Stiftung

„Wir müssen aufbegehren, wir müssen Stärke zeigen gegen die Feinde der Demokratie ...“

Rede zum Gedenkakt des 80. Jahrestages der Befreiung der KZ Buchenwald und Mittelbau-Dora

Lieber Naftali Fürst,
hochverehrte Überlebende, Zeitzeugen, Angehörige, die Sie sich oft erneut auf diese schwierige Reise hier nach Weimar begeben haben und der Gedenkstätten-Stiftung verbunden sind. Sie sind – nicht nur für mich - große Vorbilder für Menschlichkeit, Wahrhaftigkeit, Verständigung und Versöhnung. Wir sind Ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet, dass Sie uns so vieles an Wichtigem erhalten und überliefert haben. Ich heiße auch alle Exzellenzen, Eminenzen herzlich willkommen.

Hochverehrte Gedenkfestveranstaltung,
das am 11. April 1945 vor 80 Jahren – von innen und von außen – befreite Konzentrationslager Buchenwald und das Konzentrationslager Mittelbau-Dora sind weltweit Symbole für die Terrorherrschaft des Nationalsozialismus und zugleich Symbol für die Bandbreite von Selbstbehauptung und Widerstand von Millionen Menschen in ganz Europa gegen den Nationalsozialismus. In beiden Lagern inhaftierten, folterten und mordeten Nationalsozialisten; Die SS setzte auch hier ihre nihilistische Rassenpolitik um.

Beim Eintreffen der amerikanischen Truppen befanden sich 21.000 Überlebende im Konzentrationslager Buchenwald, 28.000, vor allem Juden, waren von der SS in den Tagen zuvor auf die berüchtigten Todesmärsche geschickt worden. Acht Jahre zuvor, waren die ersten Inhaftierten 1937 Gegner des NS-Regimes, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Sinti und Roma, Menschen, die als „Arbeitsscheue“ diffamiert und diskreditiert wurden, Menschen mit Handicaps und Juden.

Nach den Novemberpogromen 1938 wurden innerhalb weniger Tage fast 10.000 jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen ins Lager Buchenwald verschleppt. Hier wurden politische Häftlinge, Widerstandskämpferinnen und -Kämpfer, Menschen aus ganz Europa, viele aus Polen und der ehemaligen Sowjetunion, darunter viele aus der Ukraine, inhaftiert; 7.000 sowjetische Kriegsgefangene wurden ermordet.

Wir trauern und gedenken all derjenigen Zehntausenden Menschen, die den Tag der Befreiung nicht mehr erlebten.

Der Terror – wir haben ihn auf den schrecklichen Bildern gesehen - die Qualen, die planmäßigen Massenmorde im KZ Buchenwald und Mittelbau-Dora lassen sich nicht in Worte fassen. Und dennoch müssen wir das Leid erfassen, über das Grauen sprechen, um es in der Zukunft zu verhindern. Uns Deutschen erfüllt dieser Abschnitt deutscher Geschichte mit Scham und Abscheu. Wir tragen hieraus eine dauernde, fortwährende, ewige Verantwortung. Denn das Böse darf niemals wieder siegen.

Als Bundespräsident hatte ich 2012 in der Villa der sogenannten Wannsee-Konferenz zu sprechen. Am 20. Januar 1942 trafen sich dort Spitzenbeamte des NS-Regimes und formulierten in Eiseskälte ohne Skrupel, ohne Hauch von Menschlichkeit das mörderische Vorgehen zur sogenannten „Endlösung“.

Ich habe damals gesagt: „Je weiter die Zeit vergeht, desto weniger können wir uns vorstellen, dass das und wie das wirklich geplant und geschehen ist“.

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, 13 Jahre später muss ich bekennen, dass ich diesen Satz nicht mehr wiederholen kann. Aufgrund der Verrohung und der Radikalisierung und eines weltweiten Rechtsrucks kann ich mir inzwischen – und das macht mich beklommen - deutlicher vorstellen, wie das damals geschehen konnte.

Das ist für mich erschreckend, sodass ich es für zwingend halte, dass die heutigen Generationen ihr Engagement verstärken, für unsere Werte aktiv mit Mut und Haltung einzutreten, um Dämonen des 19. und 20. Jahrhunderts nicht zurückkehren zu lassen. Die inzwischen 103-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer sagt heute, im Jahr 2025, bei ihren wöchentlichen Besuchen in Schulen: „So hat es damals auch angefangen.“ Wenn Margot Friedländer im Jahr 2025 ihre Beobachtungen so zusammenfasst und uns übermittelt, dann muss uns das umtreiben.

