Buchenwald

Ein Denkmal an ein Denkmal

Geschichte und Kontroversen des Gedenkzeichens auf dem ehemaligen Appellplatz

Seit dem 50. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald im April 1995 befindet sich als zentraler Gedenkort ein Denkmal auf dem ehemaligen Appellplatz in der Gedenkstätte Buchenwald. Trotz dieser bedeutsamen Funktion ist der Öffentlichkeit nur wenig über die Entstehung des Gedenkzeichens und die Kontroversen, die damit verbunden sind, bekannt.

Schwarz-Weiß-Foto: Menschenmenge (ehemalige Häftlinge) vor dem Obelisken, der wiederum auf dem Lagergelände vor dem Lagertor steht
Erste Gedenkfeier für die Toten des KZ Buchenwald, 19. April 1945.

Am 19. April 1945 fand auf dem Appellplatz im befreiten KZ Buchenwald die erste Gedenkveranstaltung statt. Die Überlebenden des Lages versammelten sich – aufgestellt nach Nationalitäten – und gedachten der 51.000 Toten des KZ (die damals geschätzte Anzahl). Dafür errichteten sie einen Obelisken aus Holz als temporäres Denkmal. Ein Orchester begleitete das Programm mit Musik. In der heute als „Buchenwald-Schwur“ bekannten Erklärung schworen die Überlebenden in russischer, polnischer, englischer, französischer, tschechischer und deutscher Sprache alle Erscheinungen des Nationalsozialismus zu überwinden und für eine friedliche und freie Welt einzutreten.

Das Denkmal,1 welches der Künstler Horst Hoheisel und der Architekt Andreas Knitz gestalteten, erinnert in der Grundfläche an den hölzernen Obelisken, den Überlebende des KZ Buchenwald am 19. April 1945 zum Gedenken an die Toten des Lagers aufstellten.2 Vier Stahlwinkel markieren die Gesamtfläche des Denkmals und eine Metallplatte in der Mitte die Grundfläche des Obelisken. Auf dieser weisen diagonale Linien zur Mitte, um den Grundriss des Obelisken anzudeuten. Am unteren Rand können Besucher:innen das Akronym „K.L.B.“ – die von der SS genutzte Abkürzung für KonzentrationsLager Buchenwald – und in der Mitte die Namen von 53 Nationalitäten sowie die Worte „Juden“, „Roma“ und „Sinti“ lesen. Die Begriffe sind alphabetisch angeordnet, um eine Rangfolge, z. B. nach Stärke der Nationalitäten, und Bevorzugung zu vermeiden. Mit der Bezeichnung der Opfer soll, so die Intention des Künstlers, deren Menschlichkeit hervorgehoben werden – etwas, was die SS ihnen während der KZ-Zeit versuchte zu nehmen. Eine Besonderheit können Besucher:innen spüren, wenn sie die Platte in der Mitte berühren. Dort wird sie symbolisch auf knapp 37° C erwärmt: die menschliche Körpertemperatur.3

Anfang der 1990er-Jahre sollte in der Gedenkstätte Buchenwald ein neuer, zentraler Gedenkort entstehen, um das Gedenken vom 1958 eingeweihten DDR-Mahnmal vom Südhang des Ettersberges in den ehemaligen Lagerbereich zu holen.4 Im Auftrag der Gedenkstätte Buchenwald machte Hoheisel daraufhin im November 1994 erste Entwürfe, die jedoch zunächst eine andere Form des Denkmals vorsahen. Der erste Vorschlag beinhaltete den Nachbau des Obelisken vom 19. April 1945 mit Teilen von anderen Orten, die in Holz verkleidet werden sollten: einer Stufe aus der Treppe zum Glockenturm und einer Flammenschale aus der „Straße der Nationen“ des DDR-Mahnmals sowie die oberste Spitze des Obelisken, der sich an der Weggabelung Ettersburger Straße/Blutstraße befindet. Die Schale mit eingravierten Opfergruppen sollte an das Denkmal angelehnt werden.5

Zeichnung des Obelisken
Der Obelisk mit den Inschriften „K.L.B.“ und „51.000“, April 1945.
©Zeichnung: Paul Goyard, Sammlung Gedenkstätte Buchenwald

