Geschichtskultur

Die Gedenkaktion „Letzte Adresse“

Genese, Erinnerungsinhalte & Deutungen

Gedenkzeichen für Wolfgang Waterstraat in Berlin, Bild und Rose auf Hocker vor Hauswand
Installation des Gedenkzeichens für Wolfgang Waterstraat in Berlin-Neukölln, 18. August 2023.

„Ein Name, ein Leben, ein Zeichen“, lautet die Losung der zivilgesellschaftlichen internationalen Gedenkaktion Letzte Adresse, russisch: Poslednij Adres. An den letzten Wohnadressen politisch Verfolgter der Sowjetunion (UdSSR) bringt diese Initiative kleine Erinnerungszeichen an. Das Prinzip ähnelt jenem der in Erinnerung an NS-Opfer verlegten Stolpersteine. Tatsächlich ist das deutsche und europäische Stolpersteinprojekt Vorbild für diese Form des postsowjetischen Erinnerns an den politischen Terror. Im Dezember 2013 wurde die Letzte Adresse auf Initiative des russischen Journalisten und Radiomoderators Sergej Parchomenko gemeinsam mit der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, Historiker:innen, Künstler:innen und Architekt:innen ins Leben gerufen. Das Projekt setzte sich zum Ziel, die Namen der politisch Verfolgten in der UdSSR an deren letzte Wohnorte zurückzubringen. Auf Grundlage der Ideen und Prinzipien der Menschenrechtsbewegung seit dem Ende der Sowjetunion möchte diese Form des Erinnerns aufzeigen, dass jedes Leben wertvoll ist. Dabei trägt auch das Letzte Adresse-Projekt den Gedächtnisimperativ „nie wieder“1 mit sich und orientiert sich an transnationalen Erinnerungstendenzen.

Seit nunmehr knapp 10 Jahren erinnert die Letzte Adresse mithilfe rechteckiger Edelstahltäfelchen, die an den Hausfassaden angeschraubt werden, an Opfer politischer Repressionen. Jedes der normierten Schilder trägt sieben bis acht Zeilen eingravierten Textes: der Name, der Beruf, das Geburtsdatum, der Tag der Verhaftung, das Datum der Urteilsvollstreckung sowie das der Rehabilitierung. Es soll, so die Idee des Projektes, an alle Opfer politischer Willkür von 1917 bis zum Zerfall der UdSSR erinnert werden. Dabei soll es explizit nicht um herausstechende oder prominente Opfer der Säuberungen, wie Militärführer, Altbolschewiki oder die künstlerische Elite gehen, sondern die ganze Breite sowjetischer Opferschaft vom Fabrikarbeiter bis zur Stenographin abbilden. Insofern korrespondiert die Erinnerungspraxis der Letzten Adresse mit der historischen Realität, in welcher der politische Terror alle Bevölkerungsschichten tangierte. Da die politische Verfolgung in der UdSSR in den massenhaften Verhaftungen und Erschießungen der 1930er-Jahre, dem Großen Terror der Jahre 1936 bis 1938 gipfelte, fokussiert sich die Erinnerungspraxis der Letzten Adresse auf diese Zeit. Es wird an Menschen erinnert, die nach dem berüchtigten Artikel 58 des Strafgesetzbuches der Sowjetunion für fingierte konterrevolutionäre Verbrechen verurteilt worden waren.

In Russland wurden nach dem Zerfall der UdSSR – anders als etwa in Ostdeutschland oder Tschechien – keine politisch belasteten Mitarbeiter:innen aus dem öffentlichen Dienst entfernt. Auch die fehlende öffentliche und juristische Verurteilung der maßgeblichen Ausführenden der Repressionen im Zuge eines offiziellen Prozesses wird von zivilgesellschaftlichen Gedenkaktivist:innen immer wieder moniert. Es kam nach dem Ende der Sowjetunion zu keiner kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern zu einem politischen Kompromiss zwischen Verurteilung und Rechtfertigung, um eine politische Stabilisierung Russlands zu gewährleisten. In Konsequenz einer solch widersprüchlichen Geschichtspolitik unterzeichnete Vladimir Putin im Jahr 2015 eine Konzeption zur „Verewigung“ des Andenkens an die Opfer politischer Repressionen. Die Bürgeraktion Poslednij Adres kann sich in diesem staatlichen Rahmen der Gedenkpolitik wiederfinden, der aus der Konzeption erwachsene Fond Pamjati („Gedenkfond“) wirbt in seinen Arbeitsberichten mit der Unterstützung der Letzten Adresse.2 Als eines der Ergebnisse dieser Konzeption wurde Ende Oktober 2017 in Moskau das erste staatliche Denkmal für die Opfer der politischen Repressionen („Wand der Trauer“) eingeweiht, das aufgrund seiner fehlenden Aussagekraft vielfach Kritik erfuhr.

