Buchenwald

Kopfüberstehende Schriftzüge und schräge Fundamente

Neue Untersuchungen zur Objektgeschichte der Holzbaracke in der Gedenkstätte Buchenwald

Frontansicht eines schlichten Holzgebäudes mit symmetrischem Aufbau. In der Mitte befindet sich eine Holztür mit Fenster darüber, flankiert von zwei weißen Sprossenfenstern. Das Gebäude steht auf einem Fundament aus Ziegelsteinen, davor ein Schotterweg und Rasen. Links neben dem Fenster ist eine Infotafel aufgestellt.
Ostfassade der Holzbaracke in Buchenwald. Foto: Lea Hirschfelder

Auf einer Tür in der heute einzigen Holzbaracke in Buchenwald finden sich gleich zwei Schriftzüge: Die Raumbezeichnung Krankenstube Männer liest man von innen und Schlafraum auf der flurgewandten Seite des Türblatts. Besser gesagt muss man zum tatsächlichen Lesen der zweiten Beschriftung zuerst eine kurze Nackenverrenkung vollziehen, denn: Sie steht auf dem Kopf.

Zu Beginn der 1990er-Jahre wurde die Baracke in einem südthüringischen Betrieb entdeckt und daraufhin am nordwestlichen Rand des Gedenkstättengeländes aufgestellt. Nach einer mündlichen Überlieferung in Tambach-Dietharz stammt sie aus dem KZ Buchenwald. Eine Beschriftungstafel umgibt die Baracke mit einem Narrativ, das sie zu einem architektonischen Überrest des Häftlingskrankenreviers macht. In dessen ehemaligem Bereich steht sie heute. Auf den ersten Blick fügen sich die beiden Schriftzüge in dieses Narrativ gut ein: Eine Männer-Krankenstube scheint für ein Häftlingskrankenrevier eine legitime Raumbezeichnung, so vielleicht auch ein Schlafraum.

Verwittertes Holzschild mit der schwarzen Aufschrift „Krankenstube Männer“. Die Farbe ist teils abgeblättert, das Schild ist in eine hölzerne Wand eingelassen und weist Spuren von Alterung und Abnutzung auf.
Schriftzug auf dem untersten Feld der Innenseite einer Innentür in der Holzbaracke, Zustand 29.1.2024

Im zweiten Moment fragt man sich allerdings: Wozu brauchte es eine geschlechterspezifische Beschreibung der Krankenstube in Buchenwald, wo es trotz „Sonderbau“ keine für Frauen gab? Warum sind zwei Raumbezeichnungen auf unterschiedlichen Seiten ein und derselben Tür zu finden? Und weshalb steht einer von ihnen auf dem Kopf?

Alte, abgeblätterte Holztür mit der schwarzen Aufschrift „Schlafraum“, die auf dem Bild auf dem Kopf steht. Die Tür zeigt deutliche Gebrauchsspuren, Abnutzung der Farbe und einen Metalltürgriff auf der rechten Seite.
Kopfüberstehender Schriftzug auf dem mittleren Türfeld der Außenseite einer Innentür in der Holzbaracke, Zustand 29.1.2024.

Versteht man die heutige Holzbaracke im Sinn der Tafel als eine zu einem einzigen Zeitpunkt vollständig entstandene Architektur, wird ihre Substanz nicht aufhören, dieser Annahme zu widersprechen. Nicht nur an der erwähnten Tür, sondern überall an und in der Baracke manifestiert sich ein Charakter, der dem eines Palimpsests gleicht – einem immer wieder überschriebenen historischen Dokument. Die Widersprüche zeigen deutlich, dass die Geschichte der Baracke im sie umgebenden Narrativ noch nicht fertig erzählt sein kann. Die offenen Fragen werten die Baracke dabei keinesfalls ab, ganz im Gegenteil: Sie machen sie zu einem historisch äußerst interessanten Gebäude.

Der im folgenden vorgenommene Versuch einer Rekonstruktion der Objektgeschichte der Baracke lässt sich sinnvoll nur antichronologisch aufbauen. Aussagen werden immer unschärfer, je weiter man sich in die Vergangenheit zurückbewegt. Ein Startpunkt der Barackengeschichte lässt sich folglich nicht festlegen, sondern muss am Ende eine Abwägung verschiedener Möglichkeiten bleiben.