Der zweite Vorschlag sah den Nachbau des Obelisken aus Holz vor. Die anderen Teile sollten hinzugefügt werden. Zudem sollte jeweils ein Stein aus dem jüdischen Denkmal und dem für die Sinti:zze und Rom:nja beigefügt werden, die sich auf dem ehemaligen Lagergelände befinden. Hintergrund dieser Vorschläge war die Absicht, dass über das Denkmal ständig neu nachgedacht werden solle, da das Holz immer wieder hätte erneuert werden müssen.6 Diese Vorschläge wurden vom damaligen Gedenkstättenleiter Volkhard Knigge jedoch abgelehnt, zum einen, weil das DDR-Mahnmal als zeithistorisches Dokument nicht zerstört werden sollte und zum anderen, weil das Mahnmal „für die Entfremdung von Erinnerung“7 zur Zeit der DDR stünde, wie Knigge dem Künstler mitteilte.8 Mit dem neuen Gedenkzeichen wollte sich die Gedenkstätte vom ideologisch geprägten Gedenken der DDR-Zeit distanzieren und gleichzeitig das Gedenken für alle Opfer öffnen. Die Entscheidung fiel deshalb für die weniger auffällige Metallplatte, die Hoheisel in seinem Brief beiläufig nebenbei vorgeschlagen hatte. Das Gedenkzeichen wurde schließlich am 9. April 1995 zum 50. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald eingeweiht.9

Auf dem Appellplatz Buchenwalds vor der Gedenkplatte: Menschenmenge sowie Pierre Durand und Guy Ducoloné, die einen Kranz tragen.
Pierre Durand und Guy Ducoloné legen den ersten Kranz an dem Gedenkzeichen nieder, 9. April 1995.
© Naomi Tereza Salmon, Sammlung Gedenkstätte Buchenwald

Trotzdem sorgte das Denkmal für Diskussionen. Anfang der 2000er-Jahre wurde Kritik an der Auflistung der Nationalitäten laut. Ausgangspunkt war die Nennung von Türken auf der Platte. Hier argumentierte Prof. Mihran Dabag (Historiker an der Ruhr-Universität Bochum), dass keiner der sich im Lager befundenen 67 Türken10 „von seiner ethnischen Zuordnung Türke“11 sei. Vielmehr habe es sich u. a. um Armenier gehandelt, denen die türkische Staatsbürgerschaft aufgezwungen worden sei. Der Schriftzug „Türken“ auf der Gedenktafel solle deshalb, so Dabag, durch „Armenier“ ersetzt werden.12 Aufgrund des Vorstoßes von Mihran Dabag kam es zu intensiven Diskussionen innerhalb der Stiftung und ihrer Gremien, wie dem wissenschaftlichen Kuratorium. Dabei wurde nicht nur über die Frage der Ersetzung des Wortes „Türken“ durch „Armenier“ diskutiert, sondern auch Zweifel geäußert, ob die Auflistung der Nationalitäten angemessen sei. Beispielsweise finden sich Staatsangehörigkeiten von Staaten auf der Platte, die erst nach 1945 entstanden sind. Welcher Stichtag sollte damit für die Nennung von Nationalitäten gelten? An was soll überhaupt die „Nationalität“ festgemacht werden – der von der SS gemachte Eintrag in der Lagerkartei, der Geburtsort bzw. das Geburtsland oder die Selbstauskunft? Auch rückte die Mischung von Nationalitäten mit der Bezeichnung von ethnischen oder religiösen Zuordnungen (Sinti, Roma, Juden) in die Kritik.

Grafik der ehemaligen Nationalitäten-Auflistung 1995
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Die Nationalitäten auf der Platte 1995. Rot zeigt Nationalitäten, die von der Platte genommen wurden; blau, bei denen es Korrekturen gab.
Abgeänderte und neue Nationalitäten auf dem Gedenkzeichen 2009.
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Die Nationalitäten auf der Platte 2009. Blau zeigt Nationalitäten, bei denen es Korrekturen gab; grün, die 2009 dazugekommen sind.

