Buchenwald

„Mehr Konfetti fürs Museum!“

„Alles neu mit altem Stoff? (De)Montage einer Ausstellung zum sowjetischen Speziallager Nr. 2 in Buchenwald“

Wie muss eine Ausstellung gestaltet sein, dass sie auch junge Besuchende anspricht? Welche Fragen stellen jugendliche Besuchende an die Geschichte sowjetischer Speziallager, was ist ihnen wichtig? Welche Erkenntnisse bietet die Auseinandersetzung mit der Speziallager-Geschichte Jugendlichen für ihre eigene Lebenswelt? Und was sind geeignete Vermittlungsformen, um genau das zu erreichen?

 

Acht junge Menschen im Alter von 16 bis 21 Jahren haben sich zwei Tage lang kritisch und kreativ zugleich mit der Geschichte des Ortes und ihrer Vermittlung auseinandergesetzt und diese und weitere Fragen mit uns diskutiert.

„Ich habe mich am ersten Tag des Workshops mit verschiedenen Nähtechniken beschäftigt. Die Gefangenen des sowjetischen Speziallagers 2 haben ihre kaputte Kleidung mit anderen Stofffetzen provisorisch geflickt und ich habe mich in ihre Lage hineinversetzt und selbst das Nähen ausprobiert. Dabei ist mir aufgefallen, wie schnell ich auch ohne Vorerfahrung mit dem Nähen zurechtgekommen bin und meine Technik verbessert habe, je länger ich an dem Pulli genäht habe.“

 

Gemeinsames Projekt Josie Saal und Emely Christe: Grüner Pulli, „Mir geht es gut“

Beim Jugendfestival „Mehr Konfetti fürs Museum?“ (4. bis 7. Oktober 2024) in der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar unternahmen wir unter dem Motto „Mehr Konfetti fürs Museum?“ mit unseren Kolleg:innen von der Klassik Stiftung Weimar, der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße und der Weimarer Mal- und Zeichenschule ein spannendes Experiment: Jugendbeteiligung im Museum an den Anfang konzeptioneller Arbeit zu rücken, um mit jungen Stimmen die Ausstellung von morgen zu entwickeln.

Im Zentrum unseres Workshop-Projektes sollte die Erinnerung an die Geschichte des Sowjetischen Speziallagers Nr. 2 (1945–1950) in Buchenwald stehen. Gemeinsam mit Künstler:innen der Weimarer Mal- und Zeichenschule entdeckten wir die Geschichte dieses historischen Ortes auf kreative Weise. Nicht nur mit Worten, sondern auch mit den Mitteln der Kunst wollten wir alle Sinne ansprechen, um die komplexe Geschichte des Ortes lebendig, würdevoll und verständlich zu vermitteln. Dabei war es uns ein besonderes Anliegen, künstlerische Bildung mit sozialen, historischen und politischen Dimensionen zu verbinden und die Teilnehmer:innen aktiv an der Erinnerungsarbeit im regionalen Raum zu beteiligen.

„Das Nähen der Kassiber hat mir gezeigt, was für einen starken Einfluss Kleinigkeiten haben können und wie Kreativität und beste Leistung nicht immer nötig sind, um etwas Gutes zu machen. In Kassibern stecken nicht nur Botschaften, sondern auch die Gefühle und Gedanken der Erschaffer.“

 

Leonardo, 16, Erfurt

Nach einem Rundgang zu den beiden Zeitebenen der KZ-Geschichte und der Speziallagergeschichte ging es in die praktische Phase. Ausgestattet mit bunten Post-its und Klebe-Emojis begaben sich unsere jungen Gäste in die Ausstellung und nahmen alle ihre Elemente kritisch in den Blick. Am Ende der Aktion ließen uns die unzähligen bunten Farbtupfer mit einigem Erstaunen darüber zurück, wie differenziert und detailliert ihre Urteile ausgefallen waren. Selbstbewusst und motiviert formulierten sie auch im gemeinsamen Austausch ihre Eindrücke in der Auseinandersetzung mit der bestehenden Ausstellung und die daraus entstandenen Anregungen für eine künftige. Insbesondere richteten sich die Gedanken der Jugendlichen dabei auf Aspekte wie Anschaulichkeit, Verständlichkeit und Inklusion.

