Schwerpunkt: Neue Rechte und Geschichtsrevisionismus

Gegen das kritische Geschichts­bewusstsein

Die Zeitschrift „Sezession“ und ihre Agenda

Noch weit in die Zeit der Bundesrepublik hinein galten als Grundlagen der Geschichtsvermittlung Lernziele mit fragwürdiger Tradition: personalisierte Darstellungen von Geschichte als Werk großer Männer, ein fester Lehrkanon von Ereignissen und Namen und eine positiv-identitätsstiftende und in die nationale Gemeinschaft integrierende große Erzählung. Eine progressive Geschichtsdidaktik formulierte den veralteten Zielen entgegengesetzte Vorhaben. Die Vorstellung von Geschichte als nachträgliche, aus gegenwärtigem Standpunkt heraus hergestellte Konstruktion von Vergangenheit wurde etabliert. Interessengeleitet und schüler:innenorientiert, gegenwarts- und zukunftsbezogen sollte nun den Lernenden historisches Denken und Fragen und ein Bewusstsein darüber ermöglicht werden, dass jedwedes gesellschaftliche Sein historisch geworden ist; gesellschaftliche Zustände also nicht ewig sind, sondern eine andere, wenn auch mit der Vergangenheit und Gegenwart verbundene Zukunft haben können. So sollten Voraussetzungen für das Bewusstsein darüber geschaffen werden, dass sich geschichtliche Entwicklungen konkret auf Wirklichkeit und Leben der einzelnen Menschen auswirken und sie dennoch beeinflusst und mitgestaltet werden können – im Positiven wie im Negativen. Im Positiven nicht zuletzt von Menschen, die sich mit auf sich selbst bezogenem, kritischem Geschichtsbewusstsein als politisch Handelnde mit festen Wertorientierungen und emanzipatorischen Zielsetzungen aktiv zu gegenwärtigen sozialen, politischen und ökonomischen Konstellationen verhalten. In Deutschland vollzieht sich dieses kritische Geschichtsbewusstsein insbesondere in der Erkenntnis der Möglichkeit des Negativen und seiner Bedingungen: Die zentralen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, Nationalsozialismus und Holocaust, wurden dabei, nicht ohne Widerstände, als wesentliche Gegenstände geschichtsbezogener Auseinandersetzung etabliert.

Zu den wichtigsten Institutionen, die historische Bildung zum Nationalsozialismus mit der Befähigung zu kritischem Geschichtsbewusstsein verknüpfen, gehören inzwischen die KZ-Gedenkstätten. An Orten, an denen im Nationalsozialismus Verfolgung, Ausgrenzung und Gewalt kulminierten, wurden nicht nur Stätten des Gedenkens an die Betroffenen geschaffen. Es entstanden dabei auch Bildungsorte. Und zunehmend analytischer richtete sich der Blick auch auf die Täter:innen. Deren Biografien, Hintergründe, Motive und Ideologien zu betrachten, ist zentral für einen gegenwartsbezogenen Erkenntnisgewinn, ebenso der forschende Blick auf die sozialen, politischen und ökonomischen Konstellationen, in denen diese geformt und die Taten möglich wurden. In den pädagogischen Programmen der Bildungsabteilungen werden gesicherte historische Fakten dargelegt, unterschiedliche Positionen diskutiert, Erklärungen angeboten und hinterfragt und dabei angeregt, gegenwarts- und zukunftsbezogene Erkenntnis durch die Auseinandersetzung mit Geschichte zu ermöglichen. Längst schließt diese auch die Geschichte der Erinnerungskultur mit ein, deren Kenntnis Voraussetzung dafür ist, Deutungen hinterfragen und beurteilen zu können. Kritisches Geschichtsbewusstsein wird so auch Teil der Befähigung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Gesellschaft, der bewussten Verneinung unhinterfragter Identifikation mit (nationalen) Kollektiven, der Absage an besinnungslose Gewalt und der Einladung, sich Geschichte kritisch anzueignen. Damit dies möglich wird, steht im Zentrum stets das lernende Subjekt und dessen Interessen, Bedürfnisse, Vorkenntnisse, Überzeugungen und biografische Hintergründe, die jeweils individuelle Aneignungsprozesse bedingen. Solche Angebote kritischer, subjektorientierter Auseinandersetzung mit Geschichte werden jedoch nicht von allen mit Wohlwollen betrachtet.

