Buchenwald

Zur Erinnerung an Ottomar Rothmann

(6. Dezember 1921 – 14. Dezember 2018)

In diesem Jahr wäre der ehemalige Häftling und langjährige Leiter der pädagogischen Abteilung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte 102 Jahre alt geworden. In den 1970er-Jahren leitete er den Umbruch der Gedenkstättenarbeit von der Zeitzeugenschaft zur professionalisierten Bildungsarbeit ein.

Porträt von Ottomar Rothmann
8. April 2017.
©Andreas Domma
„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Bewahret sie! Sie sinkt … mit euch!
Mit euch … wird sie sich heben!“

Friedrich Schiller

Dem Ehrenbürger Weimars Ottomar Rothmann lag das Zitat von Schiller besonders am Herzen. Es stammt aus dem Gedicht „Die Künstler“. Nicht zufällig 1789, also dem Jahr der Französischen Revolution, entstanden, betont es die Verantwortung der Künstler für ein Gelingen der Gesellschaft. Wenn Ottomar Rothmann es zitierte, so ging es nicht um „die“ Künstler. Es ging ihm um die Verantwortung eines jeden Menschen.

Ottomar Rothmann wird am Dienstag, den 6. Dezember 1921, in Magdeburg geboren. Als Jüngster von acht Geschwistern steht er am Ende der Kleiderkette. Neue Kleidung hat er nie besessen. Es ist an ihm, alles aufzutragen – und manchmal gibt es eben nichts mehr aufzutragen. Seinen Weg zur Schule läuft er dann barfuß. Als er sieben ist, lassen sich seine Eltern scheiden. Sein Vater Berthold, Mitglied des sozialdemokratischen Reichsbanners, verschwindet aus seinem Blickfeld. (Erst sehr viel später wird Ottomar Rothmann erfahren, dass sein Vater im Januar 1944 als Jude zunächst nach Theresienstadt deportiert und dann in Auschwitz ermordet wurde. In Magdeburg erinnert heute ein Stolperstein an ihn.) Seine Mutter Alma muss nun alle Kinder allein durchbringen, ein Ding der Unmöglichkeit. Den Strom können sie manchmal nicht bezahlen, abends sitzen sie bei Kerzenschein in der kleinen Wohnung.

Als die Herrschaft der Nazis beginnt, ist Ottomar elf Jahre alt – und das Leben ist jetzt nicht nur ärmlich, sondern auch „unverständlich“, wie er es einmal ausdrückte. Die Mitschüler sind nun in der HJ, Lehrer und Nachbarn in der NSDAP – und er ein „Mischling 1. Grades“, wie die Nazis es nennen. Und seine Geschwister, die meisten von ihnen zuvor in der Sozialistischen Arbeiter-Jugend, also damals SPD, organisiert, verstummen jetzt am Küchentisch. Nicht, dass sie Nazis geworden wären, nein. Nur jede politische Äußerung stellen sie ein. Kann man einem 11-Jährigen vertrauen? Kann man sich sicher sein, dass er sich nicht verplappert? Die Bedrohung durch die Nazis ist real: Zwei seiner Brüder werden verhaftet, u. a. denunziert vom eigenen Chef. Als ein dritter Bruder, Manfred, untertaucht, wird seine Mutter Alma in Sippenhaft genommen – solange, bis sich der Bruder stellt. Keiner erzählt nach seiner Rückkehr auch nur ein Wort von seiner Haftzeit. Mit 14 Jahren muss er Geld verdienen. Die Ausbildung als Einzel- und Großhandelskaufmann wird leidlich bezahlt, er macht Lagerarbeiten, bedient die Kunden im Laden – und er lernt auch die „kreative Buchführung“ kennen: eine fürs Finanzamt, die andere für den Chef. Obwohl dieser beim nationalistischen Stahlhelm ist, fühlt sich Ottomar Rothmann mit ihm „innerlich verbunden“, wie er es ausdrückte. Dieser weigert sich nicht nur, der Deutschen Arbeitsfront beizutreten. Zur großen Verblüffung von Ottomar vollzieht sich auch eine bemerkenswerte Szene im Ladengeschäft:

Auftritt: Zwei Mitglieder der SA kommen herein, stramme Haltung, Nazigruß. Unterm Arm ein Schild. Sie fordern seinen Chef auf, es ins Schaufenster zu hängen. Auf dem Schild steht: „Juden sind hier unerwünscht“. Eine Gebühr gibt es auch für das Schild: 3 Mark. Die Antwort des Chefs ist kompromisslos: „Nein, meine Herren, solange das Geld der Juden für den Staat nicht stinkt, stinkt es für mich auch nicht. Der Staat nimmt Steuern – und ich lebe auch von dem Geld.

