Der Angriffs- und Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschlands, besonders der Überfall auf die Sowjetunion und die Kriegserklärung an die USA 1941, schmiedete ein zuvor nicht für möglich gehaltenes Bündnis. Der Kampf gegen Deutschland zwang die „Großen Drei“ – Sowjetunion, USA und Großbritannien – sowie kleinere Mächte, ihre ideologischen und geopolitischen Differenzen beiseitezulegen. Ab 1943 widmeten sie sich zunehmend den Bedingungen für den Sieg und die Sicherung des Friedens. Sie trafen Vereinbarungen, die zum Teil bis heute wichtig sind (z. B. die Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrats).
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Die Planungen der Alliierten für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wiesen zahlreiche Übereinstimmungen auf Auch in Bezug auf eine Internierung von Deutschen waren sich die Siegermächte einig Im Detail gab es jedoch unterschiedliche Auffassungen über die Umsetzung und den Zweck der Internierung Den größten Unterschied machte die Internierungspraxis aus Während die Internierten der Westzonen ab 1946 schrittweise in die Freiheit entlassen wurden verstarb ein Drittel der insgesamt 130000 Insass:innen sowjetischer Speziallager in Haft.
Geprägt von ihren Erfahrungen nach dem Ersten Weltkrieg legten sich die Alliierten in ihrer Deutschlandpolitik auf vier übereinstimmende Konsenspunkte fest. Erstens sollte neben dem militärischen Sieg der deutsche Militarismus und Nationalsozialismus vernichtet werden. Zweitens sollten zur Beseitigung der Kriegsschäden Reparationen erfolgen, bevorzugt durch Sach- und Arbeitsleistungen. Drittens sollten deutsche Verbrechen bestraft werden. Viertens sollte Deutschland zur Durchsetzung dieser Ziele vollständig besetzt, anstatt wie nach 1918 weitgehend sich selbst überlassen zu werden. Weitere Optionen, wie die Aufteilung des Landes oder Gebietsabtretungen, blieben hingegen bis Kriegsende offen, während Umerziehungs- oder Demokratisierungsideen zunächst vage und uneinheitlich waren.1
Im Folgenden werden die Hauptmerkmale alliierter Pläne für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und die Planungen zur Internierung von Deutschen vorgestellt, die zur Errichtung von Lagern wie dem sowjetischen Speziallager Nr. 2 in Buchenwald führten. Im Fokus steht das Verhältnis der Internierung zu den übereinstimmen den, übergeordneten Vorstellungen der Alliierten. Auch hier gab es grundsätzliche Einigkeit, jedoch Unterschiede im Detail und offene Fragen.
Die alliierte Deutschlandplanung war komplex. Die Großmächte dominierten, während die kleineren Bündnispartner versuchten, gehört zu werden. Frankreich unter De Gaulle wurde spät einbezogen, nahm aber an keiner Hauptkonferenz der „Großen Drei“ teil. Auch innerhalb der Länder gab es Differenzen, da Einzelpersonen und Institutionen mit eigenen Zielen um Einfluss rangen – wie beim Streit um den „Morgenthau-Plan“ in den USA.2 Die „Großen Drei“ schufen eine „Europäische Beratende Kommission“ zur Festlegung von Kapitulationsbedingungen, planten aber auch für die Zeit vor und nach der Kapitulation sowie die fernere Zukunft.3
Pläne sind von Entscheidungen zu unterscheiden. Die Staatsführer zögerten, sich festzulegen. Meinungen wurden ausgetauscht, ohne zu Beschlüssen zu kommen. Neue Entwicklungen machten einmal getroffene Ent scheidungen oft obsolet. So wurden die vereinbarten Kapitulationsbedingungen kurzfristig durch eine Alter native ersetzt, die im Mai 1945 in Reims und Berlin in unterschiedlichen Fassungen unterzeichnet wurde.4
Ein Beispiel für diese Tendenzen ist die Frage der Auf teilung Deutschlands. Auf der Teheran-Konferenz 1943 diskutierten Roosevelt, Churchill und Stalin über eine mögliche Aufteilung, beschlossen aber nichts. Im Februar 1945 ergänzten sie in Jalta die Kapitulationsbedingungen um die Möglichkeit der Aufteilung, doch neben Fürspra che gab es Bedenken, dass sie wirtschaftlich schädlich und nicht haltbar wäre. Im August beschloss die Pots damer Konferenz schließlich, Deutschland möglichst als Einheit zu behandeln. Ob dies eine Meinungsänderung war oder vor allem Stalin eine Teilung über die Besat zungszonen anstrebte, ist strittig.5
