Erinnerungen an Günter Schnabel

11. November 1929 (Breslau) – 2. Juni 2024 (Erndtebrück). Seine Haftzeit in Buchenwald 1946–1950 und die Aufarbeitung der Speziallagergeschichte.

Am 11. November 1929 wurde Günter Schnabel in der niederschlesischen Großstadt Breslau (Wrocław/Polen) geboren. Bald war die Kindheit überschattet durch den Zweiten Weltkrieg: Sein Vater wurde als Soldat zur Wehrmacht eingezogen. Militärischer Drill gehörte auch zum Programm der NS-Jugendorganisationen, wie Jungvolk und Hitlerjugend, denen Günter Schnabel angehörte.
Bei Kriegsende war Breslau eine Großstadt im Umbruch. Zwangsarbeiterlager und Konzentrationslager mit zahlreichen Außenlagern waren überall in der Region verteilt. Vor dem Herannahen der sowjetischen Armee, die die Lager befreite, trieben die Deutschen Tausende Häftlinge auf Todesmärschen nach Westen. Viele deutsche Bewohner:innen flohen vor dem sowjetischen Einmarsch, so auch die Familie Schnabel: Die Mutter, die Großeltern, die Schwester brachen auf Richtung Mühlhausen, Thüringen.

Die Vertriebenen wurden oft von NS-Organisationen vereinnahmt. Auch Günter Schnabel und andere Jugendliche sollten dem örtlichen Kampfkommandanten bei der Verteidigung der Stadt beistehen. Sie wurden einbezogen in die auch aus der militärischen Sicht sinnlosen letzten Abwehrkämpfe des nationalsozialistischen Regimes.

Nach der Befreiung durch die US-amerikanische Armee übernahm die sowjetische Besatzungsmacht am 1. Juli 1945 Thüringen. In Treffurt, wo Günter Schnabel im Dezember 1945 den Jahreswechsel mit seinen Freunden verbringen wollte, wurde er verhaftet. Im Amtsgericht in Mühlhausen hielt ihn der sowjetische Geheimdienst monatelang in einer Einzelzelle fest. Gewalttätige Vernehmungen sollten ihn zu einem Geständnis bringen. Er sollte zugeben, einer Werwolf-Organisation, einer Kampfeinheit hinter der vorrückenden Front, anzugehören.

Schließlich wurde Günter Schnabel im Juni 1946 in das Speziallager Nr. 2 gebracht, das die sowjetische Besatzungsmacht im August 1945 im befreiten Konzentrationslager Buchenwald eingerichtet hatte. Die hygienischen Bedingungen waren katastrophal, Ungeziefer quälte die Lagerinsassen, er litt an Hunger und Isolation. Das Lager war von einem elektrisch geladenen Zaun umgeben und ein 2,50 Meter hoher Bretterzaun verhinderte die Sicht nach außen. Nach einer geglückten Flucht von Häftlingen im Dezember 1946 wurde die Isolation weiter verstärkt, die Baracken jeweils einzeln umzäunt. Zählappelle fanden nun vor den Baracken statt.

Verboten war alles: Schreibzeug, Papier, lesen, Karten spielen – nur das Schachspiel war erlaubt. Günter Schnabel beschrieb später, dass er tagein, tagaus Schach gespielt hatte und bei Turnieren oft zum Turniersieger geworden war.

Während des sogenannten Hungerwinters 1946/47 wurden die Ernährungsrationen im Speziallager gekürzt, massenhaftes Sterben war die Folge. Günter Schnabel, mit der Diagnose Ruhr in das Lazarett des Speziallagers eingewiesen, überlebte, auch dank der Kohletabletten, die ihm eine Krankenschwester dort organisierte. Er litt jedoch bald an Tuberkulose, die sich unter den geschwächten Häftlingen epidemisch verbreitete.

Nach einem vermeintlichen Fluchtversuch wurde er in den Isolator gebracht – ein Gefängnis innerhalb des Lagers. Es gelang ihm dort, die Solidarität und Hilfe eines Mithäftlings zu gewinnen. Im Unterschied zu vielen anderen Jugendlichen wurde er 1948 nicht entlassen, sondern blieb in Haft. Seinen Lebensmut verlor er dennoch nicht: Er wurde in eine normale Baracke verlegt und kam zum „Kartoffelschälkommando“. Hier konnte er für sich und seine Mitgefangenen gekochte Kartoffeln herausschmuggeln – eine für ihn gefährliche Situation.

Ende 1949 wurden Entlassungen im Speziallager vorbereitet. Die Schneiderei im Lager fertigte einfache Entlassungshemden und Mäntel. Günter Schnabel erinnerte sich an seine besondere Entlassungskleidung: „Ich hatte eine aus Kaninchenfellresten zusammengenähte Mütze, eine Jacke aus einer Autoplane geschneidert, eine recht flatterhafte Hose, hohe Wehrmachtsschuhe und einen Wehrmachtsmantel.“

Am 17. Januar 1950 entlassen, gelang es ihm, seine Eltern in Bremerhaven ausfindig zu machen. Schritt für Schritt konnte er sich wieder in das zivile Leben einfinden: Ausbildung und Arbeit, Tanz und Geselligkeit, Zusammensein in der Familie, erste Liebe.

Die Geschichte der Speziallager konnte erst nach 1990 in Ostdeutschland öffentlich erwähnt werden. An der Gedenkstätte begann die Zusammenarbeit mit den ehemaligen Lagerinsassen. Günter Schnabel war einer der ersten, der an der Aufarbeitung mitwirkte. Er war Teil der Arbeitsgruppe Geschichte unter Leitung von Dr. Bodo Ritscher, die verschiedene Themen des Lageralltags bearbeitete. Viele Schüler:innen und Kolleg:innen an der Gedenkstätte Buchenwald erlebten Günter Schnabel in spannenden Zeitzeugengesprächen und in seiner Mitarbeit bei der Arbeitsgruppe Geschichte des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 – er wird uns in seiner lebensfrohen, zugewandten Art stets in guter Erinnerung bleiben.

Günter Paul Schnabel verstarb am 2. Juni 2024 in Erndte brück, die Mitarbeitenden der Gedenkstätte werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

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