Gedenkplatte der Letzten Adresse
Gedenkzeichen der Letzten Adresse für den 1952 in Moskau erschossenen Arzt und Mikrobiologen Wolfgang Waterstraat, 2023.

Die Aktivst:innen der Letzten Adresse werten die Gedenkform des Projektes als neutrales Erinnern ohne Wertung der Personen. Es gehe nicht darum, Menschen zu ehren. Dies entspricht auch dem rechtlichen Status der Täfelchen, vergleichbar mit gewöhnlichen Informationszeichen im Stadtraum. Dieses vermeintlich neutrale Erinnern sichert dem Projekt seinen Aktionsradius, denn so wird zwar die Zustimmung von Hausbewohner:innen und Eigentümer:innen benötigt, aber nicht die der russischen Behörden. Diese Form des Gedenkens entspringt somit in pragmatischer Weise russischen Gegebenheiten und Alltagsrealitäten. Gleichzeitig hat sich diese Funktionsweise auch in alle anderen Länder im postkommunistischen Europa, in denen Poslednij Adres mittlerweile aktiv ist, übertragen: In Tschechien, Georgien oder Deutschland werden die Schilder ebenfalls in Abstimmung mit den Hausbesitzer:innen und Bewohner:innen angebracht. Diese Abstimmungen sind mitunter langwierige und schwierige Prozesse, die nur selten von Erfolg gekrönt sind. Kommt es jedoch zu einer Einigung, wird die Poslednij Adres-Tafel, meist von den Nachfahren der Repressierten beantragt, im Rahmen einer Anbringungszeremonie installiert und der Öffentlichkeit übergeben. Diese halb-öffentlichen Veranstaltungen haben gerade für die Nachkommen eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung. Insbesondere in Tschechien oder Deutschland kommt es öfter vor, dass die Veranstaltungen von offizieller Seite begleitet werden – Bürgermeister:innen oder andere politische Vertreter:innen sowie Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Dies ist in Russland nicht der Fall.

Dass die Repressionsopfer in der russischen Erinnerungskultur kaum präsent sind, die jahrzehntelange Unterdrückung einer öffentlichen Artikulation der Erinnerung zu einem – man könnte schon sagen – blockierten Gedächtnis geführt hat, wurde vielfach beschrieben. Der 2017 verstorbene russische Menschenrechtler und Memorial-Mitbegründer Aresenij Roginskij attestierte Russland ein „fragmentiertes Gedächtnis“3, Der russische Kulturwissenschaftler und Psychologe Alexander Etkind sprach von einer doppelten Traumatisierung im sowjetischen Raum – zum einen durch die Ereignisse selbst sowie durch das anschließend auferlegte Sprechverbot.4 All dies resultierte nicht zuletzt auch daraus, dass einfache Täter- und Opferdichotomien nicht immer tragfähig sind.

Um dieser historischen Komplexität zu begegnen, wird das Projekt Poslednij Adres von einen Historiker-Expertenrat in Russland begleitet, der Archivrecherchen anstellt und bei sogenannten schwierigeren Fällen auf Grundlage der Recherchen entscheidet, ob ein Schild angebracht werden soll oder nicht. Dennoch kam es seit der Installation des ersten Täfelchens in Moskau im Dezember 2014 zu diversen Diskussionen über das Projekt und seine Erinnerungspraktiken und die Präsenz der Opfer im Stadtraum. Kritische Stimmen galten und gelten der Erinnerung an einzelne Persönlichkeiten, ihrer mutmaßlichen Involvierung in die sowjetische Repressionsmaschinerie oder ihre Rolle im russischen Bürgerkrieg. Die Stadt solle nicht in einen Friedhof verwandelt werden, oder die Unschuld der Menschen sei nicht bestätigt, lauten gesellschaftliche Stimmen zum Projekt.

