Mittelbau-Dora

Antwerpen und Nordhausen:

Verbunden durch die Geschichte des KZ Mittelbau-Dora

Die Städte Nordhausen und Antwerpen sind verbunden durch die Geschichte des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora. Beide eint die Erfahrung von unermesslichem Leid, Tod und Zerstörung. Vor mehr als zwei Jahrzehnten initiierten ehemalige Häftlinge, die aus Belgien in das KZ Mittelbau-Dora verschleppt worden waren, eine Kooperation beider Städte. Verschiedene Gedenkzeichen und Skulpturen erinnern heute im Stadtbild an die gemeinsame Vergangenheit und die Verbundenheit beider Städte.

Auf den ersten Blick haben Antwerpen, die pulsierende belgische Hafenmetropole, und das beschauliche Nordhausen am Harzrand nicht viel gemeinsam. Dennoch verbindet beide Städte heute eine freundschaftliche Beziehung. Ein knallrotes stählernes „A“ auf dem Nordhäuser Theaterplatz ist wohl der sichtbarste Ausdruck für die Verbindung der Südharz-Stadt mit der größten Stadt Flanderns. Die Stahlskulptur scheint sich zwischen den Hecken des Platzes fast schon verstecken zu wollen. Doch aufgrund ihrer Höhe von mehr als zwei Metern und ihres leuchtend roten Anstrichs fällt sie auch Vorbeieilenden sofort ins Auge. Der scharlachrote Buchstabe ist ein Geschenk der Stadt Antwerpen an die Stadt Nordhausen. Anlässlich der Landesgartenschau 2004 wurde er zunächst in einer Nachbildung des berühmten Antwerpener Rubensgartens in der Nordhäuser Altstadt gezeigt. Nach der Schau wanderte das „A“ an seinen heutigen Standort.

Die Beziehung zwischen Antwerpen und Nordhausen ist heute eine freundschaftliche. Die gemeinsame Vergangenheit allerdings ist eine Geschichte von Tod und Zerstörung und sie ist eng verknüpft mit der Geschichte des KZ Mittelbau-Dora. In den unterirdischen Stollen im Kohnstein bei Nordhausen mussten KZ-Häftlinge des Lagers zwischen 1944 und 1945 in Zwangsarbeit die „Vergeltungswaffen“ V1 und V2 herstellen. Im „Totalen Krieg“ sollten sie die entscheidende Wende bringen. Keine andere Stadt wurde so oft mit den vermeintlichen deutschen „Wunderwaffen“ beschossen wie Antwerpen. Über 1.500 Raketen gingen im letzten Kriegsjahr in der belgischen Hafenstadt nieder. Mehr als 3.500 Menschen starben allein in Antwerpen durch den V-Waffen-Beschuss. Eine Gedenktafel am Eingang zum unterirdischen Stollensystem in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora erinnert seit 2004 daran.

Vier Jahre hatte Antwerpen unter deutscher Besatzung gestanden, als die Scheldemündung am 4. September
1944 von britischen Truppen befreit wurde. Für die Menschen in Antwerpen war dies ein Moment der Freude:
Jubelnd strömten sie auf die Straßen und begrüßten erleichtert die britischen Soldaten. Eine Befreiung war es vor allem für die Jüdinnen und Juden Antwerpens, die den Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager entgangen waren, etwa indem sie sich im Untergrund versteckt gehalten hatten. Vor dem Krieg war die jüdische Gemeinde vor Ort eine der größten in Westeuropa gewesen. In der Stadt hatten schätzungsweise 35.000 Jüdinnen und Juden gelebt. Die Mehrheit von ihnen überlebte den Krieg nicht. Auch zahlreiche nichtjüdische Antwerpener:innen wurden zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt. Einige gelangten als KZ-Häftlinge in die Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora, darunter Leopold Claessens, der sich dem belgischen Widerstand gegen die Besatzung angeschlossen hatte. Als 19-Jähriger wurde er 1944 verhaftet und gelangte über Buchenwald nach Mittelbau-Dora. Er überlebte die KZ-Haft, mindestens 40 Antwerpener starben im KZ-Komplex im Südharz.

Die Befreiung von deutscher Besatzung bedeutete für die Menschen in Antwerpen allerdings noch nicht das Ende von Gewalt und Tod. Stattdessen begann eine Phase des täglichen Terrors durch den deutschen V-Waffen-Beschuss. Die Stadt an der Schelde mit ihrem bedeutenden Seehafen war für die Westalliierten von entscheidender strategischer Bedeutung. Der Hafen sollte als Umschlagplatz auf einer wichtigen Nachschubroute dienen. Nicht von ungefähr wurde Antwerpen in den folgenden Monaten zum Ziel eines intensiven deutschen Raketenbeschusses. Die erste V2 traf die Stadt am Morgen des 13. Oktober 1944. Gegen 9:45 Uhr schlug sie in der belebten Schildersstraat in direkter Nähe des Museums der Schönen Künste ein. 32 Menschen starben, 46 weitere wurden verletzt. Im Umkreis um den Einschlagsort richtete die Rakete enorme Schäden an Infrastruktur und Gebäuden an. Noch am selben Tag verwüstete eine V1 einen Teil des städtischen Schlachthofs. Für viele Antwerpener:innen folgte nun eine Zeit der permanenten Angst. Tausende flohen in den folgenden Monaten aus der Stadt in das Umland oder an die Küste, um der fortwährenden Gefahr zu entgehen. Unter dem Codenamen „Antwerp X“ richteten die Alliierten ein Luftabwehrsystem zum Schutz von Stadt und Hafen ein.

