Geschichtskultur

„Ruhm und Ehre den Helden der Sowjetunion“

Recherchen zu Grablagen sowjetischer Bürger:innen auf dem Ostfriedhof in Gera

Mauer mit Inschrift "Ruhm und Ehre den Helden der Sowjetunion", Ostfriedhof Gera
Sowjetisches Ehrenmal. Ostfriedhof Gera.
©Margarita Novoselova

Auf dem Ostfriedhof der Stadt Gera in Thüringen befinden sich drei Begräbnisstätten von Sowjetbürgern. Der erste Abschnitt ist eine Gedenkstätte für sowjetische Soldaten mit einem monumentalen Denkmal, einem separaten Eingang und einem großen eingezäunten Bereich. In zwei weiteren Abschnitten sind Zivilist:innen bestattet, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verbracht wurden. Was können wir über die Biographien der dort Bestatteten erfahren? Welche neuen Quellen sind zugänglich und können ausgewertet werden? Meine Recherchen zeigen ein Bild heterogener Biographien. Sie können beitragen zu einem genaueren Verständnis von Zwangsarbeit, Kriegsgefangenschaft und der Situation in Gera in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Laut einem 1992 erstellten Bestattungsprotokoll1 wurden 53 Soldaten an der Gedenkstätte für sowjetische Soldaten begraben. Ihre sterblichen Überreste wurden 1959 anlässlich des Tages der Befreiung vom Faschismus auf diesen Gedenkfriedhof überführt. Im selben Jahr wurde ein Denkmal errichtet – ein sowjetischer Soldat mit Siegesbanner steht Schulter an Schulter neben einem deutschen Arbeiter. Das Dokument besagt auch, dass die hier begrabenen Soldaten an Verletzungen starben, die sie sich in den Frühjahrskämpfen 1945 oder während ihres Dienstes in der Nachkriegszeit zugezogen hatten. 31 der beigesetzten Soldaten sind namentlich benannt, 22 Gräber tragen keinen Namen. Neben dem Bestattungsprotokoll fand ich auf der Website der Datenbank „OBD-Memorial“, die auf Initiative des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation erstellt wurde2, weitere Quellen: einen Bericht mit Listen der Bestatteten aus dem Jahr 19483, eine Karte des Friedhofs4 sowie das alphabetische Totenbuch des Militärfeldlazaretts Nr. 5112 aus dem Jahr 1945, das sich in dieser Region befand5.

Zusätzlich wurden verschiedene Dokumente von weiteren Websites des Verteidigungsministeriums verwendet, um zusätzliche Daten zu ermitteln: pamyat-naroda.ru (hier werden verschiedene Dokumente zu sowjetischen Militärangehörigen zusammengefasst) und podvignaroda.ru (Dokumente über Auszeichnungen von sowjetischen Militärangehörigen). Mit Hilfe der gefundenen Dokumente konnte ich eine Vergleichstabelle erstellen und die Daten der Denkmäler mit Daten aus diesen Quellen vergleichen.

Die Grabsteine sind äußerst heterogen. Von den 31 Grabmalen enthält nur eines den vollständigen Nachnamen, Vor- und Vatersnamen des beigesetzten Soldaten. Auf einigen Steinen sind nur der Nachname und der Vorname oder die Initialen angegeben, auf anderen nur die Nachnamen. Viele Dokumente geben das genaue Todesdatum an, aber diese Daten sind auf den Grabmalen nicht angeführt, nur das Jahr ist angegeben. Die Tabelle verdeutlicht, wie sich die Informationen über diese Soldaten geändert haben, sich die Schreibweise des Nachnamens oder Namens veränderte und auch verschiedene Todesjahre zirkulierten. Zum Beispiel wird auf dem Grabstein der Name des auf dem Friedhof beigesetzten Soldaten Chuschenko zuerst als „Chushchenko“ (1948) und später als „Zushchenko“ (1992) geführt. Unteroffizier Timanovsky hat laut Inschrift auf dem Grabstein die Initialen „I.N.“ erhalten, obwohl er in allen Listen als „Timanovskij P.N.“ geschrieben wird. Und aus demselben alphabetischen Totenbuch des Krankenhauses werden weitere Details über ihn bekannt: Timanovskij Petr Nikolaevič, geboren 1922 im Gebiet Odessa, starb am 6. August 1945 in einem Krankenhaus an einer Methylalkoholvergiftung. Zusammen mit ihm starb am nächsten Tag Ilja Fedorovič Balandin, geboren 1916 in dem Dorf Popovka in der Tatarischen SSR, mit derselben Diagnose. Auf dem Grabstein trägt Ilja Fedorovič Balandin den Nachnamen „Vayandin“. Auf dem Denkmal von Vasilij Gorenko steht „Vaoily“ als sein Vorname und sein Geburtsdatum fehlt vollständig.

