KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

„Der erste Transport“

Eine Plakat- und Online-Ausstellung zum 80. Jahrestag der Gründung des KZ Mittelbau-Dora

Am 28. August 1943 erreichte der erste Transport mit Häftlingen aus dem KZ Buchenwald den Fuß des Kohnsteins, wo in den folgenden Tagen das Außenlager Dora entstand. Zum 80. Jahrestag der Gründung des späteren Konzentrationslagers Mittelbau beleuchtete die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora mit einer Plakat- und Online-Ausstellung die Hintergründe des Transports.

In den frühen Morgenstunden des 28. August 1943 trieb die SS 107 Häftlinge am Lagertor des KZ Buchenwald zusammen. Sie waren für den sogenannten „Transport Süd“ ausgewählt worden, der allerdings in Richtung Norden führte: Mit Lastwagen wurden sie an den Kohnstein gebracht, eine rund 335 Meter hohe Erhebung im Harzer Vorland bei Nordhausen. Dort sollten sie in schwerster Zwangsarbeit ein unterirdisches Treibstoffdepot in eine bombensichere Rüstungsfabrik umbauen. Die Ankunft dieser ersten 107 Häftlinge markierte die Gründung des Buchenwalder Außenlagers Dora. In den folgenden fast 15 Monaten entstand daraus im Südharz der ausufernde KZ-Komplex Mittelbau mit insgesamt 60.000 Häftlingen.

Die Ausstellung im Foyer der Gedenkstätte nahm Ursachen und Ablauf des Transports in den Blick und erläuterte, unter welchen Bedingungen die Häftlinge in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft leben und arbeiten mussten. Als Ausgangspunkt der Gründung des KZ-Außenlagers Dora diente die Bombardierung Peenemündes. Von hier schlug die Ausstellung einen Bogen bis in die Gegenwart. Dabei wurden die Inhalte auf regelmäßig wechselnden Plakaten gezeigt, sodass stets nur ein Teil der Inhalte für die Besuchenden zu sehen war. Einzelnen Inhalten konnte so wesentlich mehr Raum gegeben werden als dies bei einer klassischen Ausstellung möglich gewesen wäre. Um die Inhalte der Ausstellung auch Menschen zugänglich zu machen, die nicht die KZ-Gedenkstätte besuchen können, wurden alle Inhalte zusätzlich auch über die Website als Online-Ausstellung dargeboten und über die Social-Media-Kanäle geteilt. Über den Ausstellungszeitraum hinaus werden die Plakate auch in der Bildungsarbeit der Gedenkstätte Verwendung finden. Ergänzt wurden die Inhalte durch Biografien ausgewählter Häftlinge, die exemplarisch für die Menschen stehen, die mit dem ersten Transport an den Kohnstein gelangten. Dies gibt der Geschichte des Transports eine persönliche Dimension. Die Häftlinge bleiben nicht anonym. Sie erhalten einen Namen und eine individuelle Geschichte.

Der übergeordnete Entstehungskontext des KZ Mittelbau-Dora im Rahmen der Untertageverlagerung der Rüstungsindustrie im „Totalen Krieg“ ist bereits gut erforscht. Anders verhält es sich mit den genauen Umständen des ersten Häftlingstransports ins KZ-Außenlager Dora. Sie sind – genau wie die Biografien der mit dem Transport in den Südharz gelangten Häftlinge – bislang kaum beleuchtet worden. Mit dem Niederländer Hessel Groeneveld und dem im nahegelegenen Sondershausen geborenen August Kroneberg gaben mindestens zwei der Häftlinge nach der Befreiung des Lagers ihre Erinnerungen zu Protokoll. Kroneberg als Kapo des Zimmereikommandos und Groeneveld als Häftlingsarzt im Krankenrevier des Lagers hatten herausgehobene Positionen in der Lagerhierarchie inne, die ihnen einen umfassenden Blick auf die Entstehung des KZ-Außenlagers ermöglichten.

