Schwerpunkt: Nationalsozialismus als transnationales Phänomen

Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Europa – eine transnationale Erfahrung?

Ohne Zweifel hat der europaweite Widerstand von Zivilist:innen – zusätzlich zum militärischen Kampf der Alliierten – ganz wesentlich zum Sieg über den Nationalsozialismus und zum Ende der deutschen Besatzungsherrschaft in Europa beigetragen. Insbesondere betrifft das den Widerstand in den besetzten Gebieten, also außerhalb des Deutschen Reiches. Umso erstaunlicher ist es, dass sich viele deutsche Online-Portale beim Thema „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ weitgehend auf Widerstandshandlungen Deutscher beschränken.1

Für die Gedenkstättenarbeit wie auch für den Geschichtsunterricht sollte das Anlass sein, die Perspektive zu erweitern – zum einen auf die Gegenwehr von überwiegend nichtdeutschen Verfolgten in Lagern und Ghettos, zum anderen auf den breiten sowohl zivilen als auch militärisch organisierten Widerstand in den besetzten Gebieten. Dort hatten Opposition und Widerstand einen anderen Charakter als im Deutschen Reich. Nicht nur waren sie sehr viel breiter aufgestellt und beinhalteten deutlich stärker militärische Elemente, sondern die Motivation der Akteure unterschied sich auch von der deutscher Oppositioneller: In den besetzten Gebieten richtete sich der Widerstand in erster Linie gegen die deutsche Besatzungsherrschaft und galt als Fortsetzung des Kampfes der eigenen Armee, die besiegt worden war. Insbesondere in Osteuropa war Widerstand auch ein existenzieller Überlebenskampf. In Deutschland hingegen steckten Opposition und Widerstand in dem Dilemma, in den Augen der Mehrheitsgesellschaft mit dem NS-Regime auch ihr eigenes Land zu bekämpfen, also „Hochverrat und Landesverrat zugleich“ zu begehen, wie es Hans Mommsen einmal formuliert hat.2 Die Motivation, Praxis und gesellschaftliche Wahrnehmung des Widerstandes unterschieden sich zwischen den besetzten Gebieten und dem Deutschen Reich also deutlich. Gleichwohl gab es jenseits nationaler und ideologischer Unterschiede auch Gemeinsamkeiten: Für fast alle wurde die Erfahrung des nationalsozialistischen Terrors zu einer ganz wesentlichen Motivation, sich gegen das Regime aufzulehnen. Widerstand hatte – für die einen mehr, für die anderen weniger – immer auch das Ziel, zivilisatorische Werte und eine auf Frieden und Humanität beruhende Gesellschaftsordnung in Europa wiederherzustellen.

Wie das umgesetzt werden sollte und welche Ziele außerdem verfolgt wurden, war je nach Land und ideologischer Verortung der Widerstandsgruppen sehr unterschiedlich. Transnational agierende Gruppen gab es kaum. Überwiegend handelte es sich in den jeweiligen Ländern um nationale, teils untereinander konkurrierende Befreiungsbewegungen, die meist auf sich allein gestellt waren und nur selten mit dem Widerstand in anderen Ländern zusammenarbeiteten. Es stellt sich damit die Frage, inwieweit der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Europa überhaupt ein transnationales Phänomen war. Die Beantwortung dieser Frage setzt voraus, zunächst den Blick auf das Deutsche Reich und anschließend auf die besetzten Gebiete zu richten.

