Interviews: Neue Wege in der Geschichtskultur

„Was von der Erde verdeckt wird, ist nun über ihr sichtbar.“

Der Landschaftsarchitekt Steffen Möbius über die Gestaltung des KZ-Häftlingsfriedhofes „Am Baderberg“ in Berga/Elster

Ich habe den Friedhof anhand der Ausschilderungen gar nicht gefunden und auch im zweiten Versuch habe ich nicht geglaubt, dass ich auf dem Wanderweg fündig werden würde. Ich habe mich im Rathaus noch einmal danach erkundigt, wo der Friedhof genau liegt und war dann selbst beim Betreten der Waldlichtung noch nicht sicher, ob ich hier richtig bin. Die Waldlichtung war mit großen Bäumen und Sträuchern bewachsen, so dass man den Gedenkstein nicht gleich sehen konnte. Geprägt durch den ersten Eindruck, war es für mich nicht vorstellbar, dass hier über 300 Menschen begraben sein sollen.

Intuitiv wusste ich, dass man etwas schaffen muss, das sofort deutlich sichtbar ist. Sodass nicht mehr übersehen werden kann, dass hier ein Friedhof liegt. Meine ersten Gedanken zur Ideenfindung habe ich dann mit in eines der Treffen des „Gestaltungskreises Ost“ genommen, ein Zusammenschluss von Steinmetzen, Künstlern und Bildhauern, die sich seit über 50 Jahren mit Fragen der Grabmalgestaltung beschäftigen. Im fachlichen Austausch wurde mir dann klar, dass man auch den grausamen Umgang mit den Toten sichtbar machen muss. An fast jedem Tag mussten die Mithäftlinge ein Loch ausheben und alle Toten dieses Tages übereinander hineinwerfen. Das, was von der Erde verdeckt wird, ist nun über ihr sichtbar. Das wenigste, was wir heute für die Toten tun konnten, ist ihnen ein würdiges Grabzeichen zu setzen, auf dem Name, Geburtstag, Sterbetag und die Konfession vermerkt sind. Entsprechend der überreichten Namensliste wurden die Grabmale über den 75 Gräbern errichtet. So befinden sich 75 Grabstelen für jeweils 3 bis 7 Tote in diesem Friedhof.

Die Besonderheit dieser Planungsaufgabe ist die Lage des Friedhofes in einem steilen Waldgebiet, das kaum zugänglich ist. Die Kriegsgräberfürsorge hatte die Aufgabe übernommen, durch den Einsatz modernster Georadar-Technik die Grablagen der Toten sicher zu orten. Recht aufwendig war die Recherche der historischen Unterlagen. Aus denen wurde dann ersichtlich, dass man wohl schon in den 1950er-Jahren die Flächen des Friedhofes falsch in die Katasterpläne übertragen hat und somit gar nicht mehr wusste, wo die Toten liegen. Ab den 1990er-Jahren ist die Anlage dann in Vergessenheit geraten und wurde auch nicht in den offiziellen Gräberlisten geführt. Mir war bewusst, dass es hier neben den sichtbaren vertikalen Elementen der Grabstelen auch noch einer zentralen Gedenkstele bedarf, die in der richtigen Proportion diesen Raum dominieren sollte. Die Umsetzung des Projektes stellte wegen der fehlenden Zufahrt eine besondere Herausforderung dar. In den ersten Überlegungen hatten wir auch an die Möglichkeit gedacht, die Denkmale per Helikopter in das Baufeld zu transportieren. Um aber auch eine dauerhafte Lösung für spätere Pflege- und Reparaturarbeiten zu finden, musste eine Forststraße so hergerichtet werden, dass das Material und alle Technik sicher die Waldlichtung am Baderberg erreichen konnten.

Friedhofsansicht mit Grabstelen
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Friedhofsansicht mit Grabstelen
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Ansicht der vorherigen Begräbnisstätte: Gedenkstein
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Die Begräbnisstätte auf dem Baderberg 2018.