Ein weiteres Beispiel für die uneindeutige Beschlusslage betraf die Grenzen Deutschlands. Die Alliierten waren sich einig, die Gebietsgewinne ab 1938 rückgängig zu machen. Ab Jalta bestand Konsens über eine Westverschiebung Polens, doch die Westmächte wollten endgültige Entscheidungen einer Friedenskonferenz überlassen. Dennoch begann Stalin, die Oder-Neiße-Linie als Grenze zu behandeln, was die Westmächte hinnahmen, ebenso wie die laufende Vertreibung der deutschen Bevölkerung östlich dieser Linie.6
Die Entwicklung der Internierungspolitik weist zahlreiche ähnliche Merkmale auf.7 Es bestand grundsätzliche Einigkeit, aber Differenzen im Detail. Es gab Pläne für die Zeit vor und nach der Kapitulation, aber ein endgültiger, gemeinsamer Beschluss fehlte. In Potsdam bestätigten die „Großen Drei“, was sie seit Anfang 1944 diskutierten und mit den hinzugekommenen Franzosen seit Besetzungsbeginn umsetzten: „Nazistische Parteiführer, einflussreiche Nazianhänger und die Leiter der nazistischen Ämter und Organisationen sowie alle anderen Personen, die für die Besatzungsmächte und ihre Ziele gefährlich sind, sind zu verhaften und zu internieren.“8 Die weitere Entwicklung blieb offen. Ein zusätzliches Merkmal war, dass die Internierung ein Mittel, nicht ein Ziel war. Sie wurde daher in diversen Kontexten erörtert, ohne dass ein eindeutiger Zweck formuliert wurde. Im Folgenden werden ihre Zusammenhänge mit den erwähnten Konsenspunkten diskutiert.
Ein zentrales Ziel der Alliierten war die Vernichtung des deutschen Militarismus, beginnend mit der Entwaffnung und Auflösung bewaffneter Verbände, auch jenseits der Wehrmacht. Man war sich einig, dass „paramilitärische“ Organisationen wie die SA und SS neutralisiert werden sollten, doch gab es unterschiedliche Ansätze zur Umsetzung. Die Sowjetunion wollte SS- und SA-Mitglieder analog zu den Kriegsgefangenen behandeln. Nach einigem Schwanken bevorzugten die Westmächte, sie als Zivilisten zu betrachten, um ihnen den Schutz der Genfer Konvention zu verwehren. Letztlich ließ man Ermessungsspielräume zu: Jede Besatzungsmacht durfte sie als Kriegsgefangene deklarieren, musste aber nicht. So wurden SS- und SA-Mitglieder in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) kaum interniert, sondern als Kriegsgefangene in die Sowjetunion gebracht, während sie in den westlichen Zonen in großer Zahl interniert waren.9
Die Nutzung deutscher Arbeitskräfte für Reparationen war ein weiteres alliiertes Ziel. Die Sowjetunion ließ die Paramilitärs zu Kriegsgefangenen erklären, um sie für Reparationsarbeiten in die UdSSR zu transportieren, wie sie es auch mit Hunderttausenden Zivilisten östlich der Oder-Neiße-Linie tat. Auch die Westmächte erwogen, die Paramilitärs in Arbeitsbataillonen im Ausland einzusetzen, entschieden sich schließlich dagegen. Paramilitärs und sonstige Zivilisten in westlichem Gewahrsam blieben also in Deutschland. Dort beschränkten Sicherheitsbedürfnisse ihren Arbeitseinsatz. In den Speziallagern der SBZ kamen schreckliche Haftbedingungen hinzu. Als Anfang 1947 Zehntausende Häftlinge deportiert werden sollten, waren nur etwa 5.000 arbeitsfähig.10
Ein drittes Ziel war die Bestrafung von NS-Verbrechen. Auch hier fehlte es lange an Klarheit. Erst im August 1945 regelte ein Viermächte-Abkommen die Einrichtung eines Internationalen Militärgerichtshofs für die Hauptkriegs verbrecher.11 In Erwartung künftiger Prozesse planten die Alliierten ab 1944, bestimmte Kategorien von Deut schen – Besatzungspersonal, Gestapo- und SS-Angehö rige – vorläufig festzunehmen, um Einzelne unter ihnen eventuell anzuklagen oder auszuliefern. Ferner erwog man, ganze Organisationen zu verurteilen, um die Mit glieder aufgrund der Zugehörigkeit abzuurteilen. Solche Überlegungen rechtfertigten groß angelegte Internierun gen. Die Internierung galt jedoch vor allem als symboli sche, außergerichtliche Strafe. Erst nachträglich wurde sie für manche Betroffene zu einer Art vorgerichtlicher Haft.12
