Erinnerungen an Roland Boisson

20. Mai 1923 (Cézac, Frankreich) – 17. Oktober 2024 (Cézac, Frankreich)

Roland Boisson wurde am 20. Mai 1923 in Cézac in der Gironde geboren. Er wuchs in einer Winzerfamilie auf und arbeitete wie sein älterer Bruder ab dem Alter von 14 Jahren im bäuerlichen Familienbetrieb mit. Krieg kannte Roland Boisson aus den Erzählungen seines Vaters, der am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 beunruhigte die Familie, die französische Niederlage 1940 und die deutsche Besatzung seines Heimatlandes lösten einen Schock aus. Im April 1943 schloss sich der 19-jährige Roland Boisson einer Gruppe der Résistance, der im Untergrund organisierten Widerstandsbewegung gegen die Besatzung und das mit den Nationalsozialisten kollaborierende Vichy-Frankreich, an.

Im Juni 1943 wurde Roland Boisson von deutschen Soldaten festgenommen und nach Zwischenstationen in französischen Gefängnissen am 3. September in das Durchgangslager Compiègne verschleppt. Von dort konnte er Kontakt zu seinem Vater aufnehmen und ihn über seinen Aufenthaltsort informieren, bevor er mit rund tausend weiteren französischen Häftlingen nach Buchenwald transportiert wurde. Den Transport beschrieb er nachträglich als Höllenfahrt. Am 18. September in Buchenwald angekommen, erhielt Roland Boisson die Häftlingsnummer 21.085. Einen Monat später, am 13. Oktober 1943, wurde er in das damalige Buchenwalder Außenlager Dora überwiesen. Dort musste er Zwangsarbeit leisten, unter anderem beim Ausbau des Stollens im Kohnstein für die Untertageverlagerung der Rüstungsindustrie.

Als die SS die Lager des KZ Mittelbau Anfang April 1945 räumte, wurde Roland Boisson mit tausenden Mithäftlingen per Zug und zu Fuß ins KZ Ravensbrück und danach weiter in Richtung Mecklenburg getrieben. Erst am 3. Mai 1945 wurde er in der Nähe von Parchim durch sowjetische Truppen befreit. Die Erfahrungen, die er bei dem Transport und den sogenannten Todesmärschen machte, hielt er in einem Notizbuch fest, das er 2006 der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora übergab.

Am 23. Mai 1945 erreichte Roland Boisson Libourne in der Nähe von Bordeaux und traf in der Heimat auf seine Eltern und seinen Bruder. Er nahm die Arbeit im elterlichen Betrieb wieder auf. Im Jahr 1952 heiratete er seine Frau Pierrette, kurz darauf bekamen die beiden zwei Kinder, Martine und Bernard.

Dass er die katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen im KZ Mittelbau und die Räumungstransporte überlebte, führte Roland Boisson rückblickend auf verschiedene Faktoren zurück: Verbindungen zu einigen befreundeten Mithäftlingen, den seltenen Kontakt zur Familie und seinen Willen, eines Tages zu ihr zurückzukehren und – allem voran – Glück.

Die Schrecken seiner Erlebnisse und das Schuldgefühl, im Gegensatz zu so vielen anderen überlebt zu haben, nahmen ihm lange die Worte und ließen ihn schweigen:
„Was ich gesehen und erlebt habe, war im wahrsten Sinne des Wortes zu unglaublich, als dass ich mich in der Lage gefühlt hätte, es mitzuteilen, ohne ein vielleicht verzerrtes Urteil zu erhalten. Denn ich habe die Hölle überlebt, und dieses Überleben hat Verdächtigungen oder Fragen hervorgerufen, die nicht immer leicht aufzunehmen sind. Kann man hier von der Schuld des Überlebenden sprechen? Ich glaube das ehrlich gesagt.“

Erst im Alter von 91 Jahren schrieb er seine Erinnerungen in dem 2015 erschienenen Buch Sur Le Cœur. Avoir 16 Ans en Juin 1939 auf, um seinen Nachkommen und der Nachwelt seine Zeugenschaft zu hinterlassen. Auf dem Rückdeckel des Buches heißt es: „Pour devoir de mémoire“ – „Aus der Pflicht zur Erinnerung“.

Für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen und die Erinnerung an ihre Opfer engagierte er sich seit Mai 2009 bis zuletzt als stellvertretender Vorsitzender des Häftlingsbeirats der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, reiste noch im hohen Alter regelmäßig nach Nordhausen, nahm an Gedenkfeiern teil und führte Zeitzeugengespräche.

Bei einem seiner letzten Besuche in Nordhausen und Ellrich hielt Roland Boisson anlässlich des 72. Jahrestags der Räumung und Befreiung des KZ-Außenlagers Ellrich-Juliushütte am 10. April 2017 eine Rede. Darin wandte er sich insbesondere an junge Menschen und bat sie, sich geschichtsbewusst für die Erinnerungskultur einzusetzen: „Ihr tragt mit eurer Arbeit und eurer Ausdauer zum Erhalt und Unterhalt dieses Erinnerungsortes bei, damit das Gedenken niemals vergehen wird. Ein Zeitalter ohne Kriege zwischen unseren beiden Ländern dank des gemeinsamen Willens zur Versöhnung und Zusammenarbeit: Möge dieser Frieden zum Wohle aller lange andauern.“

Roland Boisson starb am 17. Oktober 2024 im Alter von 101 Jahren. Die Mitarbeitenden der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora trauern um ihn und werden ihm weiterhin ein ehrendes Andenken bewahren.

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