Mich treibt Kurt Tucholsky um. Er schrieb: „Erfahrungen vererben sich nicht, jeder muss sie alleine machen.“ Es muss aber unser aller Anliegen sein, dass jüngere Generationen nie wieder erst die Erfahrung von Nationalismus, Extremismus, Ausgrenzung, Diktatur, Hass und Diskriminierung machen müssen, um anschließend zur Vernunft zu kommen.

Die Überlebenden des KZ Buchenwald haben am 19. April 1945 einen Schwur gesprochen. Der lautet: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbaue einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“. Wie steht es heute, 80 Jahre später, um Frieden und Freiheit in der Welt und die Vernichtung des Nazismus?

Wir begehen den 80. Jahrestag der Befreiung in Zeiten des Krieges in Europa, der nach Europa zurückgekehrt ist.

Der Putin-Ideologe Alexander Dugin und die AfD in Deutschland berufen sich auf antidemokratische Rechtshistoriker wie Carl Schmitt, der eine regelbasierte multilaterale Weltordnung ablehnte und formulierte. Zitat: „Wer von Menschheit spricht, der will betrügen“. Weltmächte seien die entscheidenden Akteure, denen sich andere unterzuordnen hätten. Carl Schmitt war einer der geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus. Und es kehrt zurück. Es gruselt mich.

Ich bin dankbar, dass heute auch Frau Julia Romantschenko teilnimmt. Ihr Großvater war der NS-Verfolgung ausgesetzt, überlebte Buchenwald, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen. Er wurde nun, 2022, bei einem russischen Angriff auf Charkiv getötet.

80 Jahre nach dem NS-Terror müssen Überlebende heute in der Ukraine wieder täglich um ihr Leben fürchten - infolge des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges. Auch durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel wurden KZ-Überlebende und Angehörige getötet. Das ist einfach grauenhaft.

Der Schriftsteller Stefan Zweig hat sich in großer Verzweiflung über den Vormarsch der Nazis das eigene Leben genommen und zuvor beklagt, dass die Rechtsextremisten vor 1933 nicht ernst genug genommen worden seien.

Für mich ist es deshalb unausweichlich sich mit Veröffentlichungen von Extremisten auseinanderzusetzen. Deshalb habe ich Schriften der AfD in Deutschland aufmerksam studiert. Wie beklemmend klingt dort die Forderung, Zitat: „Die Realität der multikulturellen Bevölkerung in den Ballungsräumen erfordert eine repressive Staatsgewalt.“

Die AfD will in Deutschland wieder Staatsgewalt von ihren angeblichen Fesseln, nämlich Recht und Ordnung und Gesetz, befreien. Genau das hatten wir. Und auch dazu muss gelten: Nie wieder!

Im soeben gewählten Bundestag sitzen AfD-Abgeordnete, die den Neonazibegriff „Umvolkung“ nutzen, die einen „Schuldcode aus zwei Weltkriegen“ beklagen oder einer hat zum „Boykott türkischer Läden“ aufgefordert.

Auch von Arbeitspflicht spricht die AfD. Zitat: „Arbeitsfähige müssen zur Arbeit herangezogen werden. Wer sich der Arbeit verweigert, mag auf das absolute Existenzminimum in öffentlichen Wohneinrichtungen beschränkt werden. Trocken, warm, satt.“ Da ist es zu Arbeitslagern keinen Schritt weit.

Wer da nicht Analogien zur unseligen Vergangenheit erkennt und sich konsequent abgrenzt, der macht sich schuldig gegenüber dem Schwur der Überlebenden von Buchenwald.

Menschen starben, weil sie nach Nazi-Ideologie nicht dazu gehörten oder weil sie sich dem Regime widersetzten. Oft mit einem unglaublichen Mut, einer klaren Haltung, die Bewunderung verdient.

Hier in Weimar Buchenwald ist zu spüren, wozu fehlgeleitete, aufgehetzte, hasserfüllte Menschen gegenüber ihren Mitmenschen fähig sind: Sie zu erniedrigen, zu töten wegen ihres Glaubens, kultureller Zugehörigkeit, politischer Überzeugungen oder ihrer sexuellen Orientierung.

