Buchenwald

Zur Erinnerung an Klaus Trostorff

12. November 1920 – 7. August 2015

Am 12. November 2020 wäre der ehemalige Häftling und langjährige Direktor der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald 100 Jahre alt geworden; er prägte ihre Institutionalisierung nachhaltig und legte damit auch Grundlagen für Entwicklungen nach 1989.

„Lasst Euch mal was einfallen“ – dazu forderte Klaus Trostorff Mitarbeiter:innen der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald (NMGB) auf, die sich mit Fragen und Problemen an ihn wandten. Unter den Bedingungen der staatlichen Planwirtschaft setzte er damit auf eine Stärkung der Eigenverantwortung. Auch sonst agierte der ehemalige Buchenwald-Häftling, seit 1969 Direktor an dem Traditionsort des DDR-Antifaschismus, nicht selten unkonventionell. Zwar blieb das von der Gedenkstätte öffentlich repräsentierte Buchenwald-Narrativ seit Ende der 1950er-Jahre in den großen Linien festgelegt; gleichzeitig beförderte Klaus Trostorff durch den institutionellen Ausbau und die fachliche Professionalisierung der Gedenkstätte seit Ende der 1960er-Jahre aber auch eine differenzierte Sicht auf die KZ-Geschichte.

Klaus Trostorff wurde am 12. November 1920 in Breslau als Sohn der Kindergärtnerin Margot, geborene Friedländer, und des Zimmermanns und späteren Opernsängers Fritz Trostorff geboren. Der Vater war Katholik, die Mutter Jüdin und SPD-Mitglied. Klaus Trostorff wuchs in einem weltoffenen Elternhaus auf. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933 litt die Familie unter der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Klaus Trostorff musste die Schule vor dem Abitur verlassen und ging bei einem jüdischen Kaufmann in die Lehre. Anfang 1940 wurde er zu Gleisbauarbeiten dienstverpflichtet. Wegen der Verbreitung von Nachrichten der Alliierten über die Hintergründe des Krieges verhaftete ihn am 28. Oktober 1943 die Gestapo. Nach sechsmonatiger Haft in Breslau lieferte sie Klaus Trostorff schließlich am 21. April 1944 in das Konzentrationslager Buchenwald ein. Er wurde als politischer Häftling mit dem Zusatz „Mischling 1. Grades“ registriert, musste fortan die Nummer 1819 tragen und kam zunächst in den Quarantäneblock 63 im „Kleinen Lager“, wo besonders schlechte Bedingungen herrschten. Mithäftlinge, die ebenfalls aus Schlesien stammten, halfen ihm, diese Zeit zu überstehen. Mit der Verlegung in das Hauptlager drei Wochen später blieb die Situation für Klaus Trostorff zunächst schwierig: Er kam in Block 1, in dem sich das sowjetische Kriegsgefangenenlager befand. Zunächst als Gestapo-Spitzel verdächtigt und gemieden, konnte er erst allmählich das Vertrauen der dortigen Häftlinge gewinnen. Gleichzeitig musste er im Entwässerungskommando besonders schwere körperliche Arbeit leisten. Erst ab dem 31. Oktober erfolgte die Versetzung in das etwas leichtere Kommando Baulagerwerkstätten. Am 11. April 1945 befreit, leistete Klaus Trostorff bei der Trauerfeier am 19. April auf dem Appellplatz gemeinsam mit anderen Überlebenden den „Schwur von Buchenwald“, der sein weiteres Leben prägen sollte.

Ende Mai 1945 verließ Klaus Trostorff mit anderen Schlesiern Buchenwald und erreichte Mitte Juni Breslau. Aus seiner Familie waren nur noch der Bruder und die Mutter am Leben. Gemeinsam mit ihr ging Klaus Trostorff im August nach Erfurt, wo er Mitglied der KPD, später der SED wurde und die Freie Deutsche Jugend (FDJ) der Stadt mitbegründete. Auf Beschluss der SED-Landesleitung besuchte er einen Neulehrerkurs und arbeitete seit 1947 als Lehrer an Erfurter Schulen. Aus der Ehe mit seiner Frau Gisela gingen drei Söhne hervor. 1948 bis 1950 studierte Klaus Trostorff an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Rechts- und Gesellschaftswissenschaften. In den folgenden Jahren war er als politischer Mitarbeiter der Landesleitung bzw. der Bezirksleitung der SED und als Kommunalpolitiker in Erfurt tätig, zuletzt als Stadtbezirksbürgermeister.

Klaus Trostorff (links), Ottomar Rothmann (Mitte), Günter Pappenheim (rechts)
Klaus Trostorff (links) im Gespräch mit seinen ehemaligen Mithäftlingen Ottomar Rothmann und Günter Pappenheim am 10. April 2015 in Weimar anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald.
© Peter Hansen, Sammlung Gedenkstätte Buchenwald

Am 1. September 1969 berief der Kulturminister der DDR Klaus Trostorff zum Direktor der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, deren weiterer Institutionalisierung er sich fortan mit großem persönlichem Engagement widmete. Unter seiner Ägide und unterstützt von Walter Bartel, dem Nestor der Buchenwald-Geschichtsschreibung in der DDR, entstanden ab 1971 das Archiv und die Historische Abteilung der Gedenkstätte. Seit 1972 erschienen vierteljährlich die „Buchenwald-Informationen“ über die Aktivitäten der NMGB, ab 1976 die „Buchenwald-Hefte“ mit Forschungsbeiträgen von Mitarbeiter:innen. 1974 holte Klaus Trostorff seinen ehemaligen Mithäftling Ottomar Rothmann an die Gedenkstätte, der Aufbau und Leitung der Pädagogischen Abteilung übernahm; bei der Besucherbetreuung lösten nunmehr ausgebildete Pädagog:innen nach und nach die ehemaligen Häftlinge ab.