Flugblatt der französischen Résistance mit Lothringer Kreuz - hinter dem Schriftzug sind drei Flugblätter auf einem Hintergrund in den Farben der französischen Fahne abgebildet.
„Résistez“ (leistet Widerstand). Flugblatt der französischen Résistance mit Lothringer Kreuz, 1942. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs 1940 wurde das Croix de Lorraine zum Symbol des französischen Widerstandes gegen die Besatzer. Auch die Freien Französischen Streitkräfte unter General de Gaulle nutzen es als Erkennungszeichen.
©bpk

Nach dem deutschen Überfall auf Polen und noch einmal mehr nach dem Angriff auf die Sowjetunion radikalisierte sich die deutsche Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. Insbesondere betraf das den Mord an den europäischen Juden sowie an den Sinti und Roma, aber auch die Politik gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen, von denen die meisten einen qualvollen Tod starben. Eine Minderheit der Deutschen reagierte auf die Verbrechen (die trotz aller Geheimhaltung weitgehend öffentliche Taten waren) mit Abscheu und Empörung, woraus teilweise Widerstand erwuchs. Dieser speiste sich aus allen sozialen Schichten und weltanschaulichen bzw. politischen Richtungen (vertreten waren vor allem sozialdemokratische und kommunistische sowie kirchliche Gruppen) und äußerte sich in Hilfeleistungen für Verfolgte (etwa das Sammeln von Lebensmittelmarken und das Verstecken von untergetauchten Jüdinnen und Juden), dem Versuch der Herstellung von Gegenöffentlichkeit (die Dokumentation und Weitergabe von Nachrichten über NS-Verbrechen, dem Herstellen und Verteilen von Flugblättern und Klebezetteln) und der Kontaktaufnahme mit Widerstandsgruppen unter ausländischen Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangenen sowie den Alliierten. Einzelne Gruppen versuchten zudem, die Rüstungsindustrie zu sabotieren. Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 bewirkte – nach dem Einbruch infolge des Hitler-Stalin-Paktes – eine erneute Verstärkung der Tätigkeit kommunistischer Widerstandsgruppen vor allem in Form illegaler Betriebszellen, etwa in Berlin, Hamburg und im Ruhrgebiet. Teils arbeiteten sie auch mit sozialistischen Gruppierungen zusammen, außerdem unterhielten einige von ihnen Kontakte zur KPD-Leitung im Moskauer Exil.3

Schwarz-Weiß-Fotografie eines Werbebüros mit veränderter Parole.
Im Mai 1942 änderte ein junger Pole eine Parole an einem Anwerbebüro der deutschen Arbeitsverwaltung in Warschau. Aus dem Schriftzug „Fahr mit uns nach Deutschland!“ machte er durch einige Pinselstriche den Spruch „Fahrt doch selbst nach Deutschland!“
© Wilhelm Nortz, Stadtarchiv München

Angesichts des umfassenden Verfolgungsdrucks und des Zwangs zur Konspiration waren die Gruppen überwiegend sehr klein. Allerdings schlossen sich während des Krieges in einigen Städten zuvor einzeln agierende Freundeskreise locker zusammen – auch über parteipolitische Grenzen hinweg, in Berlin etwa in der „Europäischen Union“ um Georg Groscurth und Robert Havemann sowie in der „Roten Kapelle“ (eine Bezeichnung der Gestapo, die in der Gruppe eine sowjetische Spionageorganisation vermutete) um Arvid Harnack und Hans Coppi. Fast alle Gruppen flogen früher oder später auf, auch die beiden zuletzt genannten. Die meisten Mitglieder wurden von der Gestapo verhaftet oder in Konzentrationslager eingewiesen. Viele von ihnen ließ die NS-Justiz hinrichten, im Fall der Roten Kapelle rund 50 Menschen.4

