Schwerpunkt: Antiziganistische Verfolgung im Nationalsozialismus

Von Auschwitz in den Harz. Sinti und Roma im KZ Mittelbau-Dora.

Ausstellung tourt durch Schulen im Landkreis Sömmerda

Mittlerweile ist sie elf Jahre alt und wurde bereits an zahlreichen Orten in der Bundesrepublik präsentiert: die Wanderausstellung „Von Auschwitz in den Harz“, erarbeitet von Mitarbeiter:innen der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Ihr Titel verweist auf die Transporte, mit denen im Frühjahr und Sommer 1944 Sinti und Roma aus Auschwitz-Birkenau in das KZ Mittelbau-Dora gebracht wurden. Anfang August 1944 löste die SS das „Zigeuner-Familienlager“ in Auschwitz auf. Wer als nicht arbeitsfähig galt, vor allem Alte und Kinder, wurde in den Gaskammern ermordet. Nur etwa 3.000 Männer und Frauen ließ die SS am Leben – sie sollten Zwangsarbeit für den von den Nationalsozialist:innen propagierten „Endsieg“ leisten. Während die Frauen in das KZ Ravensbrück kamen, brachte die SS fast alle überlebenden Jungen und Männer über Buchenwald in den Harz, in das KZ Mittelbau-Dora. Damit wurde Mittelbau-Dora im letzten Kriegsjahr zur zentralen Haftstätte für männliche Sinti und Roma.

In den Lagern des KZ Mittelbau mussten sie kräftezehrende Zwangsarbeit auf Baustellen und in der Raketenmontage des unterirdischen Mittelwerkes leisten. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Elend, mit dem sie in den Mittelbau-Lagern konfrontiert waren. Doch sie erzählt die Geschichte der Sinti und Roma im KZ Mittelbau auch als eine von Eigensinn, Selbstbehauptung und Widerstand gegen den erklärten Vernichtungswillen der SS. Daneben dokumentiert sie anhand zahlreicher teilweise erstmals der Öffentlichkeit präsentierter Dokumente, Fotos und Erinnerungsberichte den Beginn der Verfolgung der Nordhäuser Sinti in den 1930er-Jahren. Und sie endet ganz bewusst nicht mit der Befreiung der Überlebenden im April/Mai 1945. Sie verdeutlicht, dass den überlebenden Sinti und Roma in Deutschland, aber auch in anderen Ländern Europas noch lange nach dem Krieg die Anerkennung als NS-Opfer versagt blieb und die Minderheit vielfach auch heute ausgegrenzt und diskriminiert wird.

Ausstellungsansicht: Plakate und Vitrinen
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Blick in die Ausstellung während der Präsentation in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, April 2012.
Ausstellungsansicht mit einem großen Bild zweier Sinti und Roma
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Blick in die Ausstellung während der Präsentation in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, April 2012.

Die Ausgrenzung und Diskriminierung von Sinti und Roma begann nicht erst 1933, und sie endete nicht 1945. Auch wenn der Massenmord der Nationalsozialist:innen an den Sinti und Roma nicht mit heutigen Formen des Antiziganismus bzw. Antiromaismus gleichgesetzt werden kann, so weisen doch viele Elemente der Ausgrenzung und Verfolgung in der NS-Zeit Ähnlichkeiten zu früheren und auch zu heutigen Formen der Diskriminierung auf. In regionalgeschichtlicher Perspektive zeigt die Ausstellung, wie Nordhäuser Behörden von der Polizei über das Arbeitsamt bis zur Stadt- und Kreisverwaltung sich vor und nach 1933 bemühten, Sinti und Roma aus der Gesellschaft auszuschließen, indem man persönliche Daten erfasste, ihre Bewegungsfreiheit einschränkte und sie zur Zwangsarbeit verpflichtete. Die Ausstellung verdeutlicht, wie kurz der Weg von der rassistisch motivierten Erfassung und Ausgrenzung einer Minderheit zum Völkermord sein kann, wenn sich eine selbsternannte „Herrenrasse“ über diejenigen stellt, die nicht zur propagierten „Volksgemeinschaft“ zählen. 1943 ließ die Polizei die Südharzer Sinti und Roma nach Auschwitz deportieren. Die meisten wurden dort von der SS ermordet. Einige, wie der in der Ausstellung porträtierte Nordhäuser Jakob Gerste, kamen ein Jahr später als Häftlinge in ihre Heimat zurück, die mit dem KZ Mittelbau-Dora zu einem ausufernden Lagerkomplex geworden war.

