Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus

Schnittstelle Museum

Bildungs- und Vermittlungsarbeit des Museums Zwangsarbeit im Nationalsozialismus

Karte Weimar
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Gruppenarbeit im Stadtarchiv Weimar, 2023. Foto: Karoline Wirth
Gruppenarbeit im Archiv
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Gruppenarbeit im Archiv
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Gruppenarbeit im Archiv
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Bildung macht Bürger:innen mündig. Sie spielt für Demokratie und gesellschaftliche Stabilität eine zentrale Rolle. Museen leisten als Bildungsakteure einen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt, sind Orte der Selbstbildung und der öffentlichen Debatte. […]

Museen sind relevante Bildungsorte und übernehmen Bildungsverantwortung für die Gesellschaft der Gegenwart und der Zukunft. Museen schaffen mit ihren Objekten, Themen und Angeboten unterschiedliche Zugänge zu Kultur, Wissenschaft und Bildung, analog und digital. […]

Sie bieten Raum für die Diskussion von Werten, für Begegnungen, Partizipation und Aushandlungsprozesse. So wirken Museen in die Gesellschaft und die Gesellschaft in die Museen hinein.“[1]

Ein solch offener Raum, der vom Deutschen Museumsbund e. V. und dem Bundesverband Museumspädagogik e. V. in einer gemeinsamen Bildungsvision definiert ist, soll mit dem geplanten Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus mitten in der Innenstadt von Weimar eröffnet werden. Dabei ist der Standort des neuen Museums nicht zufällig das ehemalige NS-Gauforum. Als „neuer Kulturmittelpunkt“ Weimars propagiert, umfasste das Gauforum monumentale Gebäude, in denen u. a. die Gauleitung der NSDAP und die Deutsche Arbeitsfront untergebracht werden sollten. In Massenkundgebungen auf dem „Platz Adolf Hitlers“ und in der „Halle der Volksgemeinschaft“ sollte der sogenannten Volksgemeinschaft gehuldigt werden. Für die Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten war das Ensemble damit auch ein Kommentar zum klassischen Weimar und eine bewusste Absage an die liberale und demokratische Weimarer Republik.

Das Gauforum war zudem als Amtssitz des Thüringer Gauleiters Fritz Sauckel geplant. Ab März 1942 war Sauckel als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz für die Deportation von Millionen Zwangsarbeiter:innen verantwortlich. So entfaltet sich eine weitere Dimension des Gebäudes: War es einerseits ein gebautes Symbol der sogenannten Volksgemeinschaft, so war es andererseits ebenfalls eines für deren Kehrseite – der rassistischen Ausgrenzung vermeintlich minderwertiger Menschen, zu denen auch Zwangsarbeiter:innen zählten. Die im Gebäude – genauer: in den Fritz Sauckel zugedachten repräsentativen Sälen und Wandelhallen – einzubringende Dauerausstellung begreift sich als Gesamtüberblick über die NS-Zwangsarbeit in ganz Europa. 60 Fallgeschichten verdeutlichen, dass der Einsatz von Zwangsarbeiter:innen in der vor allem durch Rassismus und Ausgrenzung geprägten NS-Gesellschaft kein Geheimnis, sondern vielmehr ein öffentliches Verbrechen war. Doch erst wenn historisches Wissen reflektiert und mit der Gegenwart verbunden wird, ist das vielbeschriebene Lernen aus der Geschichte möglich und kann die eingangs beschriebene Bildungsverantwortung eingelöst werden. Fragen und Aushandlungsprozesse, die auch für unser heutiges Zusammenleben und gesellschaftlich relevant sind, brauchen dabei ebenso Raum wie die Suche nach möglichen Antworten.

Die Dauerausstellung bildet daher den Ausgangspunkt für ein umfassendes Begleitprogramm an Veranstaltungen, partizipativen und inklusiven Projekten sowie attraktiven und niedrigschwelligen Angeboten für ein heterogenes Publikum. Eine Bestandsaufnahme des umfassenden Programms der Museen, Ausstellungen und Kultureinrichtungen in Weimar sowie der Gedenkstätte Buchenwald gaben dabei Aufschluss über mögliche Zielgruppen des neu eröffnenden Museums Zwangsarbeit. Auch sogenannte Nicht-Besucher:innen, die die vielfältigen Programme (noch) nicht nutzen, sollen durch das Angebot des neuen Museums explizit angesprochen werden.

