Weimars herausragende Bedeutung während des Nationalsozialismus prägt bis heute das Stadtbild: Das ehemalige KZ Buchenwald, die Villa des Thüringer Gauleiters Fritz Sauckel, das Hotel Elephant, die riesige Werkhalle des ehemaligen Fritz-Sauckel-Werkes, das Gebäude der Weimarer Stadtverwaltung, die ehemalige Nietzsche-Gedächtnishalle oder das ehemalige Gauforum sind bauliche Spuren davon, wie tief der Nationalsozialismus in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der damaligen Hauptstadt Thüringens eingedrungen war. Wesentliche Teile der Weimarer (und Thüringer) Bevölkerung waren völkisch-nationalistisch und zunehmend nationalsozialistisch eingestellt. So übernahmen die Nationalsozialisten 1930 in Thüringen erstmals Regierungsverantwortung im Innen- und Volksbildungsministerium und stellten 1932 unter Fritz Sauckel die erste nationalsozialistisch geführte Regierung in Deutschland.
Museum Zwangsarbeit
Diese Erfolge fußten auf einer breiten Zustimmung und Mitarbeit der Thüringer und Weimarer Bevölkerung. Im
heutigen Weimarer Selbstbild spielt der Nationalsozialismus jedoch eine unbedeutende Rolle – hier dominieren die Weimarer Klassik, das sogenannte Silberne Zeitalter, die Weimarer Republik und das Weimarer Bauhaus.
Gerade am ehemaligen Gauforum wird dieser problematische Umgang mit der NS-Geschichte besonders augenfällig. Der riesige Komplex – nachgenutzt vom Thüringer Landesverwaltungsamt – liegt unwirtlich mitten in der Stadt und blockiert bis heute wichtige Verbindungswege. Die geplante „Halle der Volksgemeinschaft“, eine sakralvölkische Versammlungsstätte des NS-Regimes, beherbergt heute das Einkaufszentrum „Weimar Atrium“. Unauffällig ist in der Nähe des Turms eine Ausstellung zum Gauforum untergebracht. Seit Mai 2024 hat das Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus Räumlichkeiten bezogen, die ursprünglich repräsentativen Zwecken des Gauleiters Sauckel dienen sollten.
Mit der Eröffnung des Museums stellte sich erneut die Frage, inwiefern die Entstehungsgeschichte des Gebäudes, die Figur Fritz Sauckels und die Verwurzelung des Nationalsozialismus in Weimar Teil der Bildungsarbeit des Museums sein sollten: Welche städtebaulichen und gesellschaftsgeschichtlichen NS-Bezüge Weimars sind in Weimar notorisch unterbelichtet? Welche Geschichten müssen erzählt werden, um die breite Zustimmung zum Nationalsozialismus in Weimar zu erklären? Wie konnte mit Sauckel ein gesellschaftlicher Außenseiter und späterer Kriegsverbrecher zum unumschränkten Regionalpotentaten werden? Wie können NS-Geschichte und das Massenverbrechen Zwangsarbeit mithilfe kritischer Stadtgeschichtsschreibung fassbar gemacht werden?
Die Verarbeitung dieser Fragen in dem Podcast „Weimar: NS-Musterstadt“, der am 24. April 2024 gelauncht wurde, entsprach dem Wunsch, ein nachhaltiges und von einem breiten Publikum nachgefragtes Format anzubieten. Insgesamt drei Folgen beleuchten die nationalsozialistische Vergangenheit Weimars aus unterschiedlichen Perspektiven: Die erste Folge fokussiert sich vor allem auf Fritz Sauckel und seine weitreichenden Pläne, Weimar als NS-Musterstadt auszubauen. Im Zentrum dieser Pläne stand das ehemalige Gauforum. Die zweite Folge erzählt am Beispiel des Weimarer Amtsarztes Waldemar Freienstein, wie die NS-Erb- und Rassenhygiene zu einer tödlichen Praxis wurde, die bereitwillige Mittäter:innen brauchte und tiefgreifende Folgen für viele Menschen und Familien in Deutschland hatte. Die dritte Folge begleitet Luc van Cantfort auf der Suche nach den Spuren der Zwangsarbeit im Leben seines Vaters, der im Weimarer Fritz-Sauckel-Werk Waffen für den deutschen Feind herstellen musste.
Mit FUNKHAUS ost recherchierte, schrieb und produzierte ein professioneller Partner die Hörformate. Entstanden ist dabei ein Doku-Podcast, also eine Audioerzählung mit Erzählertext, O-Tönen aus Interviews, atmosphärischen Szenen sowie Geräuschen und Musik bzw. Sounddesign. Dabei werden historische Ereignisse und Zusammenhänge anhand von Protagonisten und ihren Geschichten erzählt, die sich angetrieben durch eine persönliche Betroffenheit heute mit der NS-Geschichte in Weimar auseinandersetzen. Die NS-Geschichte wird so in direkten Bezug zu ihren Nachwirkungen und Hinterlassenschaften gesetzt. Eingeordnet werden diese Geschichten durch Historiker:innen, die in jeder der Folgen Kontextualisierungen bieten und das eben Gehörte kommentieren.
Die Sprechhaltung des Erzählers changiert zwischen einem distanzierten Hörfunksprecher und einem als Persönlichkeit wahrnehmbaren Podcast-Host. Die Überlegung dabei war, dass ein Podcast in der Ansprache durchaus nahbar und umgangssprachlich sein sollte, das Thema jedoch auch Sachlichkeit braucht. Das Sounddesign nutzt eine distanzierte Gestaltung mit elektroakustischer Anmutung und verzichtet auf klassische Musikinstrumente und -sprache. Es unterstreicht so jeweils eine gewisse Emotionalität, ohne selbst plakativer Emotionsauslöser zu sein.
Der Medienkünstler Rafael Jové ist einer der Geschäftsführer von FUNKHAUS ost und konzipierte zusammen mit Daniel Logemann, dem Leiter des Museums Zwangsarbeit, den Podcast.

Von April bis Oktober 2024 wurde der Podcast Weimar: „NS-Musterstadt“ über 2.700-mal heruntergeladen.
www.museum-zwangsarbeit.de/museum/mediathek/podcast-weimar-ns-musterstadt