Tödlich endete der Widerstand auch für die meisten Mitglieder der „Weißen Rose“, der studentischen Widerstandsgruppe in München um die Geschwister Hans und Sophie Scholl. Sie hatten mit Flugblättern gegen die NS-Verbrechen protestiert und Kontakte zu Gruppen und Einzelpersonen in anderen Städten geknüpft. Im Februar 1943 wurden sie von der Gestapo verhaftet und noch im selben Monat zum Tode verurteilt und enthauptet. Dem Widerstand zugerechnet werden können auch diverse jugendoppositionelle Gruppen wie die Swing-Jugend, die Edelweißpiraten oder die Leipziger Meuten, auch wenn sie sich nicht explizit gegen die NS-Verbrechen wandten. Vielmehr ging es ihnen – ähnlich wie bündischen und kirchlichen Jugendgruppen – um Unabhängigkeit gegenüber dem umfassenden Machtanspruch der „Hitler-Jugend“ und um einen individuellen Lebensstil. Für das Regime war das Grund genug, brutal gegen sie vorzugehen. Tausende Jugendliche und junge Erwachsene wies es in Gefängnisse und Konzentrationslager ein.5 Einige kommunistische Widerstandsgruppen nahmen Kontakt zu sowjetischen Zwangsarbeiter:innen oder Kriegsgefangenen auf und agierten gemeinsam mit ihnen. So bildeten 1942/43 in München die „Antinazistische Deutsche Volksfront“ und die sowjetische Widerstandsorganisation „Brüderliche Zusammenarbeit der Kriegsgefangenen“ (BZW) ein Widerstandsnetz, das mehrere Hundert Mitglieder umfasste. Anfang 1944 wurde es von Gestapo-Spitzeln aufgedeckt. Fast 400 Personen wurden festgenommen und fast alle von ihnen umgebracht, die meisten im KZ Dachau.6 Ähnlich erging es den Mitgliedern des „Internationalen Antifaschistischen Komitees“ in Leipzig, das sowjetische Zwangsarbeiter:innen und deutsche Kommunist:innen verband und Flugblätter in Zwangsarbeitslagern verteilte. Fast alle Mitglieder der Gruppe wurden nach der Verhaftung durch die Gestapo im Sommer 1944 als „Sowjetagenten“ im KZ Auschwitz ermordet.7

Gemeinsames Agieren deutscher und ausländischer Widerstandsgruppen blieb jedoch auf Ausnahmen beschränkt. Insbesondere der militärische Widerstand sah die vielen Millionen ins Deutsche Reich verschleppten ausländischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter:innen nicht als potentiell Verbündete. Nationalkonservative Opposition gegen die Partei und Hitlers Kriegskurs hatte sich in der Reichswehr bzw. in der Wehrmacht bereits lange vor Kriegsbeginn geregt.8 Mit der Verschlechterung der militärischen Lage Deutschlands 1943 nahmen Umsturzplanungen, die bereits 1938 angestellt worden waren, innerhalb der Wehrmacht wieder konkretere Formen an. Bekanntlich scheiterte der Putschversuch der Männer um Graf Stauffenberg vom 20. Juli 1944. Dennoch zeigte die misslungene Operation „Walküre“, dass der Kreis der Widerständler innerhalb der Wehrmacht recht weit verzweigt war und auch Kontakte zu zivilen Gruppen, etwa dem Kreisauer Kreis, aufgebaut hatte. Seine politischen Vorstellungen waren widersprüchlich, wenn auch überwiegend konservativ. Das NS-Regime reagierte mit brutaler Gewalt: Etwa 600 Personen nahm die Gestapo fest, weitere 300 wurden in „Sippenhaft“ genommen. 150 tatsächliche oder vermeintliche Verschwörer wurden hingerichtet oder von SS und Gestapo ermordet. Darüber hinaus wies die Gestapo etwa 5000 Funktionsträger:innen und Mandatsträger:innen der Weimarer Republik, viele schon im betagten Alter, nach dem 20. Juli nach vorbereiteten Listen im Rahmen der „Aktion Gitter“ in die Konzentrationslager ein, darunter fast 750 Männer in das KZ Buchenwald. Viele überlebten das nicht.

