Schwerpunkt: Nationalsozialismus als transnationales Phänomen

Verbotene Liebe in Zeiten des Krieges

Ein Gespräch mit Gwendoline Cicottini über die Beziehungen deutscher Frauen zu französischen Kriegsgefangenen

„Die Frauen und Männer betrachteten sich als Menschen und nicht mehr als Deutsche oder Franzosen.“

Die Verordnung zum „verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen“ wurde am 25. November 1939 erlassen und galt für Kriegsgefangene aller Nationalitäten. Solche Kontakte wurden untersagt, sowohl aus Gründen der militärischen Sicherheit als auch im Namen der nationalsozialistischen Rassenideologie. Die Mehrzahl der Anklagen wegen „verbotenen Umgangs“ mit deutschen Frauen betraf Beziehungen zu französischen Kriegsgefangenen. Mindestens 14.000 solcher Kontakte wurden verfolgt. Das lässt sich unter anderem damit erklären, dass sich die französischen Kriegsgefangenen im Laufe der Zeit relativ frei bewegen konnten. Schon Ende 1941 wurde eine Auflockerung der Bewachung nur für Franzosen erlassen. Ab 1943 wurde zusätzlich ein Teil der Kriegsgefangenen formal aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und in einen Zivilstatus überführt. Sie hatten dadurch mehr Freiheiten als Kriegsgefangene anderer Nationen und konnten beispielweise in der Stadt Zivilkleidung tragen. Demzufolge waren sie nicht sofort zu erkennen. Für sie galt aber weiterhin die Verordnung zum „verbotenen Umgang“. Die Behandlung und die Lebensbedingungen lassen sich jedoch nicht einmal für alle französischen Kriegsgefangenen verallgemeinern. In den untersuchten Quellen ist die Verteilung der Fälle zwischen ländlichen und städtischen Gebieten ausgeglichen. Allerdings kann man davon ausgehen, dass die Beziehungen im ländlichen Gebiet, mangels Bewachung und Zeug:innen, in der Strafverfolgung unterrepräsentiert sind. Durch den Mangel an Unterkünften waren viele nicht nur in Lagern, sondern auch in öffentlichen Gebäuden oder zusammen mit der Bevölkerung in deren Wohnhäusern untergebracht. Die deutschen Frauen und die französischen Kriegsgefangenen sind sich also sowohl auf der Arbeit als auch auf dem Weg zur Arbeit oder in der arbeitsfreien Zeit begegnet. Ein Drittel der dokumentierten Treffen fand direkt am Arbeitsplatz statt. Alle anderen dokumentierten Treffen fanden meist abends, entweder draußen unter freiem Himmel oder in den Wohnungen der deutschen Frauen, statt.

Schwarz-Weiß-Fotografie einer Gruppe französischer Kriegsgefangener
Französische Kriegsgefangene im Einsatz in einer Werkstatt in Leipzig-Eutritzsch, undatiert.
©Private Sammlung Lutz Würzberger

Zentrale Quellen waren für mich die Prozess- und Ermittlungsakten zum „verbotenen Umgang“. Meine Recherche musste ich auf drei Regionen eingrenzen: Berlin-Brandenburg, Sachsen und Baden-Württemberg. Insgesamt konnte ich dann für meine Arbeit 1.785 Einzelakten auswerten. Diese Akten beziehen sich auf die deutschen Frauen, die vor ein Zivilgericht gestellt wurden. Für die französischen Kriegsgefangenen waren demgegenüber die deutschen Militärgerichte zuständig. Sie wurden wegen „Ungehorsam“ verurteilt. Mangels Zeit und aus konservatorischen Gründen konnte ich von diesen Akten nur eine Stichprobe von 100 Stück auswerten. Schwächen und Lücken der schriftlichen Überlieferung wurden außerdem durch gedruckte Quellenbestände, etwa die „Meldungen aus dem Reich“, aber auch durch Zeitzeugengespräche mit „Kriegskindern“ und in zwei besonderen Fällen sogar durch Gespräche mit betroffenen Müttern kompensiert.