Im Nachhinein betrachtet, war auch die extrem kurze Planungs- und Ausführungszeit eine große Besonderheit. Um dem Friedhof die aus meiner Sicht notwendige Wichtigkeit in diesem Waldraum zu geben, mussten Bäume und Sträucher gerodet werden, um das Grabfeld freizustellen. Erschwerend kam die extreme Trockenheit hinzu, die auch während der Bauphase weitere Rodungen notwendig machte, um zu verhindern, dass trockene Äste abbrechen oder Bäume umstürzen. Es mussten fast 1 km Zufahrtswege gebaut und viele Tonnen Erde so planiert werden, dass man die Flächen barrierefrei erreichen und zukünftig mit weniger Aufwand pflegen kann. Durch ein sehr engagiertes Arbeiten der beteiligten Firmen und „dank“ des im Jahr 2019 viel zu trockenen Wetters konnte der Friedhof im Wesentlichen innerhalb von 3 Monaten fertiggestellt werden. Im Vergleich zu anderen Projekten war dieses sicherlich auch eines der kostenintensivsten. Allerdings muss man berücksichtigen, dass es keinen vergleichbaren Friedhof in einer solchen Lage gibt und bereits die Erstellung der Zufahrten und Wege 1/3 der gesamten Baukosten verursacht hat. Gemessen an der Dimension und der Herstellung eines würdigen Grabzeichens für jeden Toten mit Namen, Daten und Religionssymbol waren die Kosten jedoch auch im Vergleich zu anderen Anlagen relativ gering.

Viele Kriegsgräberstätten befinden sich auf oder an bestehenden Friedhöfen. Der Friedhof für die KZ-Opfer am Baderberg liegt entfernt vom Ort in einer topografisch schwer zugänglichen Lage. Die Flächen waren bisher nicht eingezäunt und der alte Gedenkstein ließ keine Rückschlüsse darauf zu, dass hier auf einer größeren Fläche Tote bestattet wurden und wo sich diese befinden. Im Grunde genommen besteht mein Anspruch darin, anhand der verfügbaren Unterlagen und Informationen so genau wie möglich die Grablagen, die Namen und Daten der Toten und ihre Todesumstände herauszufinden und ihnen dann im Rahmen der Möglichkeiten ein würdiges Grab herzurichten. Das ist auch mein Grundverständnis für andere Friedhöfe, aber bei diesen Anlagen muss und sollte zusätzlich die Besonderheit dieser Toten schon in der Gestaltung erkennbar sein und sofern möglich auf z. B. einer Gedenkstele vor den hier sicht- und für jeden begreifbaren Folgen von Krieg und Gewalt gemahnt werden. Trotz der ständigen Beschäftigung mit Friedhöfen bin ich oft persönlich sehr ergriffen von den Einzelschicksalen auf Kriegsgräberstätten. Es sind für mich nicht nur Namen und Daten von Toten, sondern Menschen mit Familien, mit Kindern und Geschwistern und Eltern, die in tiefer Trauer, Wut und Verzweiflung gelebt haben und bis heute leben. Wenn ich Fotos, Zeitzeugenberichte, Zeichnungen oder persönliche Aufzeichnungen sehe, fühle ich mich mit diesen Menschen und ihren Familien verbunden.

Ich würde hier gestalterisch gar nicht zwischen KZ-Friedhof und anderen Kriegsgräberanlagen unterscheiden. Ich erlebe bei der täglichen Arbeit immer wieder, dass auf bestehenden Anlagen bei genauerem Hinsehen Unstimmigkeiten existieren, so wie auch hier in Berga/Elster, und aus den verschiedensten Motiven die Darstellungen auf den Grabzeichen nicht richtig waren oder aus heutiger Sicht mit aktuellen Erkenntnissen anders hätten sein sollen. So stimmte die auf dem historischen Stein mit 314 angegebene Anzahl der Toten nicht, obwohl schon seit den 1950er-Jahren aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich war, dass 315 Tote bestattet wurden. Obwohl von allen Toten alle Namen und Daten vorlagen, wurden sie nicht genannt. Außerdem führten die Wege zum Denkmal über die Gräber. Sicherlich wird man heute nicht mehr für alle Kriegsgräberstätten die Namen, Daten und Grablagen umfassend aufklären können, aber man sollte es so weit wie möglich versuchen und Fehldarstellungen beheben oder durch zusätzliche Infotafeln erläutern.

