Stiftung

Geschichte begreifen – für die Zukunft handeln.

Die Stiftung vor neuen Aufgaben

Am 1. Oktober 2020 habe ich, nachdem ich von 2001 und 2014 bereits die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora geleitet hatte, die Leitung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora übernommen. Zuvor war ich sechs Jahre lang Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, zu der u. a. die Gedenkstätte Bergen-Belsen gehört. Was seit 1994, als mein Vorgänger Volkhard Knigge sein Amt antrat, in der Stiftung geleistet wurde, verdient Dank und Anerkennung. Acht neue Dauerausstellungen wurden erarbeitet (1995 und 2016 KZ Buchenwald, 1995 und 2006 KZ Mittelbau-Dora, 1997 Speziallager Nr. 2 Buchenwald, 1999 Geschichte der Gedenkstätte Buchenwald, 1998 und 2013 Kunstausstellung Buchenwald), in beiden Gedenkstätten wurde das Gelände der ehemaligen Lager neu erschlossen und gekennzeichnet, es wurde Grundlagenforschung sowohl zur Geschichte der Konzentrationslager als auch des sowjetischen Speziallagers und zur Präsentationsgeschichte nach 1945 betrieben, die Sammlungen wurden erschlossen und zahlreiche Publikationen vorgelegt. Vor allem aber ist es Volkhard Knigge und den Mitarbeiter:innen der Stiftung gelungen, die Gedenkstätten von der ideologisch verzerrten Präsentation der Geschichte zu Zeiten der DDR über die heftigen geschichtspolitischen Deutungskämpfe der 1990er-Jahre zu reflexiven Gedenk- und Lernorten zu entwickeln, die von der Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit respektiert werden, weil sie immer wissenschaftlich begründet und mit einem klaren ethischen Kompass agieren. Nur so war und ist es möglich, sowohl an die Opfer des NS-Terrors als auch an die Insassen des sowjetischen Speziallagers Buchenwald zu erinnern, ohne historische Unterschiede zu verwässern, Kontexte auszublenden und das Leid der einen gegen das der anderen auszuspielen. Dass das gelungen ist, zeigt nicht zuletzt das enge und vertrauensvolle Verhältnis, das die Stiftung zu ehemaligen Häftlingen sowohl der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora als auch des Speziallagers Buchenwald aufgebaut hat.

2020/21 agieren die Gedenkstätten in einem vierfachen Transformationsprozess: Zum einen ist mittlerweile das seit den 1990er-Jahren angekündigte Ende der Zeitzeugenschaft nun wirklich gekommen: Es gibt kaum noch jemanden, der als Zeuge über die Verbrechen berichten kann. Auch für die Adressaten dieser Berichte, jugendliche Gedenkstättenbesucherinnen und -besucher, rückt die Zeit des Nationalsozialismus immer weiter weg. Sie erleben den oftmals vorgetragenen Appell, sich an etwas „erinnern“ zu sollen, was selbst ihre Großeltern nicht mehr unmittelbar erlebt haben, als moralisch aufgeladene Überforderung. Man sieht förmlich den erhobenen Zeigefinger: „Erinnert Euch!“ Zweitens hat sich seit einigen Jahren das politische Klima in Deutschland und Europa mit dem Erstarken rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien deutlich geändert. Gedenkstätten sind zunehmendem Geschichtsrevisionismus ausgesetzt – eine Herausforderung, auf die sie reagieren müssen. Drittens verändert die Digitalisierung die Wissensaneignung und die Meinungsbildung in der Gesellschaft radikal. Auch das erfordert neue Bildungskonzepte und -formate. Viertens leben wir in einer Migrationsgesellschaft. Viele Besucher:innen von Gedenkstätten haben keinerlei persönlichen oder familiären Bezug zur NS-Zeit oder zur DDR, sehr wohl aber eine Verfolgungserfahrung in anderen Ländern. Um erfolgreich arbeiten zu können, werden sich Gedenkstätten auch mit anderen Gesellschafts- und Regimeverbrechen auseinanderzusetzen haben, ohne deutsche Verbrechen insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus zu relativieren und ihre Opfer zu instrumentalisieren.

