Den Zugang zu dem Thema – Ausstieg aus dem Rechtsextremismus – bekam ich über EXIT-Deutschland. Mein früherer Dozent an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin, Ludwig Rauch, hatte im Zusammenhang mit seiner Arbeit „Unsere Jungs“, die sich mit Rechtsextremisten nach der Wende beschäftigt, den Kontakt zu Fabian Wichmann hergestellt, der als Fallbegleiter bei EXIT arbeitet. So bekam ich erste Einblicke in die Arbeit mit ehemaligen Neo-Nazis. Was mich sofort interessiert hat, waren Fragen wie: Ist es überhaupt möglich, diese menschenverachtende Ideologie abzulegen, und wenn ja, wie funktioniert das? Wie sehen frühere Neo-Nazis die rechtsextreme Szene, wie sieht der Perspektivenwechsel aus? Wie funktioniert der Einstiegs- und der Ausstiegsprozess? Viele dieser Fragen lassen sich natürlich nicht pauschal beantworten. Aber es hat mich interessiert, wie man den Ausstiegsprozess in Bildern zeigen kann. Anstatt dem Rechtsextremismus eine weitere Plattform mit meinen Bildern zu liefern, wie es womöglich gewesen wäre, wenn ich aktive Mitglieder fotografiert hätte, habe ich eine Chance darin gesehen, den Ausstieg aus diesem zu zeigen, nämlich die Chance zu zeigen, dass Menschen sich auch ändern können.
Stiftung
Zuerst kam der „Haut“-Teil, das heißt die Arbeit mit den Aussteigenden. Der „Stein“-Teil, das heißt die Untersuchung der deutschen Stadtlandschaften im Umgang mit der NS-Symbolik nach den Denazifizierungsmaßnahmen, entstand im Zuge der Unterhaltungen mit den früheren Neo-Nazis. Diese erzählten immer wieder von „ideologischen Fahrten“, also Fahrten, die beispielsweise von Kameradschaften zu Orten wie der Wewelsburg organisiert werden, um sich gegenseitig ideologisch zu festigen und beispielsweise in ihrem Sinne der „Helden“ zu gedenken. Tatsächlich bin ich so zu den ersten Orten gekommen. Beide Teile, Haut und Stein, sind eng miteinander verbunden. Die Analogie der Symbolik, in Form der Tattoos auf der Haut und den Ornamenten im Stein, bringt den historischen Umgang mit NS-Symbolik mit heutigen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus zusammen.
Ich bin in Dachau aufgewachsen, insofern ist die Frage nach dem Umgang mit der deutschen Geschichte für mich nicht neu. Die Arbeit an „Haut, Stein“ hat diese Auseinandersetzung und Reflexion ein weiteres Mal aufgemacht und vertieft. Die Betrachter:innen müssen den Bildern oder den abgebildeten Aussteigenden nicht unbedingt glauben im Sinne von „Meinen die den Ausstieg wirklich ernst, schaffen sie das?“ Was ich aber mit meinen Bildern sehr deutlich machen möchte, ist, dass es um individuelle Menschen geht und dass die Menschen nicht auf ihre Tätowierung reduziert werden sollten. Die Bilder und die Interviews zeigen, dass es eben kein Klischeebild gibt, kein einheitliches Muster für Rechtsextremisten und brechen unsere Vorstellung über den Neo-Nazi auf. Auch ich habe mein Bild, das ich über die rechtsextreme Szene hatte, in Frage gestellt und revidiert, damit ich mich darauf einlassen konnte, was mir die Aussteigenden über sich erzählt haben. Für mich als Fotograf bestand bildnerisch die besondere Herausforderung darin, wie diese Symboliken auf der Haut und im Stein überhaupt gezeigt werden können, ohne dabei in eine Bildästhetik wie von Leni Riefenstahl zu fallen und ohne die im Stein-Teil abgebildeten Symbole zu monumentalisieren. Eine weitere Herausforderung bestand für mich darin, mit den Fotografien einen zeitlichen Bogen vom Nationalsozialismus zu heute zu schließen
Die Interviews mit den Aussteigenden habe ich geführt, weil ich zum einen die Chance gesehen habe, dass das Thema damit über die rein fotografisch-künstlerischen Kreise hinausgeht. Zum anderen können die Bilder zwar viele Fragen stellen, sie können aber nicht alle Zusammenhänge der fotografierten Person erzählen. Bilder sind insgesamt sehr gut darin, Fragen zu stellen und Räume zu öffnen, aber eher schlecht im Erklären. Ich hatte schon immer vor, dass die Interviews eingesprochen werden. Das erste Mal zu hören waren sie dann in einer verkürzten Version in der Ausstellung in der Zitadelle Spandau. Daraus entstand die Idee, Podcasts zu erstellen mit Menschen, die auf die Arbeit „Haut, Stein“ wie auch die Arbeit von EXIT aufmerksam machen wollen. Dadurch haben wir die Reichweite nochmal um ein Vielfaches vergrößert. Ein künstlerischer Prozess in der Auseinandersetzung mit einem Thema ist nicht mit dem Ende des Fotografierens, mit dem „letzten“ Foto oder einer abschließenden Ausstellung erreicht, sondern die Bilder wirken weiter und können, eigentlich sollen sie neue Prozesse in Gang bringen. Also im Fall von „Haut, Stein“ hat sich das Projekt weiterentwickelt, zum Beispiel mit den Podcasts, den Workshops in Schulen mit Aussteigenden wie z. B. in Weimar, der Zusammenarbeit mit dem Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst in Cottbus oder zuletzt auf Initiative des Friedensfests in Ostritz.