Im Frühjahr 2020 schickte ich die fertige Pivot-Tabelle mit Begleitschreiben an das Konsulat der Russischen Föderation in Leipzig. Als Reaktion darauf wurde ich zu der jährlichen planmäßigen Begehung des Geländes eingeladen, die von den Mitarbeiter:innen des Konsulats in Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter:innen der Geraer Friedhofsverwaltung durchgeführt wurde. Die Inspektion fand im Sommer 2020 statt. Abgesehen von diesem Spaziergang wurden jedoch noch keine Maßnahmen seitens der Russischen Föderation zur Klärung der Daten ergriffen.

Sowjetisches Ehrenmahl. Soldat hält Flagge, mit der anderen Hand drückt er die Hand eines Arbeiters, der hinter ihm steht.
Sowjetisches Ehrenmal. Ostfriedhof Gera.
©Margarita Novoselova

Die beiden anderen Abteilungen mit Grablagen von Sowjetbürgern befinden sich auf dem Friedhofsgelände selbst und waren den Bestattungen von Zivilist:innen vorbehalten, die zur Zwangsarbeit hierher verbracht wurden – den sogenannten „Ostarbeiter:innen“ und ihren Kindern. Diese Stätten sind nicht so monumental wie der Soldatengedächtnisfriedhof gestaltet – es gibt nur kleine quadratische Grabsteine, alt, nicht immer gut erhalten und teilweise mit Moos bedeckt. Insgesamt sind dort laut den Listen des Verteidigungsministeriums 275 bzw. 276 Menschen begraben, davon etwa 80 Kinder unterschiedlichen Alters. Ich interessierte mich für diese Grabstätten und beschloss, Informationen darüber in lokalen Archiven zu sammeln.

Ein Dokument zu diesen Bestattungen wurde im Stadtarchiv Gera gefunden.6 In der Gedenkstätte Amthordurchgang (im Gebäude des ehemaligen Gefängnisses des Staatssicherheitsdienstes in Gera) bin ich auf die Broschüre von der lokalen Forscherin Brunhilde Jung aufmerksam gemacht worden, die hervorragende Recherchearbeit zur „Kinderabteilung” geleistet hat. Die Broschüre untersucht die Haftbedingungen von Frauen und Kindern in den Arbeitslagern von Gera, beschreibt die Hauptursachen der Kindersterblichkeit, zitiert Briefe ehemaliger Ostarbeiter und die wichtigsten Gesetzgebungsakten zu ihren Rechten und Pflichten im nationalsozialistischen Deutschland. All diese Informationen betrafen jedoch nur den Ort mit Kinderbestattungen.7 Ich kontaktierte das Thüringische Staatsarchiv, das sich in der Nachbarstadt Greiz befindet. Dort wurden auch Dokumente zu diesen Bestattungen gefunden. Es handelte sich dabei um Listen begrabener Sowjetbürger, die zwischen 1945 und 1948 für die Berichterstattung an die sowjetische Kommandantur erstellt wurden. Die erste Liste ist in deutscher Sprache8, die zweite in russischer Sprache verfasst (es handelt sich um eine Transkription der ersten deutschen Liste)9.

