Geschichtskultur

Partizipatives Projekt zur Erinnerung an die Deportationen von Jüdinnen und Juden aus Thüringen vor 80 Jahren

Plakat zur Aktion "Schreiben Sie mit!"

Jüdisches Leben in Thüringen und seine Zerstörung

 

Über 6.000 Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Herkunft lebten vor 1933 im Gebiet des heutigen Thüringens, für 48 Orte ist jüdisches Leben belegt. Die Synagogen in Eisenach, Erfurt, Gera, Gotha, Meiningen, Nordhausen und anderen Gemeinden prägten das Stadtbild, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung wurde von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern mitgestaltet.

 

Dieses reiche jüdische Leben zerstörten die Nationalsozialist:innen ganz gezielt. Ab 1933 setzten die systematische staatliche und gesellschaftliche Entrechtung, Beraubung und Vertreibung ein. Die Shoah begann in Thüringen mit zwei großen Deportationen: am 9. Mai 1942 wurden 513 Männer, Frauen und Kinder aus 42 Orten in der Viehauktionshalle in Weimar gesammelt und von dort am nächsten Morgen in das Ghetto Bełżyce verschleppt. Nur eine junge Frau überlebte. Am 19. September 1942 wurden 364 Menschen aus 38 Orten in das KZ Theresienstadt deportiert. Viele von ihnen wurden später im Vernichtungslager Auschwitz ermordet, das vom Erfurter Unternehmen J. A. Topf & Söhne mit Leichenverbrennungsöfen und Lüftungstechnik für die Gaskammern beliefert wurde. In der letzten Deportation am 31. Januar 1945 wurden 101 Personen nach Theresienstadt verschleppt.

 

juedisches-leben-thueringen.de/gedenkbuch/

Weimar spielte als damalige Gauhauptstadt Thüringens eine zentrale Rolle bei der Deportation der Thüringer Jüdinnen und Juden. Aus ihren Heimatdörfern und -städten wurden sie zunächst in die Viehauktionshalle verschleppt, um dort ausgeplündert und anschließend in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert zu werden. Sie wurden ermordet, ihre Leichname verbrannt, die Asche irgendwo in der Umgebung verkippt. An einigen dieser Orte wie in Bełżec gibt es heute Gedenkstätten. Doch diese sind weit weg von Thüringen. Deshalb ging die Gedenkaktion mitten in die Thüringer Städte, dort, wo die Erinnerung an die deportierten Bürger:innen eigentlich hingehört: nach Erfurt auf den Willy-Brandt-Platz (9. Mai 2022), nach Meiningen auf den Marktplatz (9. September 2022), nach Gera auf den Johannisplatz (11. September 2022) und schließlich nach Weimar auf den Stéphane-Hessel-Platz (19. September 2022).

Die renommierte Frankfurter Künstlerin Margarete Rabow hat dafür eine partizipative Gedenkaktion entwickelt, die 80 Jahre nach der Deportation der Thüringer Jüdinnen und Juden ihre Namen im öffentlichen Raum wieder aufscheinen ließ: Alle Opfer der Shoah von Erfurt, Gera und Meiningen, in Weimar von ganz Thüringen, wurden auf zentralen Plätzen der vier Städte mit weißer Schulkreide auf den Boden geschrieben. Jede:r Vorbeikommende konnte sich beteiligen. Die gesamte Aktion wurde filmisch dokumentiert und in Weimar auch live übertragen. Denn: Nachhaltige Erinnerungskultur will nicht ein festes Geschichtsbild möglichst erfolgreich vermitteln, sie kann und darf nicht von oben verordnet werden. Ihr geht es vielmehr um die Möglichkeit eines jeden, selber Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu sammeln. Es braucht dazu Angebote, die die historische Vorstellungskraft anregen und die einem Anlässe geben, sich sein eigenes kritisches Geschichtsbewusstsein zu bilden.