Zwei Personen, die in ihren Biographien auf entgegengesetzten Seiten des politischen Spektrums standen, verdeutlichen die mehrschichtigen Ebenen der Kritik, die in der Demontage beider Gedenkzeichen gipfelte: Am 5. Februar 2022 veröffentlichte ein Facebook-Nutzer einen Beitrag, der auf das zuvor in Moskau abmontierte Gedenkschild für den Schriftsteller und Karikaturisten Jakov Bel’skij-Bilenkin verweist. Der in Odessa geborene Bel’skij-Bilenkin nahm als Mitglied der Roten Garde an den revolutionären Umbrüchen und der Errichtung der Sowjetmacht in seiner Geburtsstadt teil. 1919 war er als Künstler im Exekutivkomitee von Odessa tätig. 1920 begann er seinen Dienst in der sowjetischen Geheimpolizei Tscheka, wo er zum Leiter des Provinzgeheimdienstes aufstieg. Laut Poslednij Adres verließ Bilenkin 1922 die Tscheka und begründete diesen Schritt damit, dass er nicht bereit sei, „Menschen zu jagen“ – „selbst wenn sie es verdient hätten“. Sein gesamtes späteres Leben habe er der Literatur und dem Journalismus gewidmet, etwa als Redakteur der Satirezeitschrift Krokodil.5 Im Juli 1937 wurde Bilenkin auf Grundlage des Artikels 58 des sowjetischen Strafgesetzbuschs wegen angeblicher terroristischer Handlungen und Gründung einer antisowjetischen Organisation vom Militärkollegium des Obersten Gerichtshofs der UdSSR zur höchsten Strafe – Tod durch Erschießung – verurteilt. Im November 1937 wurde er erschossen. Die offizielle Rehabilitierung erfolgte am 20. Juni 1990.

Der Autor der Facebook-Posts wandte sich an die Moskauer Stadtverwaltung, um die Demontage der „Gedenktafel für den Odessiter Tschekisten-Henker Jakov Bel’skij-Bilenkin“ zu fordern. Er begründete dies damit, dass „diese Gruppe von Bürgern“ mit ausländischem Geld Gedenktafeln für Parteifunktionäre, Tschekisten, rote Terroristen, revolutionäre Unruhestifter sowie Henker des russischen Volkes anbringe. Nachdem es offenbar keine Reaktion auf sein Schreiben gegeben hatte, entfernte er das Schild eigenhändig und postete ein Foto der „Tatwaffe“, eines Brecheisens.6

Ein Gedenkzeichen für eine Person mit einer ganz anderen Biographie wurde am 12. September 2021 für Anatolij Pepeljaev in Voronež, auf dem Prospekt Revoljucii 52, angebracht. 1891 war der spätere Generalleutnant in eine Militärfamilie im sibirischen Tomsk geboren worden. Ausgebildet am Omsker Kadettenkorps und an der Militärakademie Pavlovsk in St. Petersburg, wurde er für seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg mit mehreren Orden ausgezeichnet. 1918 schloss er sich dem antibolschewistischen Widerstand im Untergrund an. Er wurde zum Kommandeur des Zentralsibirischen Korps der konterrevolutionären Weißen Armee ernannt, verbuchte Siege gegen die Rote Armee und befehligte als General die 1. Sibirische Armee. Nach dem Sieg der Roten Armee gelang ihm die Flucht nach China. Nachdem er nach Russland zurückgekehrt war, leitete er im Jahr 1922 in Jakutien einen antisowjetischen bewaffneten Aufstand, der niedergeschlagen wurde. Pepeljaev wurde festgenommen und verbrachte zwölf Jahre und sieben Monate im Sondergefängnis Jaroslavl’; im Juli 1936 wurde er freigelassen und erhielt die Erlaubnis, sich in Voronež niederzulassen. Am 21. August 1937, auf dem Höhepunkt des Großen Terrors, erfolgte seine erneute Verhaftung. Er wurde auf Grundlage des Artikels 58 beschuldigt, „eine groß verzweigte konterrevolutionäre kadettenmonarchistische Organisation auf Westsibirischem Territorium“ geführt zu haben. Am 14. Januar 1938 wurde er erschossen. Seine Rehabilitierung erfolgte am 20. Oktober 1989.

Ausschnitt der 32 Poslednij Adres-Schilder am „Haus der Spezialisten“ in St. Petersburg
Fotoausschnitt vom Oktober 2021 der insgesamt 32 Poslednij Adres-Schilder am „Haus der Spezialisten“ in St. Petersburg. Inzwischen sind alle Tafeln entfernt worden.