Schwarz-Weiß-Fotografie: im Vordergrund sind drei Frauen mit Gewehren zu sehen, im Hintergrund einige Männer.
Bewaffnete italienische Widerstandskämpferinnen, Aufnahmeort und -datum unbekannt (1943)
©bpk

Weitaus gefährlicher als von Deutschen schätzte die Gestapo den Widerstand von Kriegsgefangenen und ausländischen Zwangsarbeiter:innen ein, und hier bekommt das Thema Widerstand tatsächlich eine deutliche transnationale Dimension: Seit Beginn des Krieges galt der Schwerpunkt der Gestapo-Tätigkeiten der Überwachung der „Fremdvölkischen“, die millionenfach zur Zwangsarbeit ins Reich deportiert wurden, um Lücken auszugleichen, die unter deutschen Beschäftigten durch Einberufungen zur Wehrmacht entstanden waren. Der Überwachungsdruck durch die Gestapo hatte zwei Gründe: Zum einen befürchteten die Partei und die NS-Repressionsorgane „volkstumspolitische“ Gefahren durch Kontakte zwischen Deutschen und Ausländer:innen. Insbesondere intime Kontakte zwischen deutschen Frauen und ausländischen Männern sollten verhindert werden. Zum anderen gab es sicherheitspolitische Befürchtungen, die nicht ganz unbegründet waren. Immerhin stammten die meisten der insgesamt 13 Millionen Zwangsarbeiter:innen aus Ländern, mit denen das Deutsche Reich im Krieg stand. Die NS-Repressionsorgane konnten damit – auch wegen der schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen – zu Recht annehmen, dass die Zwansgarbeiter:innen dem Regime wenig freundlich gegenüber stehen würden. Ab 1943 machte sich im Überwachungsapparat zunehmend eine nervöse Stimmung breit. Im Land Braunschweig etwa erwarteten die Behörden im Sommer 1943 einen kollektiven Aufstand der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter:innen, die in manchen Betrieben die Hälfte der Belegschaft stellten. Die Polizei wurde angewiesen, für diesen Fall rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen.9 Hier wie anderenorts blieben kollektive Aufstände angesichts des Terrorapparates und eines umfassenden Spitzelnetzes in den Zwangsarbeitslagern zwar aus, tatsächlich war aber das Ausmaß des Widerstandes aus den Reihen insbesondere der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter:innen deutlich größer als aus der deutschen Bevölkerung. So waren von 38 Widerstandsgruppen, die die Gestapo zwischen März und September 1944 aufdeckte, 33 von sowjetischen Zwangsarbeiter:innen oder Kriegsgefangenen dominiert.10

Schwarz-Weiß-Fotografie dreier jüdischer Kämpferinnen.
SS-Fotografie gefangengenommener jüdischer Kämpferinnen des Ghetto-Aufstandes in Warschau, Mai 1943. Małka Zdrojewicz (rechts) überlebte die Gefangennahme und die anschließende Haft im KZ Majdanek. 1946 emigrierte sie nach Palästina.
©bpk

Das Spektrum widerständigen Verhaltens seitens der ausländischen Arbeitskräfte reichte von organisierten Revolten (etwa wegen unzureichender Verpflegung und menschenunwürdiger Unterbringung) über Sabotage der Rüstungsproduktion bis zu individueller Auflehnung gegen deutsche Vorgesetzte oder Behörden. Eines der von der Gestapo am meisten geahndeten Vergehen war das unerlaubte Entfernen vom Arbeitsplatz. Zehntausende Zwangsarbeiter:innen, vor allem aus der Sowjetunion und Polen, aber auch aus Frankreich und anderen westeuropäischen Ländern, wurden deshalb in Arbeitserziehungs- und Konzentrationslager eingewiesen. Unter den sowjetischen KZ-Häftlingen waren solche, denen Verstöße gegen die repressiven Arbeits- und Aufenthaltsbestimmungen zur Last gelegt wurden, in der Mehrheit. In den Konzentrationslagern trugen auch sie auf ihrer Häftlingskleidung den roten Winkel der politischen Häftlinge.