In dem „Manifest“ schreibt der AfD-Vordenker Maximilian Krah, dass sich die politische Rechte auf den Volksouverän berufe. Das klingt erst einmal demokratisch, wie „alle Macht geht vom Volke aus“. Dann schreibt er aber, dass der Volkssouverän nicht identisch mit dem deutschen Staatsvolk sei. Genau das hatten wir vor 1945 nämlich die Unterscheidung unter deutschen Staatsbürgern je nach Herkunft, Religion oder Weltanschauung.
Der dann anschließend Diskriminierung, Entrechtung, Verfolgung, Vertreibung bis zur Ermordung von Millionen Menschen folgten. Wir dürfen niemals wieder zulassen, dass Menschen wieder in Unfreiheit und Angst leben müssen. Genau das geschieht aber mit der Ankündigung der Remigration selbst deutscher Staatsbürger, wenn sie nicht den Vorstellungen dieses sogenannten Volkssouveräns entsprechen.

Der Historiker Wolfgang Benz, Autor von „Zukunft der Erinnerung“ formuliert: „Wenn wir eine Ideologie zulassen, die von der Ungleichartigkeit der Menschen ausgeht, um die Gesellschaft zu hierarchisieren, erleben wir diese Katastrophe noch einmal!“

Er beklagt die Verrohung unserer Gesellschaft: „Rausschmeißen, plattmachen, aufräumen, Politiker beleidigen.“ Merken wir denn garnicht, was sich da wiederholt, aus den Anfängen der 20er Jahre des letztens Jahrhunderts in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts?

Ich sage es für mich ganz deutlich: Mit Hass und Hetze Mehrheiten gegen Minderheiten oder seitens großer Staaten gegen kleine Staaten zu organisieren, ist schnell mehrheitsfähig. Diesen Mechanismus, über Köpfe kleiner Staaten oder Minderheiten hinweg Zustimmung zu erlangen, gilt es uns vor Augen zu führen. Deshalb ist die Demokratie eine so anspruchsvolle Staatsform.

Sie braucht Demokratinnen und Demokraten, die Freiheit, die Grundrechte, die Souveränität verteidigen und nicht nur sich, sondern das Gemeinwohl und den Nächsten im Blick haben. Und sich an die Regeln halten.

Hannah Arendt hat uns nach Jahrzehnten intensiver Auseinandersetzung mit Totalitarismus gelehrt: „Der Tod der menschlichen Empathie ist eines der frühsten und deutlichsten Zeichen dafür, dass eine Kultur gerade in die Barbarei verfällt.“

Aktuell bezeichnen Extremisten Empathie als die größte Schwäche Europas und des Westens. Immer häufiger, immer unverhohlener wird propagiert, die Folgen für andere und das große Ganze komplett auszublenden. Verrohung und der Verzicht auf die Interessen anderer sind das schleichende Gift der Rechtspopulisten.

Rechtsextremisten verklären ihre völkischen Ideen und inszenieren sich als die Retter vor dem vermeintlich bevorstehenden Untergang.
Davor hat uns der große Historiker Fritz Stern gewarnt.
Er zeigte auf, dass das Fatale rechter Kulturpessimisten ihre düstere und hoch emotionalisierte Pseudo-Vorhersage ist. Ideologen beschwören permanent Krisen, permanent reden sie alles schlecht.

Wie beschreibt Maximilian Krah das heutige Deutschland? Zitat: „Deutschland verkommt, verarmt und verelendet. Schlimmer als selbst in den Kriegsjahren zwischen den Jahren 1938 und 1945 ist die Außenhandelsbilanz erstmals negativ. Diese Tendenz beschleunigt sich durch den aktuellen Wirtschaftskrieg der USA gegen Russland und China, deren erster Verlierer Deutschland ist.“ Diese Beschreibungen sind ungeheuerlich.

Deutschland wird schlecht geredet. Die Vergangenheit wahrheitswidrig glorifiziert. Es finden bewusst Täter/Opfer-Austausche statt.

Die Feinde der Demokratie in den 1920 und 30er Jahren beklagten damals den vermeintlichen Niedergang von Geist und Tugend. Die Presse war für sie korrupt, die politischen Parteien waren für sie schuld an nationalen Spannungen und die neuen Regierenden verurteilten sie als mittelmäßig.

