Mittelbau-Dora

Ellrich-Juliushütte

Ein wichtiger Gedenkort wird neu gestaltet

Am Stadtrand von Ellrich, unmittelbar an der heutigen Grenze zwischen Thüringen und Niedersachen, befand sich im letzten Jahr des Zweiten Weltkrieges ein Außenlager des KZ Mittelbau-Dora. Mit durchschnittlich 8.000 Häftlingen war es nach Buchenwald, Dora und Bergen-Belsen das größte KZ in Mittel- und Nordwestdeutschland. Doch im Unterschied zu den drei genannten Lagern ist das ehemalige KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte bis heute in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.

Eingerichtet wurde das Lager am Ellricher Bahnhof von der SS Anfang Mai 1944. Zur Hälfte lag es auf dem Stadtgebiet von Ellrich (damals Teil des preußischen Regierungsbezirkes Erfurt), zur anderen Hälfte im Ortsteil Juliushütte der Gemeinde Walkenried (Freistaat Braunschweig, heute Niedersachsen). Die Häftlinge waren in halb verfallenen Gebäuden ehemaliger Gipsfabriken untergebracht – anfangs ohne jegliche sanitäre Einrichtungen, mit den entsprechenden Folgen: Katastrophale hygienische Bedingungen führten schnell zur Ausbreitung epidemischer Krankheiten. Die Häftlinge mussten Zwangsarbeit bei Bauvorhaben für geplante (aber nie fertiggestellte) Untertagefabriken leisten. Aufgrund der harten Arbeitsbedingungen, der hygienischen Situation und chronischen Schlafentzugs (selbst nach SS-Angaben hatten die Häftlinge täglich nur drei bis vier Stunden Schlaf) ließ die Kraft der Häftlinge schnell nach, so dass ab Herbst 1944 die Todesrate stark anstieg. Allein im März 1945 starben in dem Lager 1.000 Menschen – das war jeder achte Häftling. Insgesamt überlebten 4.000 Häftlinge die Deportation nach Ellrich-Juliushütte nicht. Zwischen dem 4. und dem 6. April 1945 räumte die SS angesichts der heranrückenden amerikanischen Truppen das Lager und schickte die Häftlinge auf Todesmärsche, u. a. in das KZ Bergen-Belsen. Als amerikanische Truppen am 11. April in Ellrich einrückten, war das Lager leer.

Nach dem Krieg durchzog die britisch-sowjetische Demarkationslinie und spätere deutsch-deutsche Grenze das Gelände. Auf DDR-Seite wurden die erhaltenen KZ-Gebäude und ehemaligen Gipsfabriken in den 1950er-Jahren im Zuge des Grenzabbaus abgetragen. Auf westlicher Seite entschloss man sich 1963 bei einem Besuch des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen, Rainer Barzel, den nicht mehr bewohnten Ortsteil Juliushütte abzureißen, um diesen „Schandfleck“ zu entfernen und eine „parkähnliche Landschaft“ zu schaffen, wie die Lokalzeitung „Harzkurier“ seinerzeit schrieb. Diese Aufgabe übernahm 1964 der Bundesgrenzschutz, der die noch vorhandenen Gebäude sprengte, u. a. auch das noch weitgehend erhaltene ehemalige KZ-Krematorium. Anschließend wurde das ehemalige Lager bewaldet und zum Naturschutzgebiet erklärt. Erst nach der deutschen Wiedervereinigung wurde das Lagergelände wieder zugänglich. In den 1990er-Jahren legten die Stadt Ellrich und der Verein „Jugend für Dora“ einen kleinen Rundweg an; 2010 wurde er (finanziert vom französischen Überlebenden-Verband „Dora, Ellrich et Kommandos“ und realisiert durch die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora) mit Infotafeln versehen. Die Grablagen des KZ Ellrich-Juliushütte, die sich auf niedersächsischer Seite befinden, wurden jedoch 2010 nicht gekennzeichnet, da sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau lokalisiert werden konnten.

Ehemaliger Block 4 im KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte
Ehemaliger Block 4 im KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte, 2014. Der Rest des Gebäudes wurde 1958 im Zuge des Grenzausbaus durch die DDR abgetragen.

Bis Februar 1945 wurden die Leichen von Ellrich-Juliushütte mit Lkw in das Krematorium des Hauptlagers Dora gebracht und dort verbrannt. Anfang März 1945 ging in Ellrich-Juliushütte ein eigenes Krematorium in Betrieb. Angesichts der hohen Todeszahlen reichte die Kapazität des mit nur einem Ofen ausgestatteten Krematoriums bald jedoch nicht mehr aus, so dass wie in anderen Lagern (z. B. in Dora und in Bergen-Belsen) Leichen zusätzlich auch auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Insgesamt wurden so etwa 1.040 Leichen verbrannt. Von 830 Toten sind die Namen bekannt (die Todes- und Verbrennungslisten blieben erhalten). Überwiegend handelt es sich um sowjetische und polnische Häftlinge, außerdem um Franzosen, Belgier und Niederländer. Fast alle waren als politische Häftlinge ins KZ eingewiesen worden. Zusätzlich finden sich auf den Totenlisten einige Dutzend ungarische und polnische Juden sowie einige Sinti und Roma. Ihre Asche ließ die SS einfach liegen.