Eine Schnittstelle zwischen dem Museum Zwangsarbeit und dessen Publikum bilden eigens entwickelte Begleitprogramme sowie Bildungs- und Vermittlungsangebote. Sie sollen sich an die Weimarer Land- und Stadtgesellschaft sowie interessierte Touristinnen und Touristen richten. Gruppen (außer)schulischer Bildungseinrichtungen sollen ebenso über zielgruppenspezifische Angebote einen Zugang zum Thema NS-Zwangsarbeit erhalten, wie ein erwachsenes Publikum im Berufsleben. Denn die zukünftige Dauerausstellung eignet sich insbesondere, Fragen an die ethischen Grundsätze des Handelns im beruflichen Kontext zu stellen.

Es waren deutsche Unternehmen, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausbeuteten und davon wirtschaftlich profitierten. Deutsche Verwaltungsangestellte, Bürokratinnen und Bürokraten ermöglichten die Rekrutierung und Deportation der Zwangsarbeiter:innen und organisierten deren sogenannten Arbeitseinsatz. Zwangsarbeit fand inmitten der deutschen Gesellschaft statt. Ohne Duldung und Beteiligung von fast allen Deutschen hätte die Ausbeutung von Millionen Menschen nicht geschehen können. KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter:innen wurden hierfür in nahezu allen Bereichen eingesetzt – in der Rüstungsindustrie, der Landwirtschaft, in Kommunalbetrieben, der Verwaltung und auch in Privathaushalten. Unternehmen und Betriebe, die als Arbeitgeber Zwangsarbeiter:innen beschäftigten, beteiligten sich aktiv an der Anforderung und Auswahl dieser Menschen. Auch die jeweilige Behandlung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter oblag den Arbeitgeber:innen und zeigt damit Handlungsspielräume jedes/jeder einzelnen Deutschen auf – innerhalb der Unternehmen, der Betriebe und zudem im Alltagsleben.

Hier vor allem möchte die (berufsspezifische) Bildungs- und Vermittlungsarbeit des Museums Zwangsarbeit im Nationalsozialismus ansetzen. Über die eigene berufliche Praxis und die damit einhergehende Lebens- und Erfahrungswelt können mögliche Bezüge und Annäherungen zu individuellem Verhalten, Normen und Werten sowie den durch Arbeitgeber:innen oder die Politik vorgegebenen Wertekanon hergestellt werden. Der Bezug in die Alltags- und Arbeitswelt erwachsener Besucher:innen – so zeigen es vergleichbare Angebote anderer Einrichtungen – schafft nicht nur ein Interesse für die Beschäftigung mit diesen Themen, sondern zeigt Anknüpfungspunkte auf, die ethische Rückwirkungen auf die heutige Berufstätigkeit zulassen. 

Diese Maßstäbe für das eigene Handeln sollen auch in Projekten und Gruppenangeboten mit Schüler:innen und Auszubildenden erarbeitet und diskutiert werden. In geplanten Seminar- und Workshop-Programmen sollen dafür die Grundsätze der historisch-politischen Bildungsarbeit den Rahmen bilden. Neben dem Reflektieren und Einordnen des in der Dauerausstellung vermittelten Wissens, sollen die Teilnehmenden in den zielgruppenspezifischen Programmen für aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen sensibilisiert werden. Die Diskussion über allgemeingültige Normen und Werte einer Gesellschaft, in der wir alle leben wollen, soll kritisches Denken und reflektiertes Urteilen aus der Geschichte hinein in das eigene Leben möglich machen. Hierbei sollen Jugendliche und junge Erwachsene auch in ihrer beruflichen Praxis unterstützt werden.

