Stiftung

Vom Täter- zum Bildungsort:

Warum wir das Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus im ehemaligen Weimarer „Gauforum“ einrichten

Wenn im Mai 2024 das Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus im ehemaligen Weimarer „Gauforum“ eröffnet wird, findet die internationale Wanderausstellung „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“ dort eine dauerhafte Heimat. Mit ihr erarbeitete die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora 2010 erstmals eine systematische Gesamtschau, die die ganze Bandbreite der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in den Blick nahm: Erzählt wird die Zwangsarbeit vor und während des Zweiten Weltkrieges und es wird der Blick sowohl auf die Zwangsarbeit in den besetzten Gebieten als auch im Deutschen Reich gerichtet. Zudem stehen alle Gruppen von Zwangsarbeiter:innen im Fokus: Zivilarbeiter:innen aus dem besetzten Europa, Kriegsgefangene, Strafgefangene, KZ-Häftlinge, Jüdinnen und Juden sowie Sinti:zze und Rom:nja. Schließlich werden auch die Folgen nach der Befreiung der überlebenden Zwangsarbeiter:innen im Frühjahr 1945, die beschämend lange Geschichte ausbleibender Entschädigungen und die zu späte Würdigung der Überlebenden thematisiert.

Vor allem wird die Zwangsarbeit aber als eine Beziehungsgeschichte zwischen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und den Zwangsarbeiter:innen erzählt. Damit greift die Ausstellung über das eigentliche Thema Zwangsarbeit weit hinaus. Tatsächlich ist es eine Ausstellung über die nationalsozialistische Gesellschaft, eine Gesellschaft, die radikal rassistisch formiert war und auf zwei Säulen stand: Integrationsangeboten an die als „Volksgemeinschaft“ propagierte Mehrheit auf der einen Seite und Ausgrenzung, Verfolgung und am Ende oft auch Mord an denen, die nicht dazugehören sollten, auf der anderen Seite. Die Ausstellung zeigt, wie eine mörderisch rassistische Gesellschaft funktioniert.

Wo könnte eine solche Ausstellung dauerhaft besser präsentiert werden als im ehemaligen Gauforum in Weimar? Hier sollte der 1942 zum „Generalbevollmächtigen für den Arbeitseinsatz“ ernannte NS-Gauleiter Fritz Sauckel seinen Dienstsitz haben. In dieser Funktion war Sauckel maßgeblich für die millionenfache Verschleppung von Zwangsarbeiter:innen in das Deutsche Reich verantwortlich. Bezogen hat Sauckel sein bis zum Kriegsende nicht ganz fertiggestelltes Dienstgebäude am Forum zwar nie, seine monumentale Architektur vermittelt aber auch heute noch den Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten und ihre exkludierende Idee von der „Volksgemeinschaft“.

Modell des zukünftigen Museums Zwangsarbeit

©gewerk, Berlin

Für das Weimarer Prestigeprojekt der Nationalsozialisten wurde ab Mitte der 1930er Jahre der nördliche Teil der Jakobsvorstadt, insgesamt 150 Häuser, abgerissen. Zudem wurden die Grünanlagen um den Asbach zugeschüttet. Damit verschwand die gartenbauliche Repräsentation eines völlig anderen Gesellschaftsentwurfes. Am 1. Mai 1937, wenige Wochen vor der Gründung des KZ Buchenwald, erfolgte durch Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß in Anwesenheit von 40.000 Menschen die Grundsteinlegung der „Halle der Volksgemeinschaft“ und die Benennung der Fläche zwischen den Gebäudeflügeln als „Platz Adolf Hitlers“. Die massive Anlage zeigt den Machtanspruch der NSDAP; klein sollten die Wohnhäuser der Weimarer:innen daneben wirken. Die „Halle der Volksgemeinschaft“ und ein Glockenturm, der das höchste Gebäude der Stadt werden sollte, waren von Hitler persönlich in den Entwurfszeichnungen hinzugefügt worden. Der Turm wurde zwar nicht ganz so hoch wie ursprünglich geplant, Fritz Sauckel feierte 1939 in ihm aber dennoch seinen 45. Geburtstag. Bis 1943 waren alle Gebäude mit Ausnahme der „Halle der Volksgemeinschaft“ fertiggestellt, bei den Bauarbeiten wurden auch Häftlinge des KZ Buchenwald, Kriegsgefangene und wahrscheinlich auch zivile Zwangsarbeiter eingesetzt. Nach Vollendung des Gauforums war der Umzug des Reichsstatthalteramts Fritz Sauckels aus dem Landesmuseum in den südlichen Flügel des Gauforums, die „Reichsstatthalterei und Gauleitung“, geplant. Für Fritz Sauckel war im ersten Stock des Gebäudes ein überdimensioniertes Arbeitszimmer samt vorgelagertem Empfangssaal vorgesehen, der zusätzlich durch einen Balkon und ein abgesetztes Eingangsportal hervorgehoben wurde. Kriegsbedingt erfolgte der Umzug nicht mehr.