Gegenüber solchen grundlegenden Zweifeln war die Frage, wie mit der Nennung der türkischen und armenischen Opfer umzugehen sei, relativ leicht zu beantworten: Da die Quellen unvollständig sind und damit türkische Opfer nicht ausgeschlossen werden können, empfahl das Kuratorium, „Türken“ nicht von der Platte zu streichen.13 Am Ende der insgesamt acht Jahre dauernden Diskussionen wurden 2009 aber auch Armenier sowie neun weitere Nationalitäten ergänzt, die durch Forschungen zum Totenbuch des KZ Buchenwald hatten recherchiert werden können. Als öffnende Klausel wurde die Inschrift „und weitere, unbekannte Häftlinge“ hinzugefügt. Neben den Ergänzungen wurden aber auch drei Nationalitäten gestrichen, weil sich im Zuge der Recherchen herausgestellt hatte, dass es aus diesen Gruppen keine Todesopfer im Lager gegeben hat (Grafik).14

Die Zweifel an der Auflistung von Nationalitäten führte zu internen Vorschlägen, die Inschrift grundlegend zu ändern. So sah ein Vorschlag vor, das Wort „Menschen“ in verschiedenen Sprachen und Schriftarten in die Mitte der Gedenkplatte zu schreiben. Diese und andere Ideen konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Einerseits zeigte die Erfahrung, dass es vielen nichtdeutschen Überlebenden und Angehörigen wichtig ist, dass die jeweiligen Nationalitäten deutlich sichtbar sind. Andererseits sollte damit Besucher:innen der Gedenkstätte die Internationalität des Lagers verdeutlicht werden. Statt die Inschrift zu ändern, regte die Gedenkstättenleitung deshalb an, die ernst zu nehmende Kritik produktiv für die Bildungsarbeit zu nutzen, indem mit Gruppen über das Für und Wider der Inschrift debattiert wird15 – und das nicht nur in Buchenwald, sondern auch in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, in der es seit 2000 eine sehr ähnlich gestaltete Steinplatte zur Erinnerung an die Toten des Lagers gibt.16

Gedenkzeichen von Weitem. Vier Stahlwinkel befinden sich um es herum und markieren die Grundfläche des Denkmals von 1945
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Der Standort des Gedenkzeichens. Stahlwinkel markieren die Grundfläche des ersten Denkmals, 2012.
Gedenkzeichen von Nahem: graue Platte, in der Mitte Gravur "K.L.B." und 53 Nationalitäten
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In der Mitte des Gedenkzeichens stehen die 53 Nationalitäten sowie „Juden“, „Roma“ und „Sinti“, unten die Abkürzung „K.L.B.“, 2023.

Auch heute entwickeln sich immer wieder Diskussionen über das Denkmal, besonders über die Nennung von Nationalitäten. So wird es als Problem angesehen, dass die Auflistung auf den Täterquellen und damit der Definition der SS beruht. Es ist nicht immer eindeutig, ob sich ein Häftling beispielsweise als Franzose oder Spanier identifiziert hat. Zudem stellt sich oft die Frage, warum Juden, Roma und Sinti gesondert erwähnt werden und ob damit nicht auch die Fremdzuschreibung der Nazis wiedergegeben wird: Etliche als Juden in das KZ Buchenwald verschleppte Menschen identifizierten sich eher mit ihren Nationalitäten als Deutsche, Polen oder Franzosen.

Zwar soll die Gedenkplatte die Internationalität des Lagers zeigen, internationale Besucher:innen kritisieren jedoch, dass die Inschrift von nicht Deutsch sprechenden Menschen nicht oder nur teilweise verstanden wird, da keine Übersetzung erfolgt. Auch wecken die ausschließlich männlichen Bezeichnungen der Nationalitäten Kritik: Werden damit die weiblichen Opfer des KZ Buchenwald nicht ausgeschlossen? Darüber hinaus wird kritisiert, dass nur an die Toten des Lagers erinnert wird und nicht an alle Häftlinge: Werden damit nur die Toten als Opfer definiert? Sind es aber nicht vielmehr alle, die im Lager leiden mussten und teilweise noch bis heute mit den körperlichen und seelischen Folgen zu kämpfen haben?

