Buchenwald

Menschliche Überreste – Beweise der Verbrechen

In der Sammlung der Gedenkstätte Buchenwald befinden sich menschliche Überreste. In den Ausstellungen der Gedenkstätte werden diese nicht gezeigt. Eigentlich müssten sie aus humanitären Gründen bestattet werden. Da sie jedoch auch Beweise der nationalsozialistischen Verbrechen in den Konzentrationslagern sind, werden sie in der Sammlung aufbewahrt. Aufgrund zunehmender Desinformation in den digitalen Medien reicht dies jedoch nicht mehr aus.

Eine Besonderheit der SS des KZ Buchenwald war die Herstellung von makabren „Geschenkartikeln“, die sich die SS-Männer gegenseitig überreichten: Menschenhaut, vorzugsweise tätowiert, wurde aus den Leichen von Häftlingen geschnitten und zu Alltagsgegenständen verarbeitet.

Nach der Befreiung des Lagers im April 1945 dienten die von der SS missbrauchten menschlichen Überreste in Gerichtsprozessen und Ausstellungen als Beweise für die in Buchenwald verübten Verbrechen. Einige dieser Überreste befinden sich seit den 1950er-Jahren in der Sammlung der Gedenkstätte, andere erst seit 2023.

Heute lagern alle menschlichen Überreste im 2013 neu gebauten Tiefenmagazin, das speziell für die Bestände von Sammlung, Kunstsammlung und Archiv konzipiert ist. Sie sind in einem eigens klimatisierten Bereich untergebracht, dessen Bedingungen ständig überwacht werden.

In den letzten Jahren hat die Stiftung versucht, die Provenienz der in der Sammlung befindlichen „Human remains“ soweit wie möglich zu rekonstruieren. Insgesamt gibt es zwölf Objekte mit einem solchen Bezug. Weitere menschliche Überreste aus Buchenwald sind heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin und im National Museum of Health and Medicine in Silver Spring/Maryland zu finden.

Angesichts der Tatsache, dass in geschichtsrevisionistischen Kreisen immer wieder die Verbrechen in Buchenwald und die Echtheit der überlieferten menschlichen Überreste in Frage gestellt werden, entschied sich die Stiftung im Jahr 2022, neue forensische Gutachten in Auftrag zu geben. Der Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke, seit 2001 öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Sicherung, Untersuchung und Auswertung biologischer Spuren, wurde mit den wissenschaftlichen Untersuchungen beauftragt. Zahlreiche führende Speziallabore, ausgestattet mit den modernsten Techniken, waren beteiligt. Im März 2024 präsentierten wir schließlich gemeinsam mit Mark Benecke die entscheidenden Forschungsergebnisse in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit.

Auf Anordnung des SS-Lagerarztes Dr. Hans Müller begann 1941 die Ablösung und Verarbeitung tätowierter Haut von Häftlingsleichen zu Alltagsgegenständen wie Taschenmesser-Etuis und Lampenschirmen. 1940 hatte die SS die pathologische Abteilung des KZ Buchenwald eingerichtet, die dem SS-Lagerarzt unterstand und unter anderem Schaupräparate, beispielsweise für die SS-ärztliche Akademie in Graz, herstellte.

Der österreichische Häftlingskapo der Pathologie, Gustav Wegerer, berichtete: „Müller war es, der den Auftrag gab, Tätowierungen von den Körpern verstorbener Häftlinge abzulösen und Lampenschirme aus dieser Haut herzustellen. Er berief sich bei der Übermittlung dieses Auftrags an mich auf einen Befehl aus Berlin. Wiederholt wurden Hunderte von Stücken tätowierter Haut, auf verschiedene Art gegerbt, an den Chef des Amtes D III des Wirtschafts- und Verwaltungsapparates in Berlin, Obersturmführer Lolling, überführt. [...] Müller gab über mich an Stöckel und Werner Bach den Auftrag, aus dieser gegerbten Haut Taschenmesseretuis und andere Gegenstände herzustellen.“

Bereits seit 1939 war Erich Wagner als SS-Lagerarzt in Buchenwald tätig. Im Jahr 1940 promovierte er an der Medizinischen Fakultät der Universität Jena mit der Schrift „Ein Beitrag zur Tätowierungsfrage“. Deren sozialrassistische Zielrichtung geht bereits aus der Einleitung hervor: Tätowierungen seien als „Zeichen niederen Kulturstandes und minderer Intelligenz“ zu werten.