Ebenfalls seit den 1970er-Jahren entwickelten sich die Sammlung und Präsentation von Kunstwerken aus dem Lager zu einem Schwerpunkt der Gedenkstättenarbeit in Buchenwald. Die im April 1975 in Weimar eröffnete Internationale Kunstausstellung „Lebenswille hinter Stacheldraht“ wurde im selben Jahr in der Gedenkstätte Terezín in der Tschechoslowakei gezeigt. Ab 1983 entstand in der NMGB ein eigenständiger Sammlungsbereich zur Kunst aus und zu den Konzentrationslagern. Die Historische Abteilung erarbeitete auch eine neue Dauerausstellung. In der DDR war die NMGB damit die einzige KZ-Gedenkstätte, deren Ausstellung nicht zentral vom Berliner „Museum für Deutsche Geschichte“ entwickelt worden war. Für die 1985 eröffnete Ausstellung wurde eigens das ehemalige Kammergebäude des Konzentrationslagers ertüchtigt, das bis dahin eine LPG als Getreidespeicher genutzt hatte. Noch in den 1970er-Jahren war die Geländegestaltung des ehemaligen Häftlingslagers mit der Markierung der Barackengrundflächen abgeschlossen worden – eine Gestaltung, die für Deutschland noch heute als wegweisend gilt.

Ab Ende der 1970er-Jahre verstärkten sich der Austausch und die Vernetzung mit anderen Gedenkstätten im In- und Ausland. Dass sich die NMGB seit Mitte der 1980er-Jahre unter Klaus Trostorffs Leitung auch international stärker öffnete, kam unter anderem in der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ zum Ausdruck. Gleichzeitig musste die bisherige Gedenkstättenarbeit punktuell infrage gestellt werden, weil offenkundig immer weniger Jugendliche von der Gedenkstätte, den überkommenen Ritualen der Erinnerung und den pädagogischen Programmen erreicht wurden. Anfang 1989 beauftragte die NMGB deshalb das Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig mit einer „Wirkungsanalyse“ des Gedenkstättenbesuchs. Durch die NMGB weiterhin nicht thematisiert blieb die Geschichte des sowjetischen Speziallagers Nr. 2. Zwar wurde dessen Existenz nicht grundsätzlich geleugnet; seine stereotype Charakterisierung als gewöhnliches Internierungslager für Nazi- und Kriegsverbrecher sollte aber eine Beschäftigung mit seiner Geschichte als obsolet und als ungerechtfertigten Affront gegenüber den KZ-Häftlingen erscheinen lassen.

Klaus Trostorff (links), Rudolf Kirchschläger (Mitte), Erich Honecker (rechts)
Klaus Trostorff (links), Rudolf Kirchschläger, Bundespräsident der Republik Österreich, und Erich Honecker, Staats- und Parteichef der DDR, 1983

Am 31. August 1989 wurde Klaus Trostorff durch den Kulturminister der DDR in den Ruhestand verabschiedet. Auch danach blieb er bis zuletzt für die Erinnerung an die nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen aktiv und stand im Rahmen seiner gesundheitlichen Möglichkeiten für Nachfragen und Zeitzeugengespräche zur Verfügung. Noch im April 2015 nahm er – fast 95-jährig – in Buchenwald an den Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag der Befreiung teil. Am 7. August verstarb er in Erfurt.

Die längerfristigen Folgen der staatlichen Instrumentalisierung des Erinnerungsortes Buchenwald erwiesen sich gerade durch die von Klaus Trostorff vorangetriebene Institutionalisierung und Professionalisierung der Gedenkstätte als ambivalent. Ende der 1980er-Jahre war die NMG Buchenwald mit ihren fast 100 festen Mitarbeiter:innen stellen eine der größten derartigen Institutionen in der DDR. Die mit ganz anderen politischen Zielen geschaffene Institution kam dadurch aber auch – im Gegensatz zum damaligen Entwicklungsstand von KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik – einer modernen Gedenkstättenarbeit entgegen. Diese wurde dann ab Anfang der 1990er-Jahre im vereinigten Deutschland gerade in Buchenwald entwickelt und umgesetzt. Und der institutionelle Stellenwert der früheren NMG in der DDR war mit ausschlaggebend für die sukzessive Aufnahme aller KZ-Gedenkstätten von nationaler Bedeutung in die Gedenkstättenförderung des Bundes.

Der Historiker Philipp Neumann-Thein promovierte zur Geschichte des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos (IKBD) und ist seit 2018 stellvertretender Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.


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