 

Aus den genannten Herausforderungen ergeben sich drei Aufgaben der Stiftung für die kommenden Jahre:

Moralische Appelle à la „Du sollst Dich erinnern“ verpuffen bei Jugendlichen wirkungslos, wenn sie keine Anknüpfungsmöglichkeiten für das eigene Leben bieten, oder, schlimmer noch, sie lösen Abwehrreflexe aus. „Erinnerung“ sollte deshalb durch Reflexion ersetzt werden. Erkenntnis ist das Ziel, nicht Bekenntnis. Erkenntnis gewinnt man aber nur durch eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte – was deutlich mehr ist, als nur um die Opfer zu trauern, ohne zu fragen, was die Täter antrieb, und sich im Schnelldurchlauf durch eine Gedenkstätte schleusen zu lassen. Wer sich intensiv mit der Geschichte auseinandersetzt, fragt nach dem Warum, bringt Zeit mit und erkennt im Sinne eines reflexiven Geschichtsbewusstseins die historische Bedingtheit des eigenen Lebens. Konkret bedeutet das für die Gruppenbetreuungen in den Gedenkstätten, dass die intensiven Formate ausgebaut werden müssen, also Tages- und Mehrtagesprojekte. Sie bieten die Möglichkeit, sich in Kleingruppen nach der Methode des forschenden oder entdeckenden Lernens intensiv mit spezifischen Themen auseinanderzusetzen. Konkret wird dies bedeuten, dass auch diejenigen, die das zeitliche Mindestangebot buchen, zukünftig länger in den Gedenkstätten verweilen werden: Die Mindestdauer pädagogischer Gruppenbetreuungen wird von zwei auf drei Stunden erhöht. Das bedeutet, dass insgesamt möglicherweise weniger Menschen betreut werden können, diese dann aber deutlich intensiver. Qualität und Nachhaltigkeit gehen vor kurzlebiger Quantität. Voraussetzung ist, dass es gelingt, das Raum- und Personalangebot vor Ort zu verbessern.

Thematisch sind die Betreuungsangebote der Bildungsabteilung der Stiftung bereits breit aufgestellt. In Zukunft sollen vor allem solche Angebote verstärkt und ausgebaut werden, die Handlungsorientierung und Aktualitätsbezüge beinhalten. Dazu gehören das Thema Widerstand und Selbstbehauptung auf Seiten der Verfolgten sowie die Frage nach Handlungsoptionen und Handlungsmotiven auf der Seite von Täter:innen, Zuschauer:innen und Profiteur:innen. Deutliche Anknüpfungspunkte an die Gegenwart bietet die Frage nach der Funktionsweise der NS-Gesellschaft – einer Gesellschaft, die radikal rassistisch organisiert war und auf zwei Säulen basierte: Integrationsangebote mit Verheißungen der Ungleichheit für die propagierte „Volksgemeinschaft“ auf der einen Seite und Ausgrenzung, Verfolgung und am Ende häufig Ermordung derjenigen, die nicht dazu gehörten, auf der anderen Seite.

Wenn von Gruppenbetreuungen in den Gedenkstätten die Rede ist, denken viele an erster Stelle an Schulklassen oder andere Jugendgruppen, und tatsächlich stellen diese auch den größten Teil der betreuten Gruppen. Dabei wird aber bisweilen übersehen, dass die Gedenkstätten auch Angebote für Erwachsenengruppen bereithalten, etwa für Polizist:innen. Diese zielgruppenspezifischen Angebote für bestimmte Berufsgruppen, etwa auch Angehörige von Justiz, Verwaltung und Militär, sollen weiter ausgebaut werden. Auch Senior:innen sind eine wichtige Zielgruppe, die jedoch von den Gedenkstätten bislang noch nicht wirklich „entdeckt“ wurden. Und schließlich gibt es die wachsende Zahl von Migrant:innen und Geflüchteten, von denen viele nicht nur eigene Verfolgungserfahrungen, sondern auch spezifische Sozialisierungen mitbringen, die bei der Erarbeitung neuer Methoden und Inhalte in der Bildungsarbeit berücksichtigt werden müssen. Lange nicht mitgedacht wurden bei der Erarbeitung von Ausstellungen und Bildungsformaten in den Gedenkstätten Bildungsbenachteiligte und Menschen mit Lernbehinderungen. Umso erfreulicher ist es, dass seitens der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien im Herbst 2020 ein mehrjähriges Modellprojekt zur Erarbeitung inklusiver Bildungsformate bewilligt wurde. Das Projekt startete im November 2020 mit einem engagierten Team, das sowohl in Buchenwald als auch in Mittelbau-Dora arbeitet. Auch dieses Projekt hat das Ziel, gesellschaftliche Vielfalt anzuerkennen und Bildungsschranken abzubauen.

