Mittelbau-Dora

Technik im Nationalsozialismus

Im Mai 2022 fand in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora die dreitägige Jahrestagung der Gesellschaft für Technikgeschichte (GTG) statt. Passend zum Austragungsort war das diesjährige Thema „Technik im Nationalsozialismus“. An der Konferenz nahmen 70 Wissenschaftler:innen aus dem In- und Ausland teil.

Die Gesellschaft für Technikgeschichte e. V. (GTG), 1991 in Mannheim gegründet, versteht sich als zentrale Interessenvertretung deutscher Technikhistoriker:innen. Ihr Ziel besteht darin, zur historisch-kritischen Auseinandersetzung mit Technik(en) beizutragen sowie die gesellschaftliche Bedeutung der Technikgeschichte zu fördern. Gemeinsam mit dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) gibt die GTG die Fachzeitschrift „Technikgeschichte“ heraus, die vierteljährlich erscheint. Zum Heftarchiv gelangen Sie hier: www.nomos-elibrary.de/zeitschrift/0040-117X

Eine KZ-Gedenkstätte ist kein Technikmuseum. Nicht die technischen Artefakte stehen im Mittelpunkt der Gedenkstättenarbeit. Stattdessen geht es zum einen um das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und zum anderen darum, Wissen über die Täter:innengesellschaft zu vermitteln. Im Falle des KZ Mittelbau-Dora bedeutet das die Auseinandersetzung um die Frage, wieso noch in den letzten anderthalb Jahren des Krieges viele Deutsche sich bereitwillig an den Verbrechen beteiligt haben. Der Ansatz einer Kulturgeschichte der Technik, der sich in den letzten zwei Jahrzehnten auch in Deutschland etabliert hat, öffnet in dieser Hinsicht viele Anschlussmöglichkeiten. Der akademischen (und zunehmend auch der musealen) Technikgeschichte geht es immer weniger um einen Kult um Artefakte, vermeintlich bahnbrechende Ingenieure oder das Nachzeichnen unreflektierter Fortschrittserzählungen.

Stattdessen werden historische Vorstellungen von Technik und Technikdiskurse kritisch analysiert und auf ihre politischen und gesellschaftlichen Implikationen hin untersucht. Auch der Alltag der Techniknutzung – sei es beim Konsum oder bei der Arbeit – ist heute ein zentrales Thema der Technikgeschichte. Dem KZ Mittelbau-Dora widmete sich bereits 2002 der Technikhistoriker Michael Thad Allen in seiner Dissertationsschrift „The Business of Genocide: The SS, Slave Labor, and the Concentration Camps“. Deutlich arbeitete Allen heraus, inwieweit die von der SS erwünschte Herstellung von High-Tech-Rüstungsprodukten mit äußerst archaischen Arbeitsbedingungen für die KZ-Häftlinge einherging. Er zeigte, wie sehr die beteiligten Ingenieure stark in modernen Technikdiskursen von Serienfertigung und Rationalisierung verwurzelt waren und gleichzeitig, dass dies für die deutschen Ingenieure keinen Widerspruch zur tödlichen Ausbeutung von KZ-Zwangsarbeitern bedeutete. Dass außerdem die weitgehenden Rüstungsvisionen der Ingenieure und der SS bis ins Absurde unrealistisch waren, sie aber nicht daran hinderte, das Schinden der Häftlinge immer weiter zu steigern, wurde bei Allen ebenfalls sehr deutlich.

Einen starken Fokus auf die Produktionsbedingungen in der unterirdischen Rüstungsfabrik im Kohnstein legte auch Hermione Giffard in ihrer 2016 erschienenen Dissertation „Making Jet Engines in World War II“. Sie beschäftigt sich also ebenfalls mit der Stollenanlage bei Nordhausen, die KZ-Häftlinge 1943/44 zu einer unterirdischen Rüstungsfabrik umbauen mussten. Ihr Interesse gilt allerdings dem sogenannten Nordwerk, der nördlichen Hälfte der Stollenanlage, in der Junkers ab dem Sommer 1944 unter Einsatz von zivilen Zwangsarbeitern Strahltriebwerke herstellen ließ. Giffard kann deutlich zeigen, dass die vermeintliche technische Innovation der Nazis in erster Linie eine Reaktion auf die Produktionsvoraussetzungen war: Zur Verfügung standen ihnen nur eingeschränkte materielle Ressourcen und eine nicht ausreichende Anzahl von freien Arbeitskräften mit Fachkenntnissen. Folglich wurden die vermeintlich innovativen Flugzeugmotoren auf die Materiallage hin angepasst und der Produktionsprozess so gestaltet, dass er unter Einsatz von Zwangsarbeitern möglich war. Die Produktionszahlen erschienen der technikhistorischen Forschung lange sehr beeindruckend; Giffard kann hingegen aufzeigen, dass mit der Massenproduktion der Motoren ausgesprochen hohe Ausfallzahlen einhergingen. Die Technikhistorikerin zieht das Fazit, dass es sich weniger um ein innovatives High-Tech-Produkt gehandelt habe, sondern vielmehr um „engines of desperation“, Motoren, die in einer verzweifelten Situation entstanden seien. Ähnliches lässt sich auch für die (mehr angestrebte als realisierte) Raketenproduktion durch Häftlinge des KZ Mittelbau-Dora sagen.

