Stiftung

Historisch-politisch-ethische Bildungsarbeit mit (angehenden) Polizist:innen

Spezifische Bildungsangebote für Berufsgruppen

Nachdem sich im Jahr 2020 Berichte über rechte Chatgruppen innerhalb der Polizei häuften, über racial profiling diskutiert wurde und sich die Debatte über die Notwendigkeit einer Studie zu strukturellem Rassismus innerhalb der Institution Polizei intensivierte, haben die Themen einer vermeintlichen Geschichtsvergessenheit von Polizeibeamt:innen sowie einer ihnen unterstellten besonderen Empfänglichkeit für rechte und rechtsextreme Inhalte große öffentliche Wahrnehmung erfahren. Die Frage nach „Prävention“ wird verstärkt gestellt. Dies äußerte sich unter anderem in vereinzelt aus der Politik erhobenen Forderungen nach Zwangsbesuchen aller Polizist:innen in NS-Erinnerungs- und Gedenkorten.

Hilfspolizist von der SS (links), Polizeihund (Mitte), Schutzpolizist (rechts)
Aus dem Bildungsmaterial des „Polizeiprojektes“: Ein als Hilfspolizist eingesetzter SS-Mann patrouilliert gemeinsam mit einem Schutzpolizisten in Berlin am Tag der Reichstagswahl, 5. März 1933.
©Georg Pahl, Bundesarchiv

Um es vorab klarzustellen: Die zwangsweise Verpflichtung, sich mit der NS-Geschichte auseinanderzusetzen ist – unabhängig davon, welche Gruppen damit adressiert werden – weder geeignet, zielgerichtet Präventionsarbeit gegen demokratiefeindliche, rassistische, antisemitische oder andere menschenverachtende Einstellungen zu leisten, noch dazu in der Lage, bereits vorhandene Einstellungen zu „kurieren“. Historisch-politische Bildungsarbeit besitzt jedoch durchaus das Potential, zur Reflexion der eigenen Rolle und der besonderen Verantwortung als Polizist:in und als Mitglied der Gesellschaft anzuregen – vorausgesetzt, sie geschieht auf Augenhöhe. Wie jede Bildungsarbeit kann sie dann Erfolg haben, wenn sie nicht belehrend und mit dem sprichwörtlich erhobenem Zeigefinger daherkommt, sondern die Teilnehmenden als Partner:innen im Bildungsprozess versteht. Das bedeutet unter anderem, Interessen der Teilnehmenden ernst zu nehmen, flexibel auf inhaltliche Bedürfnisse und Wünsche – wo immer möglich – einzugehen und eben nicht, ihnen vorgefertigte Programme oder gar eine wohlfeile Moral überzustülpen. Solche (berufs-)gruppenspezifischen Bildungsangebote weisen in diesem Zusammenhang vor allem zwei Vorteile auf: Sie können erstens bei den Teilnehmenden intrinsische Motivation erzeugen, sich mit den jeweiligen Inhalten auseinanderzusetzen – aufgrund des beruflichen Bezugs und des persönlichen Interesses am Handeln von Kolleg:innen in der Vergangenheit. Und sie erleichtern zweitens den Transfer der aus der Geschichte gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten in die eigene (berufliche) Gegenwart.

Bereits vor der aktuellen Debatte, im Mai 2018, institutionalisierten die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und die Bildungseinrichtungen der Thüringer Polizei ihre bis dahin punktuelle Zusammenarbeit auf dem Gebiet der historisch-politisch-ethischen Bildung durch den Abschluss einer Kooperationsvereinbarung. Sie gibt der Zusammenarbeit einen verbindlichen Rahmen und der historisch-politisch-ethischen Bildungsarbeit für (angehende) Polizist:innen eine langfristige Perspektive. Das bedeutet einerseits deren Einbindung in die Ausbildung (mittlerer und gehobener Dienst) und andererseits die Etablierung regelmäßiger Fortbildungsangebote zur Geschichte der Polizei, zu Menschenrechtsfragen und Extremismusprävention für alle Angehörigen der Thüringer Polizei. Für Polizist:innen in der Ausbildung zum mittleren Dienst finden viertägige Seminare an vier historischen Orten in Thüringen statt: Neben den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sind dies der Erinnerungsort Topf & Söhne sowie die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt. Die Teilnehmenden können sich nach ihren jeweiligen Interessen für einen dieser Orte entscheiden. Sämtliche Studierenden für den gehobenen Polizeidienst nehmen an einem zweitägigen Seminar in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora teil.

