Schwerpunkt: Neue Rechte und Geschichtsrevisionismus

Verheißungen der Ungleichheit in der Leistungsgemeinschaft

Geschichte und Gegenwart des Konzepts der „Volksgemeinschaft“

„Das Ziel der Deutschen Arbeitsfront ist die Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen. Sie hat dafür zu sorgen, dass jeder einzelne seinen Platz im wirtschaftlichen Leben der Nation in der geistigen und körperlichen Verfassung einnehmen kann, die ihn zur höchsten Leistung befähigt und damit den größten Nutzen für die Volksgemeinschaft gewährleistet.“

Adolf Hitler, Verordnung über Wesen und Ziel der Deutschen Arbeitsfront, 24. Oktober 1934

Nationalsozialistische Gesellschaftsentwürfe waren zu einem großen Teil von Verheißungen getragen. Zum einem wurde immer wieder auf die Realisierung der NS-Utopien in der nahen Zukunft verwiesen, zum anderen wurden viele Praktiken im Konsumbereich wie im Arbeitsleben als Vorgriff auf die Zukunft inszeniert. Das gilt für die Volksprodukte und die Reisen der Organisation Kraft durch Freude, die nur eine kleine Minderheit aus eigener Erfahrung kannte, die aber als Beweis für die bereits begonnene Realisierung der Zukunftsvisionen wirkten. Einer breiten Masse der Deutschen galten diese Zukunftsversprechen mithin als durchaus glaubwürdig. Vergleiche zwischen einst und jetzt waren vor allem im Arbeitsalltag omnipräsent, Wettkämpfe um die Auszeichnung als „NS-Musterbetrieb“ oder die Ernennung von „Pionieren der Arbeit“ sollten immer wieder vor Augen führen, dass einzelne Vorreiter bereits die Transformation der Gegenwart hin zur utopischen NS-Volksgemeinschaft in Angriff genommen hätten. Im Zentrum dieser Zukunftsentwürfe stand das NS-Konzept der Volksgemeinschaft: Ganz alltäglich, vor allem am Arbeitsplatz, erlebten viele Deutsche solche Verheißungen. Diese Volksgemeinschaft war jedoch keineswegs ein egalitäres Konzept. Wie zu zeigen sein wird, waren es gerade Verheißungen der Ungleichheit, die einen großen Teil ihrer Attraktivität ausmachten. Damit ist nicht nur auf das seit Detlev Peukerts wichtiger Studie sehr bekannte Gegensatzpaar zwischen „Volkgenossen und Gemeinschaftsfremden“ samt ihrer rassistischen Ausschlüsse verwiesen1, sondern auch und gerade auf Binnendifferenzen innerhalb der Gruppe der „Volksgenossen“. Die Volksgemeinschaft war genuin als eine Leistungsgemeinschaft konzipiert, die soziale Unterschiede nicht nur akzeptierte, sondern sogar gezielt ausbauen wollte, weil sie einen wichtigen Kern des ideologischen Konzepts ausmachten. Wenn wir uns diesen ideologischen Kern des Nationalsozialismus vor Augen führen, wird sehr deutlich, warum gerade die Volksgemeinschaft so attraktiv für die Neue Rechte, für eine Partei wie die AfD und ihre ideologischen Vorfeldorganisationen ist: Die Volksgemeinschaft war ein inhärentes Zukunftsversprechen des historischen Nationalsozialismus. Die gegenwärtigen Vertreter der neuen Rechten aktualisieren diese vergangenen Zukunftsentwürfe und operieren dabei in einer beachtlichen Nähe sowohl zum Konzept als auch zur Sprache der historischen Vorreiter.