Abgang: Die Nazis verlassen unverrichteter Dinge wieder den Laden. Das mit der „kreativen Buchführung“ imponiert Ottomar Rothmann und er interpretiert sie weiter: Als er 1941, also bereits mit 19 Jahren, die Filiale eines Kaffeegeschäftes übernimmt, wiegt er Brutto für Netto, gibt kontingentierte Lebensmittel an Juden weiter – und für Nazis sind sie „leider, leider aus.

In dieser Zeit beobachtet er auf dem heutigen Universitätsplatz von Magdeburg Feuerwehrmänner, wie sie mühsam versuchen, eine Parole am dortigen Kaiser-Wilhelm-Denkmal wieder zum Verschwinden zu bringen: „Kaiser-Wilhelm komm hernieder / Und regiere du uns wieder / Und lasse den Gefreiten / Alleine weiter reiten.“ Jetzt weiß er, der im nationalsozialistischen Deutschland als Mensch 2. Klasse behandelt wird, was er konkret tun kann: Er schnappt sich seinen alten Stempelkasten aus Kindertagen. Viele kleine Zettel bedruckt er mit kurzen Parolen gegen Hitler und den Krieg, steckt sie sich zusammen mit einer kleinen Flasche Flüssigklebstoff in die Tasche und geht – während der Verdunkelung – allein in die Nacht hinaus und beklebt mutig und eigensinnig Haustüren und Holzzäune. Niemand erwischt ihn.

Doch am Samstag, den 30. Januar 1943, wird er festgenommen und ins Polizeigefängnis gebracht. Die Gestapo hat den Verdacht, er sei irgendwie am Verteilen von Flugblättern beteiligt – was er aber gar nicht ist. Daher hat sie auch keine Beweise. Gerade deswegen wird Ottomar Rothmann die nächsten 23 Wochen in Untersuchungshaft verbringen, in Magdeburg und in Halle. Wanzen, Verhöre, Dunkelheit, Fußtritte, Einzelhaft, Unwissen, Faustschläge, Krätze. Vor Erschöpfung kann er nicht mehr gerade stehen. Es ist zum Verzweifeln. Doch im Gefängnis erfährt er auch Orientierung. In einer Nebenzelle weigert sich z. B. der Wanderprediger und Vegetarier Gustav Nagel die Wassersuppe zu essen, von der die Wärter unter Feixen behaupten, es sei Fleisch drin – was natürlich nicht stimmt. Ottomar redet ihm – über die Heizungsrohre – zu, um Himmels willen zu essen, immer wieder. Doch der eigensinnige „Lebensreformer“ bleibt stur und Ottomar Rothmann in Erinnerung.

Im Polizeigefängnis wird Ottomar Rothmann zum fleißigen Kirchgänger. Jeden Sonntag besucht er, der Atheist, um 10 Uhr den evangelischen Gottesdienst. Und um 11 Uhr gleich den nächsten, den katholischen. Es ist für ihn die einzige Möglichkeit, – während er andächtig das Gesangsbuch in der Hand hält und so tut als würde er singen – sich eingehend mit anderen Kameraden auszutauschen. Da die Staatsanwaltschaft rein gar nichts in der Hand gegen ihn hat, wird sein Verfahren eingestellt. Doch bei seiner Entlassung wird er noch vor dem Gefängnis von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen. Als „Mischling 1. Grades“ und Bruder von bereits Verhafteten ist er per se verdächtig – und wird aus der deutschen „Volksgemeinschaft“ entfernt. Es ist ein Mitgefangener, der ihm zuflüstert: „Du kommst nach Buchenwald. Halt Dich an die Roten.

Was wird nun kommen? Wann wird er seine Familie wiedersehen können? Während Ottomar Rothmann nachsinnt und starr aus dem Fenster der Baracke schaut, klopft ihm der Blockälteste auf die Schulter: „Das musst Du Dir gar nicht erst angewöhnen. Du hast keine Angehörigen mehr. Du hast nur noch uns.“ Die folgenden 22 Monate prägen Ottomar Rothmann für sein Leben. Er sieht, wie sein Blockführer vor seinen Augen einen Kameraden zu Tode tritt. Er sieht die zahllosen von der SS niedergeschossenen Häftlinge, die nach dem Bombenangriff in seinen Block gebracht werden. Er sieht vierjährige Kinder ohne Tränen, die zu ihm sagen: „Mama Papa Auschwitz kaputt“.