Darüber hinaus geben die Dokumente der SS-Administration Aufschluss über die Situation der Häftlinge, wenngleich sie lediglich die Sicht der Täter:innen wiedergeben. Hierzu zählen unter anderem ein Exemplar der Transportliste, in der am Vortag des Transports die 107 Häftlinge verzeichnet worden waren, sowie die individuellen Haftdokumente und Totenbücher der Lagerverwaltung. Die Auswertung dieser Dokumente, die in den letzten Jahren digital zugänglich gemacht wurden, ermöglicht neue Erkenntnisse über die Gesamtheit der Häftlinge. So wurde noch auf einem zum 75. Jahrestag im Jahr 2018 erstellten Banner Wincenty Kapron als erster toter Häftling des ersten Transports aufgeführt. Seitdem wurde das Banner stets zum Jahrestag in der KZ-Gedenkstätte gezeigt. Kapron, ein polnischer Zeuge Jevohas, starb am 7. November 1943 im Krankenrevier des KZ-Außenlagers an einer Herzembolie. Mittlerweile kann jedoch alswiderlegt gelten, dass er der erste Tote des ersten Transports war. Tatsächlich war dessen polnischer Landsmann Marcin Kaczor bereits mehr als einen Monat zuvor verstorben, nachdem er an Lungentuberkulose und einer Darmentzündung erkrankt war. Da Kaczor jedoch Anfang Oktober zurück nach Buchenwald überstellt worden war, wurde sein Tod am 5. Oktober 1943 nicht im Totenbuch des Außenlagers Dora vermerkt, sondern erst nach Kriegsende vom Standesamt Weimar beurkundet.

Kaczors Tod bildet den zeitlichen Schlusspunkt des von der Ausstellung betrachteten Entstehungszeitraums des KZ-Außenlagers Dora. Mit ihm war die Einrichtung des Lagers nicht abgeschlossen – die oberirdischen Baracken etwa waren erst im Frühjahr 1944 fertiggestellt. Sie nahmen dem Lager seinen provisorischen Charakter zwar nicht vollständig, trugen aber immerhin zu einer relativen Verbesserung der Schlafsituation der Häftlinge bei. Der Tod des ersten Häftlings des ersten Transports steht daher symptomatisch für die in der Anfangszeit Doras ausgesprochen tödlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Transportliste des „Transport Süd“
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Transportliste des „Transport Süd“, 2 Seiten, 27. August 1943.
Transportliste des „Transport Süd“
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Transportliste des „Transport Süd“, 2 Seiten, 27. August 1943.
Sterbeurkunde Marcin Kaczors
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Sterbeurkunde Marcin Kaczors, ausgestellt durch das Standesamt Weimar, 28. Januar 1946.

Die Verlagerung der Rüstungsproduktion in die unterirdischen Stollenanlagen im Südharz hat ihren Ursprung einerseits in der Errichtung eines Treibstoff- und Schmieröllagers zur Kriegsvorbereitung im Inneren des Kohnsteins seit Mitte der 1930er-Jahre durch die reichseigene „Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft“ (WiFo). Andererseits war an der Nordwestspitze der Ostseeinsel Usedom zur selben Zeit die Heeresversuchsanstalt Peenemünde entstanden, in der die Wehrmacht unter anderem ballistische Raketen entwickelte und erprobte, die im „Totalen Krieg“ die entscheidende Wende bringen sollten. Die Bombardierung der Anlagen in der Nacht vom 17. auf den 18. August 1943 setzte die Entwicklungen in Gang, die nur wenige Tage später zur Verlagerung der Raketenproduktion in eine bombensichere, untertägige Produktionsstätte führten. Die Anlage im Kohnstein geriet schnell ins Blickfeld von SS, Rüstungsministerium und Heer, war das Stollensystem doch bereits in weiten Teilen vorhanden. Es sollte nun von Häftlingen, die aus dem nahen Konzentrationslager Buchenwald herbeigeschafft wurden, in eine unterirdische Raketenfabrik umgebaut werden. In Buchenwald stellte der dortige Lagerarzt der SS eine Liste mit Häftlingen zusammen, die er als vermeintlich „transport- und voll arbeitsfähig“ selektiert hatte. Einige von ihnen wie der 20-jährige Pole Henryk Nowacki waren gerade erst aus dem Krankenbau entlassen worden, als die SS sie auf Lastwagen an den Kohnstein transportierte. 