Auf die Installation des Täfelchens, das gut 82 Jahre nach dem Tod Pepeljaevs an seiner letzten Wohnadresse in Voronež angebracht wurde, hätten die Bewohner:innen der Stadt empört reagiert, berichtete die Zeitung Krasnaja Vesna im Februar 2022. Denn die Gedenktafel sei illegal von einer Stiftung angebracht worden, die als ausländischer Agent gelte. Der Lokalhistoriker Nikolaj Sapelkin teilte die Kritik, denn General Pepeljaev habe während des Bürgerkriegs viele Verbrechen begangen, er sei ein „blutiger Mörder“ und das Schild führe zu einer neuen Spaltung der Gesellschaft.7 Das Bürgermeisteramt der Stadt Voronež entgegnete schließlich, dass es sich bei der Tafel nicht um eine offizielle Gedenktafel handele, ihre Installation sei nicht von der zuständigen städtischen Behörde genehmigt worden. Anfang Februar 2022 wurde das Schild schließlich demontiert.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und den verstärkten innenpolitischen Repressionen gegen Andersdenkende agiert Poslednij Adres vorsichtiger und wägt stärker ab, für wen ein Schild angebracht werden sollte und für wen nicht. Grundsätzlich sei darauf hingewiesen, dass das Poslednij Adres-Netzwerk, international aber auch innerhalb Russlands, ein heterogenes Netzwerk aus Einzelpersonen darstellt, die unterschiedlichsten Professionen nachgehen. Auch innerhalb des Netzwerkes gibt es divergierende Meinungen, ob etwa für jemanden, der/die bei den sowjetischen Sicherheitsbehörden tätig gewesen ist, ein Schild installiert werden soll oder nicht.

Der selbstauferlegte Anspruch der Aktivist:innen, neutrale Gedenkzeichen anzubringen, die nach rechtlichem Status Informationsschilder sind, kollidiert vielfach mit der gesellschaftlichen Rezeption der Schilder. Als Symbole im öffentlichen Raum können sie schlichtweg nicht ohne Bedeutung sein. Diese Bedeutung divergiert jedoch je nach Rezipient:in; sie ist nicht eindeutig festgelegt. Im Projekt fließen mehrere Deutungsebenen zusammen: Für die Nachfahren ist es apolitisches Gedenken, das Trauern steht im Vordergrund. Übergeordnet geht es auch um offizielle Anerkennung des widerfahrenen Unrechts. Viele der Opfer haben keinen bekannten Begräbnisort oder wurden in anonymen Massengräbern verscharrt, insofern nehmen die Täfelchen der Letzten Adresse sowie die öffentliche Anbringungszeremonie die Bedeutung einer nachträglichen Beerdigung ein. Für die Aktivist:innen haben die Schilder zudem eine Bildungsfunktion: Es gehe darum, die Menschen zu informieren, was geschehen war, wie die Terrormaschinerie funktionierte. Zumindest im postsowjetischen Raum korrespondiert diese Form des Erinnerungsaktivismus mit der Realität im stalinistischen Terror: Täter wurden zu Opfern, einige machten sich mitschuldig, während andere verwickelt oder hineingezogen wurden. Viele Aktivist:innen des Projektes, darunter auch Historiker:innen, verzichten auf eine Schwarz-Weiß-Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern. Dies wiederum ist Ausdruck einer vermeintlichen historischen Objektivität.

Dies entspringt auch einer nie stattgefundenen juristischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Nach dem Ende der Sowjetunion gab es nie ernsthafte Versuche, die Ausführenden des Terrors zu verurteilen. Es gab kein sowjetisches oder russisches „Nürnberg“ wie es aus zivilgesellschaftlichen Kreisen oft gefordert wurde. Bemerkenswert ist, dass nicht eine übergeordnete Instanz, sondern letztlich die Bürger:innen (in Funktion von Hauseigentümer:innen) entscheiden können, wem gedacht werden soll und wem nicht. Dass daraus agonistische Formen des Erinnerns erwachsen, die als Antwort auf neuerdings in Europa auftretende antagonistische Erinnerungskulturen gelten, mag eher zufällig sein. Es zeigt jedoch, welche auch unbeabsichtigten Folgen ein solch transnationales Projekt auslöst. Gleichzeitig verweisen Gedenkaktivist:innen mit Blick auf die gegenwärtigen Aggressionen des russischen Staates auf die Vergangenheit. Sie sehen eine Ursache der Aggressionen in der unbearbeiteten Vergangenheit stalinistischer Repressionen und fordern deren Erforschung durch Vergegenwärtigung ein. Das Leiden der Vergangenheit müsse erinnert werden, damit es sich nicht in der Gegenwart wiederhole. Damit politisierte der Krieg gegen die Ukraine das Gedenken an die Opfer der Repressionen.