Ich kann nicht beurteilen, ob es Desinteresse ist, was zu diesem Ausgangszustand in Berga/Elster geführt hat. Leider ist dieser Anlagenzustand aber keine Ausnahme. Viele Anlagen wurden vor mehr als 50 Jahren errichtet, einige auch zu DDR-Zeiten nochmals umgestaltet. Die bauliche Substanz ist durch die Witterungseinflüsse auch einem gewissen Verfall unterworfen, sodass Schriften unleserlich werden, sich Fundamente senken oder Material kaputtgeht. Hier muss regelmäßig gepflegt und nachgebessert, saniert oder teilsaniert oder gegebenenfalls auch komplett erneuert werden. Bereits mein Vater hat zu DDR-Zeiten zahlreiche Anlagen neu- und umgeplant und vor allem seit 1990 viele Sanierungsprojekte von Kriegsgräberanlagen begleitet. Wenn diese Anlagen schon nach wenigen Jahren nicht mehr ausreichend gepflegt werden – oftmals sind es kleine Ausbesserungen, die unterbleiben und dann zu großen Schäden anwachsen – ist das für mich ärgerlich.

Die Zusammenarbeit mit den Beteiligten war außerordentlich zielorientiert, die Abstimmungen und Genehmigungen verliefen auf kurzen und schnellen Wegen. Das würde ich mir auch für andere Projekte wünschen. Insgesamt wäre es wichtig, nicht ausschließlich dem kostengünstigsten, sondern dem besten Entwurfsvorschlag zu folgen, wie hier in Berga. Auf vielen Anlagen können wir bei Sanierungsplanungen nicht einmal das erhalten, was früher einmal mit vergleichsweise viel höheren Aufwendungen erstellt wurde, weil die finanziellen Mittel dafür nicht bereitstehen.

KZ-Außenlager „Schwalbe V“

 

In dem Buchenwalder Außenlager im ostthüringischen Berga/Elster sollten 3.400 KZ-Häftlinge – vorrangig ungarische Juden – eine unterirdische Treibstofffabrik errichten. Es war ein Projekt, dessen Verwirklichung in den letzten Kriegswochen völlig unrealistisch war. Von November 1944 bis April 1945 starben 315 Männer und Jugendliche. Ihre Leichen verscharrte die SS auf einer steilen und unzugänglichen Wiese auf dem Baderberg, an der nördlichen Stadtgrenze von Berga.

 

Auf Geheiß der US-Armee wurden die Massengräber 1945 als Grabstätte gekennzeichnet. 1955 erfolgte in der DDR eine Umgestaltung, die die politischen Häftlinge in den Vordergrund stellte und die jüdischen unsichtbar werden ließ. Nach 1990 verwilderte das Areal zusehends. Erst 2016, als Angehörige aus Israel das Grab ihres Verwandten aufsuchen wollten, begannen Überlegungen zu einer Neugestaltung des KZ-Häftlingsfriedhofes. Die Jüdische Landesgemeinde Thüringen engagierte sich ebenso wie der lokale Heimat- und Geschichtsverein.

 

Durch Unterstützung der Gedenkstätte Buchenwald konnten die Namen aller Toten recherchiert und durch die Kriegsgräberfürsorge auch die Lage ihrer Gräber verifiziert werden. Auf dem Weg von der Stadt zum Friedhof informieren nun auch drei Informationstafeln die Besucher:innen über die Geschichte von „Schwalbe V“ und die Schicksale der Häftlinge.

 

Die Begräbnisstätte, einst wegen ihrer städtischen Randlage als „Leichenablageplatz“ gewählt, ist eines der umfassendsten Neuanlagen-Projekte einer Kriegsgräberstätte in Thüringen in den letzten 50 Jahren. Ihre Finanzierung erfolgte durch den Freistaat. Die Toten sind nun nicht mehr namenlos: Auf 75 Granitsäulen – sie bezeichnen die Grablagen der hier täglich verscharrten Toten – sind alle Namen der Opfer eingemeißelt.

Bereits der Vater von Steffen Möbius hatte sich als Landschaftsarchitekt auf die Planung von Friedhofs- und Kriegsgräberanlagen spezialisiert. Steffen Möbius (45) gestaltet nun in zweiter Generation mit insgesamt über 50 Jahren Berufserfahrung Friedhöfe in Thüringen. Mit seinem Büro für Freiraumplanung lebt und arbeitet er in Erfurt.

Fragen: Rikola-Gunnar Lüttgenau


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