Als die Häftlinge im Südharz eintrafen, existierte noch kein oberirdisches Barackenlager. Nachdem sie in den ersten Tagen noch in sogenannten „Finnenzelten“1 einquartiert waren, mussten die Häftlinge – fast täglich trafen nun neue ein, bis Jahresende mehr als 10.000 – über Monate in Querkammern des unterirdischen Stollensystems schlafen. Wenige Meter weiter arbeiteten andere Häftlinge am Ausbau der Anlage für die Raketenfertigung. Auf die körperliche Verfassung der Häftlinge nahm die SS keine Rücksicht, ihr Tod wurde billigend in Kauf genommen. Im Vordergrund stand die Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge.

Die stickige, feucht-kalte Luft im Stollensystem und die unzureichenden hygienischen Zustände in den Schlafkammern begünstigten die rasche Ausbreitung von Krankheiten, darunter Tuberkulose, Typhus oder Fleckfieber. Fehlende Schutzkleidung bei der Arbeit führte zu häufigen Verletzungen wie Brüchen oder Quetschungen. Schnell wurde ein provisorisches Krankenrevier eingerichtet. Zahlreichen Häftlingen konnte dort nicht mehr geholfen werden, sie starben an den Folgen von Krankheit, Verletzung und Erschöpfung – bis einschließlich März 1944 waren rund 3.000 Häftlinge tot.

„Ich hatte mein kleines Krankenhaus außerhalb des Tunnels und abends mussten die Kranken mit 40° Fieber, mit Lungenentzündung, mit Tuberkulose, mit Wunden in den Stollen [...] es war sehr schlimm für sie und [...] es gab viele Tote.“

Aussage des Häftlingsarztes Hessel L. Groeneveld im Dachauer Dora-Prozess, 1947 [2]

Plakate der Ausstellung im Foyer der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
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Plakate der Ausstellung im Foyer der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.
Foto: Sebastian Hammer
Social Media Beitrag: Der Kohnstein
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Social-Media-Beiträge der Ausstellung
Social Media Beitrag: Henryk Nowacki
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Social-Media-Beiträge der Ausstellung

Der erste Transport bildete nicht nur den Auftakt zu 19 Monaten tödlicher Zwangsarbeit im KZ-Außenlager Dora. Als später die gesamte Rüstungsproduktion des Reiches unter Tage verlagert werden sollte, entstand im Südharz ein ausufernder KZ-Komplex – die Anlage im Kohnstein wurde zum exemplarischen Modellfall. Daher weisen auch die Inhalte der Ausstellung über Dora hinaus. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die sich in den ersten Tagen nach der Ankunft der 107 Häftlinge zeigten, sollten sich später auch in zahlreichen der insgesamt 39 Außenlager des Mittelbau-Komplexes wiederholen. Die Bedingungen in dieser besonders tödlichen Anfangszeit des Lagers stehen daher auch im Fokus der didaktischen Neuerschließung der Stollenanlage, die bis Frühjahr 2024 abgeschlossen sein wird.3 Rund 80 Jahre danach wirft die Ausstellung damit auch einen Blick in die Gegenwart.

Alle Inhalte der Ausstellung finden Sie online unter:

Der erste Transport - KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Der Historiker Sebastian Hammer ist Wissenschaftlicher Volontär an der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und hat die Ausstellung „Der erste Transport“ kuratiert.

Fußnoten

Einfach zu errichtende kreisrunde Behelfsunterkünfte aus Sperrholzplatten.

2 Aussage Hessel Louws Groeneveld, 13.8.1947, NARA, M-1079, Roll 6, Bl. 347 (Übersetzung: SH).

3 Einen Überblick über die laufende didaktische Neuerschließung des Stollensystems bietet Dremel, Anett/Uhl, Karsten: Neue Blicke auf die „Hölle von Dora“, in: Reflexionen 2023, S. 156–161.


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