Zuerst habe ich die deutsche, dann die russische Liste tabelliert. Schließlich habe ich die beiden miteinander verglichen. Fehler und Auslassungen wurden ersichtlich. Und dann habe ich diese Namen auf der Website OBD-Memorial gefunden und auch mit den beiden Vorgängerversionen verglichen. Die Fehler und Ungereimtheiten sind noch größer geworden. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um die Vor- und Nachnamen der Toten, die von den Deutschen nur phonetisch aufgenommen wurden. So verwandelten sie sich nach und nach in ganz andere Namen, vergleichbar mit dem Spiel „Stille Post“. Auch die Todesdaten wurden oft verwechselt. Im Ergebnis entstand eine zusammenfassende Tabelle, die auf der Grundlage des Datenmaterials aus diesen drei Dokumenten erstellt wurde: den zwei Listen aus dem Staatsarchiv in der Stadt Greiz und der Listen der Website des Verteidigungsministeriums „OBD-Memorial“ (dieselbe, die bei der Arbeit zum Soldatengedenkfriedhof verwendet wurde). Die Tabelle zeigt deutlich, wie sich die Daten über die Toten von einem Dokument zum nächsten ändern. Ich identifizierte alle Duplikate und identischen Nachnamen, zeigte Fehler in Datum und Rechtschreibung an, markierte alles mit den entsprechenden Farben. Nach mehreren Überarbeitungen wurden die Tabelle und Kopien der Dokumente auf der Website der Gesellschaft “Memorial”10 veröffentlicht.

Grabstein mit falsch geschriebenem Namen
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Grabstein mit dem falsch geschriebenen Namen: „Gorenko Vaoily“ anstatt „Gorenko Vasilij“.
Grabstein mit Aufschrift „Krieger der sowjetischen Armee“
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Grabstein auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof mit der Aufschrift „Krieger der sowjetischen Armee“.
Grabstein mit Aufschrift: „Unbekannte Bürger der UdSSR 1945“
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Grabstein auf dem Friedhof der Ostarbeiter:innen „Unbekannte Bürger der UdSSR 1945“.

Eine entscheidende Entdeckung war für mich die Tatsache, dass unter den zivilen Ostarbeiter:innen Kriegsgefangene begraben waren, die gleich zu Beginn des Krieges in deutschen Arbeitslagern starben. Dies sind Soldaten, die in Estland, Wjasma, Smolensk und anderen Gebieten gefangen genommen wurden, aus denen sich die Rote Armee zu Beginn des Krieges hastig zurückzog. Und sie liegen zusammen mit Zivilist:innen, obwohl ganz in der Nähe eine große Fläche als Gedenkfriedhof der sowjetischen Soldaten bezeichnet wird. Es ist mir gelungen, mindestens 31 dieser Kriegsgefangenen zu finden. In deutschen Dokumenten sind sie einer eigenen Kategorie zugeordnet, einige von ihnen hatten sogar Nummern. Die Gräber dieser Soldaten unterscheiden sich jedoch nicht von den Gräbern der Zivilist:innen. Dank der Daten aus deutschen Quellen sowie den Dokumenten, die auf den Websites des Verteidigungsministeriums und des Archivs von Bad Arolsen veröffentlicht wurden, konnte ich fast alle hier begrabenen Soldaten identifizieren (Nicht finden konnte ich zwei Personen mit stark verzerrten Daten sowie die Namen von zwei unbekannten Soldaten). Wie bei den Zivilpersonen weichen die Daten der Kriegsgefangenen in sehr vielen Fällen von den Daten in den Kriegsgefangenenkarten und anderen Dokumenten ab. Aufgrund dieses Durcheinanders gelten viele der Soldaten in den russischen regionalen Büchern der Erinnerung immer noch als vermisst.

Die Methode war wie folgt: In den deutschen Dokumenten hatten viele Soldaten eine Kriegsgefangenennummer. Anhand der Nummer fand ich eine Karte des Kriegsgefangenen. In den allermeisten Fällen war auf den gefundenen Karten die Stadt Gera als Sterbeort angegeben (außer bei denen, die später aus Nachbarstädten umgebettet wurden). Mit diesen Daten suchte ich nach anderen Dokumenten: Verlustmeldungen, Listen militärischer Durchgangspunkte, regionale Erinnerungsbücher, Dokumente der Einberufungsämter. Wenn keine Nummer vorhanden war (oder etwas falsch geschrieben wurde, was mehrmals vorkam) – habe ich den Filter „Suche nur unter Kriegsgefangenen“ in die Suche eingefügt und Datenkombinationen eingegeben, z. B. „Vorname + Todesdatum“, „Name + Geburtsjahr“ usw. Auf diese Weise konnte ich fast alle Soldaten identifizieren. Aus Bad Arolsen schickte man mir später weitere zusammenfassende Listen verschiedener Jahrgänge, damit ich die bereits erhaltenen Informationen überprüfen konnte. Für jeden der Soldaten habe ich einen Ordner erstellt, der Folgendes enthält: ein Foto des Grabsteins, die Karteikarte des Kriegsgefangenen, eine Liste mit Links zu Dokumenten und zusammenfassenden Informationen sowie Kopien veröffentlichter Dokumente. Zu vielen Soldaten wurden zusätzliche Dokumente aus militärischen Durchgangsstellen, militärischen Melde- und Einberufungsämtern, Erinnerungsbüchern etc. gefunden. Auf den Karteikarten finden sich neben allgemeinen Angaben die Nummern der Einheiten zum Zeitpunkt der Gefangenschaft, Datum und Ort der Gefangennahme, der Zivilberuf, die Heimatadressen der Soldaten, die Kontaktdaten der Angehörigen und sonstige Daten.