Buchcover: "Fascist Pigs. Technoscientific Organisms and the History of Facism" von Tago Saraiva
Saraiva, Tiago (2016): Fascist Pigs: Technoscientific Organisms and the History of Facism, Cambridge/London.

Insbesondere für die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora lohnt sich also ein Austausch mit den Fragestellungen der Technikgeschichte. Dazu gab es reichlich Gelegenheit an drei Tagen im Mai 2022: Zusammen mit der Gesellschaft für Technikgeschichte (GTG) veranstaltete die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung in Thüringen eine Konferenz zum Thema „Technik im Nationalsozialismus“, die vom 20. bis zum 22. Mai mit 70 Teilnehmer:innen aus Universitäten, Gedenkstätten und Museen aus dem In- und Ausland in der KZ-Gedenkstätte in Nordhausen stattfand. Die Keynote „A global perspective on fascism and technology” hielt am Eröffnungstag Tiago Saraiva, Professor an der Drexel University in Philadelphia. Saraivas einflussreiche Monografie „Fascist Pigs: Technoscientific Organisms and the History of Fascism” (2016) beschäftigt sich mit der Zentralität der Zucht von neuen Tieren und Pflanzen für die faschistischen Regimes in Italien, Portugal und Deutschland und für ihre imperialistische Expansion. Saraiva leistete also die notwendige transnationale Einbettung des Themas, während die weiteren Vorträge sich auf die Geschichte des Nationalsozialismus konzentrierten.

Die drei Sektionen der Konferenz behandelten in jeweils drei bis vier Vorträgen unterschiedliche Aspekte der Geschichte der Technik im Nationalsozialismus. Die erste Sektion „Technik für den Krieg“ war sehr offensichtlich nah an den Kernthemen der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. An unterschiedlichen Beispielen wurde aufgezeigt, wie die Nationalsozialist:innen während des Krieges bei der Rüstungsproduktion gleichzeitig auf den Einsatz elaborierter Technik setzen wollten (was aber häufig eine Chimäre blieb) und gleichzeitig Zwangsarbeiter:innen in brutaler Form ausbeuteten. Kaum realisierbare NS-Technikvisionen standen auch im Zentrum der zweiten Sektion. In diesen vier Vorträgen zum Thema „Visionen der Kreislauf-Ökonomie: Abfall und Recycling“ ging es auf den ersten Blick nur um Fragen eines vermeintlich harmlosen Alltags in der Diktatur. Unter dem Leitbild einer ‚totalen Resteverwertung’ zeigt sich jedoch die Verflechtung des NS-Recyclingprojekts mit der NS-Ideologie, mit Rassismus, kriegerischer Expansion und Massenmord. Besonders Anne Berg (University of Pennsylvania) machte in ihrem Beitrag sehr deutlich, wie eng die deutsche Besatzungsherrschaft in Osteuropa auch bezüglich der Recyclingfrage mit Praktiken kolonialer Ausbeutung verbunden war. Die dritte Sektion über den „Umgang mit NS-Technik in der Geschichtskultur nach 1945“ zeigte wiederum eine offensichtliche Anschlussfähigkeit zur Bildungsarbeit in KZ-Gedenkstätten. Das Gleiche gilt für die Podiumsdiskussion „Technik und Nationalsozialismus in Gedenkstätten und Museen“, die am Samstagnachmittag zu einem breiten Austausch im Plenum der 70 Expert:innen führte, die bei der Konferenz versammelt waren.

Einige für die KZ-Gedenkstätte besonders relevante Beiträge werden im Folgenden kurz vorgestellt. Maximilian Schulz von der Universität Leipzig stellte in der ersten Sektion sein weit fortgeschrittenes Dissertationsprojekt zur Flugzeugproduktion der Erla-Maschinenwerke vor, bei der das Rüstungsunternehmen die Zwangsarbeit von Häftlingen verschiedener Außenlager der Konzentrationslager Buchenwald und Flossenbürg ausnutzte. Sehr interessant ist die Verknüpfung der Rationalisierungsdiskussion der 1920er-Jahre mit dem rücksichtslosen Einsatz von KZ-Zwangsarbeitern. Insbesondere die Einführung von Fließbandproduktion versprach aus Sicht der SS und des Unternehmens eine Möglichkeit, vermehrt unqualifizierte Arbeitskräfte in den eigentlich komplizierten Fertigungsprozess einzubinden. Ähnliche Prozesse fanden in den letzten Kriegsjahren in der gesamten NS-Luftrüstung statt.