Im Anschluss ging es unter der Regie von Manon Grashorn, Heike Reuther und Christoph Mauny an die kreative Arbeit. Inspiriert von Zitaten ehemaliger Internierter und ausgewählten Originalobjekten aus der Lagerzeit, die mit weißen Handschuhen begutachtet werden durften, setzten sich die Teilnehmenden mit der Bedeutung von Kleidung und Textilien im Lageralltag auseinander – gedanklich wie sinnlich. Von Kassibern und versteckt eingenähten Botschaften über die nachempfundene Abnutzung von Stoffen bis hin zu individuellen Ausdrucksformen durch Handarbeit entwickelten sie ganz eigene, persönliche, aktuelle Interpretationen zur Thematik. Mit den Mitteln von Kunst und klassischer Handwerkstechnik konnten so weitere Zugänge, Verarbeitungsmöglichkeiten (z. B. meditativ) und Ausdrucksmittel in der Bildungsarbeit erprobt werden.

„Am zweiten Tag des Workshops habe ich mir darüber Gedanken gemacht, wie die Gefangenen in Buchenwald geheime Botschaften an ihre Verwandten oder Freunde zukommen ließen. Auf die Innenseite des Kragens einer weißen Bluse habe ich mit weißem Faden die Worte ‚Bin bald wieder bei euch daheim‘ genäht. Dieser Satz drückt nicht nur eine geheime Botschaft aus, sondern auch die Hoffnung des Gefangenen, der die Botschaft verfasst haben könnte, schnell wieder freigelassen zu werden. In die Innenseite einer Tasche an der Brust der Bluse habe ich einen Stofffetzen genäht. Die Botschaft auf dem Stoff ist ‚Lebe noch!‘. Die Botschaft drückt aus, dass die Angehörigen und die Gefangenen keinen Kontakt zueinander hatten und die Nachricht, dass der Gefangene überhaupt noch lebt, schon sehr wichtig für die Angehörigen ist. Andererseits drückt die Botschaft eine Ungewissheit aus, ob der Gefangene die Zeit in Buchenwald überleben wird.“

 

Emely Christe: Weiße Bluse, „Bin bald wieder bei euch daheim“

Kleidung und Textilien im Lageralltag auseinander – gedanklich wie sinnlich. Von Kassibern und versteckt eingenähten Botschaften über die nachempfundene Abnutzung von Stoffen bis hin zu individuellen Ausdrucksformen durch Handarbeit entwickelten sie ganz eigene, persönliche, aktuelle Interpretationen zur Thematik. Mit den Mitteln von Kunst und klassischer Handwerkstechnik konnten so weitere Zugänge, Verarbeitungsmöglichkeiten (z. B. meditativ) und Ausdrucksmittel in der Bildungsarbeit erprobt werden.

Organisiert wurde das vom Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport geförderte Konfetti-Festival von der Thüringer Landesvereinigung kulturelle Jugendbildung (LKJ), die am letzten Tag noch einmal Vertreter:innen aus Politik und Kultur zusammentrommelte, um die Workshop-Ergebnisse zu bestaunen und sich im Speed-Dating-Format den Fragen der jungen Teilnehmer:innen zu stellen.

Damit ging das Konfetti-Festival nach vier spannenden Tagen zu Ende und ließ uns bestärkt und inspiriert zurück.

„Ich habe mich mit der Thematik des Zerfalls von Kleidung beschäftigt. Mein Beitrag bestand darin, fünf Stoffstücke so zu bearbeiten, dass der Verfall und die Zerstörung von Textilien sichtbar werden – eine Metapher für den Zerfall menschlicher Würde und das Vergehen der Zeit. Dieser Prozess des Verfalls wurde bewusst beschleunigt, um auf die historische Praxis der chemischen Entlausung im Lageralltag aufmerksam zu machen, die den Zerfall der wenigen Kleidung stark beschleunigte. […] Durch die Arbeit an den Stoffen wollte ich nicht nur den Zerfall sichtbar machen, sondern auch Betrachtende dazu einladen, über die menschlichen Schicksale und die Bedingungen nachzudenken, die hinter diesen historischen Ereignissen stehen. Die verwendeten Techniken spiegelten den rapiden Verfall der Kleidung wider und dienten als Symbol für die Vergänglichkeit und das Leid, das die Menschen ertragen mussten.“


Lore, 19, Erfurt

Anne-Christine Hamel studierte Geschichte und Germanistik in Leipzig. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Projekt „Erneuerung der Dauerausstellung zur Geschichte des sowjetischen Speziallagers Nr. 2“

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