Die Vernichtung des Nationalsozialismus war das Ziel, dem die Internierung am eindeutigsten dienen sollte. Alliierte Pläne erwähnten sie häufig im Kontext der Auflösung von NS-Organisationen. Deren Personal sollte isoliert werden, um seinen Einfluss zu brechen und ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus zu verhindern. Es gab unterschiedliche Auffassungen zur Größenordnung. Die Briten befürworteten z. B. die Internierung von NSDAP-Funktionären von Reichs- bis Kreisebene. Die Amerikaner wollten dies mindestens nach der Kapitulation bis zur Ortsgruppenebene ausdehnen, was die Briten und Franzosen zeitweise mittrugen.13 Die Sowjets sprachen 1944 von der Verhaftung von Zellen- und Blockleitern.14 Im Januar 1945 (mit Blick auf künftig polnische Gebiete) befohlen sie die Festnahme aller „Mitglieder faschistischer Organisationen“, schränkten dies im April (mit Blick auf die SBZ) auf „aktive“ Parteiglieder sowie Jugendorganisationsführer auf verschiedenen Ebenen ein.15 Einigkeit herrscht darüber, dass die Betroffenen automatisch zu verhaften waren, ohne eines Vergehens verdächtigt zu sein.
Ein weiterer Zweck der Internierung folgte aus der grundlegenden Entscheidung, Deutschland zu besetzen. Die Alliierten rechneten mit Widerstand und Sabotage und wollten die eigenen Leute und Einrichtungen davor schützen. Die Verhaftung des Personals der NS-Sicherheitsdienste wie der Partei-, Jugend- und paramilitärischen Organisationen sollte mögliche Gegner der Besatzungsmächte aus diesen Kreisen gar nicht erst aufkommen lassen. Ferner wollte man streng auf weitere Gefahren reagieren können, ob in Gestalt des angekündigten „Werwolfs“ oder sonstiger Gruppen und Einzelpersonen. Deshalb ordneten sowjetische Befehle „tschekistische Maßnahmen“ gegen jegliche „feindliche Elemente“ an, während die Westmächte auch „security arrests“ über die automatischen Haftkategorien hinaus ermöglichten.16
Neben den erwähnten hatte die Internierungspolitik eine weitere Gemeinsamkeit mit den übrigen Planungen für Deutschland: das Negative stand im Zentrum, war aber nicht alles. Positive Ansätze wie zur Umerziehung der Internierten kamen zwar noch nicht vor, aber ihre Festhaltung sollte einen Neuanfang jenseits des Stacheldrahts ermöglichen.
Wie sollte ein Neuanfang Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg aussehen? Hierüber herrschten bei den Alliierten unterschiedliche Vorstellungen.
Die Auflösung der kriegsbedingten Allianz lag nicht zuletzt an den gegensätzlichen Vorstellungen von diesem Neuanfang. Sie zeigte sich auch an der Internierung. Zwar versuchte die alliierte Kontrollbehörde eine gemeinsame Politik festzulegen, musste aber wegen wachsender Differenzen den Besatzungsmächten Ermessensspielräume erlauben. Immer größere Unterschiede traten in der Internierungspraxis auf: Ab 1946 erhielten Internierte in den Westzonen verbesserte Haftbedingungen und allmählich die Freiheit, während die Menschen in den sowjetischen Speziallagern unter menschenunwürdigen Bedingungen litten, massenweise starben und erst 1948 und 1950 in größerer Zahl entlassen wurden. Die Internierung einte die Besatzungsmächte nicht mehr, sondern wurde zum Konfliktstoff im neuen, „Kalten Krieg“.17
Andrew H. Beattie ist Professor für German and European Studies an der School of Humanities and Languages der University of New South Wales in Sydney (Australien).
1 Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 557–564.
2 Vgl. H. G. Gelber, Der Morgenthau-Plan, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 13, H. 4 (1965), S. 372–402, zugänglich hier: https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1965_4_2_gelber.pdf.