Die Digitalisierung bedeutet in doppelter Hinsicht eine große Herausforderung für die Gedenkstätten. Zum einen bieten die Digitalisierung von Sammlungen und die digitale Erfassung von Lagertopographien und deren Relikten eine unglaubliche Verbesserung der Forschung und Beweissicherung zur Geschichte der historischen Orte. Hinzu kommen neue Möglichkeiten der Visualisierung und Vermittlung, etwa durch Virtual oder Augmented Reality. Zum anderen findet die Wissensaneignung und Meinungsbildung mittlerweile überwiegend im Internet und in Social Media statt – mit dem Ergebnis, dass seriöse Inhalte von Falschinformationen verdrängt zu werden drohen: Fake History macht sich im Netz breit. Dem müssen die Gedenkstätten wissenschaftlich fundierte, seriöse Informationen entgegenstellen, etwa in Form von Video-Tutorials, vor allem aber mit der kontextualisierenden Online-Präsentation der dokumentarischen Evidenz: Ziel ist es dabei nicht, möglichst viele historische Quellen „ins Netz zu stellen“, sondern sie historisch einzuordnen und für das digitale forschende Lernen nutzbar zu machen (auch hier geht Qualität vor Quantität). Dazu gehört auch, dass in den Bildungsformaten der Gedenkstätten neben der „klassischen“ Quellenkritik zusätzlich Medienkompetenz vermittelt wird.

Nachdem die Stiftung bereits vor mehreren Jahren einen Teil der Fundstücke aus den Lagergeländen, die Fotoarchive und die Totenbücher zu den Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie zum Speziallager Buchenwald online gestellt hat, soll im laufenden Jahr ein von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien sowie vom Freistaat Thüringen gefördertes Modellprojekt zur Digitalisierung der Sammlung starten. In dem Kooperationsprojekt mit der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten sollen in den kommenden drei Jahren ausgewählte Bestände nicht nur digital erfasst, sondern auch in 3D gescannt und online zugänglich gemacht werden.

Auch die Social-Media-Angebote der Stiftung werden ausgebaut. Der bereits bestehende Facebook-Auftritt wurde durch einen Twitter-Account ergänzt. Auch Vimeo- und Youtube-Kanäle werden als Angebot ausgebaut. Zusätzlich wird es in Zukunft auch thematische Blogs geben. So engagieren sich hier unsere Freiwilligen, und seit dem 1. Januar 2021 findet sich auf der Seite liberation.buchenwald.de der Blog #otd1945 – gewissermaßen ein Countdown bis zum Jahrestag der Befreiung der Lager: An jedem Tag werden dort historische Ereignisse aus oder um die Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora vor 76 Jahren beschrieben und über die Social-Media-Accounts der Stiftung weiter verbreitet. Zudem werden auch die „klassischen“ Web-Angebote der Stiftung modernisiert: Noch 2021 soll eine komplette Überarbeitung der Website erfolgen. Schließlich wird im April 2021 eine Online-Ausstellung zum Thema „Jugend im KZ Buchenwald und Mittelbau-Dora“ freigeschaltet, die in Zusammenarbeit mit Studierenden der Universität Jena erarbeitet wird.