Schwarz-Weiß-Foto: Rothmann zeigt und erklärt Gästen das Modell von Buchenwald
Ottomar Rothmann bei einer Modellführung, 14. Februar 1980.

All das bringt ihn soweit, dass er beschließt, zu fliehen: Heimlich besorgt er sich Zivilkleidung, lässt seine Haare ein wenig wachsen. Und setzt sich selber – er ist inzwischen Schreiber im Zugangsblock – auf die Transportliste für ein Außenlager in Magdeburg. Um 5 Uhr morgens, als der Transport zusammengestellt werden soll, steht er auf dem Appellplatz. Doch er wird nicht aufgerufen, irgendjemand hat ihn wieder von der Liste genommen. Zurück im Block, geht auf ihn das „Gewitter“ seines Blockältesten Otto Storch nieder – und er begreift langsam, dass eine Flucht nicht nur ihn, sondern auch seine Kameraden in große Gefahr gebracht hätte. Sie hätte die Augen der SS auf die anderen Funktionshäftlinge gerichtet und die dahinterstehende gesamte Widerstandsorganisation wäre ins Wanken gekommen. Mit einer Flucht hätte er egoistisch gehandelt, nicht solidarisch. Wie geht es nun weiter? Die Antwort von Otto Storch ist: „Geh rein und mach Dich an Deine Arbeit.“ Was Ottomar Rothmann Kraft gibt, ist zu spüren, wie es Menschen gelingt, selbst unter den Bedingungen des Lagers solidarisch zu handeln.

Als einmal für ein paar Tage ein fehlgeleiteter Transport mit ausgehungerten und körperlich sehr geschwächten russischen Frauen in seinem Block untergebracht wird, gibt es eine Welle der Solidarität: Die Männer geben von ihren dürftigen Rationen ab, was nur geht. Und Ottomar Rothmann gelingt es, mit seinen Kameraden aus der Häftlingsschreibstube, jene Angehörigen, die zur selben Zeit ebenfalls in Buchenwald sind, zu ermitteln und in der Nacht ein Wiedersehen der voneinander Getrennten zu organisieren. Und Kraft gibt ihm vor allem eins: Im Januar 1945 wird er endlich „offiziell“ – soweit das möglich ist – in das Parteiaktiv der KPD aufgenommen. Ihm wird gesagt: „Wir haben volles Vertrauen zu Dir. Ab heute kannst Du Dich als Mitglied unserer Partei betrachten.“ Ottomar Rothmann weint vor Glück.

Kurz vor der Befreiung des Lagers, am 4. April 1945, ist Ottomar Rothmann gerade in der Häftlingsschreibstube, um den Abendappell abzustimmen, als um 17 Uhr aus den Lautsprechern der Befehl ertönt: „Alle Juden ans Tor!“ Will die SS sie liquidieren? Auf einen Todesmarsch schicken? Die Kameraden beschließen: Keiner geht ans Tor. Als Ottomar zurück zu seinem Block will, muss er realisieren, dass sein Stubendienst die über 300 jüdischen Häftlinge des Blocks, vor allem aus Ungarn und Polen, bereits in Marsch gesetzt hat. Mit verzweifelter und sich überschlagender Stimme brüllt er: „Zurück in den Block! Beeilt Euch!“. Da die SS in der hereinbrechenden Dunkelheit den Appell nicht durchsetzen kann, gibt sie den Befehl, über Nacht alle Juden in Listen zu erfassen. Ottomar und die anderen Blockschreiber tun es nicht. Im Gegenteil: Er fälscht sein Blockbuch. Das Wort „Jude“ wird durch verschiedene Nationalitäten ersetzt. Und als am nächsten Morgen die SS im Block auftaucht, leugnet er, dass sich überhaupt auch nur ein Jude in ihm befindet. Für mehrere tausend Menschen gibt es so eine neue Lebenschance. Ihre Rettung, in bislang noch nie dagewesenem offenem Widerstand gegen die SS, ist eine Heldentat.

