Buchenwald

Frühe autobiographische Lagerliteratur

Gedenkstättenbibliotheken sind im Höchstmaß spezialisierte Fachbibliotheken. Dies beinhaltet für die Bibliothek der Gedenkstätte Buchenwald den Anspruch, jegliche Veröffentlichungen zur (Kontext-)Geschichte des Konzentrationslagers, des Speziallagers Nr. 2 und der Gedenkstätte bereitzustellen. Hierbei sind seit ihrer Einrichtung 1965 gedruckte Textzeugnisse von Überlebenden aus dem Konzentrationslager ein zentraler und genuiner Sammlungsschwerpunkt. Etwas zugespitzt gesprochen, konstituieren sie das Alleinstellungsmerkmal in der Bibliothekslandschaft.

Für diese Textgattung werden terminologische Begrifflichkeiten von der Forschung heterogen verwendet, vorrangig bedingt durch die fachwissenschaftliche und didaktische Ausrichtung: „Erinnerungsberichte“, „Holocaustliteratur“, „Zeugnisliteratur“ oder „Überlebensmemoiren“, um einige anzuführen. Nicht selten ergänzten, jedenfalls deutschsprachige Überlebende, die Titelzusätze mit „Erlebnis- oder Tatsachenbericht“. An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, schlicht von früher (autobiographischer) Lagerliteratur zu sprechen, um pragmatisch den Gegenstand einzugrenzen. Das heißt, im Zentrum steht die Sammlung, Bewahrung und Erschließung von im weitesten Sinne literarischen Texten, denen Inhaftierungserfahrungen in Buchenwald und Außenlagern zugrunde liegen. Größtenteils, aber nicht ausschließlich, wurden sie in den unmittelbaren Nachkriegsjahren bis 1949 veröffentlicht.

Wie angedeutet, wurden bereits in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte (NMG) Buchenwald erhebliche Anstrengungen im Themenfeld unternommen: Neuerwerbungen waren zeitbedingt aufwendig und umständlich, es gab Buchausstellungen, in welchen ausgewählte Werke präsentiert wurden, schließlich und zentral erstellte man detaillierte Bibliographien zur „Buchenwaldliteratur“. Gezielte Bestandsergänzungen durch antiquarische Ankäufe in den letzten Jahren lassen sich ebenso anführen. Trotzdem können bis heute meines Erachtens keine exakten Aussagen über die tatsächliche Anzahl früher (autobiographischer) Literatur zu Buchenwald getroffen werden, insbesondere wenn man einen europäischen Blickwinkel einnimmt. Hier bedarf es weiterer Anstrengungen. Es ist anzunehmen, dass es mehrere Hunderte Bücher, Broschüren, Heftchen oder Privatdrucke sind, ein Schatz, der bisher nur teilweise gehoben wurde.

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Das Lesen und Studieren der frühen (autobiographischen) Lagerliteratur setzt selbstverständlich einen kritischen Blick voraus. Manche Opfergruppen sind überrepräsentiert, manche kaum bzw. nicht vertreten. Fragen des Alters, des Geschlechts oder der Stellung innerhalb der Lagerhierarchie müssen berücksichtigt werden, ebenso der starke individuelle und gesellschaftliche Zeugnisdruck im unmittelbaren Nachkriegseuropa, um nur wenige Stichworte anzuführen. Unter vielen Gesichtspunkten sind sie jedoch grundlegend, sei es für die Rekonstruktion von Existenzbedingungen oder spezifischer Ereignisse der Lagergeschichte, sei es für die Analyse von internen Verhältnissen und Binnenstrukturen der Häftlingsgesellschaft oder verborgener kultureller Aktivitäten. Anders gewendet: In der Gedenkstättenpädagogik können sie eine wichtige Ergänzung sein zur Arbeit mit dem Ort an sich, mit Archivalien und Täterdokumenten oder mit Objekten der (Kunst-)Sammlung. Wie hilfreich und ergiebig dies ist, zeigen die Erfahrungen mit der inzwischen mehrfach aufgelegten Veröffentlichung „Stimmen aus Buchenwald“.

Fast zwangsläufig werden mit dem endgültigen Abschied von denjenigen, die die NS-Verbrechen durchlitten und darüber berichtet haben, ihre Zeugnisse, in welchen Formen auch immer, noch mehr als bisher in den Mittelpunkt von Bildungsarbeit rücken. Im Fall der frühen (autobiographischen) Lagerliteratur, teils in Kleinstauflagen oder auf mangelhaften Papier erschienen, muss die Nutzbarmachung gleichsam die Bestandserhaltung mit einschließen. Aktuell werden hierfür in einem sammlungsübergreifenden Digitalisierungsprojekt der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora die Voraussetzungen geschaffen.

 

Mehr Informationen zur Bibliothek finden Sie hier: https://www.buchenwald.de/recherche/bibliothek

Der Soziologe Stefan Lochner ist Leiter der Bibliothek der Gedenkstätte Buchenwald und Mitarbeiter der Bildungsabteilung.


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