Zwar konnten Selbstbehauptung und Widerstand aus den Reihen der Zwangsarbeiter:innen das NS-Regime nicht ernsthaft bedrohen. Für die Selbstwahrnehmung der Betroffenen hatte die Auflehnung gegen die Peiniger aber große Bedeutung. Das gilt auch für den Widerstand in Konzentrationslagern und Ghettos. Angesichts der absoluten Macht der SS und der Ghettoverwaltungen waren die Möglichkeiten für organisierte Aktionen extrem gering. Dennoch bildeten sich in vielen Konzentrationslagern konspirative Widerstandsgruppen, häufig getragen von erfahrenen politischen Häftlingen aus den Reihen deutscher Kommunist:innen und Sozialdemokrat:innen sowie ausländischer Widerstandkämpfer:innen aller politischen Richtungen. In den meisten Fällen blieb die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen nationalen Gruppen aber begrenzt – allein schon aus Gründen der Geheimhaltung und begrenzter Verständigungsmöglichkeiten. Es gab aber Ausnahmen – etwa im Außenlager Holzen des KZ Buchenwald: Dort illustrierte der französische Widerstandskämpfer Camille Delétang eine Lagerzeitung, die polnische politische Häftlinge heimlich zu ihrem Nationalfeiertag am 11. November 1944 anfertigten (siehe Abbildung).

handgeschriebenes Gedicht mit zwei Zeichnungen
Gedicht „KZ-Pleite“, 11. November 1944. Unter Lebensgefahr fertigten polnische politische Häftlinge des Buchenwalder KZ-Außenlagers Holzen (Kreis Holzminden) zum polnischen Nationalfeiertag am 11. November 1944 eine handschriftliche Zeitung an, die sie heimlich herumreichten. Die Zeitung enthielt vor allem Spottgedichte gegen die SS und die Deutschen, so auch das Gedicht „KZ-Pleite“. Die Illustrationen stammen vom französischen Häftling und Résistance-Kämpfer Camille Delétang.
©Muzeum Teatralne we Warszawie

Übersetzung des Gedichtes „K.L. apa“:

 

K.L. Pleite

‚Am Anfang war das Wort...’

das bedeutet Schrei, schloss der Schwabe.

Er hat dies geschrien, er hat jenes geschrien, –

Und am Ende hat er gebrüllt:

                                              Mützen ab!!

 

So hat er vier Jahre geschrien –

Hitlerjunge, Hundesohn,

Er hat sich prima in der Rolle des Scharfrichters gefühlt,

Er hat geschrien, hat gebrüllt:

                                             Köpfe ab!!

 

Heute steht er mit trauriger Fratze

vor dem germanischen Massengrab, –

Und Europa befiehlt

den Hurensöhnen:

                                            Helme ab!!!

Auch Jüdinnen und Juden sowie Sinti:zze und Rom:nja wehrten sich gegen ihre Peiniger und Mörder. In den deutschen Großstädten bildeten sich jüdische Untergrundgruppen mit dem Ziel, das Leben in der Illegalität zu organisieren und den Mördern zu entgehen. In Ghettos und Lagern gab es Aufstände. Am bekanntesten ist sicherlich der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto 1943. Im „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau wiederum führte ein kollektiver Aufstand im Mai 1944 dazu, dass die SS ihre Mordpläne verschieben musste. Es bleibt festzuhalten: Widerstand leisteten während des Krieges innerhalb der Reichsgrenzen vor allem ausländische Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangene. Aber auch Deutsche widerstanden dem Regime, selten allerdings in Zusammenarbeit mit ausländischen Gruppen. Die Durchsetzung von Vernichtungskrieg und Holocaust vermochte der Widerstand im Deutschen Reich nicht zu verhindern. Resistenz bewirkte jedoch, dass sich der totalitäre Geltungsanspruch von Ideologie und Praxis auch in der deutschen „Volksgemeinschaft“ nicht umfassend durchsetzen konnte. Konkreten Widerstandshandlungen ist es zudem zu verdanken, dass Tausende politisch oder rassistisch Verfolgte gerettet werden konnten, indem man ihnen half, sich zu verstecken, sie mit falschen Papieren ausstattete oder sie ins Ausland schleuste.