Es ist unzweifelhaft, dass Erich Wagner mit diesem kriminalbiologischen Blick gezielt tätowierte Häftlinge auswählte und tötete, um ihre Haut als Anschauungsmaterial zu nutzen. Zugleich wurden die präparierten Häute zu hunderten zu Alltagsgegenständen verarbeitet. Die menschlichen Überreste dienten so als „Trophäen“ für die SS-Männer, die sich zu Herren über Leben und Tod aufgeschwungen hatten.

Diese Produktion von Alltagsgegenständen als Trophäen erreichte ein derartiges Ausmaß, dass sich der Standortarzt Waldemar Hoven nach dem Weggang Müllers 1942 genötigt sah, die Anfertigung „so genannter Geschenkartikel (Schrumpfköpfe u.s.w.)“ zu untersagen.

Das Gerben tätowierter Haut für „Studienpräparate“ der SS wurde beibehalten. Noch 1944 forderte Enno Lolling, der Vorgesetzte aller Lagerärzte im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, vom Buchenwalder SS-Standortarzt Schiedlausky umgehend den Versand der „vorhandenen 142 Stück Tätowierungen“.

Am 16. April 1945, fünf Tage nach der Befreiung des KZ Buchenwald, mussten auf Anordnung des amerikanischen Stadtkommandanten 1.000 Weimarer Bürger:innen das Lager auf dem Ettersberg besichtigen. Sie wurden mit den dortigen Zuständen konfrontiert, darunter auch mit menschlichen Präparaten und Gegenständen aus Menschenhaut.

Befreite Häftlinge hatten diesen Besuch vorbereitet und vor der Baracke der Pathologie (Block 2) einen Tisch mit Präparaten aufgebaut, die zur Lagerzeit auf Anordnung der SS entstanden waren. Dazu gehörten zwei Schrumpfköpfe, mehrere Feuchtpräparate mit Organen sowie Organschnitten toter Häftlinge, zahlreiche tätowierte Hautstücke sowie die mit Menschenhaut bespannte Schreibtischlampe aus dem Arbeitszimmer des Lagerkommandanten.

Die Bilder des Tisches wurden weltweit publiziert, die menschlichen Überreste auch in den nächsten Tagen zahlreichen Besuchenden vor Ort gezeigt. Nach dem 16. April sicherten Angehörige einer „Crime Unit“ der U.S. Army die Präparate als Beweismittel für bereits geplante Prozesse gegen die Täter. Am 25. Mai 1945 wurden ausgewählte Hautstücke auf ihre Echtheit überprüft. Major Reuben Cares, der Chefpathologe des Seventh Medical Laboratory, New York, kam in seiner Expertise über die Echtheit von drei Stücken tätowierter Menschenhaut zu dem Schluss, dass „all three specimens are tattooed human skin“.

Die Beweisstücke wurden von verschiedenen Angehörigen der U.S. Army aufbewahrt. Ab dem 29. April 1945 war dies Major Purry E. Thomsen, Infantry, 12th Army Group, ab dem 15. Oktober 1945 Lt. Colonel Ottmar Eichmann, Cav., ab dem 1. Dezember 1946 Alexander von Blumenthal, CWO, USA. Am 15. Januar 1947 wurden die Objekte an William D. Denson, War Department Civilian Attorney und Chief Prosecutor for the Buchenwald Concentration Camp Case, übergeben.

Vom 11. April bis zum 14. August 1947 fand auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau der Buchenwald-Hauptprozess gegen 31 Personen statt, denen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem KZ Buchenwald und dessen Außenlagern zur Last gelegt wurden. Zu den von der Anklage vorgelegten Beweismitteln gehörten auch die drei bereits untersuchten tätowierten Hautstücke sowie einer der beiden Schrumpfköpfe.

Nach Prozessende wurden diese und weitere in Buchenwald sichergestellte menschliche Überreste im Armed Forces Institute of Pathology, Washington D. C., aufbewahrt. Nach dessen Schließung im Jahr 2005 wurden die Artefakte dem National Museum of Health and Medicine, Silver Spring/Maryland, übergeben.

Ein weiterer, im befreiten KZ Buchenwald aufgefundener Schrumpfkopf wurde vermutlich von einem deutschen politischen Häftling aus dem Lager mitgenommen und Ende der 1940er-Jahre dem Zentralvorstand Berlin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) übergeben. Von dort gelangte er am 21. Mai 1952 gemeinsam mit dem Lampenschirm einer Nachttischlampe als Leihgabe ins Museum für Deutsche Geschichte in Berlin.