Informationstafel an einer Holzfassade mit viersprachiger Beschriftung (Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch). Der deutsche Text beschreibt die Geschichte einer Baracke, die 1945 zur Unterbringung kranker Häftlinge diente, in den 1950er Jahren als Verwaltungsbaracke genutzt und 1994 an diesem Ort wieder aufgebaut wurde.
Schild an der Ostfassade der Holzbaracke in Buchenwald. Foto: Lea Hirschfelder

Gegenwärtig wird die Baracke einerseits als Lagerraum, andererseits im Rahmen ausgewählter Inhaltsvermittlung als Anschauungsobjekt genutzt. Ihre Funktion hat sich seit der Aufstellung in der Gedenkstätte nicht großartig verändert. Die im Lauf der Jahre immer wieder aufkommende Idee der Einrichtung einer Dauerausstellung wurde nie umgesetzt, die Gründe hierfür sind verschieden. Die zwischenzeitliche Einrichtung einer Sonderausstellung barg nicht nur Probleme mit Kleintieren, sondern zeigte auch, dass die klimatischen Verhältnisse in der Baracke für eine museale Nutzung nicht optimal sind. Ein Handwerker beschrieb es treffend: „hier ist drinnen wie draußen“.

Farbfotografie einer hölzernen Baracke mit Giebeldach, aufgenommen am 5. Mai 1993. Die Aufnahme zeigt die südwestliche Giebelecke mit einer Tür und zwei Fenstern. Das Gebäude ist von einem Holzzaun umgeben, im Hintergrund stehen Bäume mit frischem Laub. Die Fassade wirkt verwittert, das Holz ist deutlich gealtert. Darunter befindet sich die Beschriftung „SW-Giebelecke (Aufn. 5.5.1993)“.
Aufnahme des Zustands kurz vor der Demontage in Tambach-Dietharz,
südwestliche Giebelecke, 5. Mai 1993. Archiv der Gedenkstätte Buchenwald: Ordner „86 05 50 Denkmalpflege, Revierbaracke (Tambach-Dietharz) 1993/94“
©Gedenkstätte Buchenwald

Vor dem Abbau der Baracke in Tambach-Dietharz dokumentierte die Gedenkstätte ihren Zustand. Vergleicht man diesen mit dem heutigen, wird deutlich, dass der Umzug nach Buchenwald für die Baracke einige nicht unwesentliche materielle Veränderungen mit sich gebracht hat.

Architektonischer Grundriss der Häftlingskrankenbaracke des KZ Buchenwald im Maßstab 1:50. Die Zeichnung von R. Garcia (Oktober 1993) zeigt die Aufteilung der Baracke in zahlreiche Räume mit Maßangaben in Millimetern. Die Baracke ist in zwei Längsflure unterteilt, von denen aus mehrere Krankenzimmer, Funktionsräume und Eingänge zugänglich sind. Die Pläne sind mit den Richtungen A bis D markiert und enthalten handschriftliche Ergänzungen zur Anpassung an das originale Fundament.
Grundriss der Baracke im Zustand in Tambach-Dietharz 1993, durch überklebten Teil gekürzt, Rosemarie Garcia. Weimar, Buchenwald Sammlung: R. Garcia: Häftlingskrankenbaracke KZ Buchenwald, Grundriss. 1:50. Oktober 1993, 2.11.1993
©Gedenkstätte Buchenwald

Beispielsweise war die Baracke bei ihrer Auffindung sieben Meter länger als das historische Fundament, auf das man sie zu setzen plante. Um dies auszugleichen, wurde die Baracke um die Differenz gekürzt. Doch nicht nur ihre Gesamtlänge veränderte sich: Die Neuanordnung der meisten Bauteile führte zu einem heterogenen Gesamteindruck und einer neuen Raumstruktur. Zudem kamen neu angefertigte Teile zum Baracken-Konglomerat hinzu.