Sie glaubten an Verschwörungen in der Geschichte. Fritz Stern hat gesagt: „Den Bösewicht damals sah man im Juden“. Zitat Ende. Das hat Fritz Stern so beschrieben als Stimmung damals und heute wird wieder Stimmung gemacht. Neue Feindbilder kommen hinzu. Antisemitismus wird von Anti-Islamismus begleitet, von Anti-Wokeness und Anti-Feminismus. Extremisten bekämpfen Modernität, liberale Ideen und eine weltoffene Gesellschaft. Sie warnen heute einerseits vor dem Verlust an Glauben und treten andererseits selbst christliche Werte mit Füßen. Sie sprechen vom angeblichen kulturellen Selbstmord europäischer Nationen, projizieren eigene teils psychologisch begründete Ängste auf ganze Nationen.
Es ist ein katastrophisches Denken.

Der Philosoph Douglas Rushkoff erklärt speziell den Pessimismus der Techmilliardäre dieser Zeit, wonach für eine düstere Zukunft keine Alternative bestände. Rushkoff warnt in seinem jüngst erschienenen Buch: „Gebt der Panik, der Endzeitstimmung, nicht nach. Es gibt Alternativen: Triff Deine Nachbarn, schließe Freundschaften, unterstütze andere. Denn all das stärkt die Gesellschaft!“ Und das ist eben ein Appell an uns alle. Uns der Endzeitstimmung, diesem Kulturpessimismus entgegenzustellen.

Die Resilienz parlamentarischer Demokratien misst sich nicht nur daran, ob ihre typischen Merkmale Gewaltenteilung, freie Wahlen, unabhängige Medien formal noch existieren. Sie hängt letztlich davon ab, ob ihre Integrität und ihre Institutionen von den Regierenden einerseits und vor allem der Bevölkerung im Alltag geachtet werden.

Hier in Thüringen waren die Nazis während der Weimarer Republik früh indirekt, später auch direkt, an der Macht beteiligt, lange vor 1933. Entzaubert, wie viele hofften, hat sie das nicht, im Gegenteil.

Bereits 1924 trat in Thüringen zum ersten Mal in einem Land der Weimarer Republik, dem überhaupt ersten gelungenen Demokratieversuch in Deutschland, eine bürgerliche Minderheitsregierung an, die von den Nationalsozialisten toleriert wurde. 1926 feierte die NSDAP ihren ersten Reichsparteitag hier in Weimar. 1930 gelang der NSDAP hier in Thüringen mit 12 Prozent der Wählerstimmen der Einzug in eine Regierungskoalition mit Bürgerlichen und Deutschnationalen. Thüringen war ein trauriger Vorreiter auf dem Weg in den NS-Staat. Die Nationalsozialisten nutzten Thüringen als Versuchsfeld, wie man Regeln außer Kraft setzen kann und wie weit sie mit Repression gehen konnten.

Fast hundert Jahre später, hatte hier der Nationalsozialistische Untergrund seinen Ursprung. Der NSU mordete quer durch Deutschland friedliebende Familienväter, vorbildliche Kinder von Eingewanderten, die lediglich anders aussahen, als nach deren rassistischer Ideologie Deutsche auszusehen hätten.

Ich setze die NSDAP und die AfD nicht gleich: das wäre eine unverantwortliche Verharmlosung des Nationalsozialismus. Aber mir wurde seitens meiner Eltern und Lehrer, die den Untergang der Weimarer Republik und den Nationalsozialismus erlebt hatten, implementiert: Wehre den Anfängen, damit das „Nie Wieder“ tatsächlich ein „Nie Wieder“ bewirkt. Die Nationalsozialisten kamen in den 30er Jahren nicht aus heiterem Himmel. Sie hatten breite, zum Teil naive Unterstützung.

Hannah Arendt berichtete, wie gebildete Deutsche sich vor der Machtergreifung bemühten, in Hitlers plumper Ideologie noch etwas Sinnhaftes, Raffiniertes zu sehen. Solche Fehleinschätzungen dürfen sich nie wiederholen.

Die Verharmloser der AfD ignorieren, dass die AfD mit ihrer Ideologie den Nährboden bereitet, dass sich Menschen in Deutschland unwohl fühlen und tatsächlich konkret gefährdet sind. Mitten unter uns geschehen rechtsextremistische Attentate in Fußgängerzonen, Shishabars, auf Synagogen, auf Regierungspräsidenten. Angestachelt durch rechte Hetze.

Ich sage hier unmissverständlich: Jene, die glauben, man könne die AFD entzaubern durch Einbindung, liegen falsch. Eine wie auch immer geartete Einbindung von Rechtsextremen entzaubert sie nicht, sondern stärkt sie, weil sie die Macht nutzen, um den liberalen Rechtsstaat auszuhöhlen und ihre demokratiefeindliche Agenda durchzusetzen. Später verhöhnen sie die Demokratie, weil diese ihnen Privilegien zu ihrer eigenen Abschaffung gewährt hätte.

