Geschichtskultur

Antifaschismus ist Handarbeit

Heiko Clajus von der Initiative Gedenkweg Buchenwaldbahn über seine Arbeit am partizipativen Denkmal „Gedenksteine Buchenwaldbahn“.

Tatsächlich muss die „Pflegesicherung“ des Weges über das ganze Jahr realisiert werden: Von August bis Anfang März sind die Baumfällarbeiten zu machen; Äste, die trocken sind und herunterfallen könnten, müssen entfernt werden. Dann kommen die Brut- und Nistzeiten, in denen nicht gefällt werden darf. Danach, wenn das Wachstum beginnt, müssen wiederum die Mäharbeiten erledigt werden. Und dann ist da noch der wilde Müll, den wir leider immer wieder beseitigen und entsorgen müssen. Es gibt Gutachter, die überprüfen, was Nutzer:innen des Weges gefährlich werden könnte. Auf dem Bahndamm der ehemaligen Buchenwaldbahn sind vor allem Bäume aus weichem Holz, wie Pappeln und Weiden, problematisch. Wir schauen daher: Was wächst hier ansonsten von Natur aus? Dann stellen wir so viel wie möglich Linden, Kirschen, Eichen oder Buchen, also Bäume aus härterem Holz, frei. So erreichen wir zudem eine möglichst große Artenvielfalt, was wiederum für die Insekten und Vögel wichtig ist. Konkret haben wir derzeit vor, die Bäume insgesamt zu bestimmen und dies den Nutzer:innen des Gedenkweges auch sichtbar zu machen. Dabei wird uns auch die Uni Jena helfen.

Das ganze Jahr über arbeite ich mit drei Jugendlichen des Johannes-Landenberger-Förderzentrums zusammen, einer sonderpädagogischen Schule in Weimar. Darüber hinaus natürlich der Thüringer Forst, der Eigentümer des Geländes ist und mit dem wir uns eng abstimmen. Die Hinweise der Waldarbeiter helfen uns z. B. zu verstehen, welche Pflanzen auf der roten Liste stehen. Dann werden wir finanziell unterstützt u. a. durch die Stadt Weimar, die Weimarer Wohnstätte und die Sparkasse Mittelthüringen und seit einigen Jahren auch durch die Gedenkstätte Buchenwald. Total hilfreich: aus Überschussmitteln der Staatslotterie haben wir nun zwei akkubetriebene elektrische Freischneider. Sie schonen die Umwelt und sind auch weniger störend für die Ohren der Besucher:innen.

zwei Männer in Arbeitskleidung auf dem Gedenkweg
Matthias Schneider und Steven Keilhaupt unterstützen Heiko Clajus bei der Pflege des Gedenkweges.

Die Zeit der Summer Camps ist für mich und die Jugendlichen der Landenberger-Schule immer das Highlight des Jahres. Es kommen Menschen aus der ganzen Welt, die motiviert sind und sich für unsere Sache interessieren. Die Zusammenarbeit ist abwechslungsreich und angenehm. Die Teilnehmer:innen der Summer Camps sind vor allem für die „inhaltlichen“ Arbeiten, also größtenteils für die Bearbeitung der Gedenksteine und für die biographischen Recherchen verantwortlich. Aber auch dort, wo viele Hände gebraucht werden, wie z. B. zur Befestigung des Weges oder zur Reinigung der Entwässerungsgräben.Schön ist aber auch die Arbeit mit den Schulklassen, die uns z. B. dabei unterstützen, das über den Winter entfernte Holz dahin zu bringen, wo es dann als Brennholz abgeholt werden kann. Ähnliches gilt für Jugendvereine, Gewerkschaften oder auch buddhistische Gruppen, die regelmäßig – zumeist vermittelt von der Gedenkstätte – zu uns kommen. Mit uns können sich auch die, die sich körperlich betätigen wollen, engagieren. Wichtig ist vor allem: Die Gruppen bringen auch immer neue Ideen mit, wie z. B. den Impuls, dass wir bei den Gedenksteinen inzwischen mit unterschiedlichen Farben und Schriftarten arbeiten. Damit die Steine einen würdevollen Anblick bieten, hatten wir anfangs, auf Anraten der Gedenkstätte, mit immer der gleichen Schriftart gearbeitet, die wir „vorschrieben“. Doch dies wirkte arg gleichförmig. Inzwischen sind auch die individuellen Handschriften der „Steinmetze“ gut sichtbar. Das tut dem Denkmal gut.