Der erste Gang von Ottomar Rothmann als freier Mann führt ihn nach Weimar. Er muss nun nicht mehr auf der Straße, wie in seiner Zeit als Häftling, sondern darf jetzt wieder auf dem Bürgersteig gehen. Er ist kein Bürger zweiter Klasse mehr. Als er in einem Kinderwagen ein friedlich schlafendes Baby sieht, ist er zutiefst gerührt: „Welch ein Glücksgefühl zu wissen und zu erleben, dass es den braunen Mordbestien nicht gelungen ist, uns unserer menschlichen Würde zu berauben. Ich glaube, dass ich in diesen Sekunden nach langer Zeit erstmals wieder gelächelt habe.“ Es gibt unendlich viel zu tun: Die Nazis auf den Bürgermeisterämtern und in den Gemeinderäten müssen abgelöst werden. Er tut es im Namen des Weimarer Anti-Nazi-Komitees. Auch neue Polizisten sind nötig, ab Juli wird er im Landkreis Kriminalpolizist, bekämpft Schieber und den Schwarzmarkt. Es sind noch verworrene Zeiten: Als er in der Asbachstraße eine Schwarzbrennerei – es hatte in Weimar schon zahlreiche Augenerkrankungen durch Methanol gegeben – hochnimmt, trifft er dort auf frischer Tat den für ihn zuständigen Staatsanwalt an. Und als er ihn überprüft, muss er feststellen, dass er ein ehemaliger SS-Mann aus Buchenwald ist.

Er selber beginnt nun auch ein eigenes, privates Leben. Bereits im Januar 1946 heiratet er seine Frau Christel, die es aus Ostpreußen nach Thüringen verschlagen hat. Mit ihr hat er zwei Kinder. Die Lungentuberkulose, die er sich in Buchenwald zugezogen hat, wird ihn noch lange verfolgen: Für mehrere Monate liegt er in der Jenaer Lungenheilstätte, hat Sorge, dass er seine Frau und sein erstes Kind angesteckt hat, befürchtet, es selber nicht zu schaffen. Als die Sowjets einen ehemaligen Hauptfeldwebel der Wehrmacht als Leiter seiner Dienststelle bei der Polizei einsetzen, ist Ottomar Rothmann froh, unter seinem ehemaligen Blockältesten Otto Storch in das Landwirtschaftsministerium wechseln zu können. Er wird so etwas wie ein „Aufbauer“: Er strukturiert Arbeitsabläufe, wirbt um Fachleute für die Saatgutentwicklung und bringt die inzwischen verstaatlichten Güter wirtschaftlich auf Vordermann, auch mit Unterstützung seiner Ehefrau.

Die Werte, die Ottomar Rothmann in Buchenwald verinnerlicht hat – keine Diskriminierung aufgrund von Herkunft, solidarisches Handeln, Disziplin für die Sache –, leiten ihn auch in der neuen Zeit, in der die alten Rassismen weiter wirken: Als ein Abteilungsleiter des Ministeriums antisemitisch daherredet, wird er resolut und sorgt – gegen Widerstände – für dessen Absetzung. Und als er – noch vor Stalins Tod – Schöffe werden soll, verweigert er sich. Urteile, die in keinem Verhältnis zur Straftat stehen, will und kann er nicht mittragen. Schließlich wird er gar von seiner Funktion – er arbeitet gerade als Personalleiter für die Notenbank in Weimar – entbunden, als einer seiner Brüder nach Westdeutschland geht. Neue Arbeit findet Ottomar Rothmann in Erfurt, wo er ab jetzt als Direktor die Auslieferung der Lebensmittel an die einzelnen HO-Läden organisiert. 1960 übernimmt er schließlich die Leitung der Produktion von Lebensmitteln im Bezirk Erfurt. Ihm unterstehen nun die Erfurter Teigwaren ebenso wie die Ehringsdorfer Brauerei in Weimar. Er organisiert gut, überwindet bürokratische Hemmnisse, achtet auf Kleinigkeiten, spricht mit den Menschen. Er ist streng, aber klar im Wort und nie willkürlich, berichten seine Mitarbeiter:innen. Bei ihm weiß man, wo man dran ist.