Erst 2019 konnte ermittelt werden, wo die Asche der verbrannten Toten verblieben ist. Grundlage waren Fotos, die ein amerikanischer Soldat im Mai und Juni 1945 vom ehemaligen Krematorium und von der etwa 30 Meter entfernten Verbrennungsstelle gemacht hatte. Sie wurden im Juli 2017 der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora übergeben. Auf zwei der Fotos sind deutlich verkohlte Knochen zu erkennen. Die Landschaft im Hintergrund gab schließlich den entscheidenden Hinweis für ihre Verortung. Diese Stelle wurde durch den Kreisarchäologen Dr. Stefan Flindt aus Göttingen mittels Bodenuntersuchungen der Oberfläche eindeutig lokalisiert – es liegen dort noch immer Leichenbrand und Knochen direkt unter der Grasnarbe. Auch Eisennägel von Bahnschwellen wurden hier gefunden – ein deutlicher Hinweis auf die Verbrennungen auf Scheiterhaufen. Untersucht wurde auch der Abhang am Krematorium. Hier konnte eine Aschehalde nachgewiesen werden.

 

Nach über 70 Jahren sind damit die Massengräber lokalisiert und können endlich als solche kenntlich gemacht werden. Ein würdiges Gedenken an die mehr als Tausend Opfer wird damit möglich.

Ehemaliges Krematorium im KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte
1/2
Ehemaliges Krematorium im KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte, Juni 1945. Das Gebäude wurde 1964 durch den Bundesgrenzschutz abgetragen.
Knochen- und Aschereste auf Scheiterhaufen
2/2
Knochen- und Aschereste von Verbrennungen auf Scheiterhaufen im März/April 1945, aufgenommen im Juni 1945.

Nach der Lokalisierung der Aschegräber war klar, dass ein landschaftsplanerisches und gedenkstättendidaktisches Gesamtkonzept zur Erschließung des wichtigen Gedenkortes notwendig ist. Mit diesem Ziel fand im Sommer 2020 ein von der Stiftung Naturschutz Thüringen (sie ist Grundeigentümerin auf Thüringer Seite) in Kooperation mit den Kommunen Walkenried und Ellrich und beraten durch die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, den Landkreis Göttingen, das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport und das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege ein Ideen- und Realisierungswettbewerb statt.

Die Jury entschied sich im Oktober 2020 einstimmig für den Entwurf des Büros PSL Landschaftsarchitekten Ziegenrücker. Dorlas. PartGmbB aus Erfurt. Ihr Konzept überzeugt durch ein durchdachtes Besucherleitsystem und seine behutsamen Eingriffe in die Vegetation und die Landschaft, die historische Strukturen sichtbar machen, ohne das ehemalige KZ-Gelände zu überformen. Überzeugend fand die Jury auch die Überlegungen, die verschiedenen Zeitschichten (Konzentrationslager bis 1945 und DDR-Grenzanlagen ab 1952) in der Landschaftsgestaltung deutlich sichtbar voneinander zu trennen.

Entwurf des neuen Lagergeländes
Neugestaltung des ehemaligen Lagergeländes in Ellrich-Juliushütte. Entwurf des Büros PSL Landschaftsarchitekten aus Erfurt, Oktober 2020.
©Architektenkammer Thüringen

In einem ersten Schritt sollen nun, finanziert über sogenannte Gräbermittel (Landes- und Bundesmittel zur Gestaltung von Kriegsgräbern), die auf niedersächsischer Seite gelegenen zwei Aschegräber gekennzeichnet und gestaltet werden. Für den zweiten Teil des Projektes, die Erschließung des ehemaligen Lagergeländes und möglicherweise eine kleine Ausstellung zur Lagergeschichte, die im letzten erhaltenen Gebäude des ehemaligen Lagers untergebracht werden könnte (derzeit prüft die Stadt Ellrich den Kauf des Gebäudes), gibt es bislang noch kein Finanzierungskonzept. Wünschenswert wäre eine Unterstützung der Kommunen Walkenried und Ellrich durch die beiden Landesregierungen in Hannover und Erfurt. Nicht nur für die Überlebenden und ihre Angehörigen wäre das ein wichtiges Zeichen, sondern auch aus geschichtsdidaktischer Perspektive: Ellrich-Juliushütte ist ein Lernort nicht nur zur Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen, sondern auch zur Zeit nach 1945. Wie an kaum einem anderen Ort lässt sich hier lernen, dass die deutsche Teilung eine Folge der NS-Verbrechen bzw. des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieges war. Und wie an kaum einem anderen Ort lässt sich hier nachvollziehen, wie die beiden deutschen Staaten mit der NS-Geschichte umgingen – häufig mit mangelndem Respekt vor den Opfern und mit wechselseitigen Schuldprojektionen. Im Westen sah man die DDR als Fortsetzung des KZ-Regimes (so titelte die Bonner Rundschau 1957 in einem Artikel über die DDR-Grenzanlagen in Ellrich-Juliushütte), und in der DDR wähnte man die NS-Verbrecher ausschließlich im Westen. „Die Blutspur führt nach Bonn“, hieß 1966 die erste Dauerausstellung in der Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Die Politologin und Historikerin Anett Dremel leitet die Dokumentationsstelle der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Der Historiker Jens-Christian Wagner ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Weitere Informationen zum Ideen- und Realisierungswettbewerb: https://architekten-thueringen.de/aktuell/n/neugestaltung_ des_gedenkortes_el-24983.html


var _paq = window._paq = window._paq || []; /* tracker methods like "setCustomDimension" should be called before "trackPageView" */ _paq.push(['trackPageView']); _paq.push(['enableLinkTracking']); (function() { var u="https://matomo.buchenwald.de/"; _paq.push(['setTrackerUrl', u+'matomo.php']); _paq.push(['setSiteId', '21']); var d=document, g=d.createElement('script'), s=d.getElementsByTagName('script')[0]; g.async=true; g.src=u+'matomo.js'; s.parentNode.insertBefore(g,s); })();