Seit einigen Jahren lässt sich in Gedenkstätten beobachten, dass Besucher:innen Positionen, die die NS-Verbrechen verharmlosen, relativieren oder sogar leugnen, deutlich häufiger und zugleich offensiver artikulieren, als dies früher der Fall war. Auch die Störung und Instrumentalisierung von Gedenkveranstaltungen durch Rechte nimmt zu. Auffällig sind zudem die vielen geschmacklosen NS-Vergleiche durch Gegner:innen der Corona-Schutzmaßnahmen, seien es gelbe Davidsterne mit dem Schriftzug „ungeimpft“ oder die Behauptung, man werde verfolgt wie Anne Frank. Solche Vergleiche verhöhnen nicht nur die Opfer, sondern bagatellisieren den NS-Terror.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig. Eine ganz entscheidende Rolle spielt neben der Zunahme von Desinformation im Netz sicherlich der Aufstieg der Neuen Rechten, insbesondere der AfD, die mittlerweile in fast jedem deutschen Parlament vertreten ist. Die Neue Rechte grenzt sich zwar formal vom Nationalsozialismus und neonazistischen Parteien wie der NPD ab, bleibt aber demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Kernelementen der „konservativen Revolution“ der 1920er-Jahre verbunden. Dazu gehört insbesondere auch der Versuch, die deutsche Geschichte in eine nationale Erfolgserzählung umzudeuten, die den Nationalsozialismus mindestens weichzeichnet und die NS-Verbrechen kleinredet oder sogar leugnet. Alexander Gauland bezeichnete den Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte und Björn Höcke greift die Gedenkstätten und ihre Bedeutung für das Selbstverständnis der Bundesrepublik frontal an, wenn er eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert. Von ihm und seinen Epigonen wird die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen folgerichtig immer wieder als „Schuldkult“ diffamiert. Solche Angriffe auf die Erinnerungskultur der letzten Jahrzehnte, die teils aus den Parlamenten heraus erfolgen, haben ein politisches Ziel: die Aushöhlung des solidarischen Miteinanders in einer demokratischen Gesellschaft und die Ausgrenzung all jener, die nicht den völkischen Vorstellungen der Rechtsextremen entsprechen. Neben dem Aufstieg der AfD spielt dabei sicherlich auch der zunehmende zeitliche Abstand zum Zweiten Weltkrieg eine Rolle. Es schwindet das Bewusstsein dafür, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit grundlegend ist für unsere demokratische Selbstverständigung. Zwar wird der Holocaust von den meisten Deutschen nicht in Zweifel gezogen, viele halten ihn jedoch für eine abgeschlossene Geschichte ohne große Bedeutung für die Gegenwart. Zudem gibt es kaum noch Zeitzeugen der NS-Verbrechen; die moralische Autorität der Überlebenden, die in den vergangenen Jahrzehnten immer ein Korrektiv gegenüber nach rechts abdriftenden politischen Entwicklungen war, lässt nach und wird in wenigen Jahren überhaupt keine Rolle mehr spielen.

Wie sollen Gedenkstätten auf diese Herausforderungen reagieren? Zunächst einmal gilt es, die etwas eingestaubte und bisweilen in Pathos und Entlastungsnarrativen erstarrte Erinnerungskultur zu erneuern. Wenn wir aus der Geschichte des Nationalsozialismus etwas lernen wollen, reicht es nicht, nur um die Opfer zu trauern. Sicherlich: Im Zentrum des Gedenkens im Sinne der Würdigung der von den Nationalsozialisten Verfolgten und Ermordeten stehen die Opfer. Ihre Schicksale verdeutlichen, was es bedeutet, entmenschlicht, ausgegrenzt und verfolgt zu werden. Zeitgemäße Gedenkstättenarbeit im Sinne historisch-politischer Bildung muss aber viel stärker als bisher auch die Täter:innen, Profiteur:innen und Zuschauer:innen in den Blick nehmen und sich mit der Frage ihrer Motivationsstruktur auseinandersetzen. Vor allem muss sie fragen, wie in der NS-Gesellschaft das Wechselspiel zwischen der Ausgrenzung von politisch oder rassistisch Unerwünschten auf der einen und Integrationsangeboten an die propagierte „Volksgemeinschaft“ auf der anderen Seite funktionierte: Die Geschichte der Verfolgungsorte und Mordstätten muss eingebettet werden in die Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus. Das bedeutet, dass wir den Blick auch auf die Frühphase des Nationalsozialismus und auf die Topographie des Terrors lenken müssen: Buchenwald und Mittelbau-Dora waren keine isolierten Orte. Mit ihren Außenlagern reichten sie in den letzten Winkel Mitteldeutschlands, und sie waren eingebunden in ein Netzwerk anderer Stätten von Verfolgung und Mord: Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlager, Stätten des Krankenmordes, Gefängnisse, Gestapo-Zentralen. Das Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, das die Stiftung 2023 im ehemaligen Gauforum in Weimar eröffnen wird, soll sein Augenmerk auf genau diesen Zusammenhang legen und die Geschichte der Konzentrationslager um diese aus heutiger Sicht so wesentlichen Aspekte ergänzen.