Den kleinen Schirm einer Nachttischlampe, der offensichtlich aus einem der Häuser der SS-Villensiedlung des KZ Buchenwald stammt, nahm unmittelbar nach der Befreiung im April 1945 der ehemalige deutsche politische Häftling Karl Straub (1898–1966) an sich. Von Dezember 1945 bis 1953 arbeitete er als Leiter der Abteilung Opfer des Faschismus beim Thüringer Landesamt für Arbeit und Sozialfürsorge in Weimar. Vermutlich war es auch Karl Straub, der in der Pathologie des befreiten Lagers drei tätowierte Hautstücke sicherte und mitnahm.

Über das Generalsekretariat der VVN gelangten die Präparate gemeinsam mit anderen Objekten aus Buchenwald in das Archiv des Marx-Engels-Lenin-Instituts der DDR in Berlin. Im August 1953 wurden der Lampenschirm sowie drei Stücke tätowierter menschlicher Haut „für die Einrichtung eines Museums in Buchenwald“ zurückverlangt. Die Rückgabe erfolgte wenige Wochen später.

Am 18. August 1954, dem 10. Jahrestag der Ermordung von Ernst Thälmann, wurde das „Widerstandsmuseum“ in der ehemaligen Häftlingskantine eröffnet. In ihm wurden im „Pult 52“ drei Hautstücke und ein kleiner Schirm einer Nachttischlampe ausgestellt, wobei letzterer als „Lampenschirm aus Menschenhaut“ bezeichnet wurde. Ohne jegliche Überprüfung auf seine Echtheit wurde der Lampenschirm auch in allen folgenden Dauerausstellungen zur Zeit der DDR mit derselben Bezeichnung gezeigt.

Bei der nach dem Ende der DDR durchgeführten Grundrevision des Sammlungs- und Ausstellungsbestandes wurde auch der Lampenschirm auf seine Echtheit untersucht. Das vom Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Akademie Erfurt am 6. Juli 1992 erstellte Gutachten konstatierte: „Präparat IV (Lampenschirm) ist dagegen serologisch nicht als menschlicher Art zu identifizieren. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen Kunststoff, der in ähnlicher Zeit für Lampenschirme produziert wurde. Letztlich ist aber nicht völlig auszuschließen, dass es sich dennoch um biologisches Material handelt.“

Der Lampenschirm wurde aufgrund dieses Gutachtens aus der Historischen Ausstellung entfernt und im Samm lungsdepot verwahrt.

Erst das im Jahr 2023 in Auftrag gegebene forensische Gutachten lieferte neue Erkenntnisse: Die mikroskopische Analyse der Poren sowie der einzelnen Schichten ergab, dass die Haut des Lampenschirms eindeutig menschlichen Ursprungs ist. Diese Feststellung wurde durch die genetische Untersuchung bestätigt, die ebenfalls nachwies, dass der kleine Lampenschirm aus ungegerbter menschlicher Haut hergestellt wurde.

Ebenso wie der Lampenschirm prüfte das Erfurter Institut nach dem Ende der DDR auch die drei tätowierten Hautstücke. Für zwei von ihnen stellte es „im Ergebnis der serologischen Untersuchung und in Übereinstimmung mit der makroskopischen Befunderhebung“ fest, dass es sich „eindeutig um menschliches Hautgewebe“ handelt, bei denen im unteren Bereich „eindeutig eine Brustwarze (Mamille) zu identifizieren“ sei. Beim dritten Präparat, einem Hautstück mit einem tätowierten Leuchtturm, wurde festgehalten, dass es sich „wahrscheinlich nicht um menschliches Gewebe, möglicherweise um ein altes Spaltpräparat von Schweinehaut“ handelt.

Dieser Aussage von 1992 stehen heute zwei historische Fotos gegenüber, die wenige Tage nach der Befreiung des KZ Buchenwald entstanden sind. Sie wurden im Zuge des seit 2004 laufenden Forschungsprojektes zu den Fotos aus Buchenwald erfasst. Auf ihnen ist exakt dieses Hautstück zu erkennen. Damit steht sicher fest, dass es sich nicht um eine nachträgliche Fälschung handelt. Auch dieses Hautstück stammt aus der Pathologie des Konzentrationslagers Buchenwald und ist trotz des Befundes von 1992 menschlichen Ursprungs.