Inhaltlich setzen die Bildungsveranstaltungen zunächst auf die Vermittlung historischen Wissens zur Institution und Rolle der Polizei in unterschiedlich verfassten staatlichen und gesellschaftlichen Systemen. Das beginnt mit dem ausgehenden Kaiserreich, umfasst die Demokratie der Weimarer Republik und den NS-Staat und reicht im Falle der Andreasstraße bis zur Einparteiendiktatur der DDR. Thematisiert werden Kontinuitäten und Brüche sowie die Handlungsmöglichkeiten von Polizist:innen innerhalb des jeweiligen Rahmens. Integraler Bestandteil der Bildungsprogramme ist zugleich die Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Bindung staatlichen Handelns an Werte als Ergänzung des durch die Legalität gesetzten Rahmens: Inwiefern und auf welche Weise verschieben sich die handlungsleitenden (Wert-)Maßstäbe einer Gesellschaft und ihrer staatlichen Institutionen, wenn ausgrenzende, menschenverachtende, demokratiefeindliche Akteur:innen die politischen Machtverhältnisse zu ihren Gunsten und in der Folge den Werte- und den Rechtsrahmen verändern? Welche Folgen hat das für Polizist:innen? In diesem Zusammenhang richten wir in den Bildungsangeboten also den Fokus – jeweils in historischer und gegenwärtiger Perspektive – auf die Relevanz der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für staatliches Handeln allgemein und polizeiliches Handeln im Besonderen. Gemeinsam mit den Teilnehmer:innen der Seminare gehen wir unter anderem der Frage nach, welche sozialen, ökonomischen, medialen, rechtlichen und politischen Bedingungen das Entstehen und die Festigung der nationalsozialistischen Diktatur möglich gemacht haben – und welche Auswirkungen dies auf das Selbstverständnis, die Rolle und Aufgaben der Polizei hatte. In den Blick genommen werden auch und vor allem die Möglichkeiten eines:r jeden Polizist:in als Mitglied der Gesellschaft diese Rahmenbedingungen aktiv mitzugestalten oder zu verteidigen.

Der Blick in die Vergangenheit soll Sensibilität erzeugen für aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen und gleichzeitig Fragen aufwerfen in Bezug auf das eigene berufliche Handeln als Polizist:in, aber auch auf die Verantwortung jeder:s Einzelnen in einem demokratisch verfassten Staat. Die auf die Vergangenheit gerichtete Frage „Wie hätte ich mich möglicherweise verhalten?“, führt zur naheliegenden Frage „Was kann ich heute tun?“.

Bahnhofsansicht: Ordnungspolizisten und Thüringer Juden
Aus dem Bildungsmaterial des „Polizeiprojektes“: Beginn der Deportation der Thüringer Juden in Eisenach. Beamte der Ordnungspolizei begleiten sie zum Hauptbahnhof, 9./10. Mai 1942
©Stadtarchiv Eisenach

Seit dem Abschluss der Kooperationsvereinbarung haben – auch wenn im Corona-Jahr 2020 vieles ausfallen musste – inzwischen zahlreiche Veranstaltungen der Aus- und Fortbildung (angehender) Thüringer Polizist:innen stattgefunden. Auch wenn wir bei Einzelnen manchmal auf Desinteresse oder gar auf massive Ablehnung stießen, trafen wir doch mehrheitlich auf Offenheit und Neugierde, auf Freude am intensiven Diskurs und einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Eindrücklich war beispielsweise das nachdenkliche Statement eines Teilnehmers am Ende einer Fortbildungsveranstaltung: Er stelle sich die Frage – so führte er aus – wie er sich verhalten würde, wenn heute eine populistische, völkisch, rassistisch und antidemokratisch eingestellte Partei in Regierungsverantwortung gewählt und von da an den Rahmen für sein Handeln als Polizist setzen würde. Müsste er – so seine weitere Reflexion – dann nicht den Dienst quittieren, bevor von ihm als Polizist Verhaltensweisen abverlangt würden, die er nicht mitzutragen bereit sei? Wo verlaufe seine persönliche Grenze? Und welche Möglichkeiten stünden ihm zur Verfügung, das Eintreten einer für ihn nur durch Aufgabe seines Berufes aufzulösenden Situation zu verhindern? Das „Polizeiprojekt“ der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora wird inzwischen über die Landesgrenzen Thüringens hinaus wahrgenommen. So erreichen uns aktuell auch Anfragen aus Sachsen und Bayern nach Bildungsangeboten für deren Aus- und Fortbildung von Polizist:innen.

Julia Treumann ist Leiterin der Internationalen Jugendbegegnungsstätte der Gedenkstätte Buchenwald. Holger Obbarius leitet die Bildungsabteilung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.


var _paq = window._paq = window._paq || []; /* tracker methods like "setCustomDimension" should be called before "trackPageView" */ _paq.push(['trackPageView']); _paq.push(['enableLinkTracking']); (function() { var u="https://matomo.buchenwald.de/"; _paq.push(['setTrackerUrl', u+'matomo.php']); _paq.push(['setSiteId', '21']); var d=document, g=d.createElement('script'), s=d.getElementsByTagName('script')[0]; g.async=true; g.src=u+'matomo.js'; s.parentNode.insertBefore(g,s); })();