Ein Denkmal soll die Opfer würdigen und zugleich zum Nachdenken anregen. Erstere Funktion erfüllt das Gedenkzeichen auf dem ehemaligen Appellplatz offenbar. Jedoch sollte das Denkmal noch stärker als ein Teil der Geschichtskultur und als zeithistorisches Dokument angesehen und produktiv in die Bildungsarbeit einbezogen werden, insbesondere, weil die Inschrift sperrig ist und zu Diskussionen anregen kann – über die Herkunft der Häftlinge des KZ Buchenwald, über Einweisungsgründe, über historische Fremd- und Selbstzuschreibungen, aber auch über aktuelle Geschichtspolitik und identitätspolitische wie auch nationalistische Aufladungen in Europa. Es ist damit ein guter Ort, um den Umgang von Geschichte in der Öffentlichkeit und die gedenkkulturelle Praxis in der Vergangenheit und Gegenwart zu thematisieren. Wie wird wohl in 20 Jahren mit dem Denkmal und der Inschrift umgegangen?

Franziska Mendler ist Studentin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und arbeitet seit 2017 an der Gedenkstätte Buchenwald. Ausgehend von einem Seminar an der Universität Jena zu Kulturgeschichte des Denkmals (Seminarleiter: Daniel Schuch) recherchierte sie die Geschichte des Gedenkzeichens.

Fußnoten

1 Für die Unterstützung beim Schreiben dieses Beitrages möchte ich Jens-Christian Wagner ganz herzlich danken!

2 Zur ausführlichen Geschichte des Gedenkzeichens siehe Ausarbeitung Gedenkplatte Franziska Mendler, BwA-K-03-4-7.

3 Vgl. Knitz, Andreas/Hoheisel, Horst: Ein Denkmal an ein Denkmal – oder: Eine Erinnerung an eine Erinnerung – oder: Die Erinnerung kehrt zurück, Buchenwald, 6.4.1995, in: BwA-Kunstarchiv o. S., Zeitgenössische Künstler, Bd. 18 Horst Hoheisel; Gedenkstätte Buchenwald: „Gedenken an ein Gedenken“ – Die Metallplatte auf dem ehemaligen Appellplatz, in: BwA-Kunstarchiv o. S., Zeitgenössische Künstler, Bd. 18 Horst Hoheisel.

4 Vgl. Protokoll des Kuratoriums der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, 13. 16.07.1994, in: BwA o. S., Sinti und Roma Denkmal (Sippenhäftlinge). Bis zur politischen Wende 1989/90 spielte das DDR-Mahnmal eine wichtige Rolle im ideologisch geprägten Gedenken der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald.

5 Vgl. Brief von Horst Hoheisel an Volkhard Knigge, 17.11.1994, S. 1, in: BwA o. S. 50. Jahrestag 1995 – diverse Schriftwechsel. Von den ersten Entwürfen sind leider keine Skizzen überliefert.

6 Vgl. ebd.

7 Brief von Volkhard Knigge an Horst Hoheisel, 22.11.1994, S. 1, in: BwA o. S. 50. Jahrestag 1995 – diverse Schriftwechsel.

8 Vgl. Knigge, 1994, S. 1.

9 Zu der Frage, inwieweit von einer Einweihung gesprochen werden kann, siehe Ausarbeitung Mendler, S. 17–19.

10 Dr. Harry Stein konnte 67 als Türken registrierte Häftlinge recherchieren von denen 61 als türkische Juden, die anderen sechs als „Polit[isch] Türke“ kategorisiert waren. Vgl. Anmerkungen Harry Stein: Diskussion Gedenkplatte, 11.03.2004, in: BwA o. S.

11 Anmerkungen Stein, 2004, in: BwA o. S.

12 Vgl. Stiftungsprotokoll der Kuratoriumssitzung vom 17.05.2003, in: BwA, o. S. Ablage Direktor, Kuratorium 2000–2003; Stiftungsprotokoll der Kuratoriumssitzung vom 24.03.2004, in: BwA, o. S. Protokolle der Kuratoriumssitzungen 24.03.2004 bis 15.02.2008.

13 Vgl. Protokoll, 17.05.2003; Protokoll, 24.03.2004.

14 Vgl. Stiftungsprotokoll der Kuratoriumssitzung vom 15.02.2008, in: BwA o. S., Protokolle der Kuratoriumssitzungen 24.03.2004 bis 15.02.2008.

15 Vgl. Brief von Volkhard Knigge an Mihran Dabag, 20.11.2002, in: BwA o. S. Ablage Direktor, Kuratorium 2000–2003; Entwurf des Protokolls der Kuratoriumssitzung, 17.05.2003, in: BwA o. S.

16 Zur Geschichte der Steinplatte in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora siehe Ausarbeitung Mendler, S. 25–28.


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