Stadt enthalten, ist ungewiss. Mitunter sind diese Informationen gemeinsam mit jenen zu den Zwangsarbeiter:innen abgelegt. Immer wieder einen Versuch wert ist auch die Kontaktaufnahme mit dem International Committee of the Red Cross (ICRC). Nicht nur verfügt dessen Webseite über eine Anzahl historischer Fotos,5 ihm liegen auch einige Berichte von Besichtigungen der Stammlager IX C Bad Sulza und IV E Altenburg sowie einiger Arbeitskommandos durch Vertreter des Roten Kreuzes in den Jahren 1941 bis 1944 vor.

Wie auch immer der Ertrag der Recherchen sich gestaltet, in den weitaus meisten Fällen wird er höchst uneinheitlich sein. Einsatzorte für einen oder einige wenige Zwangsarbeiter:innen werden sich neben Firmen finden, die hunderte, wenn nicht mehr Deportierte ausbeuteten. In einigen Fällen war Präzisionsarbeit gefordert, die Konzentration verlangte, aber keine hohe körperliche Belastung darstellte – an anderen Orten dominierte die aufreibende Schinderei bei Bauvorhaben. Klare Hinweise auf Hunger werden neben Belegen für eine nicht reichhaltige, aber ausreichende Versorgung stehen, ebenso ein Vegetieren in stinkenden, überfüllten Elendsquartieren neben einem Fall, in dem eine deportierte Person in einem Einzelzimmer mit grundlegender Einrichtung wohnte. Der Hinweis auf brutale Misshandlungen und menschenverachtende Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der Ausländer:innen, sei es durch staatliche Stellen oder durch Privatpersonen, die aus eigenem Antrieb handelten, wird sich oft neben Beispielen von Freundlichkeit und Mitgefühl finden. Dies ist unvermeidlich, denn die Willkürlichkeit, in der sich die Lebensumstände der Deportierten gestalteten, war ebenso charakteristisch wie die Allgegenwärtigkeit der Zwangsarbeiter:innen (und in geringerem Ausmaß der Kriegsgefangenen) in deutschen Städten und Gemeinden spätestens ab dem Jahr 1942. Das komplexe und oft erschreckende Mosaik der Ausbeutung der Jahre von 1939 bis 1945 ist vielerorts in Thüringen bis heute wenig bekannt oder wird zumindest kaum erinnert. Die Möglichkeiten, daran etwas zu ändern, sind vorhanden – sie zu nutzen ist arbeitsintensiv, aber auch erfolgversprechend. Gerade in einer Zeit, in der eine wachsende und lautstarke Minderheit die Erinnerung an die NS-Verbrechen zunehmend in Frage stellt, gilt es, noch mehr als bisher genau hinzuschauen und zu verdeutlichen, dass diese Verbrechen tatsächlich allgegenwärtig waren.

Schwarz-Weiß-Fotografie von drei Frauen, polnische Zwangsarbeiterin Maria Andrzejewska in der Mitte.
Maria Andrzejewska (Mitte) um 1943, polnische Zwangsarbeiterin in Berlin-Reinickendorf. Übersetzung Vorderseite: »Wir sehnen uns nach – unserer Heimat – unserem Zuhause – der Freiheit.«
©Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit/Sammlung Berliner Geschichtswerkstatt
»Der Schmerz in den Händen mit geplatzten Blasen und Füßen voller Wunden trübte meinen Verstand. Ich war ohne Gedanken. Ich lebte wie in Trance, und es war mir völlig egal, ob ich den nächsten Tag überlebe.«

Maria Andrzejewska um 1943

Polnische Zwangsarbeiterin in Berlin-Reinickendorf

Der Historiker Dr. Marc Bartuschka arbeitet als wissenschaftlicher Referent für die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte in Weimar. Er forscht und publiziert u. a. zu nationalsozialistischer Zwangsarbeit sowie zur Geschichte von KZ-Außenlagern in Thüringen.

Fußnoten

1 StadtA Mühlhausen, 77/4 Mühlhäuser Anzeiger, Mühlhäuser Anzeiger, 1944-05-20/21.

2 LATh – StA Gotha, Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Erfurt Nr. 285.

3 https://collections.arolsen-archives.org/de/search

4 https://www.geoportal-th.de/de-de/Downloadbereiche/ Download-Offene-Geodaten-Thüringen/ Download-Luftbilder-und-Orthophotos

5 https://avarchives.icrc.org

 

 

 


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