Die AfD ist inzwischen die stärkste Fraktion im Thüringer Landtag.
AfD-Chef in Thüringen Björn Höcke fordert eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.“

Gedenkveranstaltungen wie diese hier heute sind der AfD ein Dorn im Auge.

Die Geschichte soll umgeschrieben werden. So schreibt Maximilian Krah von der AFD, ich zitiere: „Das deutsche Reich hinterließ 1945 trotz aller Kriegszerstörungen ein größeres Anlagevermögen, als 1938 bestanden hatte. Die Westmächte aber hoben alle deutschen Patente auf, deren Wert aufgrund der deutschen Technologieführerschaft enorm war; ohne diesen Raub geistigen Eigentums wäre Deutschland ökonomisch bereits unmittelbar nach Kriegsende wieder Weltmacht gewesen.“ Zitat Ende.

Diese Formulierungen sind ungeheuerlich und angesichts der Fakten nicht zu ertragen. Aber weil sie verbreitet werden, müssen wir sie brandmarken.
Höcke formuliert: „Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen.“

Wer die Bilder deutscher Verbrechen, deutscher Schuld aus Buchenwald eben gesehen hat und dann nicht daraus die Konsequenz zieht, dass wir mit Empathie, mit Menschlichkeit an die Zukunft herangehen, und formuliert „wir Deutschen machen keine halben Sachen“, dann sage ich Ihnen, mit denen darf man überhaupt nichts machen.
Wer die Geschichte hier in Thüringen der letzten 100 Jahre kennt - er ist Geschichtslehrer - und solche Umsturzgedanken formuliert, der kann kein Partner für irgendwas sein.

Mit seinen Wählerinnen und Wählern müssen wir reden. Wir müssen ihnen zuhören.

Aber: Die Radikalen in unserem Land verwandeln Nächstenliebe in Hass, Barmherzigkeit in Wut. Wir müssen dies als Demokratinnen und Demokraten gemeinsam umkehren. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Es wird viel Zumutung bedeuten. In dem Wort zumuten steckt aber auch das Wort Mut.

Mut brauchen wir viel weniger, als die Menschen, die den Nationalsozialismus widerstanden haben und es geschafft haben, diesen durchzustehen. Insofern ist dies kein Appell, der uns zu viel abverlangt. Wenn wir ihn denn hören und dem Appell folgen, uns stärker einzusetzen.

Entscheidend ist: Noch so verständliche Sorgen dürfen nicht daran zweifeln lassen, dass wir in der Lage sind, gemeinsam und demokratisch die Zukunft zu gestalten. Menschen beklagen zu Recht Überregulierungen und Übergriffigkeiten des Staates, während der Staat Pflichtaufgaben vernachlässigt. Wir brauchen sicher auch mehr Konsequenz bei der Durchsetzung von Regeln und Pflichten. Aber all das muss rechtsstaatlich und demokratisch erfolgen.

Jede und jeder in unserem Land hat die Möglichkeit, Feindseligkeit und Entmenschlichung entgegenzutreten.

Die große Mehrheit auch hier in Thüringen tut dies. Dazu gehören Begegnungen. Unser stärkeres Bemühen, einander Aufmerksamkeit zu schenken, muss mittels des Vermögens, sich in andere hineinzuversetzen, den Hass besiegen.
Die 22-jährige Sophie Scholl, Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, die von den Nazis hingerichtet wurde, sagte in ihrer Vernehmung: „Man darf nicht nur dagegen sein, man muss auch etwas tun.“

Das gilt auch in Demokratien und Friedenszeiten. Man muss etwas aktiv tun. Man darf nicht nur Betrachter auf der Tribüne sein, man muss aufs Spielfeld und etwas aktiv tun.

Wir müssen aufbegehren, wir müssen Stärke zeigen gegen die Feinde der Demokratie, gegen jene, die die Errungenschaften nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kleinreden, gegen jene, die Menschen ausgrenzen, gegen jene, die Andersdenkende mundtot machen wollen.

Deutschland stand 1945 am absoluten Tiefpunkt seiner Geschichte. Ein verheerender Krieg hatte Europa verwüstet, unermessliches Leid über Menschen gebracht.

Nie wieder Faschismus, nie wieder Rechtsextremismus, nie wieder völkische Ideologie, nie wieder Rassismus, nie wieder Antisemitismus, nie wieder Krieg, das war der Grundkonsens der Menschen, die überlebt hatten. Die hatten den Abgrund erlebt. Die, die überlebt hatten, hatten daraus die Konsequenzen gezogen.