Den folgenschwersten Angriff erlebte Antwerpen am 16. Dezember 1944, als eine V2-Rakete das beliebte Kino Rex in der Straße De Keyserlei traf. 567 Menschen starben allein bei diesem Angriff. Die letzte V2 traf Groß-Antwerpen am 28. März 1945. Der alliierte Vormarsch hatte dafür gesorgt, dass die Stadt und ihr Umland nun nicht mehr in Reichweite der deutschen Raketen lagen. Wenige Tage später endete auch die Fertigung der V1 und V2 im unterirdischen „Mittelwerk“ bei Nordhausen. Das KZ Mittelbau-Dora wurde Anfang April geräumt, die Häftlinge per Zug oder zu Fuß in Richtung anderer Lager getrieben. Der Antwerpener Leopold Claessens erlebte seine Befreiung durch britische Truppen am 15. April 1945 im KZ Bergen-Belsen. Anschließend kehrte er in seine Heimatstadt zurück.

Im Stadtbild Antwerpens sind die Folgen der Zerstörungen heute erst auf den zweiten Blick erkennbar. Im kollektiven Gedächtnis der Stadt ist der V-Waffen-Beschuss dagegen nach wie vor sehr präsent. Das Gedenken an die Opfer ist ein bedeutender Teil der städtischen Erinnerungskultur geworden. Im neuen „Museum aan de Stroom“ ist dem Thema ein umfassendes Kapitel gewidmet. In den kommenden Jahren soll am revitalisierten Ufer der Schelde ein Gedenkpark entstehen, in dem auch die Namen aller bekannten Opfer der V-Waffen-Angriffe auf Antwerpen einen Platz finden sollen. Zu den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Befreiung Antwerpens im September 2024, in deren Rahmen auch eine Gedenkzeremonie zur Erinnerung an den ersten V2-Angriff am 13. Oktober 1944 stattfand, war auch eine Delegation der Stadt Nordhausen angereist. Die Einladung der Nordhäuser:innen durch die Stadt Antwerpen knüpft an die vor mehr als zwanzig Jahren geschlossenen Kontakte zwischen beiden Städten an, die unter anderem auf eine Initiative von Häftlingen wie Leopold Claessens zurückgehen. Nachdem er 1990 erstmals nach Nordhausen und damit an den Ort seines Leidens zurückgekehrt war, engagierte er sich bis zu seinem Tod im Jahr 2011 für eine enge Kooperation beider Städte. Die Freundschaft ist damit auch eine Folge der verstärkten Zusammenarbeit mit Überlebenden des KZ Mittelbau-Dora im Zuge der Neuausrichtung der KZ-Gedenkstätte seit den 1990er-Jahren im Sinne einer transnationalen Gedenkkultur. Nach dem Besuch einer Delegation aus Nordhausen zum 80. Jahrestag der Befreiung Antwerpens, ist daher auch ein Gegenbesuch zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora im April 2025 geplant.

Auch wenn beide Städte keine offizielle gemeinsame Städtepartnerschaft pflegen, sind sie durch einen lebendigen und geschichtsbewussten Austausch eng miteinander verbunden.

Der Historiker Sebastian Hammer ist seit 2024 Stellvertretender Gedenkstättenleiter sowie Leiter der Dokumentationsstelle der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Am Nordhäuser Theater stehen neben dem Antwerpener „A“ noch drei weitere Skulpturen symbolisch für die Nordhäuser Partnerstädte Bochum, Charleville-Mézières und Ostrów Wielkopolski. In der NS-Zeit diente der Theaterplatz als Ort nationalsozialistischer Selbstinszenierungen. Am 15. März 1936 wurde dort feierlich das „Wehrfreiheits-Denkmal“ enthüllt. Es sollte an die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1935 erinnern – ein wesentlicher Schritt auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg.


Ein historischer Wegweiser unter www.nordhausen-im-ns.de führt an diesen und weitere ausgewählte Orte im Nordhäuser Stadtbild, an denen sich die Geschichte der Stadt im Nationalsozialismus nachvollziehen lässt.

var _paq = window._paq = window._paq || []; /* tracker methods like "setCustomDimension" should be called before "trackPageView" */ _paq.push(['trackPageView']); _paq.push(['enableLinkTracking']); (function() { var u="https://matomo.buchenwald.de/"; _paq.push(['setTrackerUrl', u+'matomo.php']); _paq.push(['setSiteId', '21']); var d=document, g=d.createElement('script'), s=d.getElementsByTagName('script')[0]; g.async=true; g.src=u+'matomo.js'; s.parentNode.insertBefore(g,s); })();