Die Frage nach der Funktionsweise der NS-Gesellschaft zeigt, dass vielfach Faktoren für das breite Mitmachen im Nationalsozialismus verantwortlich waren, die als nicht genuin nationalsozialistisch bezeichnet werden können und – jenseits falscher historischer Analogien – auch heute ihre Wirkung entfalten: mediale Kriminalisierungsdiskurse gegenüber Ausgegrenzten etwa oder auch Gewöhnung an Gewalt, das emotionale Angebot, dazuzugehören, Verheißungen der Ungleichheit, autoritäres Denken und die Ablehnung alles vermeintlich „Fremden“. Sich damit historisch fundiert auseinanderzusetzen, hat ein großes handlungsorientierendes, in die Gegenwart gerichtetes, didaktisches Potential. Damit ist der immer wieder geforderte Aktualitätsbezug der Gedenkstättenarbeit hergestellt, und es sollte auch jungen Menschen deutlich werden, was die Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen für unsere heutige demokratische Selbstverständigung bedeutet. Wer geschichtsbewusst auf die Gegenwart blickt, kann nicht nur, sondern muss sich deshalb auch aus den Gedenkstätten heraus Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus und Verschwörungslegenden entgegenstellen. Dazu gehört, der Normalisierung rechtsextremer, antidemokratischer und geschichtsrevisionistischer Diskurse durch historische-politische Interventionen im öffentlichen Raum entgegenzuwirken. Solche Diskurse sind nicht einfach eine andere Meinung, über die man diskutieren kann, sondern sie stellen als Angriffe auf die reflexive Erinnerungskultur eine wesentliche Grundlage unseres demokratischen Miteinanders in Frage. Hier ist es besser, klare Kante zu zeigen. Der Ausschluss von Geschichtsrevisionist:innen, etwa in der AfD, von Gedenkveranstaltungen ist ein Mittel, solche Positionen nicht weiter durch ihre Duldung demokratisch zu legitimieren und gesellschaftsfähig zu machen – auch wenn sich die Provokateure danach als Opfer angeblicher Ausgrenzung inszenieren. Denn das tun sie ja sowieso.

Um die skizzierten Herausforderungen meistern zu können, braucht die Stiftung nicht nur Unterstützung aus der Politik, sondern auch aus der Gesellschaft. Gedenkstättenarbeit kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie gesellschaftlich verankert ist. Deshalb sind wir dankbar für die großartige Hilfe durch den Förderverein Buchenwald und den Verein Jugend für Dora. Unsererseits wollen wir alles dafür tun, das bürgerschaftliches Engagement zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen gestärkt wird. Gleichwohl ist die gesellschaftliche Verankerung der Stiftung zu stärken und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte, die wir in den Gedenkstätten leisten, ein wichtiger Beitrag für das friedliche und demokratische Zusammenleben in der Gesellschaft ist. Wir werden uns künftig noch stärker in Debatten einbringen. Diesem Ziel dient auch eine neue Publikationsstrategie, deren Ergebnis auch das vorliegende Magazin ist. Zudem ist eine Schriftenreihe für wissenschaftliche Arbeiten in Kooperation mit dem Göttinger Wallstein-Verlag in Planung, auch die Online-Kanäle der Stiftung werden ausgebaut. Wir möchten wissenschaftliche und geschichtspolitische Debatten begleiten und anstoßen. Unser Ziel ist es, historisches Urteilsvermögen und ein reflexives Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft zu stärken – und uns alle zu befähigen, uns fundiert ein eigenes Urteil über die Geschichte und damit immer auch zu der Frage zu bilden, wie wir in Zukunft leben wollen.

Der Historiker Jens-Christian Wagner ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.


var _paq = window._paq = window._paq || []; /* tracker methods like "setCustomDimension" should be called before "trackPageView" */ _paq.push(['trackPageView']); _paq.push(['enableLinkTracking']); (function() { var u="https://matomo.buchenwald.de/"; _paq.push(['setTrackerUrl', u+'matomo.php']); _paq.push(['setSiteId', '21']); var d=document, g=d.createElement('script'), s=d.getElementsByTagName('script')[0]; g.async=true; g.src=u+'matomo.js'; s.parentNode.insertBefore(g,s); })();