Gedenkstätte Buchenwald

Pläne für eine neue Dauerausstellung

Sowjetisches Speziallager Nr. 2 in Buchenwald 1945–1950

Speziallagerausstellung, Eingangsbereich
Speziallagerausstellung, Eingangsbereich. Foto: Claus Bach. ©Gedenkstätte Buchenwald

In der DDR wurden die Speziallager weitgehend tabuisiert, die Toten verschwiegen und die Lagererfahrungen allenfalls im privaten Rahmen artikuliert. In der Bundesrepublik wurde die Geschichte der Speziallager bald vergessen, wenn sie nicht als „rote Konzentrationslager“ im Rahmen eines antikommunistischen Narrativs politisch instrumentalisiert wurden. Erst seit den 1990er-Jahren wurde die Speziallagergeschichte aufgearbeitet, an der Gedenkstätte Buchenwald baute der nach dem Ende der DDR für den Bereich zuständige Kustos Dr. Bodo Ritscher ein thematisches Archiv und eine umfangreiche Sammlung auf.

1997 eröffnete die Gedenkstätte Buchenwald die erste Ausstellung zur Geschichte sowjetischer Speziallager in Deutschland. Aufgeladene politische Auseinandersetzungen über ihren Inhalt und ihre Gestaltung gingen der Eröffnung voraus. Für die Präsentation der Ausstellung wurde ein neues Gebäude am Rande des ehemaligen Lagergeländes errichtet, unmittelbar gegenüber dem größten Relikt der Speziallagergeschichte: dem im Jahr 1996 mit 850 Stahlstelen als Waldfriedhof gestalteten Gräberfeld I. Hier war ein großer Teil der 7.113 Menschen, die zwischen 1945 und 1950 im Speziallager Nr. 2 an den Folgen von Mangelernährung, fehlender hygienischer und medizinischer Versorgung verstorben waren, anonym begraben worden.

Das 1997 fertiggestellte Gebäude ist sachlich gehalten. Zum Gräberfeld ist die fensterlose Front durch einen schmalen Glasspalt geöffnet. An dieser Stelle liegt im Inneren des Gebäudes das Totenbuch aus, durch das Fenster blickt man auf die Stelen des Gräberfeldes. Die Ausstellung selbst wurde weitgehend dokumentarisch angelegt, um die ideologisch geführten Debatten der 1990er-Jahre zu versachlichen. Eine lange Tischvitrine an der Längsseite des Gebäudes widmet sich unterschiedlichen Biographien von Insass:innen des Speziallagers. Weitere Vitrinen behandeln die eigentliche Speziallagergeschichte und Aspekte des Lageralltags. Die vier Ausstellungsabschnitte sind durch senkrechte Wände unterteilt. Hier werden die politisch-historischen Kontexte der Lagergeschichte weitgehend chronologisch abgehandelt: die alliierte Internierungspolitik, Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), die Politik der „antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung“ in der SBZ, die Speziallager in der deutschen Öffentlichkeit, die wirtschaftliche und soziale Situation in der SBZ, die Auflösung der Speziallager und deren Nachgeschichte, der Umgang mit den verschwundenen Menschen. Im Eingangsbereich präsentiert eine Vitrine kommentarlos den Wissensstand zu Beginn der 1990er- Jahre und die Kontroversen und Diskussionsprozesse im Vorfeld der Einrichtung der Ausstellung.

Nachdem das Expert:innengremium bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien das Projekt einhellig befürwortete, soll nun – finanziert durch den Bund und den Freistaat Thüringen – eine neue Ausstellung gestaltet werden. Wie wird diese neue Ausstellung aussehen, die im Herbst 2026 eröffnet werden soll? Weshalb ist eine neue Ausstellung überhaupt notwendig, wo man doch bereits eine gut strukturierte, gestalterisch klare Ausstellung vor sich hat, deren Alter man zunächst nur beim Quietschen der Schubfächer bemerkt?

Zum einen ist die über 26 Jahre alte Ausstellung nicht nur in technischer, sondern auch in museumsdidaktischer Hinsicht überholt. Als dokumentarische Ausstellung, die die historischen Quellen zum sachlichen Leitprinzip machte und den Besucher:innen die Einordnung und Deutung weitgehend überließ, ist sie nicht an die Vorkenntnisse und Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten heutiger Besucher:innen angepasst. Ein stärker narrativdidaktisch ausgerichteter Zugang erscheint notwendig, um Interesse für ein wenig bekanntes Thema zu wecken und historische Kontexte verständlich zu erschließen. Dies ist insbesondere deshalb vonnöten, da das Thema auch weiterhin politisch instrumentalisiert wird und es daher einer kritischen historischen Aufklärung auf der Grundlage einer fundierten Quellenanalyse bedarf. So wird einerseits von rechtskonservativer Seite bis in die „Neue Rechte“ die Speziallagergeschichte in einen neuen Totalitarismusdiskurs eingebettet, der die deutschen NS-Verbrechen nivelliert, andererseits wird von manchen aber auch der Unrechtscharakter der Speziallager missachtet, wenn sie als eine erfolgreiche Entnazifizierungsmaßnahme der Besatzungsmacht dargestellt werden.