Das präparierte Herz gehört ebenfalls zu den nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald in dessen Pathologischer Abteilung vorgefundenen Präparaten. Laut dem Bericht eines ehemaligen deutschen Häftlings, der Ende 1945 seine Hafterinnerungen veröffentlichte, handelte es sich bei dem präparierten Organ um das Herz des tschechischen politischen Häftlings Jiří Hořejší (1920–1942). Ihn hatte die SS im Juni 1942 „auf der Flucht erschossen“. Anschließend wurde sein durchschossenes Herz präpariert und in der Pathologie aufbewahrt.

Nach der Befreiung nahm der deutsche politische Häftling Karl Straub das Präparat ebenfalls an sich. Es soll einem Bericht zufolge in seinem Arbeitszimmer gestanden haben. Vermutlich Ende der 1940er-Jahre wurde Karl Straub vom Generalsekretariat der VVN aufgefordert, das Objekt auszuhändigen. Um 1953 wurde es dem Museum für Deutsche Geschichte übergeben.

Für das 1954 in der ehemaligen Häftlingskantine eröffnete „Widerstandsmuseum“ war für „Pult 50“ das Präparat des durchschossenen Herzens vorgesehen. Realisiert werden konnte dies allerdings erst rund ein Jahr später, denn das Exponat wurde erst nach dem 18. August 1955 aus dem Museum für Deutsche Geschichte nach Buchenwald geholt.

Auch im am 1. Februar 1964 im ehemaligen Desinfektionsgebäude eröffneten „Lagermuseum“ wurde das Präparat gemeinsam mit dem Lampenschirm und den drei tätowierten Hautstücken unter der Überschrift „‚Heimschmuck‘ der SS“ in einer Vitrine gezeigt.

Bei einer konservatorisch notwendigen Erneuerung des Präparates im Phyletischen Museum in Jena im September 1979 wurde konstatiert, dass es „als Anschauungsmaterial für den Besucher nicht geeignet“ sei. Auch ein zusätzlich in Auftrag gegebenes Gutachten des Instituts für gerichtliche Medizin der Friedrich-Schiller-Universität Jena kam zu ähnlichen „didaktischen“ Schlüssen, denn der Gutachter stellte „einen massiven Fettabsatz“ fest, „wie er für adipöse, übergewichtige Menschen mit kräftiger Vermehrung des Körperfettes typisch ist.“ Das Herz sei damit keineswegs charakteristisch für einen längeren Aufenthalt eines Häftlings im Konzentrationslager. Weiterhin wies der Gutachter darauf hin, dass die sogenannte Einschussöffnung „eher das Aussehen einer nach dem Tode entstandenen Stanzverletzung“ habe. Eine Mitarbeiterin der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald folgerte daraus, dass es sich daher „unmöglich um das Herz eines Häftlings handeln kann“.

Auf Grund dieser gutachterlichen Aussagen wurde das Präparat Ende 1979 aus der Dauerausstellung genommen und wird seitdem in der Sammlung der Gedenkstätte verwahrt.

Das im Jahr 2023 in Auftrag gegebene forensische Gutachten konnte durch fotografische Vergleiche nachweisen, dass das Herz identisch mit demjenigen ist, das 1955 in der Ausstellung fotografiert wurde. Allerdings konnte nicht bestimmt werden, ob es sich um ein menschliches oder tierisches Herz handelt, da die genetische Untersuchung ergebnislos verlief. Die Flüssigkeit, in der das Herz konserviert ist, hat das Erbgut offenbar zerstört.

Am 21. April 1945 besuchte eine britische Parlamentsdelegation das Konzentrationslager Buchenwald, um sich persönlich ein Bild von den Zuständen im befreiten Lager zu machen. Zwei der Abgeordneten nahmen Objekte aus der Pathologie mit nach Hause, um sie der englischen Öffentlichkeit zu präsentieren.