Interessanterweise wurde sie bewusst nicht exakt auf die historische Gründung gestellt, sondern so versetzt, dass diese heute teilweise sichtbar bleibt. Das ehemalige Fundament kann allerdings nur von einem fachlich geschulten Auge als solches zwischen variierend hohem Bewuchs identifiziert werden. Der Versuch einer Sichtbarmachung des Unterschieds zwischen historischer und heutiger Baracke läuft ins Leere: Das leicht aufzunehmende Narrativ auf der Tafel ist schneller zu finden als die Aussage, die sich im Spalt zwischen heutiger und ehemaliger Barackenposition versteckt.

Nach der Wiedervereinigung hatte man für die Baracke in Tambach-Dietharz keine Verwendung mehr und bot sie der Gedenkstätte an. Doch seit wann stand sie auf dem Gelände des südthüringischen Betriebs und welche Funktion hatte sie dort?

Seitenansicht einer rekonstruierten Holzbaracke auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald. Die Baracke ist aus dunkel gealtertem Holz mit weißen Fensterrahmen und einem Ziegelsockel gebaut. Ein schmaler Pfad verläuft entlang der Längsseite durch eine grasbewachsene Fläche. Am rechten Bildrand ist ein Fallrohr der Dachrinne sichtbar, im Hintergrund stehen dichte grüne Bäume unter einem teils bewölkten Himmel.
Historisches Fundament neben der versetzt aufgestellten Baracke. Foto: Lea Hirschfelder

Im Juni 1950 wurde eine Gemeinschaftslehrwerkstatt für die Betriebe VEB Glüsowerk Tambach und VEB Presswerk Tambach aufgebaut. Das zugehörige Internat „war damals noch eine einfache Bretterbaracke“¹. Befunde in der Baracke bestätigen ihre Nutzung im Rahmen dieser Lehrlingsausbildung: Das Logo der Betriebsberufsschule (BBS) des Presswerks findet sich auf einer der Türen, zudem weist eine weitere Beschriftung mit Unterrichtsmitteln auf eine entsprechende Nutzung hin.

Technische Zeichnung eines quadratischen Bauelements mit der Kennzeichnung „325“ im Zentrum. Das Element ist von einer gestrichelten Linie eingerahmt, die eine Tür oder Klappe darstellen könnte, mit Scharnieren rechts und oben. Im Inneren befindet sich eine L-förmige Struktur mit Schraubenlöchern. Die Seitenlängen des Quadrats sind mit „100“ Millimetern angegeben.
Ausschnitt aus einer Werkstattzeichnung eines Fensterflügels des Barackentyps RAD RL IV aus NS-Zeit. Privatsammlung Kai Wenzel

Offen bleibt allerdings, woher die Teile kamen, aus denen die Lehrlingsunterkunft zu Beginn der 1950er-Jahre gebaut wurde. Hier kann der bauforscherische Blick auf die heute erhaltene Substanz Hinweise liefern. Bei näherer Analyse der Teile wird deutlich, dass die Bretterbaracke damals sowohl aus wiederverwendeten, wie auch aus neu angefertigten Teilen zusammengestellt wurde. Das zeigen z. B. zwei verschiedene Arten von verbauten Fenstern: Eine Fenstergruppe weist übereinstimmende Details mit Fensterentwürfen auf Normblättern aus NS-Zeit auf. Eine weitere Gruppe baugleicher Fenster ist zweifach verglast, was sie eindeutig in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg datiert. Solche Differenzierungen lassen sich nicht nur für Fenster, sondern für weitere Einzelteile der Baracke treffen. Man kann sich den Bau der Baracke in Tambach-Dietharz folglich in etwa so vorstellen: Einige Bauteile hatten den Krieg überstanden und wurden weiterverwendet, sie bilden heute die ältesten Teile der Baracke. Diese wurden z. B. mit den doppelt verglasten Fenstern zu einer ganzen Baracke vervollständigt.