Mit der zeitlichen Entwicklung, in welcher Nationalsozialismus und Holocaust zunehmend von Erfahrung zu Geschichte werden und aus kommunikativem Gedächtnis kulturelles Gedächtnis wird, gehen für die Gedenkstättenpädagogik zahlreiche Herausforderungen einher. Eine davon ist eine im Windschatten dieser Entwicklung sich lautstark und selbstbewusst formierende Offensive der Neuen Rechten. Die mit der kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus verbundene Etablierung eines negativen Gedächtnisses und die Ermöglichung eines kritischen Geschichtsbewusstseins sind dabei die Hauptangriffspunkte. Dass sich die Rechte der Geschichte als Mittel für die eigenen Ziele bedient, ist nicht neu. Traditionell stellten der eigenen nationalen Geschichte gegenüber unkritische Geschichtsbilder für rechte und völkische Strömungen zentrale Orientierungen politischer und weltanschaulicher Positionen dar. Auch nach 1945 wurde versucht, an der eigenen völkischen Erzählung festzuhalten: sei es durch Verherrlichung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen, sei es durch die Leugnung dieser oder der Leugnung breiter gesellschaftlicher Beteiligung an ihnen, sei es durch Relativierung deutscher Kriegsschuld oder den Versuch, die Bedeutung des Nationalsozialismus in den geschichtsbezogenen Auseinandersetzungen zu schmälern. Seit den 1960er-Jahren können einige dieser Strategien als marginalisiert betrachtet werden. In diesen Zeitabschnitt fällt jedoch auch die Selbsterfindung der sogenannten Neuen Rechten, welche auf mehreren Ebenen eine Modernisierung des Rechtsradikalismus anstrebte. Die im Begriff angelegte Abgrenzung zur Alten Rechten ist dabei jedoch ein Mythos: Die Wandlung der liberalen Gesellschaft in eine autoritäre, der Aufbau einer völkisch-rassistisch definierten neuen Elite und die Ausgrenzung von Menschen, die nach rassistischen Konzepten, nun Ethnopluralismus genannt, nicht als Teil der deutschen Gesellschaft gesehen werden, bleiben zentrale Ziele. Auftreten, Strategie und Argumentationsweisen wurden dagegen neu justiert und allzu offensichtliche ideologische Bezugnahmen auf den Nationalsozialismus umgangen. Der Habitus wurde intellektueller und der Fokus auf Theoriearbeit, Metapolitik und Kultur gerichtet. Das Ziel wurde eine rechte Kulturrevolution – als Bedingung einer Neuordnung der Gesellschaft.

Als Haupthindernis bei ihrem Kampf um kulturelle Deutungshoheit haben neurechte Ideolog:innen den Umgang mit Geschichte in der Bundesrepublik ausgemacht und bringen dagegen ihren Geschichtsrevisionismus als zentrales Werkzeug zur Erringung der Vorherrschaft in Stellung. Die Bedeutung von Nationalsozialismus und Holocaust in der Geschichtskultur verhindere – so die These – eine, als maßgebliche Voraussetzung für nationale Identifikation hervorgehobene, Empathie mit der deutschen Geschichte und den eigenen Vorfahren. Seit den 1990er-Jahren sind besonders die inzwischen entwickelten unterschiedlichen Formen von Gedenk- und Erinnerungskultur in den Fokus geraten. Zentrale Stichwortgebende gruppieren sich gegenwärtig um das „Institut für Staatspolitik“ (IfS), das seit fast zwanzig Jahren im sachsen-anhaltischen Dörfchen Schnellroda beheimatet ist. Es entwickelte sich zum regelmäßigen Treffpunkt der völkischen Rechten von AfD und Jungen Alternativen, Identitärer Bewegung, Burschenschaftlern und Jungen Nationaldemokraten. Seit 2003 gibt das IfS auch die Zeitschrift „Sezession“ heraus. Geschichtsdeutungen, insbesondere aber der Nationalsozialismus und dessen Nachgeschichte in der Bundesrepublik werden dort regelmäßig thematisiert. Dabei wird sich bisher an das von dem Historiker Volker Weiß festgestellte ungeschriebene Gesetz der Neuen Rechten gehalten, die nationalsozialistischen Verbrechen zu relativieren, anstatt sie zu leugnen. Die Relativierungen werden dabei auf breiter Ebene und auf vielfältige Weise in Angriff genommen. Als Rahmen kann hierbei auch die vom IfS propagierte Strategie der Tabubrüche gelten, mit denen Paradigmenwechsel in der Geschichtsschreibung eingeläutet werden sollen.

