
In der vergangenen Woche befasste sich der Nordhäuser Stadtrat mit einem Antrag zur Anbringung einer Gedenktafel im öffentlichen Raum: Sie soll die mehr als 500 Jüdinnen:Juden aus Nordhausen namentlich würdigen, die zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, deportiert, ins Exil oder in den Suizid getrieben wurden. Doch mit den Stimmen der Abgeordneten der CDU und der gesichert rechtsextremen AfD wurde dieser Antrag abgelehnt.
Tatsächlich beschäftigt sich der Nordhäuser Stadtrat schon seit 17 Jahren mit diesem Thema. Im Jahr 2008 brachte Nordhausens ehemaliger Oberbürgermeister Manfred Schröter als Mitglied der CDU-Fraktion im Stadtrat, die Erstellung und Einweihung einer namentlichen Gedenktafel auf die Agenda. Mit Erfolg: Der Stadtrat fasste damals den Beschluss, eine Gedenktafel mit den Namen aller Nordhäuser Einwohner:innen zu errichten, die als Jüdinnen:Juden verfolgt und entrechtet wurden. In den darauffolgenden Jahren wurde das Schicksal der jüdischen Nordhäuser:innen näher erforscht: Mehr als 500 Namen von Verfolgten konnten ausgemacht und zusammengetragen werden. Doch trotz dieser neuen, grundlegenden biografischen Erkenntnisse wurde eine sie würdigende Tafel noch nicht errichtet. Der immer noch geltende Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 2008 ist leider bis heute nicht umgesetzt.
Die Mitarbeitenden der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora begrüßen es sehr, dass sich viele Menschen in Nordhausen für eine namentliche Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Einwohner:innen der Stadt einsetzen. Dieses Engagement von lokalpolitischer und zivilgesellschaftlicher Seite würdigt nicht nur die Verfolgten und Entrechteten, sondern wirft zugleich einen Blick auf die arbeitsteilige Täterschaft von NS-Verbrechen, die nach 1933 vor Ort mitten in der Stadt an ihren jüdischen Einwohner:innen begangen wurden. Die Errichtung einer solchen Gedenktafel ist überfällig. In Zeiten, in denen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Geschichtsrevisionismus lautstark propagiert werden, wäre sie ein klares und sichtbares Zeichen gegen diese Bewegungen und für eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte. Denn das vielbeschworene „Lernen aus der Geschichte“ muss mit konkretem Handeln einhergehen.
Umso mehr irritiert die Argumentation, eine Tafel mit mehr als 500 Namen sei zu groß und zu teuer. Dass die hohe Zahl der jüdischen Opfer als Argument gegen die Anbringung einer Gedenktafel angeführt wird, wirkt höchst verstörend.
Die stattdessen vorgebrachten Alternativen zur Nennung der Namen von Verfolgten – ein digitales und damit ortsunabhängig einsehbares Gedenkbuch oder eine Tafel mit einem QR-Code, über den die Namen aufgerufen werden können – sind keinesfalls ausreichend. Sie können allein nicht leisten, was notwendig ist: die Geschichte der jüdischen Nordhäuser:innen erstens am Ort der Verfolgung selbst zu zeigen, den Verfolgten zweitens ein Stück ihrer Identität zurückzugeben, derer sie zur Zeit des NS-Regimes beraubt wurden, und drittens ihre Namen und ihr Schicksal sichtbar in das Nordhäuser Stadtbild einzubeziehen.
Die Verfolgung, Verschleppung und Vernichtung der jüdischen Nordhäuser:innen während der Zeit des Nationalsozialismus ist auch Teil der Nordhäuser Stadtgeschichte. Die Geschichte der Stadt lässt sich nicht ohne sie erzählen.
Aus diesen Gründen appellieren die Mitarbeitenden der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora an alle demokratischen Fraktionen im Nordhäuser Stadtrat sowie an die Stadtverwaltung, das Anliegen einer namentlichen Gedenktafel für die verfolgten jüdischen Nordhäuser:innen ernsthaft und mit fachkundiger Unterstützung zu verwirklichen und damit den Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 2008 endlich umzusetzen.