Ansicht der Urteilsakte
Beispielurteil von Eugenie E., vor dem Landgericht Stuttgart, 01.09.1942.
©Staatsarchiv Ludwigsburg E 351 i Bü 4812

Diese Akten offenbaren wertvolle Details über alltägliche Begegnungen und konkreten Tatsachen: Wo, wann und wie die Paare sich getroffen haben. Jedoch werden diese Akten durch das Prisma der nationalsozialistischen Justiz im „Dritten Reich“ betrachtet. Die Vernehmungen dringen in die Privatsphäre ein und zeigen die Brutalität oder die Einmischung in die Sexualität von Frauen durch die Polizei- und Justizbehörden, in denen meist männliche Mitarbeiter tätig waren. Die Motivationen lassen sich also schwierig von der Argumentation der Verteidigung oder eventuell falschen Geständnissen durch Drohungen während der Vernehmung trennen. Jedoch erkennt man unterschiedliche Formen des „verbotenen Umgangs“, von dezidierten Liebesbeziehungen über gegenseitigen Austausch von Dienstleistungen oder Waren bis hin zur Belästigung.

Der Umgang mit Sexualität im „Dritten Reich“ schwankte zwischen Verfolgung und staatlicher Förderung. Die Förderung der Fortpflanzung zwischen „rassisch wertvollen“ Menschen war Teil der national sozialistischen „Rassenhygiene“. Gleichzeitig sollten aber Geburten „minderwertiger“ Individuen unbedingt verhindert werden, da diese als Gefahr für die Reinheit der „Rasse“ galten. Das Paradigma der Rassenhygiene verstärkte die sozialen Geschlechterrollen: Die Sexualität der deutschen Frau existierte nur insoweit, als sie mit ihrer Rolle als gebärende Mutter verknüpft wurde. Diejenige des deutschen Mannes hingegen sollte stimuliert werden, damit er sich sowohl fortpflanzen als auch an der Front für sein Wohlbefinden sorgen konnte.

Schwarz-Weiß-Foto von Frau mit Kind
Lutz Würzberger und seine Mutter, Leipzig, circa 1947.
©Private Sammlung Lutz Würzberger

Durch das Einsehen der Quellen kann man davon ausgehen, dass die deutschen Frauen sich nicht bewusst waren, gegen die Rassenideologie zu verstoßen. Die Beziehungen wurden zwar in dem Moment politisch, in dem sie eine Bedrohung für das NS-Regime darstellten. Jedoch lässt sich die Übertretung der Norm der deutschen Frauen anders erklären. Es ist vielmehr als ein Zeichen ihrer Aktionsfähigkeit und weniger als ein widerständiger Akt anzusehen. Die Beziehungen resultierten aus zutiefst menschlichen Interaktionen zwischen den Siegerinnen und den Besiegten. Der Kontext des Krieges führte zwar für manche Frauen zu einem emanzipatorischen Gefühl, unter anderem wegen der Abwesenheit des männlichen Familienoberhaupts. Außerdem brachten die Beziehungen mit Kriegsgefangenen das klassische Muster der geschlechtsspezifischen „Besatzer/Besetzten“-Verhältnisse durcheinander. In diesem Fall standen die Besiegten, die französischen Kriegsgefangenen innerhalb des Reiches, den Siegerinnen, den deutschen Frauen, gegenüber und stellten die traditionellen Zuweisungen in Frage. Aber trotz der Umkehrung der Rollenverteilung bestanden nach wie vor geschlechtsspezifische Mechanismen. Die persönlichen Interaktionen, die im Rahmen verbotener Beziehungen stattfanden, deuten auf die Macht hin, die von den Gefangenen auf ihre Partnerinnen ausgeübt wurde. Die Vorstellung einer weiblichen Zustimmung, die durch den sexuellen Akt mit Fremden erworben wurde, ist daher nicht selbstverständlich.