Abgesehen von zeitgemäßen didaktischen Zugängen und musealen Präsentationsformen wie auch der Berücksichtigung inklusiver Belange wird die neue Ausstellung auch inhaltlich neue Akzente setzen – vor allem dadurch bedingt, dass die Forschung fast 30 Jahre nach Eröffnung der bisherigen Ausstellung auf einem deutlich breiteren Fundament steht. Auf der Grundlage der Zusammenführung von Aktenbeständen deutscher und sowjetischer Provenienz lassen sich weitaus genauere Aussagen zur Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft treffen, als dies in den 1990er-Jahren möglich war. Dabei lässt sich auch die zentrale und weiterhin diskutierte Frage nach der Funktion sowjetischer Speziallager genauer beantworten: In welcher Gewichtung und in welcher zeitlichen Abfolge diente die Inhaftierung in den Speziallagern der Entnazifizierung der deutschen Gesellschaft, der Gewinnung von Arbeitskräften für die Sowjetunion oder dem politischen Gesellschaftsumbau in der SBZ? Neue Forschungen u. a. zum sowjetischen Personal der Speziallager können die Prozesse innerhalb des stalinistischen Herrschaftssystems erhellen, die zu der zunehmenden Abschottung und Isolierung der Lager zwischen 1945 und 1950 führten. Von Relevanz ist dabei die Darstellung und Einordnung der Versorgungskrise insbesondere während des „Hungerwinters“ 1946/47 in der Sowjetunion, die in den Speziallagern der sowjetischen Besatzungszone nach offiziellen Daten zu 42.889 Todesfällen unter den 122.671 deutschen Lagerinsassen führte – eine Mortalität, die jene der westlichen Internierungslager weit überstieg und von der sowjetischen Besatzungsmacht und der DDR-Regierung bis zu deren Ende verheimlicht wurde.

Seit den 1990er-Jahren sind umfangreiche Berichts- und Interviewarchive entstanden. Hinzu kommen Objektsammlungen, die aus Schenkungen, Übergaben oder Fundstücken bestehen. Seit Eröffnung der bisherigen Dauerausstellung 1997 konnte der Bestand deutlich erweitert werden. Insbesondere der Bestand an Kassibern ist im Laufe der 2000er-Jahre signifikant auf 200 Briefe angewachsen. Eine systematische Analyse der schriftlichen und materiellen Überlieferungen kann wertvolle Einblicke in die Lebensbedingungen im Speziallager Nr. 2 geben, etwa zu den Themen Versorgung und Mangel, Hunger, Arbeit und Beschäftigungslosigkeit, Isolation, Krankheiten, Umgang mit dem Sterben, Entlassungen und Verurteilungen, Strategien der Selbsterhaltung. Die bisher durchgeführten sammlungsbezogenen Forschungen, etwa zu der Herstellung und Nutzung von Keramik im Lager sowie zum heimlichen Verfassen und Versenden von Kassibern, können zentrale erfahrungsgeschichtliche Aspekte des Lageralltags auf neue und anschauliche Weise beleuchten.

Die Geschichte sowjetischer Speziallager ist komplex. Sie fordert den Perspektivwechsel und die historischkritische Einordnung heraus. Von daher eignet sich die Vermittlung dieses Teils der Geschichte von Buchenwald insbesondere, um Kompetenzen der Quellenkritik, der Einnahme unterschiedlicher Perspektiven und der historischen Urteilsbildung zu vermitteln. Dies scheint auch angesichts von zunehmend polarisierten und antidemokratischen Einstellungsmustern bei einem wachsenden Anteil der Bevölkerung sowie der zunehmenden Instrumentalisierung von Geschichte in Zeiten von Krieg und sozialer wie auch wirtschaftlicher Transformationsprozesse von Bedeutung.

Die Vorbereitung einer neuen Ausstellung ist eine große Herausforderung, der sich das zum Jahresende 2023 zusammengestellte neue Team von fünf Wissenschaftler:innen und einer Mitarbeiterin der Projektverwaltung mit Engagement stellen wird. Dabei ist die Diskussion des Themas mit der Zivilgesellschaft ein Anliegen des Ausstellungsteams. Die Ausstellungsvorbereitung wird daher auch im Austausch mit Betroffenen, Angehörigen, Schüler:innen und historisch Interessierten zu leisten sein. Nicht zuletzt möchten wir dazu aufrufen, mit Erinnerungen, Objekten, Fotografien aus den familiären Archiven die Entstehung einer neuen Ausstellung zu der Speziallagergeschichte zu unterstützen.

Die Historikerin Dr. Julia Landau ist Kustodin für die Geschichte des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 in der Gedenkstätte Buchenwald.


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