Ich habe gelernt, dass es häufig wichtig ist, einfach anzufangen. So hatte ich anfangs keine Ahnung von Waldarbeiten oder Baumbestimmung. Aber mir wurde schnell klar, dass wir das selber übernehmen müssen, damit die Gedenksteine erreichbar bleiben. Also legten wir einfach los. Und lernten. Bis heute. Zugleich heißt es, über Jahre dran zu bleiben. Dann ergeben sich immer wieder neue Möglichkeiten: So ignorierte die Deutsche Bahn lange unsere Anfrage, eine Informationstafel auch am Weimarer Hauptbahnhof aufzustellen. Erst als ein Mitarbeiter der Bahn, der sich auch bei uns engagierte, innerbetrieblich einen Antrag stellte, ging es dann plötzlich. Wenn ich heute dort vorbeikomme, freue ich mich jedes Mal, an welch zentraler Stelle nun das Schild steht.Und als wir den damaligen Revierförster des Ettersberges fragten, einen Gedenkweg auf dem Bahndamm anzulegen, war die klare Antwort: „Nein, auf keinen Fall!“ Nach der schlechten Erfahrung mit der Pflege der „Zeitschneise“, die im Kulturstadtjahr 1999 angelegt worden war und um die sich dann keiner mehr kümmerte, wollte er sich nicht noch „so ein Problem“ – auch mit den ganzen Haftungsfragen, die daran hängen – ans Bein binden. Wir mussten warten, bis er pensioniert wurde. Dann ging´s.

Eine Frau und drei Männer, darunter Heiko Clajus, am Hauptbahnhof, die Gedenktafel enthüllend.
Heiko Clajus (2. v. links) bei der Einweihung einer Erinnerungstafel am Weimarer Hauptbahnhof.
©Gedenkinitiative Buchenwaldbahn

Das Weimarer a&o Hostel steht ja direkt neben der einstigen Bahnlinie. Daher haben wir dort auch immer unsere Faltblätter hingegeben. Sie kontaktierten uns eines Tages: „Wir wollen mehr Informationen. Wir wollen eine eigene Tafel aufstellen.“ Nun steht eine große Tafel direkt vor dem Hostel, auch mit Fotos der Buchenwalder Jungs, die deportiert wurden, was uns besonders freut. Es ist schön zu merken, dass nicht alles von uns ausgeht, sondern sich das Projekt auch verselbstständigt. Die Universität Jena hat 2021 im Rahmen der Tagung „Den Begriff Rasse überwinden“ unseren Gedenkweg mit in das Programm aufgenommen und es wird ein weiterer Artikel über ihn in dem Tagungsband erscheinen. Für mich persönlich war sehr bewegend, dass 2015, zum 70. Jahrestag, Nachfahren von KZ-Häftlingen am Gedenkweg 13 Obstbäume für ihre Väter und Opas pflanzten und ein weiterer Erinnerungsort entstand. Bei der Rede für Frédéric Manhès kam zur Sprache, dass ein Kirschbaum im Land der Täter gepflanzt wird und die Früchte auch die Enkel der einstigen SS-Angehörigen ernten können. Das hat mich tief getroffen, da auch ich so ein Enkel bin. Danach konnte ich den Worten der Rede nicht mehr genau folgen, bis zu dem Schlusssatz: „Der Kirschbaum wird bewusst gepflanzt als Zeichen der Versöhnung!“ Noch zu DDR-Zeiten hatte ich so meine Schwierigkeiten mit der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte“, wie sie damals hieß. Einen Besuch lehnte ich ab. Für mich war das „nur“ verordneter Antifaschismus. Erst nach der Wende, mit den Antifa-Workcamps, beschäftigte ich mich mit Buchenwald. Mit einer Projektgruppe legten wir damals jedes Jahr – mal mehr, mal weniger – den Holzverladeplatz an der Bahnlinie frei, dort, wo heute die Bushaltestelle steht. Nach dem vierten oder fünften Jahr realisierte ich: Um nicht jedes Jahr wieder bei Null anfangen zu müssen, müsste die Bahnlinie eigentlich über das ganze Jahr begehbar sein. Das war die erste Idee.