Die deutsch-französischen Beziehungen begannen nicht erst, als die französischen Kriegsgefangenen feindlichen Boden betraten, sondern schon viel früher. Die Franzosen kamen voller Klischees über die Deutschen an. Es galt auch andersherum für die deutsche Bevölkerung gegenüber den Franzosen. Die gegenseitigen Feindbilder wurden, sowohl in Deutschland als in Frankreich, durch das Regime bzw. von staatlichen Akteuren bestärkt. Hier zeigen diese Beziehungen: Die Frauen und Männer betrachteten sich als Menschen und nicht mehr als Deutsche oder Franzosen. Konflikt und Annäherung erscheinen in dieser Hinsicht nicht mehr als Gegensätze, sondern als wechselseitig bedingte und dynamisch miteinander verschränkte Kategorien. Jedoch endete diese transnationale Erfahrung oft mit dem Krieg. Die französischen Kriegsgefangenen kehrten nach Frankreich zurück, die deutschen Frauen in ihren Alltag. Sehr wenige französische Kriegsgefangene sind geblieben, und nur wenige Beziehungen führten zu einer Ehe.

Schwarz--Weiß-Fotografie eines Kriegsgefangenen
André Prévost, der Vater von Lutz Würzberger, als Kriegsgefangener in Leipzig-Eutritzsch, undatiert
©Private Sammlung Lutz Würzberger

Die Aussagen der in Deutschland geborenen Kinder aus verbotenen Beziehungen zeigen im Gegensatz zu den „Wehrmachtskindern“ in Frankreich, dass die Stigmatisierung unterschiedlich erfolgte. Sie wurden stigmatisiert, weil sie uneheliche Kinder waren oder sie ohne Vater aufwuchsen, aber nicht unbedingt, weil der Vater „Franzose“ war. In Frankreich wiederum trugen die „Enfants de Boches“ das Stigma des deutschen Feindes, der Frankreich im Zweiten Weltkrieg besetzt hatte. Außerdem erfuhren die Kinder in beiden Ländern oft sehr spät davon. Anders war es für einen Interviewpartner von mir, Lutz Würzberger, der im März 1944 in der Nähe von Leipzig geboren ist. Er wusste bereits als Kind, dass sein Vater, André Prévost, ein französischer Kriegsgefangener war. André Prévost hatte ihn sogar schon im August 1944 beim Jugendamt anerkannt. Er kehrte nach Ende des Krieges aber nach Frankreich zurück. Es gab später in der Familie von Lutz kein Tabu über seine französischen Wurzeln, wobei außerhalb der Familie aufgrund der politischen Situation in der DDR darüber geschwiegen wurde.

Zwischen 1940 und 1945 gab es rund 1.285.000 französische Kriegsgefangene in Deutschland.

 

Mindestens 14.000 von ihnen wurden wegen des Delikts des „verbotenen Umgangs“ mit deutschen Frauen verurteilt. Deutsche Militärgerichte verurteilten sie wegen „Ungehorsam“ gemäß § 92 Militärstrafgesetzbuch (MStGB). Im Durchschnitt bekamen sie eine Strafe von zwei Jahren und zwei Monaten Militärgefängnis.

 

Die deutschen Frauen wurden von deutschen zivilen Strafgerichten verurteilt. Im Durchschnitt wurden sie zu 7,4 Monaten Gefängnis (42 %) oder zu 2 Jahren Zuchthaus mit strafverschärfenden Bedingungen (32 %) verurteilt. Die Mehrheit der Frauen, die wegen sexueller Beziehungen verurteilt wurden, erhielten Zuchthausstrafen.

 

Mindestens 1.000 Kinder wurden aus diesen Beziehungen geboren.

Die Historikerin Gwendoline Cicottini ist wissenschaftliche Volontärin in der Kustodie zur Geschichte des KZ Buchenwald an der Gedenkstätte Buchenwald. Sie hat zu den Beziehungen deutscher Frauen zu französischen Kriegsgefangenen während des Zweiten Weltkriegs promoviert.

Die Fragen stellte Rikola-Gunnar Lüttgenau.


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