Die neuere Forschung hat gezeigt, dass es wenig ertragreich ist, eine Ideengeschichte der Volksgemeinschaft zu schreiben. Sie könnte nur noch wenig Neues zutage fördern. Stattdessen gilt es, soziale Praktiken der NS-Zeit aufzuspüren: Zum einen bestehen im Bereich der Alltagsgeschichte immer noch Desiderata, zum anderen lässt sich im Sinne einer Geschichte der Gegenwart durch einen Blick auf alltägliche historische Praktiken viel besser ergründen, auf welche Weise von bestimmten, vermeintlich unideologischen Elementen des Nationalsozialismus auch nach 1945 noch eine beträchtliche Attraktivität ausging. Diese Alltagspraktiken wurden und werden nämlich in der Regel nicht als genuin nationalsozialistisch identifiziert. Zudem lässt sich „Volksgemeinschaft“ als etwas verstehen, das von unten prozessual hergestellt wurde. Dies war ein wichtiges Element innerhalb der NS-Herrschaftsstrategie, sozialen Konsens zu erzeugen. Die Volksgemeinschaft als Leistungsgemeinschaft war fundamental für die NS-Gesellschaft. Ganz grundlegend war bereits die Geschlechterpolitik nicht im eigentlichen Sinne reaktionär, sondern vielmehr eine spezifische alternative Antwort auf die Moderne, die die liberalen oder progressiven Werte der Moderne negierte. Vorherrschend waren die Vorstellung und die Praxis von „Ehe und Familie als Leistungsgemeinschaft“ auf der Grundlage einer vermeintlich natürlichen Arbeitsteilung2. Im Folgenden soll vor allem der Bereich der außerhäuslichen Erwerbsarbeit als ideelles und praktisches Zentrum der NS-Gesellschaft in den Blick genommen werden.

Im Bereich der Arbeit zeigte sich die Wirkmächtigkeit der „Inklusionsversprechen der Nationalsozialisten“3: Die rassistischen Exklusionen schufen in Zusammenwirken mit dem Rüstungsboom Aufstiegschancen für die Mehrheit der Deutschen, die zur NS-Volksgemeinschaft gehörten, weil sie nicht von der nationalsozialistischen Verfolgung betroffen waren. Darin lässt sich die Grundlage dafür sehen, dass Ungleichheiten innerhalb der Gruppe der „Volksgenossen“ prinzipiell weitgehend akzeptiert wurden: Es gab schlicht mehr zu verteilen, auch für diejenigen, die nicht besonders erfolgreich im vermeintlichen „Leistungskampf“ waren. Dieser Aspekt wurde von der Forschung deutlich herausgearbeitet. Darüber hinausgehend erscheint es mir ausgesprochen wichtig, die inhärente Attraktivität von Verheißungen der Ungleichheit im Nationalsozialismus stärker zu betonen. Die zunehmende interne Hierarchisierung innerhalb der jeweiligen „Betriebsgemeinschaft“ implizierte ein Aufstiegsversprechen. Dabei wird deutlich, dass der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung die gleichen Prinzipien zugrunde lagen wie der nationalsozialistischen Herrschaft: Die „Bildung von Konkurrenzgemeinschaften“4 lässt sich als grundlegendes Prinzip in beiden Bereichen feststellen. Anders als lange behauptet, konnte die dermaßen polykratisch aufgebaute Herrschaftsform eine beachtliche Effizienz entfalten – das gleiche gilt, zumindest in Ansätzen, für das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben.

 Tafel „Wir kämpfen um die Goldene Fahne“
Abb. 1: Tafel „Wir kämpfen um die Goldene Fahne“. Humboldt-Deutz, Köln, Juni 1940.
©Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv

Konkret lassen sich im Betriebsleben während des Nationalsozialismus zwei, sich gegenseitig ergänzende Strategien ausmachen, die selbstverständlich beide die direkt nach der Machtübernahme erfolgte gewalttätige Ausschaltung der Arbeiterbewegung zur notwendigen Voraussetzung hatten: Erstens erfolgte eine Differenzierung unter den Beschäftigten, also die gezielte Erzeugung von Ungleichheit innerhalb der vermeintlichen Betriebsgemeinschaft. Auf materieller Ebene wurden in vielen Betrieben Leistungslöhne eingeführt bzw. existierende Leistungslohnsysteme ausgeweitet. Die Lohnspreizung war ein wesentliches Ziel der NS-Betriebspolitik. Auf ideeller Ebene – oft durchaus verbunden mit materiellen Anreizen – wurden gleichermaßen gute und schlechte Arbeitsleistungen für die Kolleg:innen gut sichtbar ausgestellt. Beim Kölner Motorenhersteller Humboldt-Deutz zeigte während des „Leistungskampfes der deutschen Betriebe“ 1940 eine in der Kantine aufgehängte Tafel besonders positive Beispiele von einzelnen Beschäftigten, die dabei geholfen hätten, Arbeitskräfte zu sparen (Abb. 1). Hingegen prangerte eine andere Tafel diejenigen Abteilungen an, denen „Bummelschichten“ vorgeworfen wurde (Abb. 2). Ganz explizit ging es hier um eine Betriebspolitik der Sichtbarmachung von Leistungsunterschieden innerhalb der „Betriebsgemeinschaft“.

Tafel „Bummelschichten sichtbar gemacht“
Abb. 2: Tafel „Bummelschichten sichtbar gemacht“. Humboldt-Deutz, Köln, Juni 1940.
©Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv

Zweitens gab es im gleichen Kölner Betrieb eine gezielte Schaffung von Freiräumen für vermeintliche Leistungsträger. Ausgewählte Facharbeiter wurden zu „Selbstkontrolleuren“ und „Selbstkalkulatoren“ ernannt und durften im Gegensatz zu der Mehrzahl ihrer (vor dem Krieg ausschließlich männlichen) Kollegen die Qualität ihrer Arbeitsprodukte und sogar ihren Akkord selbst festlegen (Abb. 3). Die SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“ feierte diese personalpolitische Maßnahme als „sittliches Leistungsprinzip“ und „verwirklichten Nationalsozialismus“ (5.1.1939). In einer späteren Ausgabe sah das gleiche Blatt darin sogar den Keim „jener wahren Volksgemeinschaft der Zukunft“ (11.5.1939). Für einen der tonangebenden NS-Arbeitsexperten begann mit dieser betrieblichen Innovation und einigen ähnlichen Maßnahmen zur gleichen Zeit nun, am Ende der 1930er-Jahre, die eigentliche „nationalsozialistische Leistungsauslese“. Leistung war für ihn auch in diesem Falle rassistisch grundiert. Die tatsächliche Arbeitsleistung offenbare Unterschiede innerhalb der „Volksgemeinschaft“: Bei den Selbstkontrolleuren und Selbstkalkulatoren seien „durchweg nordische und fälische Rassenmerkmale“ auszumachen5.

Ansicht einer Abteilung bei Humboldt-Deutz
Abb. 3: „Wir prüfen und kalkulieren selbst!“ Eine Abteilung bei Humboldt-Deutz, die zu Selbstkalkulatoren erklärt wurde, ca. 1938.
©Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv

Es handelte sich zwar um eine spezifische Maßnahme im Personalmanagement eines Betriebes, die allerdings nicht nur deutschlandweit (und sogar in den USA) rezipiert wurde, sondern auch in verschiedener Hinsicht beispielhaft für die NS-Gesellschaft war. Zum einen räumte sogar der Betriebsdirektor ein, dass die Initiative von unten ausging: Ein Arbeiter hatte ihn um die Befreiung von der Fremdkontrolle gebeten, weil er sie für ineffektiv hielt. Zum anderen entfaltete sich in der tatsächlichen Umsetzung der Maßnahme eine Dynamik der Differenzierung, wie sie exemplarisch für die NS-Volksgemeinschaft als Leistungsgemeinschaft war: In einem Versuchsstadium wurde eine ganze Abteilung des Betriebes zu Selbstkontrolleuren ernannt. Dieses Experiment wurde rasch abgebrochen, weil die Arbeitsleistung stark zurückging. Im Endergebnis setzte sich eine Politik der Hierarchisierung und Differenzierung innerhalb der „Betriebsgemeinschaft“ mit der Zielvorgabe der Leistungssteigerung durch. Die Abteilungen wurden neu zusammengesetzt; die meisten Arbeiter waren weiterhin der Fremdkontrolle ausgesetzt, während einzelne Kollegen in neue Abteilungen der „Selbstkontrolleure“ versetzt wurden.