Nordhausen war kein Einzelfall. Die Stadt steht exemplarisch für Hunderte deutscher Kommunen, deren Verwaltungen – teils eigeninitiativ, teils auf Anweisung der Reichs- und Landesbehörden – aktiv daran mitarbeiteten, die Minderheit der Sinti und Roma an den Rand zu drängen, festzusetzen und der SS auszuliefern. Wie dies geschah, sagt viel über die Wirkungsmechanismen einer rassistisch formierten Gesellschaft aus, die zwischen den „Eigenen“ und den „Fremden“ unterschied. Und hier zeigen sich erschreckende Parallelen zur heutigen Situation – in Ost- und Südosteuropa, aber oft auch in Deutschland. Die Ausstellung „Von Auschwitz in den Harz“ soll dazu beitragen, Wirkungsmechanismen des Rassismus und des Antiziganismus aufzuzeigen, historisches Urteilsvermögen zu stärken und insbesondere junge Menschen im Sinne der Menschenrechtsbildung und Demokratieerziehung zu sensibilisieren.

Plakat der NPD: Geld für die Oma – statt für Sinti und Roma
Wahlplakat der rechtsextremen NPD an der Zufahrtstraße zur KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, September 2013. Die im unmittelbaren Umfeld der Gedenkstätte angebrachten Plakate wurden nach Protesten aus der Zivilgesellschaft auf Weisung des Thüringer Innenministeriums von der Stadt Nordhausen abgehängt.
©KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Wie nötig das ist, zeigen rassistische Anfeindungen, denen im vergangenen Jahr aus der Ukraine geflüchtete Roma in und um die thüringische Kreisstadt Sömmerda ausgesetzt waren. Die öffentlichen Diskussionen zeigten nicht nur eine erschreckende Kontinuität antiziganistischer Zuschreibungen und Kriminalisierungsdiskurse, sondern auch eine erschreckende Unkenntnis über die Verfolgungsgeschichte der Sinti:zze und Rom:nja im Nationalsozialismus. Daran etwas zu ändern war Ziel einer kleinen „Tournee“, die die Ausstellung von Januar bis März 2023 auf Initiative von Ilka Stieglitz, Schulsozialarbeiterin an der Regelschule Buttstädt, durch fünf Schulen in der Stadt und im Landkreis Sömmerda machte, gewissermaßen als eine geschichtspolitische Intervention in der Öffentlichkeit. Ganz bewusst wurde sie nicht nur an Gymnasien präsentiert, sondern auch an Regelschulen und berufsbildenden Schulen. Mehrere Hundert Schüler:innen der Jahrgangsstufen 9 bis 12 nutzten die Präsentation, um sich zusammen mit ihren Lehrkräften intensiv mit der Verfolgungsgeschichte der Sinti:zze und Rom:nja auseinanderzusetzen und Fragen nach Brüchen und Kontinuitäten bis in die heutige Zeit zu stellen.

Der Historiker Jens-Christian Wagner ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er kuratierte 2012 die Ausstellung „Von Auschwitz in den Harz. Sinti und Roma im KZ-Mittelbau-Dora“.

Die Ausstellung kann gern kostenlos an andere Orte ausgeliehen werden. Benötigt werden eine überschaubare Fläche von rund 50 qm und externe Beleuchtung. Kontakt: Torsten Heß, Tel. +49 (0) 3631 49 58 15, E-Mail: thess@dora.de

 

Die Begleitbroschüre zur Ausstellung „Von Auschwitz in den Harz. Sinti und Roma im KZ-Mittelbau-Dora“, Nordhausen/Weimar 2012 kann im Webshop der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora für 4 € zzgl. Versand bestellt werden.


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