Weitaus gefährlicher für das Regime und personell deutlich stärker aufgestellt als im Deutschen Reich war der Widerstand von Nichtdeutschen in den besetzten Gebieten. Zwar konnten die deutschen Besatzer überall auf die Hilfe einheimischer Kollaborateure zählen, jedoch bildeten sich in allen besetzten Ländern schon bald nach dem deutschen Einmarsch weitverzweigte Netzwerke diverser, politisch heterogen ausgerichteter Widerstandsgruppen.11 Häufig waren diese militärisch organisiert und wurden von ausgebildeten Soldaten angeführt – etwa in vielen Partisan:innengruppen in Ost- und Südeuropa oder auch in der polnischen Heimatarmee sowie in der Résistance in Frankreich und Belgien. Zugleich waren fast immer auch Zivilist:innen eingebunden, wie überhaupt ziviler Widerstand in Form von Streiks oder dem Verteilen von Flugblättern – soweit das unter den Bedingungen der repressiven Besatzungsherrschaft möglich war – insbesondere in West- und Nordeuropa eine wichtige Rolle spielte. Knotenpunkte in den Netzwerken bildeten die Exilregierungen bzw. militärische Exilführungen wie die polnische Regierung und die französische Militärführung unter General de Gaulle in London, zudem die Kommunistische Partei in der Sowjetunion und der britische Geheimdienst Special Operations Executive (SOE) sowie das amerikanische Office of Strategic Services (OSS). Sie koordinierten die lokal häufig eigenständig agierenden Gruppen und unterstützten sie mit Informationen, falschen Papieren oder Waffen.

Die militärischen Aktionen gegen die Besatzer richteten sich vor allem gegen deren Infrastruktur. Überfälle auf Straßenkonvois und die Sprengung von Bahnanlagen störten die deutschen Nachschubwege; Sabotageakte trafen die Rüstungsproduktion. Ein wesentliches Element der deutschen Herrschaft war die Ausplünderung der besetzten Gebiete – gerade auch hinsichtlich einer ganz wesentlichen Ressource, an der im Reichsgebiet große Knappheit herrschte: den Arbeitskräften. Auch hierbei versuchten Widerständler die Besatzer empfindlich zu treffen. Gezielt überfielen sie Arbeitsämter und Anwerbebüros, um die Karteien zu vernichten, die zur Rekrutierung von Zwangsarbeiter:innen für den „Reichseinsatz“ genutzt wurden. Auch mittels Flugblättern versuchten sie die deutsche Anwerbung und Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften zu stören. Die deutschen Besatzer reagierten auf den Widerstand mit großer Brutalität. Razzien von Wehrmacht, SS, Polizei und einheimischen „Hilfswilligen“ waren an der Tagesordnung, Hunderttausende tatsächliche oder vermeintliche Partisan:innen wurden allein in den besetzten Gebieten der Sowjetunion im Rahmen der „Bandenbekämpfung“ ermordet. Sehr häufig trafen die „Vergeltungsaktionen“ vollkommen Unbeteiligte; ganze Ortschaften wurden bei Überfällen und Geiselerschießungen von den deutschen Besatzern ausgelöscht, vor allem in Griechenland, Italien und Serbien, aber auch in vielen anderen besetzten Ländern. Viele weitere Menschen wurden in den besetzten Gebieten wegen Widerstandes verhaftet, gefoltert und in Konzentrationslager im Reichsgebiet deportiert, insbesondere aus Polen, Frankreich, Belgien, dem „Protektorat“ und den Niederlanden. Die dort verhafteten Widerständler stellten ab 1943 den größten Teil der KZ-Insassen. Viele erlebten das Kriegsende nicht mehr.