 

Detailaufnahme einer stark überstrichenen Fensterinnenecke. Sichtbar ist eine L-förmige Metallverstärkung auf dem hölzernen Fensterrahmen, die mehrmals übermalt wurde. Die Schraubenköpfe unter der Farbschicht sind erkennbar. Das Fenster ist einfach verglast, die Scheibe wirkt gealtert und ist beschlagen oder verschmutzt. Im Hintergrund sind unscharf Bäume zu sehen.
Detail eines Winkelbeschlags der älteren Fenstergruppe der Holzbaracke. Foto: Lea Hirschfelder

Beim Gehen des nächsten Rückwärts-Schritts in der Objektgeschichte kommt man schließlich zu der Frage, die sich nur mit unterschiedlich wahrscheinlichen Optionen beantworten lässt: Woher stammten diese wiederverwendeten und damit ältesten Teile der heutigen Baracke?

Hier lohnt sich ein Blick auf die während der NS-Zeit stark normierten Typen von Holzbaracken. Sie wurden in Modulbauweise entworfen und hergestellt, um im gesamten Reichsgebiet analog produziert und von Laien aufgebaut werden zu können. Ein weit verbreiteter Barackentyp war z. B. die sog. Reichsarbeitsdienst (RAD) Baracke, die auch in Buchenwald in verschiedenen Ausführungen Verwendung fand. Der Versuch, die älteste Bauteilgruppe einem einzigen solchen NS-Normtyp zuzuordnen, muss allerdings vergebens bleiben. Vielmehr sind es mindestens drei verschiedene Typen, die unterschiedlichen Einzelteilen ähneln, unter ihnen auch die erwähnte RAD-Baracke.

Hinweise auf mögliche Herkunftskontexte dieser unterschiedlichen Baracken geben neben der Normtyp-Frage primär die beiden erwähnten Schriftzüge auf einer der Innentüren. Vermutungen können hierbei allerdings immer nur für genau das Bauteil gelten, das die Beschriftung enthält und dürfen nicht auf weitere Teile oder gar die gesamte Baracke übertragen werden.

Die Raumbezeichnung Krankenstube Männer muss aus einem Lager stammen, in dem sowohl Frauen als auch Männer in einer Krankenstube behandelt wurden. Ob dieses Lager ein Konzentrationslager gewesen ist, legt der Schriftzug nicht fest. In der Beschreibung der Baracken eines Reichsarbeitsdienstlagers von 1936 wird die Bezeichnung Krankenstube z. B. ebenfalls benutzt. Konkretere Nutzungsspuren oder konstruktive Hinweise lassen sich bisher nicht ablesen, weshalb im Folgenden verschiedene Herkunfts-Optionen auf ihre Wahrscheinlichkeit hin diskutiert werden sollen.

Wie bereits erwähnt widersprechen verschiedenste Umstände dem Narrativ, in dem die heutige Baracke und die des ehemaligen Krankenreviers zu ein und derselben gemacht werden. Hier sei nur eine kleine Auswahl genannt: Von der einen Baracke kann mit dem heterogenen Erscheinungsbild der heutigen Substanz im Allgemeinen nicht die Rede sein. Auch hätte die erwähnte Kürzung um sieben Meter nicht nötig sein müssen, wäre es dieselbe Baracke gewesen. Dass auch nur wenige Einzelteile der ältesten Bauteilgruppe vom Standort im ehemaligen Krankenrevier stammen, ist nur aus höchst unwahrscheinlichen Zufällen heraus möglich. Doch wie steht es um andere Bereiche in Buchenwald?

Abgeplatzte, grau gestrichene Holztür mit Patina, eingesetzt in eine Holzvertäfelung. Auf der Tür ist ein verblasstes Logo mit der Aufschrift „BBS VEB Buntmetallverarbeitung Wernigerode“ sichtbar. Über der Tür ist von Hand die Zahl „51119“ geschrieben. Links neben der Tür befindet sich ein schwarz-weißes Farbkalibrierungstool. Die Tür weist starke Abnutzungsspuren auf, insbesondere im unteren Bereich und rund um den Griff.
Innentür mit aufgedrucktem Logo BBS, VEB Gummiwerke Thüringen Waltershausen.