Hier sind einige Beispiele für Fehler, die ich herausgefunden habe: Der in der Republik Komi eingezogene Rotarmist Andrej Andrejevič Šulepov (Андрей Андреевич Шулепов) wurde auf dem Grabstein und in den Listen zu Šelepov. In allen Dokumenten, die ich gefunden habe, wurde der Soldat im September 1941 als vermisst gemeldet. Nur in der beigefügten Abschrift zum Ausweis des Kriegsgefangenen heißt es, dass er in Gefangenschaft gestorben ist, aber diese Information wurde nicht mit anderen Quellen, einschließlich des Buches der Erinnerung an die Republik Komi, korreliert. Er starb tatsächlich am 3. Dezember 1941 bei der Zwangsarbeit in Gera an Erschöpfung. Ich bin mir nicht sicher, ob seine Familie dies weiß.

 

Der Funker Domračev Sergej Ivanovič, der vor dem Krieg als Ingenieur bei der Eisenbahn in Swerdlowsk (dem heutigen Jekaterinburg) arbeitete, wurde zu Domraschov und wird immer noch vermisst.

Archicfoto eines Kriegsgefangenen
Archivfoto eines der Kriegsgefangenen, der auf dem „zivilen“ Teil des Ostfriedhofs in Gera begraben ist.
©Margarita Novoselova

Der Kriegsgefangene, auf dessen Grabstein der Name „Fonin Irim“ stand, war Fomin Irinej Maksimovič (Ириней Максимович Фомин) aus dem Dorf Timošinskaja, Gebiet Wologda. Irenej war Bauer. Am 28. Juli 1941 wurde er in Estland gefangen genommen, am 14. Januar 1942 starb er bei der Zwangsarbeit an Herzversagen. Offiziell gilt er noch immer als vermisst. Nun wandte sich sich sein Enkel nach meiner Veröffentlichung dieser Informationen auf der Website des Projekts „Unsterbliches Regiment“11 an mich. Hier ist ein Zitat aus seinem Brief: „Ich bin der Enkel von Irinej Maksimovič. Meine Großmutter hat ihr ganzes Leben auf ihn gewartet, aber nie herausgefunden, wo er war. Und erst nach so langer Zeit haben wir durch Sie vom Großvater erfahren. Vielen Dank von unserer ganzen Familie.“

 

Der Soldat Fjodor Ivanov (Фёдор Иванов) aus dem Dorf Rvy, Distrikt Dnovskij, wurde auf dem Grabmal als Peter geführt. Er wurde wie Irenej am 28. Juli 1941 in Estland gefangen genommen und starb am 8. März 1942 im Arbeitskommando an Erschöpfung. Im Erinnerungsbuch des Gebiets Nowgorod wird er als vermisst geführt.

Der Soldat Dmitrij Semenovič Inževatkin (Дмитрий Семенович Инжеваткин) aus dem Dorf Novaja Pyrma, Mordwinische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik, wurde am 30. September 1941 in Brjansk gefangen genommen. Am 12. März 1942 starb er bei der Zwangsarbeit und erhielt auf dem Grabstein einen völlig anderen Vor- und Nachnamen – Ineschvatkin Pimitry. Ich habe auf derselben Website des „Unsterblichen Regiments“ eine Seite gefunden, die ein Enkel für seinen Großvater erstellt hat. Er wusste, dass sein Großvater in Gera begraben war, nahm aber ganz logisch an, dass er auf dem Gedenkfriedhof der sowjetischen Soldaten lag, genau an der Stelle, wo am 8. und 9. Mai feierliche Blumen niedergelegt und Reden gehalten wurden. Der Enkel war sehr überrascht, als ich ihm von der wahren Sachlage erzählte.