Frank Dittmanns (Deutsches Museum, München) Vortrag war ausgesprochen anschlussfähig an diese Ausführungen. Er beschäftigte sich mit der Geschichte des Tagungsortes und untersuchte Automatisierungsvisionen im Zusammenhang mit der Raketenproduktion im Mittelwerk, für die Häftlinge des KZ Mittelbau-Dora eingesetzt wurden. Dittmann zeigte, wie die Berliner Ingenieure Rudolf Nebel und Karl Saur noch im Sommer 1944 einen Großauftrag für eine Technologie erhielten, deren Entwicklung sie nach der Herstellung eines Prototypen am Ende der 1930er-Jahre zuvor jahrelang erfolglos angepriesen hatten. In der für das Deutsche Reich vollends aussichtslosen Kriegslage kam dann der erhoffe Auftrag für die Lieferung von 20 sogenannten Automatischen Arbeitern. Dieser flexible Fertigungsautomat wurde nie eingesetzt, aber seine kostspielige Entwicklung finanziert. Diese Episode zeigt – ähnlich wie die Massenproduktion der Raketenwaffe im großen Maßstab – eindrücklich, wie stark deutsche Fortschrittsvisionen am Ende des Zweiten Weltkrieges mit den Verbrechen der Konzentrationslager verknüpft waren. Für viele Ingenieure bedeutete diese historische Situation die willkommene Gelegenheit, die Finanzierung von Projekten zu sichern, die zuvor kaum jemanden ernsthaft interessiert hatten. Dem Thema der Fortschrittsgläubigkeit und der „Faszination großer, mächtiger Technik“ widmete sich in der dritten Tagungssektion Philipp Aumann vom Historisch-Technischen Museum (HTM) Peenemünde von der Seite des Ausstellungsmachers. Ähnlich wie die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora steht das HTM Peenemünde vor der Herausforderung, dieser Faszination entgegenzuwirken. Der Technikhistoriker Aumann setzt dabei auf den Ansatz, das großtechnische System der Heeresversuchsanstalt Peenemünde ins Zentrum der Bildungsarbeit und der Ausstellungen zur rücken, damit eine „Ent-Ikonisierung“ der Rakete geleistet werden könne.

Podiumsdiskussion mit Karsten Uhl als Moderator in der Mitte
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Die Teilnehmer:innen der Podiumsdiskussion, v.l.n.r.: Timo Saalmann, Konrad Sziedat, Karsten Uhl (Moderator), Tina Kubot und Johannes Großewinkelmann.
Badge der Konferenz mit Blick auf den ehemaligen Appellplatz in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.
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Badge der Konferenz mit Blick auf den ehemaligen Appellplatz in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Dieses Thema des heutigen Umgangs mit NS-Technik in Museen und Gedenkstätten war das vertiefte Thema der Podiumsdiskussion, an der Vertreter:innen ganz unterschiedlicher Einrichtungen teilnahmen, was die Breite der historisch-politischen Bildungsarbeit in Deutschland widerspiegelt. Johannes Großewinkel (Weltkulturerbe Rammelsberg) brachte die Perspektive eines Besucherbergwerks ein. Timo Saalmann (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg) näherte sich dem Thema aus dem Blickwinkel einer KZ-Gedenkstätte, die ähnlich wie in Mittelbau-Dora vor allem mit dem Thema des Einsatzes von KZ-Zwangsarbeiter:innen für die Rüstungsproduktion beschäftigt ist. Tina Kubot vom Museum für Kommunikation in Frankfurt hingegen sprach aus der Sicht eines großen Technikmuseums, in dem die NS-Geschichte nur eines von vielen Themen ist. Konrad Sziedat von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung wiederum hat in seiner Tätigkeit mit der Bildung von Schulgruppen an historischen Orten zu tun.

Gerade durch die gezielt heterogene Zusammensetzung des Podiums konnten einige für alle zentrale Fragen herausgestellt werden: Welche Möglichkeiten haben Museen und Gedenkstätten, NS-Technik kritisch zu präsentieren? Welche Strategien gibt es im Umgang mit einer unter Besucher:innen weit verbreiteten Technikfaszination? Die Ergebnisse der Diskussion werden in einem der nächsten Hefte der Fachzeitschrift „Technikgeschichte“ vorgestellt werden. Knapp zusammengefasst geht es vor allem darum, Aspekte der Technikgeschichte mit der allgemeinen Kultur-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie der Geschichte der NS-Massenverbrechen in den didaktischen Ansätzen miteinander zu verbinden. Eine weitere Strategie besteht im offensiven Umgang mit Fortschrittserzählungen, wodurch vermeintliche Innovationen und ihre großen Erfinder genauso wie ikonische Objekte als Ergebnis fortdauernder Narrative sichtbar werden können.

Selbstverständlich konnte auch am Ende einer dreitägigen Konferenz keine letztgültige Antwort auf diese Herausforderungen des Umgangs mit dem Thema Technik im Nationalsozialismus gefunden werden. Die Intensivierung der Diskussion und die Sensibilisierung für etwaige Fallstricke im musealen Umgang mit technischen Artefakten ist jedoch ein wichtiges Thema dieser Tagung. Außerdem haben einige Universitätsdozent:innen mit der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora ein neues mögliches Ziel für studentische Exkursionen kennengelernt.

Der Historiker Karsten Uhl war bis 2023 Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und ist derzeit Leiter der Abteilung Forschung und Dokumentation der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. Darüber hinaus ist er Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Technikgeschichte.


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