Die Außenausstellung, die auf Ihre Initiative hin und in Kooperation mit dem niederländischen Designbüro Kummer & Herrman entstanden ist, war eine riesige Chance. Die Bilder im großen Format im öffentlichen Raum zu zeigen, erhöht die Rezeption und Aufmerksamkeit, und auch Menschen, die nicht regelmäßig ins Museum gehen, können sich die Bilder anschauen und sich ihre Gedanken machen. Und mich persönlich hat natürlich auch gefreut, dass die Bilder auch im großen Format und anderer Zusammenstellung als im Museum funktionieren und wirken. Aber ich sah die Gefahr, dass die Arbeit nicht verstanden wird, dass der oder die Besucher:in möglicherweise nur ein Hakenkreuz sieht und das auch noch toll findet und ein Selfie macht. Das wäre natürlich katastrophal gewesen. Deshalb haben wir entschieden, den Stein-Teil nach Außen, quasi als Außenwand, zu setzen und den Haut-Teil auf die Innenseiten in teilweise sehr spitzen Winkeln zu platzieren, sodass man die Bilder teils gar nicht mehr gerade anschauen kann. Dadurch haben wir einer falschen Helden-Verehrung und entsprechenden Selfies vorgebeugt. Gleichzeitig waren auch die Bilder, die aufgrund der Symbolik offensichtlich problematisch sind, aus den Sichtachsen von außen genommen, sodass man zuerst in die Installation eintreten musste, um diese Bilder zu sehen. Besonders spannend war natürlich auch der Stéphane-Hessel Platz in Weimar, auf dem die Ausstellung das erste Mal zu sehen war – zwischen dem ehemaligen Gauforum und dem neuen Bauhaus-Museum. Dieses örtliche Spannungsverhältnis korrespondiert sehr gut mit dem Thema der Arbeit und wir haben die Möglichkeit genutzt, aus dem Stein-Teil eine Sichtachse auf das ehemalige Gauforum zu werfen. In Nordhausen war die Ausstellung an einem sehr frequentierten Ort zu sehen, was meiner Meinung nach auch sehr gut funktioniert hat, – und sie wurde auch, wie wir leider wissen, von der örtlichen rechtsextremen Szene wahrgenommen. Tatsächlich ist die Außenausstellung auch eine Weiterentwicklung der Innenvariante und genauso dafür konzipiert zu wandern. Natürlich ist der Aufwand ein größerer.
Den perfekten Ort gibt es glaub ich nicht, ich bin froh über jede Zusammenarbeit mit Institutionen, die die Arbeit zeigen. Gerade in Deutschland hat man leider oft konzeptionelle Probleme und Vorbehalte, wenn man eine Ausstellung über Neo-Nazis an historischen Orten wie Gedenkstätten zeigt. Mir persönlich geht es aber darum, einen Diskurs zu beginnen und gleichzeitig die richtigen Fragen aus einer künstlerischen Perspektive zu stellen. Mit manchen Institutionen kann dann eine sehr intensive und produktive Zusammenarbeit entstehen, wie z. B. im Anfangsstadium mit dem NS-Dokumentationszentrum in Köln. Ich würde mir wünschen, dass die Ausstellung auch im westlichen Teil Deutschlands gezeigt wird. Bisher war sie bis auf die Zitadelle Spandau und Bielefeld vor allem in den östlichen Bundesländern zu sehen. Dabei ist der Rechtsextremismus ein Thema, das uns alle, egal in welchem Teil Deutschlands, angeht.
Haut, Stein
Wie vergangen ist die deutsche Vergangenheit? Mit dieser Frage konfrontiert das fotografische Langzeitprojekt „Haut, Stein“ von Jakob Ganslmeier (Berlin/Den Haag) und rückt dabei den Umgang mit nationalsozialistischen Symbolen bis heute in den Blick. Schwarz-weiße Architektur-Fotografien treffen auf Farbporträts von Aussteigenden aus der rechtsextremen Szene. Dokumentiert wird einerseits das Entfernen einschlägiger Tätowierungen und andererseits die im öffentlichen Raum noch immer sichtbaren, baulichen Relikte des NS.
Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora präsentierte das Projekt „Haut, Stein“ als Outdoor-Wander-Ausstellung 2021 im Kontext des 76. Jahrestages der Befreiung beider KZ auf öffentlichen Plätzen in Weimar und Nordhausen.
Der begleitende Podcast zur Ausstellung erzählt die individuellen Geschichten hinter den Porträts über die Abwendung von der rechtsextremen Szene und den Prozess der Deradikalisierung.
Erhältlich unter https://www.exit-deutschland.de/derad/audio-podcast und bei allen üblichen Podcast-Anbietern.
„Haut, Stein“ auf Instagram folgen: @exhibition_haut.stein
Die Fragen stellte die Kulturwissenschaftlerin Dorothee Schlüter, sie initiierte als Medienreferentin des zukünftigen Museums Zwangsarbeit im Nationalsozialismus die Outdoor-Ausstellung in Weimar und Nordhausen.