Auf der Baustelle des zukünftigen Museums
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Auf der Baustelle des zukünftigen Museums.
Foto: Karoline Wirth
Ausschnitt aus der Wanderausstellung zur NS-Zwangsarbeit
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Die Wanderausstellung zur NS-Zwangsarbeit.
Foto: Christoph Musiol für gewerkdesign
Stadtrundgang zur Zwangsarbeit in Weimar mit Ausdrucken
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Stadtrundgang zur Zwangsarbeit in Weimar.
Foto: Karoline Wirth

Doch wie können diese hoch gesteckten Ziele umgesetzt und erreicht werden? Wie kann das genannte Publikum angesprochen und für einen Besuch oder die Teilnahme an einem Angebot interessiert werden? Wie schafft es ein weiteres Museum in Weimar in die Stadtgesellschaft hineinzuwirken?

Eine Möglichkeit ist die Anregung zum Mitgestalten und Mitbestimmen. Weimarer:innen aktiv an Entscheidungen zu beteiligen, ermöglicht es, das Museum Zwangsarbeit als Ort der Begegnung und kulturellen Teilhabe weiterzuentwickeln. Dabei sollen bereits vor der Museumseröffnung vielfältige Perspektiven einbezogen werden – zum Beispiel in der Entwicklung von Bildungs- & Vermittlungsangeboten. In einem partizipativ angelegten Projekt mit Auszubildenden aus der regionalen freien Wirtschaft und/oder der öffentlichen Verwaltung sollen gemeinsam Konzepte entwickelt und erprobt werden. Zentraler Ausgangspunkt hierfür ist eine partizipative Werkstatt, die Gestaltungsraum für Aktualitätsbezüge bietet sowie Fragestellungen und Interessen der Teilnehmenden Raum lässt. Die hierin entstandenen Ideen, Ergebnisse und erprobten Methoden können dabei beispielsweise in ein buchbares Angebot des Museums einfließen. Ähnlich partizipativ angelegte und auch ergebnisoffenere Projekte sind für weitere Zielgruppen denkbar und im digitalen, wie analogen Raum geplant.

Nicht nur hierfür sind Kooperationen essentiell. Die Vernetzung und Zusammenarbeit mit Partner:innen aus der Stadt Weimar und darüber hinaus sind Wunsch und Ziel zugleich. Gemeinsam mit Firmen und Betrieben, anderen Museen und Kultureinrichtungen, Schulen und weiteren Bildungseinrichtungen, Vereinen und Bürger:innen-Initiativen zu agieren bringt ein Mehr an Expertise und schafft Sichtbarkeit – beispielsweise für gesellschaftsrelevante Themen und gemeinsame Überzeugungen. Dafür ergänzen und verstetigen geplante Kooperationsprojekte, öffentliche Veranstaltungen sowie ein kontinuierlicher Austausch mit Multiplikator:innen und Fachkolleg:innen das Begleitprogramm des Museums Zwangsarbeit.

Das ehemalige Gauforum in Weimar
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Das ehemalige Gauforum in Weimar.
Fotos: Claus Bach
Das ehemalige Gauforum in Weimar aus der Vogelperspektive
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Über einen Zeitraum von sechs Jahren wurde die internationale Wanderausstellung „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“ an Ausstellungsorten in Deutschland, Tschechien, Polen, Russland und in Österreich gezeigt. Auch an ihrem festen Einbringungsort im ehemaligen Gauforum in Weimar soll ihr internationaler Charakter fortgeführt werden.