Auch in zwei Thüringer Betrieben gab es vergleichbare Personalmaßnahmen. Bei der Globus Teppichfabrik in Triptis wurden 25 männliche Weber ausgewählt, deren Arbeitsplatz mit einer Plakette („Ich gehöre zur Globus-Wertarbeitsgemeinschaft“) gekennzeichnet wurde; im zeitgenössischen Jargon eines NS-Arbeitsexperten: „Die Mitglieder dieser Leistungsgemeinschaft werden äußerlich als ‚Besondere’ von den anderen herausgehoben“6. Sie konnten nun eigenverantwortlich die Qualität ihres Arbeitsprodukts mit einer „Wertarbeitsmarke“ bestätigen. Auch in diesem Betrieb wurde eine Verbindung zwischen der Differenzierung innerhalb der „Betriebsgemeinschaft“, der Stärkung der Eigenverantwortung der vermeintlich Leistungsstarken und einer daraus resultierenden Hebung des Leistungswillens hergestellt. Während solche umfangreichen personalpolitischen Maßnahmen wie in Triptis und Köln Ausnahmen blieben, die gleichwohl viel Aufmerksamkeit in der NS-Presse fanden, war der Uhrenhersteller Thiel im thüringischen Ruhla durchaus repräsentativ für die deutschen Unternehmen mit einer vor allem ideellen Differenzierung innerhalb der „Betriebsgemeinschaft“. Dort wurde in einem monatlichem Wettbewerb – ein zentrales Element der NS-Idee von der Leistungsgemeinschaft – jeweils der schönste Arbeitsplatz ausgezeichnet. Ein entsprechendes Schild sollte dann die Kolleg:innen anregen, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Ebenso repräsentativ wie diese Binnendifferenzierung innerhalb der „Betriebsgenossen“ war für die Betriebe während der NS-Zeit die Exklusion der „Gemeinschaftsfremden“: Die während des Krieges fortwährend steigende Zahl der ausländischen Zwangsarbeiter:innen bei Thiel gehörte a priori nicht zur Betriebsgemeinschaft.

Überhaupt war die Beschäftigung von Zwangsarbeiter:innen für die Attraktivität der NS-Volksgemeinschaft als Leistungsgemeinschaft nicht unerheblich. Die NS-Vision, deutsche Arbeiter von unqualifizierten Tätigkeiten zu befreien, war in eine Vorstellung einer künftig nach rassistischen Kriterien aufgebauten europäischen Gesellschaft eingebettet. Zum Teil wurde diese Vision bereits während des Krieges durch das System der Zwangsarbeit brutal umgesetzt. Eng mit diesen teilweise archaischen Formen der Zwangsarbeit verkettet war der Glaube an weiteren technischen Fortschritt: Ein Teil der harten körperlichen Arbeit sollte den deutschen „Betriebsgenossen“ durch moderne Technik, ein anderer durch ausländische Zwangsarbeiter:innen abgenommen werden. In extremer Zuspitzung fand die Hierarchisierung der Volksgemeinschaft als Leistungsgemeinschaft in der NS-Zivilgesellschaft ihre brutale Entsprechung in den Konzentrationslagern. Das Prinzip der Leistungsfähigkeit als Arbeitskraft führte hier zu einer permanenten dynamischen Selektierung innerhalb der Häftlinge. Auch hier lief die Kategorie der rassistischen Ausschlüsse quer zur Kategorie der Leistungsfähigkeit: Ihr Wert für die NS-Rüstungswirtschaft konnte jüdischen KZ-Häftlingen für eine Zeit vor dem Tod retten. Dennoch traf der Vernichtungsdruck sie auch in einer Situation des Arbeitskräftemangels weiterhin generell am stärksten.