Zurück nach Deutschland: Was geschieht also, wenn ein durch die deutsche Erinnerungskultur inspiriertes Projekt, das entlang der russischen historischen wie gesellschaftlichen Gegebenheiten entwickelt wurde, wieder zurück nach Deutschland kommt, um dort an die Opfer der stalinistischen Repressionen zu erinnern? Wir müssen einräumen, dass hierzulande die Erinnerung an die stalinistischen Verbrechen im Nachkriegsdeutschland im Rahmen des Letzte-Adresse-Projektes ein komplexes Unterfangen darstellt. Hiervon zeugen etwa die schleppenden und meist nicht erfolgreichen Verhandlungen mit Hausbesitzer:innen über die Installation neuer Gedenkschilder. Hiervon zeugt auch das bereits in der Nacht nach dessen Installation am 18. August 2023 in Berlin-Neukölln gestohlene Gedenkschild für den 1952 in Moskau erschossenen Mikrobiologen des Robert Koch-Instituts (RKI) Wolfgang Waterstraat. Zudem gilt es zu bedenken, dass man in Deutschland auf individueller Ebene durchaus auf die Erfahrungen zweier Diktaturen treffen kann, die Fragen nach dem Grad der Involvierung unweigerlich eröffnen. Dies geschieht in einer erinnerungskulturellen Landschaft, die die Erinnerung an die NS-Verbrechen institutionalisiert und in die breite Gesellschaft gebracht hat, was jedoch abermals vom rechten politischen Spektrum infrage gestellt wird. Während es in Russland kaum noch einen Raum gibt, in dem die Opfer sowjetischer Willkür präsent sind, gibt es in Deutschland durchaus Erinnerungsräume und -orte für die Opfer des Stalinismus. Inwieweit die Letzte Adresse einen Platz innerhalb dieses Teils deutscher Erinnerungskultur finden kann, wird weiterhin zur Aushandlung stehen.

"Wand der Trauer" in Moskau
Am 30. Oktober 2017 eingeweihte „Wand der Trauer“ in Moskau.
©Melanie Hussinger

Melanie Hussinger, M.A., ist seit April 2021 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Geschichte Osteuropas und Ostmitteleuropas der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, ihr Promotionsprojekt befasst sich mit dem transnationalen Erinnerungsprojekt „Poslednij Adres/Letzte Adresse“.

Fußnoten

1 Zum Gedenkimperativ „nie wieder“ in globaler Perspektive vergleiche das Vorwort des erst kürzlich ins Deutsche übersetzten Buches von Nikolaj Epleés: Die Unbequeme Vergangenheit. Vom Umgang mit Staatsverbrechen in Russland und anderswo, Berlin 2023.

2 In den Arbeitsberichten der Jahre 2019 und 2020 weist der Fond auf die finanzielle Unterstützung des Projektes hin. Im Jahr 2021 seien mithilfe des Fond Pamjatis 58 Gedenkzeichen in Moskau, St. Petersburg, Perm und Jekaterinburg installiert worden. Im letzten Bericht für das Jahr 2022 fehlen Hinweise auf eine Unterstützung. Vgl. https://memoryfund.ru/about#reports (Abrufdatum: 27.10.2023).

3 Siehe hierzu den nach wie vor aktuellen Beitrag Arsenij Roginskijs „Fragmentierte Erinnerung. Stalin und der Stalinismus im heutigen Russland“, in: Osteuropa, 1/2009, S. 37–44.

4 Alexander Etkind: Warped Mourning. Stories of the Undead in the Land of the Unburied. Stanford 2013.

5 So der Beitrag der Historikerin Oksana Kijanskaja, die zu Bel’skij-Bilenkin forscht, auf der Poslednij Adres-Webseite. Vgl. https://www.poslednyadres.ru/articles/belsky.html (Abrufdatum: 27.10.2023).

6 Zum Facebook-Eintrag siehe: https://www.facebook.com/ photo.php?fbid=1319949008523112&set=p.131994900852311 2&type=3 (Abgerufen am 27.10.2023).

7 Vgl. https://rossaprimavera.ru/news/62bd27d8 (abgerufen am 27.10.2023).


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