3 Vgl. Herbert Elzer (Bearb.), Dokumente zur Deutschlandpolitik, I. Reihe / Bd. 5: Europäische Beratende Kommission, München 2003.
4 Vgl. die im Bundesarchiv-Militärarchiv überlieferten Dokumente, zugänglich hier: https://www.bundesarchiv.de/themen-entdecken/online-entdecken/geschichtsgalerien/die-deutsche-kapitulation-1945/.
5 Vgl. Jochen Laufer, Pax Sovietica. Stalin, die Westmächte und die deutsche Frage 1941–1945, Köln 2009, zugänglich hier: https://zeitgeschichte-digital.de/doks/frontdoor/deliver/index/docId/333/file/laufer_pax_sovietica_2009.pdf.
6 Vgl. Herbert, Geschichte Deutschlands, S. 560–561.
7 Zum Folgenden, vgl. Andrew H. Beattie, Allied Internment Camps in Occupied Germany. Extrajudicial Detention in the Name of Denazification, Cambridge 2020, besonders Kapitel 1. Eine deutsche Ausgabe ist bei Metropol Verlag in Vorbereitung.
8 Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin vom 2. August 1945, in: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, vom 30.8.1946, S. 15, zugänglich hier: https://portal.dnb.de/bookviewer/view/1023388685#page/76/mode/2up.
9 Vgl. Andrew H. Beattie, Verdiente Strafe des harten Kerns oder ungerechte Besatzungsmaßnahme? Die SS und die alliierte Internierung im besetzten Deutschland, in: Jan Erik Schulte / Michael Wildt (Hrsg.), Die SS nach 1945, Göttingen 2018, S. 57–74.
10 Vgl. Ralf Possekel, Einleitung. Sowjetische Lagerpolitik in Deutschland, in: Ralf Possekel (Bearb.), Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik = Sergej Mironenko et al. (Hrsg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950, Bd. 2, Berlin 1998, S. 30–33, 42–49, 73–76.
11 Vgl. Wolfgang Benz, Erschießen oder aburteilen? Interalliierte Beschlüsse zum Umgang mit NS-Tätern, in: Enrico Heitzer et al. (Hrsg.), Im Schatten von Nürnberg. Transnationale Ahndung von NS-Verbrechen, Berlin 2019, S. 25–37.
12 Vgl. Beattie, Allied Internment Camps, Kapitel 1 und 2; Julia Landau, Stalinistischer Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Altenburg 1945–1947. Die sowjetische Verhaftungs- und Internierungspraxis am lokalen Beispiel, in: Julia Landau / Enrico Heitzer (Hrsg.), Zwischen Entnazifizierung und Besatzungspolitik. Die sowjetischen Speziallager 1945–1950 im Kontext, Göttingen 2021, S. 114–116.
13 Vgl. die beiden Handbücher des Supreme Headquarters, Allied Expeditionary Force (SHAEF): Handbook for Military Government in Germany Prior to Defeat or Surrender, vom Dezember 1944, zugänglich hier: https://cgsc.contentdm.oclc.org/digital/collection/p4013coll9/id/8; und Arrest Categories Handbook, Germany, vom April 1945, zugänglich hier: https://librarycollections.law.umn.edu/documents/hansenwitness/pdf/OccupiedGermanyManuals/Supreme%20Headquarters%20Allied%20Expeditionary%20Force%20-%20Arrest%20Categories%20Handbook.pdf.
14 Protokoll zu den Kapitulationsbedingungen (Entwurf), vom 3. Februar 1944, in: Jochen Laufer / Georgij Kynin (Hrsg.), Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, Bd. 1, Berlin 2004, S. 309.
15 Vgl. die Befehle des Volkskommissars für Inneres (NKVD): Nr. 0016 vom 11. Januar 1945 und Nr. 00315 vom 18. April 1945, in: Possekel (Bearb.), Sowjetische Dokumente, S. 144 und 178.
16 Ebd., S. 178; SHAEF, Arrest Categories Handbook, S. 3.
17 Vgl. Wolfram von Scheliha, Die sowjetischen Speziallager – ein Symbol des kommunistischen Unrechts in der publizistischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West, in: Petra Haustein et al. (Hrsg.), Instrumentalisierung, Verdrängung, Aufarbeitung. Die sowjetischen Speziallager in der gesellschaftlichen Wahrnehmung 1945 bis heute, Göttingen 2006, S. 10–29.