Habbo Knoch hat darauf hingewiesen, dass die spezifische Anlage der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft als Leistungsgemeinschaft zentral für die Erklärung der Massenverbrechen sein kann. Die in dieser Gesellschaftsformation gezielt erzeugten „Allianzen kollektivierten Eigennutzes“ hätten die breite Basis für die „Bereitschaft zu Ausgrenzung, Zerstörung und Gewalt“ überhaupt erst mit hervorgebracht7. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – wurde der Zusammenhang zwischen den NS-Massenverbrechen und den Erfahrungen im Alltag der NS-Volksgemeinschaft nach 1945 in der deutschen Gesellschaft weitgehend ausgeblendet. Das liegt zum Teil daran, dass die nationalsozialistischen Vorstellungen einer Leistungsgesellschaft selbst auf die Rationalisierungskonzepte der 1920er-Jahre rekurrierten. Rüdiger Hachtmann hat auf den „spezifisch nationalsozialistischen Kriegsfordismus“ hingewiesen8, der sich viele Elemente vom amerikanischen Vorbild entlehnte, allerdings unter Verzicht auf das zentrale Element des Massenkonsums – schlicht weil es die ökonomischen Rahmenbedingungen nicht zuließen. Und auch der zweite amerikanische Pionier der Rationalisierung, Frederick Taylor, stand mit seinem Diktum, es gelte den richtigen Platz für den jeweiligen Arbeiter zu finden, Pate für die skizzierten NS-Maßnahmen zur Personalpolitik.

Insbesondere die Elemente des volksgemeinschaftlichen Denkens, die das Leistungsprinzip auf die beschriebene spezifische Weise förderten, wurden implizit im Nachkriegsdeutschland tradiert. Ihre Anschlussfähigkeit ist ein Teil der Erklärung für das Wiederaufgreifen des Konzepts von der NS-Volksgemeinschaft durch die Neue Rechte in unserer Gegenwart. Die besondere Attraktivität für heutige Rechtsextreme besteht darüber hinaus darin, dass es sich um eine Alternative zur liberalen Gesellschaft handelt, von der bereits vor 90 Jahren eine große Anziehungskraft ausging. Im skizzierten Sinne handelt es sich bei der NS-Volksgemeinschaft um den Entwurf einer alternativen illiberalen Leistungsgemeinschaft. Dieser Entwurf verspricht den Protagonist:innen der Neuen Rechten ein Einfallstor für Milieus darzustellen, die in den letzten Jahrzehnten kaum für sie erreichbar waren: Vulgär-liberale Denkschulen mit einer großen Nähe zum Sozialdarwinismus sind folglich bereits zum Teil zur illiberalen Version der Leistungsgemeinschaft übergelaufen.

Die theoretischen bzw. ideologischen Angebote müssen dabei nicht einmal originär Neues bieten. Ein gutes Beispiel gibt der Shooting Star der rechtsextremen Nachwuchsdenker:innen, der vom thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke gefeierte Benedikt Kaiser. Sein Entwurf eines „solidarischen Patriotismus“, den er bei Antaios, seinem Hausverlag, veröffentlichte, macht kaum einen Hehl aus der Nähe zum historischen Nationalsozialismus. Kaiser ist um Distanz zu Hitler bemüht, aber dessen innerparteilichen Gegner wie Strasser und die rechtsextremen Denker der Weimarer Republik sind explizite Vorbilder. Die „vielen gutgläubigen und wohlmeinenden NS-Anhänger“ gelten ihm eh als unschuldig9. Im Zentrum seiner Abhandlung steht dann sehr passend eine kaum veränderte Version der NS-Volksgemeinschaft: „‚Solidarischer Patriotismus‘ strebt nach einem konstruktiven, zukunftsfähigen Verständnis einer gehegten sozialen Marktwirtschaft im Zeichen einer solidarischen und patriotisch rückgebundenen Leistungsgemeinschaft“10. Interessant ist die Stoßrichtung der Darstellung: Kaisers Hauptgegner sind die Teile der AfD, die nur eine „leicht rechts gepolte FDP 2.0“ sein wollten11. Gegen diese „Meuthen-Storch-Akteure“ gelte es, eine „volksbezogene Politik“ durchzusetzen. Anders gesagt: Das Ziel scheint die endgültige Umwandlung der AfD in eine eindeutig neo-nazistische Partei im Wortsinne zu sein. Im Zentrum dieser Neuanpassung der historischen Ideologie an die Situation im 21. Jahrhundert steht interessanterweise ein kaum zu den 1930er-Jahren verändertes Konzept von der Volksgemeinschaft als Leistungsgemeinschaft.