Demonstration vor der Pension "Zum Schäfchen" in Schnellroda
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Demonstration vor der Pension "Zum Schäfchen" in Schnellroda.
Veranstaltung des Instituts für Staatspolitik in der Pension "Zum Schäfchen" in Schnellroda
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Pension „Zum Schäfchen“ Veranstaltungssaal des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda
Veranstaltung des Instituts für Staatspolitik in der Pension „Zum Schäfchen“ in Schnellroda
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Pension „Zum Schäfchen“ Veranstaltungssaal des Instituts für Staatspolitik

In der „Sezession“ folgen die Darstellungen des Holocaust der Tradition geschichtspolitischer Interventionen von Rechts und den schon in der Nachkriegszeit weitverbreiteten Narrativen: Die deutsche Bevölkerung habe von den Vorgängen nichts gewusst, überhaupt habe es angesichts des kleinen jüdischen Anteils an der Bevölkerung keinen verbreiteten Antisemitismus gegeben. Der Holocaust wird als ein räumlich weit entferntes und jedweder Wahrnehmung entzogenes Verbrechen weniger Akteure, hier namentlich NS-Führung und D-Einsatzgruppen, dargestellt. Die längst umfangreich belegte enge Verflechtung von partizipierender und profitierender Bevölkerung, Privatwirtschaft, Wehrmacht, Polizei und SS und der weitverbreitete Antisemitismus werden ignoriert oder geleugnet. Daneben stehen Versuche, jenseits der Ergebnisse geschichtswissenschaftlicher Forschungen, auch die Opferzahlen in Frage zu stellen.

Deutschland wird derweil als das eigentliche Opfer der Geschichte gezeichnet. Stetig drohende Zerstörung und ein in die Enge gedrängtes Volk bilden dabei die Säulen des Narrativs. Das nationalsozialistische Deutschland wird als Spielball anderer Mächte und historisch-politischer Konstellationen beschrieben, nahezu frei von eigenen geopolitischen Zielsetzungen. In der „Sezession“ findet sich zahlreich die offene Parallelisierung zwischen Holocaust auf der einen und Ereignissen, von denen Mitglieder der „Volksgemeinschaft“ betroffen waren, auf der anderen Seite. Systematisch wird sich bemüht, sie und nicht die NS-Verbrechen als die eigentlichen Kernereignisse des Zweiten Weltkriegs darzustellen. Das Jahr 1945 und seine Deutung als Katastrophe dienen dabei als wesentliche Anknüpfungspunkte. Das Schicksal in die Sowjetunion verbrachter deutscher „Zwangsarbeiter“ sei wesentlich grausamer gewesen als jenes der „Ostarbeiter unter Hitler“. Allein schon die Personalisierung „Hitler“ und die begriffliche Verkehrung der „Zwangsarbeiter“ lassen hier aufhorchen. Diese Strategie der Umschreibung zieht sich durch viele Darstellungen in der „Sezession“. Damalige Verbrechen gegen Deutsche im Osten würden den Tatbestand des „Völkermordes“ erfüllen, in der Tschechoslowakei seien „Pogrome“ gegen die deutsche Bevölkerung zu einem Volkssport geworden, zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Polen errichtete Lager müssten als „Vernichtungslager“ bezeichnet werden und schlussendlich seien es die Deutschen gewesen, die zum Opfer der „größten ethnischen Säuberung der Weltgeschichte“ wurden. Zusammenfassend wird behauptet, vielen Deutschen sei kaum etwas von dem erspart worden, was als spezifische Eigentümlichkeit von Nationalsozialismus und Konzentrationslagern gelte.

Solche geschichtsrevisionistischen Positionen werden auch zur Deutung gegenwärtiger gesellschaftlicher Prozesse und tagespolitischer Ereignisse herangezogen. Unter der alten Legende einer angestrebten Zerstörung Deutschlands wird die neurechte Ideologie eines durch Migration umgesetzten Bevölkerungsaustausches als Fortsetzung der nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Alliierten begonnenen Neustrukturierung und Reeducation gedeutet. Während der zuvor von Deutschland ausgehende Krieg in den Darlegungen ebenso wenig betrachtet wird wie die im Rahmen von Vernichtungskrieg und Generalplan Ost erstrebte rassistische Neuordnung sowjetischer Gebiete, wird nun Deutschland als gegenwärtiges Opfer von Austausch und Siedlungsprojekten gezeichnet, eingebunden in ein Europa, dem ein gezielt herbeigeführter Kollaps der Sozialstaaten drohe. Ein Szenario, das der „Sezession“ mit dem Begriff „Zivilisationsbruch“ – durch den Historiker Dan Diner für den Holocaust geprägt – als treffend umschrieben gilt. „Globalistische Eliten“, „Globalisten“ oder „finanziell und politisch potente Persönlichkeiten“ seien es, die diesen Austausch gezielt forcieren würden. Diese antisemitischen Codierungen werden konkretisiert, indem der US-amerikanische Philanthrop und Investor George Soros als einer ihrer Vertreter genannt wird, welcher für verschwörungsideologische Kreise eine beliebte Projektionsfläche geworden ist.