Der große Sozialdemokrat, Carl Schmid, hat sich unbenannt in Carlo Schmid, um nicht verwechselt werden zu können mit dem Rechtsradikalen Carl Schmitt. Er hat mit dem Christdemokraten Konrad Adenauer, diesen schönsten Satz in deutscher Sprache an den Anfang unserer Verfassung gestellt. In Artikel 1, Absatz 1, Satz 1 Grundgesetz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Erlebt habe ich auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, den Wiederaufbau, wirtschaftlichen Aufschwung, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, einen Sozialstaat, europäische Zusammenarbeit, die europäische, als Höhepunkt meines Lebens die deutsche Einheit und: Ununterbrochen inneren und äußeren Frieden. Das gab es niemals zuvor 80 Jahre lang auf deutschem Boden.

Ich empfinde tiefe Dankbarkeit, denn wenig kam von allein und wenig ist automatisch von Dauer.

Aus und auf Trümmern haben wir mit viel Hilfe und Wohlwollen von außen, viel Fleiß im Inneren, und auch dem Engagement Zugewanderter Deutschland zur heute drittgrößten Industrienation der Welt entwickelt.

Ich empfinde tiefe Dankbarkeit gegenüber den Befreiern vom Nationalsozialismus, den Amerikanern, den Kanadiern, den Briten und vielen anderen, Dankbarkeit gegenüber den Gründern der Europäischen Union, all den Versöhnern, die oft aus christlichem Glauben heraus anderen die Hand gereicht haben, was oft einem Wunder gleicht.

Ich denke an sowjetische Soldaten, die Deutschland befreit haben, ohne ein neues Unrechtsregime etablieren zu wollen.

Ich denke besonders dankbar an Israel, das uns Deutschen wieder die Hand gereicht hat. Das alleine ist schon ein Wunder. Ich denke an Freiheitskämpfer in Polen, wie Lech Walensa, die Solidarnosc, bis hin zu Papst Johannes Paul II. Ich denke an Freiheitskämpfer in Ungarn, die die Grenzen nach Österreich geöffnet haben, in Tschechien, ganz Mittel- und Osteuropa. Viele sind auch für unsere Freiheit gestorben. Haben ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit eingesetzt, um uns und Europa eine neue Chance zu eröffnen.

Die Werte der Aufklärung müssen wir verteidigen: Freiheit, Demokratie, die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte.

Ich möchte etwas zu Omri Boehm sagen. Ich sehe ihn als Anwalt universeller Menschenwürde mit dem Ziel der Gerechtigkeit, Verständigung und Versöhnung. Omri Boehm und ich verstehen die Empfindsamkeit angesichts des unendlichen Leids der immer noch in Händen der Terrororganisation Hamas befindlichen israelischen Geiseln.

Sehr geehrte Damen und Herren, hier im KZ Buchenwald war das sogenannte „kleine Lager“ ein besonders grausamer Leidens- und Todesort.
Elie Wiesel war einer der wenigen Überlebenden.

Als Elie Wiesel, Überlebender des KZ Auschwitz und des KZ Buchenwald 1986 den Friedensnobelpreis erhielt, sagte er:
„Ich schwor, niemals zu schweigen, wann immer und wo auch immer Menschen Leid und Demütigung ertragen. Wir müssen immer Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stille ermutigt den Peiniger, niemals die Gequälten.“

Für uns muss gelten, die Mahnung von Elie Wiesel dauerhaft als unsere eigene höchstpersönliche Verpflichtung zu aktivem demokratischen Engagement zu verstehen:
Nie zu schweigen, Immer Partei zu ergreifen.

Das sind wir uns, das sind wir unseren Kindern, unseren Enkelkinder - nicht nur Elie Wiesel schuldig - sondern der Zukunft unserer Freiheit, unserer Demokratie und unserer Menschlichkeit. All das, worüber ich gesprochen habe, die Demokratie, die Menschlichkeit, unser Europa, unsere Freiheit und die Menschenwürde sind wieder mehr gefährdet als sich manche in unserem Land – auch in anderen Ländern, aber zu denen habe ich hier nichts gesagt, letztlich im Klaren sind. Ich bin heute besorgter, als ich es vor zehn, zwanzig Jahren war. Aus der Besorgnis heraus musss aktives Engagement folgen, dann können wir wieder optimistisch in die Zukunft schauen.


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