Einig waren sich die diversen Widerstandsgruppen und -bewegungen in Europa im Ziel, die deutschen Besatzer zu vertreiben. Einen einheitlichen europäischen Widerstand hat es gleichwohl nicht gegeben. Die meisten Gruppen waren national organisiert. Zunächst einmal ging es ihnen um die Befreiung des jeweils eigenen Landes, auch wenn es vor allem in Westeuropa und in Polen zu einer transnationalen geheimdienstlichen und militärischen Zusammenarbeit mit den (westlichen) Alliierten kam. Zu den nationalen kamen die ideologischen Barrieren zwischen Kommunist:innen und Sozialist:innen auf der einen und bürgerlichen oder rechtsnationalen Gruppen auf der anderen Seite. Auch bündnispolitische Rücksichtnahmen erschwerten den gemeinsamen Kampf. So waren etwa die kommunistischen Parteien in den besetzten Ländern West-, Nord- und Mittelosteuropas bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 in ihrem Widerstandswillen gegen die Besatzer wegen des Hitler-Stalin-Paktes geradezu paralysiert.12 Nur in wenigen Fällen und teilweise auch erst spät gelang es den Gruppen, die Gräben zu überwinden und gemeinsam gegen die Besatzer zu kämpfen. Dazu trug sicherlich maßgeblich der im Laufe des Krieges auch in West- und Nordeuropa immer deutlicher sichtbare repressive Charakter der Besatzungsherrschaft bei: Gewaltmaßnahmen der Besatzer (wie etwa Razzien oder die Deportation von Arbeitskräften und Gefangenen ins Reich) schweißten die Widerstandsgruppen zusammen. In Frankreich etwa stellte im Februar 1944 die Gründung der Forces françaises de l’intérieur (FFI) den weitgehend gelungenen Versuch dar, die rivalisierenden gaullistischen Forces françaises libres und die kommunistischen Francs-tireurs et partisans (FTP) unter einem gemeinsamen Kommando zu vereinen.

In Polen kam es hingegen nicht zu einer solchen Zusammenarbeit, im Gegenteil: Nicht zuletzt wegen der sowjetischen Besetzung Ostpolens im September 1939 stand die bürgerlich bis rechtsnationalistisch ausgerichtete Armia Krajowa in starkem Gegensatz zur kommunistischen Gwardia Ludowa, was insbesondere gegen Kriegsende auch zu offenen militärischen Auseinandersetzungen führte. Ähnlich entwickelte sich in Serbien der Gegensatz zwischen den nationalistischen Tschetniks und den kommunistischen Partisanen unter Josip Broz Tito. Noch gewalttätiger war die Feindschaft zwischen Kommunist:innen und nationalistischen Gruppen in Griechenland: Dort mündeten die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der kommunistischen ELAS und der republikanisch bis monarchistisch gesinnten EDES (die von den Westalliierten unterstützt wurde) nach der Befreiung von der deutschen, italienischen und bulgarischen Besatzungsherrschaft im offenen Bürgerkrieg, der bis 1949 andauerte und bis zu 150.000 Todesopfer forderte.

In den besetzten Gebieten trug der Widerstand insbesondere seitens der militärisch organisierten Gruppen deutlich zum Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland bei. Der Bezug auf den Widerstand gegen die deutsche Besatzungsherrschaft prägte auch aus diesem Grund im Nachkriegseuropa massiv die jeweiligen nationalen geschichtspolitischen Narrative. Wie die sehr unterschiedliche Entwicklung des Widerstandes in den europäischen Staaten erwarten lässt, entwickelte sich gleichwohl keine einheitliche europäische Erzählung. Dazu trug auch die Erfahrung der stalinistischen Diktatur bei, die der deutschen Besatzung nach 1944/45 in Ost- und Ostmitteleuropa folgte und sich vielfach als Deckgeschichte über die Erinnerung an die NS-Herrschaft gelegt hat. Sie verstärkte in manchen Staaten die geschichtspolitischen Auseinandersetzungen zwischen (post)kommunistischen und nationalkonservativen Erinnerungsräumen, die ihre Wurzeln in der Kriegszeit und der Rivalität zwischen den entsprechenden Widerstandsgruppen haben. Einig waren sich beide Richtungen lediglich im weitgehenden Verschweigen der verbreiteten Kollaboration mit den deutschen Besatzern. Hier hat sich, insbesondere in Westeuropa, erst in den vergangenen 20 Jahren eine differenziertere öffentliche (und fachwissenschaftliche) Wahrnehmung durchgesetzt.