Einem Abgeordneten wurde von Colonel William E. Williams, Chef des 120th Evacuation Hospital, der mit seiner Einheit zu dieser Zeit in Buchenwald im medizinischen Einsatz war, ein Stück aus dem oberen Bereich des Schirms der Schreibtischlampe übergeben, die bereits am 16. April auf dem Tisch mit pathologischen Präparaten ausgestellt worden war. Derselbe Lampenschirm ist in einem Fotoalbum, das noch der erste Lagerkommandant Karl Otto Koch 1943 anfertigen ließ, auf seinem Schreibtisch im Dienstzimmer der Lagerkommandantur zu erkennen. Nach der Befreiung wurde der eigentlich ebenfalls als Beweismittel vorgesehene Lampenschirm innerhalb von Tagen regelrecht geplündert. Auf einem Foto vom 24. April 1945 ist nur noch sein Gerüst vorhanden.

Im Oktober 2022 wandte sich die Historikerin Dr. Myfanwy Lloyd an die Gedenkstätte Buchenwald. Im Rahmen ihrer Recherchen über die britische Parlamentsdelegation war sie auf das Stück des Lampenschirms im Nachlass der Familie eines der Parlamentarier gestoßen. Nachdem die Familie den Wunsch geäußert hatte, das Objekt der Gedenkstätte Buchenwald zu übergeben, erfolgte dies am 11. April 2023.

Das inzwischen zum Hautstück in Auftrag gegebene Gutachten konnte durch eine mikroskopische Untersuchung der Anordnung und Verteilung der Haarporen feststellen, dass es sich eindeutig um ungegerbte menschliche Haut handelt.

Ein weiterer britischer Parlamentarier erhielt während seiner Besichtigung des befreiten Lagers von Dr. Kurt Sitte, dem ehemaligen stellvertretenden Häftlingskapo der Pathologie, zwei Artefakte: ein kleines Etui, offenbar für ein Taschenmesser, sowie ein kleines Stück menschlicher Haut, das vom Rand eines tätowierten Hautstückes abgeschnitten worden war.

Der Abgeordnete bat unmittelbar nach seiner Rückkehr den bekannten britischen Pathologen und Rechtsmediziner Sir Bernard Spilsbury um die Untersuchung der beiden aus Buchenwald mitgebrachten Artefakte. Der kam nach visueller und mikroskopischer Untersuchung zum Ergebnis, dass beide Objekte „menschlicher Haut ähneln“.

Bei ihren Recherchen war Myfanwy Lloyd im Christchurch College in Oxford auf einen weiteren Nachlass gestoßen, in dem sich die beiden Artefakte aus Buchenwald befanden. Der zuständige Archivar signalisierte ebenfalls, dass die beiden Objekte an die Gedenkstätte Buchenwald übergeben werden sollten, was zusammen mit dem Stück des großen Lampenschirms am 11. April 2023 erfolgte.

Im Jahr 2024 wurde auch das Taschenmesser-Etui einer mikroskopischen Untersuchung unterzogen. Dabei wurde festgestellt, dass es aus zwei Hautstücken besteht, die miteinander verklebt wurden. Das Narbenbild auf der Oberfläche beider Seiten des Etuis bestätigt dabei eindeutig den menschlichen Ursprung. Die Faserstruktur und Beschaffenheit der entnommenen Probe lassen auf eine Vorbehandlung der Haut schließen, möglicherweise eine Gerbung.

 

 

Am 19. Februar 1985 übergab der Sohn eines ehemaligen Buchenwald-Häftlings dem Direktor der Gedenkstätte, Klaus Trostorff, einen „Schrumpfkopf“ für die Sammlung. Sein Vater hatte den Kopf Ende der 1950er-Jahre von jemandem erhalten, der behauptete, ihn als befreiter Häftling aus der Pathologie mitgenommen zu haben. Am 16. April 1945 wurden auf dem Tisch mit den Präparaten zwei Schrumpfköpfe gezeigt. Der linke Kopf befindet sich heute im National Museum of Health and Medicine, Silver Spring/Maryland, der rechte in der Sammlung des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

Für die letzte Dauerausstellung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR, die im April 1985 eröffnet wurde, war vorgesehen, den sich im Bestand des damaligen Museums für deutsche Geschichte befindlichen Schrumpfkopf zu zeigen. Stattdessen wurde der gerade übernommene Kopf ausgestellt. Er verblieb in der Ausstellung bis zu ihrer Schließung 1994.

Zweifel an seiner Authentizität – in der Dokumentation der 1985er-Ausstellung von 1994 wird er bereits als „Schrumpfkopf-Imitat“ geführt – und die ethische Haltung, menschliche Überreste grundsätzlich nicht mehr in Ausstellungen zu zeigen, führten dazu, dass er seitdem in der Sammlung aufbewahrt wurde.