Das Gauforum blieb bis Kriegsende leer, am 1. Mai 1945 wurde der Platz in Karl-Marx-Platz umbenannt. Der Rohbau der unfertigen „Halle der Volksgemeinschaft“ wurde nach dem Krieg zwar vollendet, aber erst 1967 durch den Einbau von Stockwerken nutzbar gemacht. 1976 wurde die heute kaum noch sichtbare Betonlamellen-Fassade angebracht. Seit November 2005 befindet sich in dem Gebäude das Einkaufszentrum „Weimar Atrium“. In den übrigen denkmalgeschützten Gebäuden des ehemaligen Gauforums ist heute das Thüringer Landesverwaltungsamt untergebracht. Der Platz zwischen den Gebäuden wurde im Kulturstadtjahr 1999 zum Weimarplatz. 2017 erhielt er seinen vierten Namen und ist seither nach dem spanischen Schriftsteller und ehemaligen Buchenwald-Häftling Jorge Semprún benannt.

Das Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus wird ab Mai 2024 den südlichen Flügel des ehemaligen Gauforums nutzen, in dem die Diensträume von Fritz Sauckel untergebracht werden sollten. Der größte Teil der Dauerausstellung befindet sich im geplanten Empfangssaal Sauckels. Dessen Funktion als „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz“ wird dort – wie das Wirken der Arbeitsverwaltung insgesamt – detailliiert dargestellt. Zwar wurden von hier aus keine Verbrechen organisiert, da das Gebäude vor Kriegsende ja nicht mehr bezogen wurde (Sauckels engste Mitarbeiter in seiner Funktion als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz saßen deshalb im „Thüringenhaus“ in Berlin). Trotzdem versteht sich der Museumsstandort im geplanten monumentalen Machtzentrum Sauckels als historisch-politische Intervention mit dem Ziel, den Täter- zu einem Bildungsort zu machen. Hier sollen sich die Besucher:innen mit der Frage beschäftigen können, wie die nationalsozialistische Gesellschaft formiert war und welche Folgen Ausgrenzung, Verfolgung und Zwangsarbeit für diejenigen hatten, die nicht zur propagierten „Volksgemeinschaft“ gehörten.

Mit dieser Perspektive verortet sich das Museum nicht nur im engeren Rahmen des ehemaligen Gauforums, sondern insgesamt in der „Klassikerstadt“ Weimar und ihrem musealen Bildungsangebot zur deutschen und europäischen Geschichte der Moderne. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich das Bauhaus-Museum und das Museum Neues Weimar, das Kunstwerke der frühen Moderne zeigt. In fußläufiger Nähe befinden sich zudem das Haus der Weimarer Republik und das Stadtmuseum. Und am Rande der Stadt, auf dem Ettersberg, befindet sich mit der Gedenkstätte Buchenwald einer der wichtigsten internationalen Gedenk- und Bildungsorte zur Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen. Mit abgestimmten Bildungsangeboten richten sich die genannten Häuser gezielt an ein gemeinsames Publikum und laden zum Nachdenken über die jüngere deutsche und europäische Geschichte ein und damit darüber, wie wir in Zukunft leben möchten.

Prof. Dr. Jens-Christian Wagner ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Zusammen mit Rikola-Gunnar Lüttgenau war er Kurator der internationalen Wanderausstellung „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“.


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