Es werden dann 316 sein. Das erklärte Ziel bleibt weiterhin, Steine für alle 2.000 Jugendliche zu erschaffen. Ich weiß, das ist sehr ambitioniert. Aber es geht ja nicht darum, soviel Gedenksteine wie möglich anzufertigen, sondern diesen Gedenkort würdevoll zu erhalten, zu pflegen und für die Besucher:innen interessant zu machen.

Björn Höcke hat gesagt, er will die Erinnerungskultur in Deutschland um 180 Grad drehen. Und da habe ich natürlich das Bild der Kinder vor meinen Augen. Rechte Gruppen behaupten ja immer „Unsere Großväter waren keine Verbrecher“. Doch am Gedenkweg kann man zeigen: Sie haben z. B. am 25. September 1944 kleine Kinder in einen Waggon nach Auschwitz gesteckt. Für mich ist es Motivation, denen das unter die Nase zu reiben. Wir müssen das Gedenken tatkräftig wachhalten, auch um die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Antifaschismus ist Handarbeit. Genauso ist es – und war es!

Gedenkweg Detail: Steine mit eingemeißelten Namen der Kinder in unterschiedlichen Farben und Schriftarten
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Freiwillige bei der Handarbeit: Namen in die Steine einmeißeln
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Der gelernte Umwelttechniker Heiko Clajus hat seine Wurzeln in der „Gerberstraße 1“, einem seit 1990 besetzten Haus in Weimar. Dort schob er auch das „Projekt Spurensuche“ an, aus dem die Initiative zum Gedenkweg hervorging.

Die Fragen stellte Rikola-Gunnar Lüttgenau.

Initiative Gedenkweg Buchenwaldbahn

 

Die in dem „Zug der Erinnerung“ fahrende Ausstellung „11.000 Kinder. Mit der Reichsbahn in den Tod“ von Serge und Beate Klarsfeld machte 2008 auch Station in Weimar. Sie war im Vorfeld die Initialzündung dafür, in einem Projekt, das Bildungsarbeit mit praktischen Arbeiten verknüpft, auf der ehemaligen Bahntrasse von Weimar nach Buchenwald einen Gedenkweg anzulegen. Zusätzlich zur Pflege des Weges gestalteten Hunderte von Helfer:innen individuelle Gedenksteine. Sie erinnern an die 2.000 Kinder und Jugendlichen, die auf der Bahnlinie 1944 zur Ermordung nach Auschwitz gebracht wurden oder in den letzten Kriegswirren in die zahlreichen Außenlager deportiert wurden und dort umkamen. Die Gedenk steine sind ein in Deutschland einmaliges prozessuales und partizipatives Denkmalsprojekt. Es soll fortgesetzt werden, bis für jedes deportierte Kind und jeden deportierten Jugendlichen ein Gedenkstein niedergelegt wurde.

 

Mittlerweile wird die ehrenamtlich tätige Initiative von unterschiedlichen Vereinen, Institutionen und Einzelpersonen unterstützt und begleitet. Hier einige Beispiele: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Roter Baum e. V. aus Dresden, Gerberstraße 1 e. V. aus Weimar, Deutsche Bahn, Hans-Böckler-Stiftung, Stadt Weimar, Gedenkstätte Buchenwald, Förderverein Buchenwald e. V., Sparkasse Mittelthüringen, Weimarer Wohnstätte, Lernort Weimar e. V., Diakonie Holzdorf, Stadtwerke Weimar. Das Projekt wurde im Jahr 2014 mit dem regionalen Thüringer Demokratiepreis ausgezeichnet und Heiko Clajus erhielt die silberne Ehrennadel der Stadt Weimar für sein Engagement.

 

Der Gedenkweg kann heute das ganze Jahr über begangen werden. Er bietet die einzige Möglichkeit, sich dem ehemaligen Lager auf dem Ettersberg zu Fuß zu nähern. Die Gedenkstätte Buchenwald und der Förderverein bieten auf ihm Rundgänge an, die in zunehmendem Maße von Schulklassen und anderen Gruppen nachgefragt werden. Darüber hinaus lädt der Gedenkweg mittlerweile viele Menschen auch zum Wandern, Joggen und Radfahren ein. Am 31. Juli 2022 werden mit einem Gang von Weimarer Hauptbahnhof zum Ettersberg weitere über 100 Gedenksteine feierlich eingeweiht. Zugleich begeht die Initiative ihr 15-jähriges Bestehen.

 

www.gedenksteine-buchenwaldbahn.de


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