Nachforschungen zur Provenienz des Kopfes ergaben nach 2004, dass der ursprüngliche Besitzer kein Häftling des KZ Buchenwald gewesen war, wie er vorgegeben hatte. Im Jahr 2023 wurde ein forensisches Gutachten in Auftrag gegeben, das eindeutig bestätigte, dass es sich bei dem als Schrumpfkopf bezeichneten Artefakt nicht um ein menschliches Präparat handelt. Die Analyse der DNA einer entnommenen Haarprobe ergab, dass die Haare von einer Ziege stammen. Es wird angenommen, dass das gesamte Objekt aus verschiedenen Teilen von Tieren zusammengenäht wurde.

Ende März 2024 veröffentlichten wir auf unserer Website ein Dossier zu den überlieferten menschlichen Präparaten des KZ Buchenwald. Allein die Seite zum kleinen Lampenschirm wurde bis zum Dezember des vergangenen Jahres über 50.000 Mal aufgerufen. Noch wichtiger als die Anzahl der Seitenaufrufe ist jedoch, dass die veröffentlichten Forschungsergebnisse mittlerweile von Google (zumeist) als erste Quelle angezeigt werden, wenn man „Lampenschirm“ und „KZ“ eingibt. Auch die englischsprachige Wikipedia verweist auf unser Dossier.

Damit finden die Recherchen auch langsam Eingang in die Diskussionen der Sozialen Medien. Dort werden die Verbrechen der Konzentrationslager zwar zunehmend in geschichtsrevisionistischer Absicht relativiert, doch in den von uns erfassten Diskussionen wird nun immer wieder auf unser Dossier verwiesen. Im Meer der unregulierten Desinformation mag dies nur ein kleiner Tropfen sein, aber für einige Nutzer:innen bietet es eine hilfreiche Orientierung in den oft aus dem Ruder laufenden Disputen. Das Vetorecht der Quelle kann zumindest eingefordert werden.

In den kommenden Jahren werden Google und Wikipedia als Nachschlagewerke zunehmend durch Künstliche Intelligenz (KI) und Große Sprachmodelle wie ChatGPT ersetzt werden. Diese statistischen Wahrscheinlichkeitsmodelle haben derzeit noch Schwierigkeiten mit historischen „Unwahrscheinlichkeiten“ wie der Herstellung menschlicher Präparate im KZ Buchenwald, erst recht wenn sie von massenhafter Desinformation in den Sozialen Medien begleitet werden: Wenn ChatGPT nach den Lampenschirmen von Buchenwald gefragt wird, behauptet es – entgegen aller Beweise – deren Existenz sei zweifelhaft. Erst wenn man das System auf die Website der Gedenkstätte hinweist, revidiert es seine Aussage.

Neben unseren Bemühungen, die Verbrechen von Buchenwald im digitalen Raum sichtbarer zu machen, stellen uns auch die mit den menschlichen Präparaten verbundenen Forschungsdesiderate vor weitere Herausforderungen:

Die meisten der betroffenen Personen waren vorbestrafte Häftlinge, die von der Kriminalpolizei nach Buchenwald gebracht wurden und durch ihre Tätowierungen zu Opfern der SS-Ärzte wurden. Die SS mit ihren biologistischen Vorstellungen betrachtete sie als minderwertig und verfügte nach Belieben über ihre Körper – sowohl zur eigenen Belustigung und „Erbauung“ als auch zur Förderung ihrer „wissenschaftlichen“ Karriere, wie im Fall von Erich Wagner. Bereits kurz nach der Befreiung dienten die Präparate als anschaulicher Beweis und Symbol für die Verbrechen der SS. Ihre konkrete Herkunft trat dabei völlig in den Hintergrund.

Obwohl wir mittlerweile die Provenienz der Präparate erforscht und sie forensisch begutachtet wurden, bleiben die zugrunde liegenden Geschichten bislang weitgehend im Dunkeln. Über die Schicksale der Opfer wissen wir nur sehr wenig. Auch die Gründe, warum die SS sie wegen ihrer Haut ermordete, sind nur sehr vage erfasst. Um ihre Schicksale und die spezifische Perfidie, mit der die SS sie behandelte, begreifen zu können, sind weitere historische Forschungen dringend erforderlich.

Holm Kirsten leitet die Sammlung der Gedenkstätte Buchenwald, Rikola-Gunnar Lüttgenau die Strategische Kommunikation der Stiftung.

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