Daher kann der Widerstand in Europa nur in Ansätzen als transnationale Erfahrung bezeichnet werden. Zu sehr beschränkte sich der Bezugsrahmen in den meisten Fällen auf das jeweils eigene Land. Gleichwohl sorgten die Widerstandsgruppen in den besetzten Ländern zusammen mit den alliierten Streitkräften gemeinsam dafür, dass das nationalsozialistische Deutschland besiegt und Europa vom Nationalsozialismus befreit wurde. Hierin liegt eine gemeinsame europäische Erfahrung, auf der – jenseits geschichtspolitscher Affirmation – nicht zuletzt auch die transnationalen Projekte der europäischen Einigung und der Erklärung der universalen Menschenrechte fußen. Es ist eine Erfahrung, die angesichts des Abschieds von den Zeitzeugenschaft, aber auch wegen des zunehmenden Nationalismus in Europa zu verblassen droht – Grund genug für die Gedenkstätten, dem Thema Widerstand im vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Europa in der historisch-politischen Bildung breiten Raum zu widmen.

Jens-Christian Wagner kuratierte inhaltlich u. a. die Ausstellung „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“.

Fußnoten

1 Vgl. etwa das Kapitel „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ im Portal „Lebendiges Museum online“ des Deutschen Historischen Museums (https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/widerstand-im-nationalsozialismus.html, abgerufen am 21.12.2021). Auch die Online-Übersicht zum Thema „Verfolgung und Widerstand“ der Bundeszentrale für politische Bildung führt mit Ausnahme eines Aufsatzes von Wolfgang Benz über die Gegenwehr von Verfolgten in den Konzentrationslagern und Ghettos ausschießlich Beiträge zum Widerstand Deutscher auf (https://www.bpb.de/geschichte/ nationalsozialismus/dossier-nationalsozialismus/39555/ verfolgung-und-widerstand, abgerufen am 21.12.2021). Das gilt auch für die Print-Ausgabe: Johannes Tuchel/Julia Albert, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin 2016 (Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016). Ein ähnliches Bild zeigt der Blick auf die Online-„Lernplattform für offenen Geschichtsunterricht“ Segu (https://segu-geschichte.de/ widerstand/, abgerufen am 21.12.2021).

2 Vgl. Hans Mommsen, Die Opposition gegen Hitler und die deutsche Gesellschaft 1933-1945, in: Klaus-Jürgen Müller, Der deutsche Widerstand 1933-1945, Paderborn 1986, S. 22-39, hier S. 24.

3 Vgl. auch im folgenden Michael Schneider, In der Kriegsgesellschaft. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1939 bis 1945, Bonn 2014, S. 1100.

4 Vgl. Hans Coppi, Jürgens Danyel, Johannes Tuchel (Hg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin 1994.

5 Vgl. überblicksartig und mit einer Quellensammlung Arno Klönne, Jugendliche Opposition im „Dritten Reich“, Erfurt 2013.

6 Vgl. Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin/Bonn 1985, S. 317 f.

7 Vgl. Volkhard Knigge u. a. (Hg.), Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg, Essen 2012, S. 126 f.

Vgl. auch im folgenden Winfried Heinemann, Der militärische Widerstand und der Krieg, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9/1, München 2004, S. 743-892.

9 Vgl. Jens-Christian Wagner, Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2015, S. 162.

10 Vgl. Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart 2001, S. 172.

11 Vgl. auch im folgenden die einzelnen Länderstudien in: Gerd R. Ueberschär (Hg.), Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945, Berlin 2011.

12 Vgl. Wacław Długoborski, Kollektive Reaktionen auf die deutsche Invasion und die Errichtung der NS-Besatzungsherrschaft. Ein Prolegomenon, in: Wolfgang Benz u. a. (Hg.), Anpassung, Kollaboration, Widerstand. Kollektive Reaktionen auf die Okkupation, Berlin 1996, S. 11-24, hier S. 16.


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