Auch aus diesem Grund spricht ihn 1974 sein ehemaliger Mithäftling Klaus Trostorff an. Dieser ist – als ehemaliger Bürgermeister von Erfurt ebenfalls mit reichlich Verwaltungserfahrung – seit fünf Jahren Direktor der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte (NMG), die nun vor einem tiefgreifenden Umbruch steht. Es ist etwas Neues aufzubauen und dazu will er einen disziplinierten Organisator, dessen Wort Gewicht hat. Ottomar Rothmann denkt lange über das Angebot nach. Seine Frau ist dagegen: „Dann wirst Du Buchenwald nicht mehr los“, sagt sie. Der 2. Sekretär der Bezirksleitung redet ihm zu: „Es ist nicht so schwer einen anderen Genossen für den Konsum zu finden, aber Buchenwalder wachsen nicht nach.“ Ottomar Rothmann lässt sich in die Pflicht nehmen. Für 12 Jahre – bis zu seiner Pensionierung 1986, pensionsberechtigt wäre er schon 1981 gewesen – übernimmt er als Leiter die pädagogische Abteilung und wird zum stellvertretenden Direktor der NMG Buchenwald ernannt. In ihr übernehmen bislang ausschließlich ehemalige Häftlinge die Führungen, berichten aus ihrem eigenen Erleben. Doch sie werden nun alt, scheiden einer nach dem anderen aus dem Dienst aus.

Ein Archiv, eine Sammlung, Bibliothek, Führungskonzeptionen, Schulungspläne – all das gibt es nicht und wird nun zur Aufgabe von Ottomar Rothmann. Klaus Trostorff und er suchen und finden Historiker:innen, Museolog:innen, Archivar:innen und Pädagog:innen. Während in der DDR andere NMG noch als „Kaderfriedhöfe“ verschrien sind, entwickeln sie neue und bislang unbekannte Standards für die Gedenkstättenarbeit. Nur auf dieser Grundlage ist es möglich, dass z. B. 1985 mit dem „Museum des antifaschistischen Widerstandskampfes“ in der ehemaligen Effektenkammer die erste Ausstellung in einer NMG entsteht, die nicht zentral im Berliner Museum für Deutsche Geschichte entworfen wurde. Sie verharrt nicht in einem allgemeinen Pathos, sondern erzählt konkrete Geschichten, die zuvor intensiv erforscht worden waren. Dabei bleibt sie zwar weiterhin vor allem auf die Geschichte der deutschen Buchenwalder Kommunisten fokussiert und verschweigt das sowjetische Speziallager. Gleichwohl ist die Ausstellung nicht nur museologisch auf der Höhe der Zeit, sondern geht mit der Thematisierung der Verfolgung jüdischer Häftlinge und von Sinti und Roma inhaltlich weiter als manche Ausstellung in der Bundesrepublik.

In mehr als einer Hinsicht lebt dieses Werk von Ottomar Rothmann fort. Denn nicht nur die von ihm eingeführten Mittwochsschulungen gibt es bis heute in der Gedenkstätte Buchenwald. Vor allem wurde die in den 1970er- und 1980er-Jahren neu geschaffene Organisationsstruktur nach 1989 – bei allen inhaltlichen Veränderungen und Ergänzungen, die nötig waren – zum Vorbild für die Umstrukturierung auch der westdeutschen Gedenkstätten, die jetzt Schritt für Schritt auch ihre Bibliotheken und Sammlungen, ihre Historiker:innen und Pädagog:innen bekamen – und nun auch die dafür notwendige staatliche Förderung. In seiner Arbeit in der Gedenkstätte, im Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer, im Bund der Antifaschisten und als Häftlingsbeirat ist Ottomar Rothmann Tausenden von Menschen begegnet und hat versucht, das, was ihn im Lager geprägt hat, weiterzugeben. Dabei benannte er auch klar die begrenzte Reichweite seiner Aussagen. Wenn er zu Geschehnissen befragt wurde, die er nicht selbst erlebt hatte, bemerkte er oft lapidar „Dazu kann ich nichts sagen.“ Er wollte Menschen nicht belehren, denn er wusste, wie unterschiedlich sie sind. Er akzeptierte das. Auch das war für ihn eine tiefe Erfahrung seiner Lagerzeit. Aber er wollte die Menschen zum Nachdenken über ihre Verantwortung in einer Gesellschaft bringen. Das ist ihm nachhaltig gelungen.

Rikola-Gunnar Lüttgenau schrieb 1992 seine Abschlussarbeit des Studiums der Geschichts- und Medienwissenschaften über die Diskurse der NMG Buchenwald in den 1980er-Jahren.


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