Die Einrichtung der Berufsschule in Tambach-Dietharz 1951 passt theoretisch gut zu den sogenannten Enttrümmerungen Anfang der 1950er-Jahre, bei denen Baumaterial auch in Buchenwald abgebrochen und zur Wiederverwendung umverteilt wurde. In Berichten hierzu finden sich zwar primär Beschreibungen zu abgebrochenen Massivbauten, es lässt sich allerdings nicht ausschließen, dass auch Teile von Holzbaracken umverteilt wurden. Die Teile der heutigen Baracke, die zu einer RAD-Baracke passen, könnten z. B. aus RAD-Unterkunftsbaracken im KZ Buchenwald stammen: Hierzu würde der Schriftzug Schlafraum passen, die Aufteilung in Schlaf- und Tagesraum war bei diesem Normtyp üblich. Da sich keine Verbindung nach Buchenwald belegen lässt, müssen allerdings auch Optionen diskutiert werden, bei denen die ältesten Teile der Baracke nicht von dort, sondern aus einem anderen Lagerkontext stammen.

Abgenutzte Holztür mit oberem Fensterbereich aus strukturiertem Glas, eingefasst in einen ebenfalls stark abgeplatzten Türrahmen. Über dem Fenster ist ein schwarzes Schild mit weißer Aufschrift „Unterrichtsmittel“ angebracht. Rechts über dem Türrahmen handschriftlich die Nummer „51126“. Die Tür ist grau gestrichen, mit großflächig sichtbarer rotbrauner Grundierung. Links befindet sich ein schwarzer Türgriff, rechts ein heller Lichtschalter. Unten rechts steht ein Farbkalibrierungstool auf dem Holzboden. Die Wandverkleidung besteht aus verwitterten Holzlatten.
Innentür mit Beschriftung Unterrichtsmittel

Räumlich naheliegend ist als Herkunftsmöglichkeit beispielsweise das ehemalige Außenlager in Ohrdruf: Während man von Tambach-Dietharz bis nach Buchenwald über 70 Kilometer zurücklegen muss, sind es nach Ohrdruf nur etwa zwölf. Eine Wiederverwendung von Türfeldern des dortigen Krankenbaus könnte den gefundenen Schriftzug erklären. Seit Anfang Januar 1945 war das KZ in Ohrdruf der Verwaltung Buchenwalds untergeordnet und wurde als Außenlager SIII bezeichnet. Auf historischen Aufnahmen zeigen sich Ähnlichkeiten der dortigen Baracken zu Teilen der heutigen Baracke.

In einer Aktennotiz aus dem Jahr 1982 heißt es sogar: „Die Sowjetarmee wurde dann nach Ohrdruff [sic] verlegt und dabei sind auch die Holzbaracken mitgenommen und dort als Unterkunft aufgebaut worden.“² Es könnten somit theoretisch Teile in Tambach-Dietharz wiederverwendet worden sein, die entweder schon immer in Ohrdruf standen, oder solche, die 1950 mit der Sowjetarmee aus Buchenwald dorthin umzogen waren. Es ist innerhalb dieser These also denkbar, dass Teile aus Buchenwald über Ohrdruf nach Tambach-Dietharz kamen und in der heutigen Baracke verbaut sind.

Schwarz-weiß-Fotografie einer langen Holzbaracke mit mehreren Schornsteinen auf dem Satteldach. Die Fassade besteht aus senkrecht verlaufenden Holzbrettern, auf einem gemauerten Sockel stehend. Links ist ein Eingangsbereich mit Treppe und geöffneter Tür zu sehen. Entlang der Längsseite befinden sich regelmäßig angeordnete Fenster. Vor der Baracke wächst spärliche Vegetation mit jungen Nadelbäumen und niedrigen Büschen. Ein unbefestigter Weg führt an der Baracke vorbei, im Hintergrund sind weitere Bäume sichtbar.
Holzbaracke in Ohrdruf, 1945.

Neben solchem Spannen komplizierter Zusammenhangsnetze lassen sich für die Herkunft der ältesten Teile allerdings auch ganz allgemeine Vermutungen anstellen. Barackenteile waren in der Nachkriegszeit in großer Stückzahl verfügbar und verteilten sich in größerem Maß zur Weiternutzung. Diese Umstände sind durch die heutige symbolische Aufladung der Barackenarchitektur in Vergessenheit geraten, weswegen erhaltene Exemplare oft sehr schnell mit ehemaligen Konzentrationslagern in Verbindung gebracht werden.