Damit sich auch ein breites und diverses internationales Publikum die Inhalte der Ausstellung erschließen kann, soll ein inklusives Multimediaangebot die Vermittlung der Ausstellungsinhalte erweitern. In einem einstündigen visuellen und auditiven Rundgang werden einzelne Szenen und Fallgeschichten ausgewählt und zu einer Gesamtgeschichte mit Möglichkeiten der individuellen Vertiefung über Dokumente, Fotos und etwaige Zusatzinformationen verbunden. Am Ende des Rundgangs soll sich ein Überblick ergeben, der die NS-Zwangsarbeit sowohl als Massenphänomen, als auch als rassistisches Gesellschaftsverbrechen veranschaulicht. Das vielfältige Sprachangebot des Multimediaguides beinhaltet neben einem Ausstellungsrundgang in Deutsch und Englisch eine siebensprachige Ausführung: Französisch, Polnisch, Niederländisch, Hebräisch und Russisch sowie Deutsche Gebärdensprache und die Leichte Sprache. Vor allem für die letzten beiden Sprachen ist eine Zusammenarbeit mit Menschen geplant, die diese Sprachen nutzen. So bringen hierfür Expertinnen und Experten in eigener Sache ihr Wissen und Urteil in die Konzeptarbeit mit ein. Für das Angebot in Leichter Sprache wird es darüber hinaus ein intensiv betreutes Projekt geben, dass ein eigenes Rundgangskonzept mit zukünftigen Nutzer:innen und einem Fachverband als Kooperationspartner erarbeiten soll.

Neben der bereits seit zwei Jahren auf dem Stéphane-Hessel-Platz in Weimar stattfindenden Open-Air-Veranstaltungs- und Gesprächsreihe „In Gesellschaft.“, soll auch die Bildungs- und Vermittlungsarbeit des zukünftigen Museums noch vor dessen Eröffnung in den Stadtraum reichen. So entsteht in Kooperation mit dem Projekt „barrierefrei erinnern“ des Lebenshilfe Landesverband Thüringen e. V. ein inklusiver Stadtrundgang, der über Geschichte(n) sichtbar machen soll, was sich nicht von selbst zu erkennen gibt. In einfacher Sprache führt der Stadtrundgang an Orte der NS-Zwangsarbeit in Weimar. Persönliche Erfahrungsberichte von Zwangsarbeiter:innen geben dabei Aufschluss über die Allgegenwart und Alltäglichkeit der Zwangsarbeit, ihre rassistische Ausgrenzung und die Beteiligung der Weimarer NS-Gesellschaft.

Das gemeinsame Angebot möchte einen Beitrag zu kultureller Teilhabe und inklusiver Vermittlung eines wichtigen Teils der Stadtgeschichte Weimars leisten. Hierfür bezieht das Konzeptteam von Anfang an diverse Expertisen ein. Möglichen Barrieren soll damit bereits zu Beginn entgegenwirkt werden und das Angebot für ein breites Publikum zur Verfügung stehen. Möglich machen dies im Prozess geprüfte Methoden sowie multisensorische Materialien, die der anschaulichen Vermittlung im Stadtraum dienen. Ein rollstuhlerprobter, barrierearmer Weg zwischen den einzelnen Stationen ergänzt die inklusive Ausrichtung des geplanten Stadtrundgangs.

Die Erfahrungen und Ergebnisse aus diesem ersten Kooperationsprojekt sollen in die Methoden- und Materialvielfalt des Museums Zwangsarbeit einfließen. Sie bilden den Auftakt für eine Bildungs- und Vermittlungsarbeit, die die Inhalte und Erkenntnisse der komplexen und auf einem hohen Sprachniveau argumentierenden Dauerausstellung für ein breites Publikum zugänglich macht. Denn nur ein Raum, der für alle Besuchenden gleichermaßen offen ist und zur Teilhabe einlädt, bietet – wie die eingangs zitierte Bildungsvision beschreibt – die Möglichkeit zu Begegnung und Partizipation und macht Aushandlungsprozesse sowie einen gemeinschaftlichen Diskurs über gesellschaftliche Werte möglich.

Als Bildungsreferentin entwickelt Karoline Wirth das Bildungs- und Vermittlungsprogramm des Museums Zwangsarbeit im Nationalsozialismus.

Der Historiker Dr. Daniel Logemann ist Leiter des Museums Zwangsarbeit im Nationalsozialismus.

Fußnoten

1 Kollar, Elke; Köhne, Eckart: Vision. Bildungsort Museum (2020): https://www.museumspaedagogik.org/fileadmin/Data/ Dokumente/Neuigkeiten-Termine-Jobs/Bildungsvision_2020__ BVP_DMB.pdf (2023).


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