Doch nicht nur der kritische Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus ist dem Angriff der Neuen Rechten ausgesetzt. Dieser richtet sich auch gegen die Disziplin der Zeitgeschichte im Allgemeinen, der sie einen maßgeblichen Anteil an der Niederhaltung Deutschlands zuschreibt. Für sie ist eine Kehrtwende in der Geschichtsschreibung und der Geschichtsvermittlung von existentieller Bedeutung für die Erhaltung der deutschen Nation. Sie sollen nicht länger ein kritisches Geschichtsbewusstsein ermöglichen, sondern für die Nation begeistern und eine Identifizierung mit dem eigenen „Volk“ ermöglichen. Mythologisierung der Nation und nationaler Vorbilder und eine Rückkehr zum Narrativ der die Geschichte gestaltenden großen Männer werden als dringende Aufgabe gesehen, um deutsche Geschichte wieder als eine heldenhafte Vergangenheit der Vorfahren und des eigenen Volkes zu zeichnen. „Volk“ wird dabei als eine ethnisch, biologisch und kulturell homogene Herkunftsgemeinschaft konstruiert, deren Homogenität unbedingt erhalten bzw. wiedererlangt werden muss. Durch Mythen sollen emotionale Anschlussmöglichkeiten geschaffen werden, durch welche die Angehörigen des Kollektivs sich einer in ihnen wirkenden völkischen Kontinuität gewahr werden sollen, um durch die Geschichte gegebene Aufträge zu erfüllen. Geschichtsvermittlung soll nicht selbstbestimmte Aufklärung sein, nicht zu Kritik, selbstbestimmter politischer Handlungsfähigkeit und Selbstreflexion befähigen. Nicht das Individuum zählt, sondern seine Eingliederung in die Heldengeschichte des eigenen Volkes. Für die Neue Rechte ist Geschichtsvermittlung die Affirmation der „Volksgemeinschaft“ und ein Instrument ihrer revisionistischen Volksgemeinschaftsmythologie.

Mit steigendem Einfluss völkischer Kräfte nicht nur in den Parlamenten erhalten diese Zielsetzungen weitere Brisanz. Es ist keineswegs überraschend, dass Abgeordnete der thüringischen AfD immer wieder versuchen, ihre geschichtsrevisionistischen Strategien und Tabubrüche auch durch physische Präsenz bei Veranstaltungen auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald zu unterstreichen. Ein Versuch, den die Stiftung und ihre Mitarbeiter:innen bislang verhindern konnten. Die Anforderungen an Gedenkstätten und Bildungsorte werden sicherlich dennoch, auch angesichts von Breite und Intensität neurechter Bemühungen um Diskursverschiebungen, weiter zunehmen. Damit die neurechten Wünsche nach einer erinnerungspolitischen „Wende um 180 Grad“, nach Wiederbelebung mythisch-völkischer Geschichtsdeutungen und nach Erneuerung der Volksgemeinschaft sich nicht erfüllen, braucht es auf allen gesellschaftlichen Ebenen durchdachte Strategien – und die klare Haltung, dass die Bildung eines kritischen Geschichtsbewusstseins ein Grundpfeiler der emanzipatorischen Weiterentwicklung einer Gesellschaft ist.

Der Historiker Timo Galki, Mitarbeiter in der Bildungsabteilung der Gedenkstätte Buchenwald, hat in seiner Masterarbeit die Artikel der neurechten Zeitschrift „Sezession“ unter die Lupe genommen.

Axel Doßmann (Hg.), Volkhard Knigge, Geschichte als Verunsicherung. Konzeptionen für ein historisches Begreifen des 20. Jahrhunderts, Göttingen 2020.

 

Norbert Frei, 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München 2009.

 

Timo Galki, Reeducation, Vergangenheitsbewältigung und die Neue Rechte. Die Zeitschrift ‚Sezession‘ und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik, Jena 2017 (Masterarbeit).


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