 

Vasilij Pačalov wurde zu Vasily Pacomov. Er ist als vermisst gelistet. Aus Aleksej Zadavysvička aus dem Gebiet Poltawa wurde Aleksey Sadovtschenko. Osip Zacharov (Осип Захаров) erhielt den Nachnamen Sacharow. Alexej Burchanov (Алексей Бурханов), 1947 von Langenberg in Gera umgebettet, wurde zu Buchanow, gilt als vermisst. Vasilij Kys’yurov (Василий Кызъюров) aus der Republik Komi starb im Lager Langenberg mit der Diagnose Wassersucht, Rippenfellentzündung, Kreislaufversagen. Auf dem Grabstein wurde er zu Vasily Kusurov, laut verschiedenen Quellen wird er als getötet oder vermisst aufgeführt.

Nachdem ich alle erhaltenen Informationen auf meiner Facebook-Seite gepostet hatte, machten die Leser mehr als 400 Shares. Das Thema interessiert die Menschen weiterhin und viele suchen auch heute noch nach ihren Angehörigen. Ich sammelte alle nach dem Abgleich erhaltenen Daten in einem Dokument und schickte es mit einem ausführlichen Schreiben an die E-Mail-Adresse der Abteilung für die Bewahrung der Erinnerung an die bei der Verteidigung des Vaterlandes Gefallenen bei der Botschaft der Russischen Föderation in Deutschland in Berlin. Die Antwort erreichte mich im Auftrag der Vertretung des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation für die Organisation und Durchführung der militärischen Gedenkstättenarbeit in der BRD12 mit folgendem Inhalt: Wir sind dankbar für die erhaltenen Informationen, wir werden sie bei der weiteren Arbeit berücksichtigen, aber die Grabsteine werden von deutscher Seite gepflegt. Die Korrektur der Inschriften erfolgt bei Reparaturarbeiten, und das Datum ihrer Umsetzung liegt außerhalb der Zuständigkeit der Repräsentanz. Dies entspricht dem am 16. Dezember 1992 unterzeichneten zwischenstaatlichen russisch-deutschen Abkommen über die Pflege von Kriegsgräbern. Demnach sorgt die deutsche Seite für die Sicherheit der Bestattungen und deren Pflege. Diese Arbeit wird erledigt, die Standorte selbst sind gepflegt. Aber meiner Meinung nach hebt dies nicht die Verantwortung der russischen Seite auf, für zuverlässige Informationen über ihre Bürger:innen zu sorgen.

 Alexander Makeew reinigt die Grabsteine
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Alexander Makeew reinigt die Grabsteine. Mai 2022.
Alexander Makeew auf dem Friedhof
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Im Mai 2022 habe ich gemeinsam mit meinem Freund Dmitry Slivtschuk alle Grabsteine auf der „Erwachsenenabteilung” gewaschen. Einige dieser Steine waren zu diesem Zeitpunkt so stark mit Moos und Flechten bewachsen, dass die Steine selbst nicht sichtbar waren. Wir haben vier Tage für die Aufräumarbeiten gebraucht, die gesamte Ausrüstung wurde uns kostenlos von den Mitarbeitern des Ostfriedhofs zur Verfügung gestellt. Nachdem sie mein Interesse an diesen Bestattungen gesehen hatten, druckten sie außerdem einen Plan dieser Stätte mit Namen und Nachnamen der beigesetzten Personen aus, wie sie auf den Grabsteinen geschrieben wurden.

Unter Berücksichtigung der nur bei den Kriegsgefangenen festgestellten Fehlerzahlen ist davon auszugehen, dass beim Abgleich der Daten von Ostarbeiter:innen mit ihrer wahren Identität Ähnliches zu erwarten ist. Leider gibt es nicht so viele öffentlich zugängliche Informationen über diese Kategorie von Bürgern wie über Militärangehörige. Das Thema Ostarbeiter:innen und Kriegsgefangene ist in Russland immer noch nicht sehr beliebt, da es weder besonders heroisch wirkt noch der heutigen politischen Agenda entspricht. Und das nicht nur heute – in der gesamten sowjetischen Nachkriegsgeschichte galten Häftlinge und Ostarbeiter:innen als Verräter:innen. Der Geraer Ostfriedhof ist daher ein gutes Beispiel für die sogenannte „unbequeme Geschichte“, einen selektiven Umgang mit der Vergangenheit in Russland. Soldaten, die nicht gefangen genommen wurden, wurden auf eine offizielle Gedenkstätte umgebettet (auch wenn einige von ihnen erst nach Kriegsende starben) und Kriegsgefangene und Ostarbeiter:innen verblieben in den Tiefen des Friedhofs.