Die wenigsten Baracken, die in der Nachkriegszeit eine Wiederverwendung fanden, dürften jedoch aus diesen Kontexten stammen. Häufig kamen sie aus RAD-Lagern, Truppenlagern, Kriegsgefangenenlagern, Zwangsarbeitslagern etc. Dass die Baracke in Tambach-Dietharz mündlich als Buchenwald-Baracke überliefert wurde, verwundert folglich nicht, muss aber nicht zwingend etwas mit ihrer tatsächlichen Herkunft zu tun haben. Die Möglichkeit, dass manche der heute verbauten Teile tatsächlich aus Buchenwald stammen, lässt sich nicht ausschließen, bleibt aber reine Spekulation. Auch wenn diese Möglichkeit das Erzählen des Tafel-Narrativs legitimieren würde, ist sie im Gegensatz zu den zahlreichen weiteren Herkunftsoptionen doch unwahrscheinlich.

Die Rekonstruktion der Objektgeschichte der Holzbaracke hat nicht eine lineare Erzählung, sondern Aspekte und offene Fragen vieler verschiedener, ineinander verwobener Ebenen hervorgebracht. Eine Objektgeschichte, die in ihrem wörtlichen Sinn nicht aus einer einzigen Linie, sondern aus Schichten besteht. Das bisherige Narrativ, das sie als eine einheitliche Architektur aus genau einer Zeit beschreibt, kann ihrem vielschichtigen Palimpsest-Charakter deshalb nicht gerecht werden.

Grafik mit Zeitstrahl zur Bau- und Nutzungsgeschichte einer Holzbaracke. Links ein vertikaler Zeitstrahl mit vier gelben Kästchen: „1933–45“, „1950er“, „1993/4“, „Heute“. Rechts davon mehrere farbige Kästen: Oben ein Kasten mit drei „Normtypen“ (1–3), deren Herkunft unklar ist. Darunter zwei Kästen: „Neue Teile zum Vervollständigen der Baracke“ (grün) und „Wiederverwendete Teile aus Lagerkontexten“ (hellviolett). Es folgen Kästen zu: „Veränderungen im Translozierungsprozess“ und „Renovierungen seit der Aufstellung in Buchenwald“ (beide hellblau). Unten ein Foto der heutigen Baracke mit Holzwand und mittiger Tür.
Schematische Darstellung der Bauphasen der Holzbaracke

Mit dem Architekturtyp NS-Baracke, den das heutige Gebäude in der Gedenkstätte stellvertretend zu repräsentieren versucht, hat es zumindest bezüglich einer von Normierung geprägten Einheitlichkeit als Konglomerat verschiedenster Zeitschichten wenig gemeinsam. Gerade hinter Bauteilen wie der eingangs erwähnten Tür, auf der zwei unterschiedliche Schriftzüge zu finden sind, von denen einer den Bezug zu Buchenwald in Frage stellt und einer auf dem Kopf steht, verbergen sich Geschichten, die noch darauf warten, erzählt zu werden.

Der Text entstand auf der Grundlage der Masterarbeit „Ein ‚authentischer’ Ort? Untersuchungen zur Holzbaracke in der Gedenkstätte Buchenwald, ihrer Bau- und Nutzungsgeschichte“, mit der Lea Hirschfelder im Wintersemester 2023/2024 an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg den Studiengang Denkmalpflege/Heritage Conservation abgeschlossen hat. Derzeit ist Lea Hirschfelder Doktorandin am Institut für Denkmalpflege und historische Bauforschung der ETH Zürich.

1 Großmann, Joachim: Die Industriegeschichte von Tambach-Dietharz, in: 750 Jahre Tambach-Dietharz – eine Kulturgeschichte, Tambach-Dietharz 2004, S. 226.

2 Weimar, Buchenwald Archiv: Ordner „Holzbaracke Bad Langensalza 1988/89 u. 1991/2“.

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