Der Historiker Karsten Uhl habilitierte sich zur Geschichte der Technik und Arbeit im 20. Jahrhundert. Seit 2020 ist er Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Malte Thießen, In der Leistungsdiktatur. Arbeiten, Anderssein und Bessersein in der „Volksgemeinschaft“, in: Frank Becker u. Daniel Schmidt (Hg.), Industrielle Arbeitswelt und Nationalsozialismus. Der Betrieb als Laboratorium der „Volksgemeinschaft“ 1920-1960, Essen 2020, S. 13-27.

 

Dietmar von Reeken/Malte Thießen, „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis? Perspektiven und Potenziale neuer Forschungen vor Ort, in: Dies. (Hg.): „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis. Neue Forschungen zur NS-Gesellschaft vor Ort, Paderborn 2013, S. 11-33.

Fußnoten

1 Detlev J. K. Peukert, Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde: Anpassung, Ausmerze und Aufbegehren unter dem Nationalsozialismus, Köln 1982.

2 Riccardo Bavaj, Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus. Eine Bilanz der Forschung, München, 2003, S. 110f.

3 Frank Bajohr u. Michael Wildt (Hg.), Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2009, S. 362.

4 Habbo Knoch, Gemeinschaften im Nationalsozialismus vor Ort, in: Dietmar von Reeken u. Malte Thießen (Hg.), „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis. Neue Forschungen zur NS-Gesellschaft vor Ort, Paderborn 2013, S. 37-50, hier S. 46.

5 Franz Horsten, Die nationalsozialistische Leistungsauslese. Ihre Aufgaben im Bereich der nationalen Arbeit und praktische Vorschläge für ihre Durchführung (Schriften zum deutschen Sozialismus, H. 2) Würzburg-Aumühle 21939, S. 88, 116.

6 Franz Horsten, Leistungsgemeinschaft und Eigenverantwortung im Bereich der nationalen Arbeit und Grundgedanken über eine Neuordnung der deutschen Lohnpolitik (Schriften zum deutschen Sozialismus, H. 9), Würzburg-Aumühle 1941, S. 74.

7 Habbo Knoch, Gemeinschaften im Nationalsozialismus vor Ort, in: Dietmar von Reeken u. Malte Thießen (Hg.), „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis. Neue Forschungen zur NS-Gesellschaft vor Ort, Paderborn 2013, S. 37-50, hier S. 50.

8 Rüdiger Hachtmann, Arbeit und Arbeitsfront. Ideologie und Praxis, in: Marc Buggeln u. Michael Wildt (Hg.), Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S. 87-106, hier S. 89.

9 Benedikt Kaiser, Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts, Schnellroda 2020, S. 95.

10 ebd., S. 10.

11 ebd., S. 38.


var _paq = window._paq = window._paq || []; /* tracker methods like "setCustomDimension" should be called before "trackPageView" */ _paq.push(['trackPageView']); _paq.push(['enableLinkTracking']); (function() { var u="https://matomo.buchenwald.de/"; _paq.push(['setTrackerUrl', u+'matomo.php']); _paq.push(['setSiteId', '21']); var d=document, g=d.createElement('script'), s=d.getElementsByTagName('script')[0]; g.async=true; g.src=u+'matomo.js'; s.parentNode.insertBefore(g,s); })();