Teilnehmende schreiben mit Kreide die Namen der Ermordeten auf den Stéphane-Hessel-Platz
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Auf dem Stéphane-Hessel-Platz in Weimar, 12. September 2022.
Männer in Warnwesten schreiben mit Kreide die Namen der Ermordeten auf den Stéphane-Hessel-Platz
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Die Künstlerin Maragarete Rabow schaut einem Teilnehmer beim Schreiben über die Schulter
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Teilnehmende gleichen die Namen und Daten ab
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Stand mit Infomaterial auf dem Stéphane-Hessel-Platz
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Auch diese Aktion machte das Erinnern der Namen selber zu einer Erfahrung. Ein:e jede:r konnte sich selber mit der Geschichte der eigenen Stadt, ihren jüdischen Menschen, ihrem Leben auseinandersetzen. Nicht zuletzt um selber eine historische Orientierung für sich und die Gesellschaft, in der wir heute leben und agieren, zu finden. Zugleich verweist die Aktion dabei auch subtil darauf, dass Erinnerung vergehen kann – und in Bezug auf die Deportation der Jüdinnen und Juden aus Thüringen lange Zeit gar nicht mehr vorhanden war. Umso wichtiger war, mit den Schreibaktionen die Namen der deportierten Menschen wieder ins Bewusstsein zu bringen und möglichst dauerhaft zu erhalten. Deshalb entstand unter Federführung des Erinnerungsorts Topf & Söhne ein digitales Gedenkbuch aller Deportierten mit Informationen zu ihrem Schicksal. Es steht auf www.juedisches-leben-thueringen.de zur Verfügung.

Schreibaktion in Weimar

 

Das Schreiben wurde auf dem Stéphane-Hessel-Platz von der Künstlerin Margarete Rabow gemeinsam mit der Gedenkstätte Buchenwald, dem Erinnerungsort Topf & Söhne und der Stadt Weimar gestaltet. Von allen 2.261 niedergeschriebenen Namen wurden mit einer analogen 16mm-Kamera Einzelaufnahmen gemacht. Begleitend boten verschiedene Initiativen und Institutionen zusätzliche Angebote und Informationen, darunter die ACHAVA Festspiele Thüringen, das Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar, die Initiative Gedenkweg Buchenwaldbahn und die Klassik Stiftung Weimar.

 

„Schreiben gegen das Vergessen“ ist ein Kooperationsprojekt des Erinnerungsortes Topf & Söhne, der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen und der Künstlerin Margarete Rabow. Es wurde gefördert vom Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport im Rahmen des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „Denk Bunt“.

 

schreiben-gegen-das-vergessen.eu

Reste der ehemaligen Viehauktionshalle Weimar
Sammelort für die Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Herkunft in Thüringen vor ihrer Deportation 1942: Reste der ehemaligen Viehauktionshalle nach ihrer Zerstörung durch Brandstiftung 2015.

Digitales Thüringer Gedenkbuch für die ermordeten Jüdinnen und Juden

 

Von den über 6.000 Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Herkunft in Thüringen, deren Namen überliefert sind, fielen etwa 2.500 Personen der antisemitischen Verfolgung und Vernichtung zum Opfer. Um an alle Ermordeten dauerhaft zu erinnern, hat der Erinnerungsort Topf & Söhne gemeinsam mit der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek ein digitales Gedenkbuch erarbeitet. Es enthält die Namen, die Lebensdaten, den Wohnort sowie den Deportations- und Sterbeort und nutzt die Daten des Bundesarchivs, die im Projekt gemeinsam mit lokalen Forscher:innen zur jüdischen Geschichte in Thüringen überprüft und ergänzt wurden. Das Gedenkbuch wurde am 1. September 2022 freigeschaltet und stellt ein Angebot für die Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte vor Ort dar, das fortlaufend aktualisiert werden kann. Alle sind zur Mitarbeit eingeladen.

 

Wenden Sie sich mit Informationen, Ergänzungen und Korrekturen an: gedenkbuch.topfundsoehne@erfurt.de

 

juedisches-leben-thueringen.de/gedenkbuch/


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