Ich würde es sehr begrüßen, wenn diese Frage zu ihrem logischen Ende gebracht werden könnte. Offensichtlich klingt die Idee, die Überreste der Kriegsgefangenen in die Abteilung des Soldatenfriedhofs zu überführen, zu utopisch und ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Das wäre die ideale Variante. Als Alternative sehe ich die Herstellung neuer Platten mit aktualisierten Daten und deren Anbringung an den alten Grabsteinen. Ein sehr gutes Beispiel für eine solche Arbeit ist der sowjetische Ehrenfriedhof in Prag, wo Vladimir Pomortsev vor kurzem ähnliche Arbeiten zur Datenklärung durchgeführt hat.13 Diese neuen Platten sollten meiner Meinung nach kenntlich machen, dass hier keine Zivilist:innen, sondern Soldat:innen liegen. Es wäre gut, auf dem Gedenkfriedhof ein Schild anzubringen, das auf weitere Bestattungen in dem anderen Teil des Friedhofs hinweist.

Vielen Dank an alle, die mir bei dieser Studie geholfen haben: den Mitarbeiter:innen der Gedenkstätte Amthordurchgang (Gera), dem Stadtarchiv Gera, dem Thüringischen Staatsarchiv (Greiz), den Arolsen Archives, den Mitarbeiter:innen des Ostfriedhofs (Gera), meinen Kolleg:innen aus dem Kreisverband der Volkssolidarität (Stephan Scheler u. a.) und gesondert Uta Mühlisch (Berlin-Karlshost Museum), Dr. Lutz Prieß, Dr. Julia Landau (Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora), Natalia Baryshnikova (Memorial) für Lektorat und Dmitry Slivtschuk, der mit mir das Gelände gereinigt und mehrere Friedhöfe in den Nachbarstädten besucht hat, um vorläufige Informationen für die weitere Arbeit zu sammeln.

Alexander Makeev ist Historiker, Autor und ehemaliger Direktor des Dokumentationszentrums des Gulag-Museums (Moskau). Seit 2019 lebt er in Gera (Deutschland) und arbeitet als Historiker und Übersetzer. Seine Interessenschwerpunkte sind der Große Terror in der Sowjetunion, sowjetische Kriegsgefangene und Ostarbeiter:innen. Sein Buch „Pastor Wagners letzte Briefe“ über seine Erfahrungen bei der Aufarbeitung seiner Familiengeschichte wird demnächst auf Deutsch erscheinen.

Fußnoten

1 Tsentral´nyj archiv Ministerstva oborony Rossijskoj Federacii (TsAMO), učetnaja kartočka zachoronenija, nomer zachoronenija v VMTs 1716/105. [Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation (TsAMO), Registrierkarte der Grablagen, Nummer der Grablage VMTs 1716/105.]

2 https://obd-memorial.ru/

3 TsAMO f. 33, op. 594260. D. 108. Nummer des Berichts 2174.

4 TsAMO f. 58, op. A-32608, d. 7.

5 TsAMO f. 58, op. A-83627, d. 7201.

6 Stadtarchiv Gera, Signatur IIIB14-10157.

7 Brunhilde Jung. Vergessene Kinder. Kinder von Zwangsarbeiterinnen des Zweiten Weltkrieges in Gera. Gera, 2010.

8 Thüringisches Staatsarchiv Greiz, Signatur 1147, S. 191–198.

9 Ebd., S. 211–215.

10 https://ost-west.memo.ru

11 https://www.moypolk.ru/

12 Informationsschreiben der Vertretung des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation zur Organisation und Führung der militärischen Gedenkstättenarbeit in der BRD, 28.07.2023, No. 328/4/681, aus dem Archiv des Autors.

13  https://pomortzeff.com/spisok


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