Buchenwald Memorial Mittelbau-Dora Memorial Museum Zwangsarbeit im NS

Weimar gegen Faschismus und für Demokratie

Redebeitrag von Stiftungsdirektor Prof. Dr. Jens-Christian Wagner

22.01.2024

Liebe Anwesende,

es tut gut, so viele Menschen hier versammelt zu sehen, die sich für eine menschliche, weltoffene Gesellschaft und für die Demokratie engagieren, die sagen: Wir wollen nicht in einer rechtsextremen AfD-Diktatur aufwa­chen, wir wollen keinen Nationalismus, wir wollen keinen Rassismus, wir wollen keinen Antisemitismus! Wir haben die demokratiefeindliche und rassistische Hetze von AfD und Montagsspaziergängern satt!

Seit drei Jahren ziehen fast jeden Montag teils Hunderte Menschen durch Weimar – zunächst im Protest gegen die Corona-Schutz­maßnahmen, dann zunehmend gegen Geflüchtete, gegen Klimaschutz, gegen die liberalen Medien und für Putins Kriegspropaganda. Das Spektrum der Beteiligten war recht breit: Von bekennenden Neonazis über Esoterik-Verwirrte, Impf­geg­ner:innen, Reichsbürger und rechtsgerichtete evangelikale Christen bis zu einigen vermeint­lich Linken. Sie alle verbindet die Neigung, sich ange­sichts komplizierter und bedrohli­cher Lagen in simple Verschwörungs­legenden zu flüchten, so abstrus und widersprüchlich diese auch sein mögen.

Fast alle dieser Verschwörungslegenden haben einen antisemitischen Kern.

„Der Jude“ braucht gar nicht explizit genannt zu werden: Der Mythos, Bill Gates strebe mittels WHO und Zwangsimpfun­gen die Weltherr­schaft an, trägt alle Merkmale „klassischer“ antisemitischer Propa­ganda, ohne dass der oder das Böse selbst Jude sein muss. Das gilt auch für diverse weitere Verschwörungslegen­den, die derzeit kursie­ren, ob sie nun „New World Order“, „Bevölkerungs­austausch“ oder „The Great Reset“ heißen.

Auch in den einschlägigen Telegram-Kanälen der Organisatoren der Weima­rer Montags­spaziergänge werden solche Inhalte geteilt. Verbreitet wird ein giftiges Gemisch aus Reichsbürgerideologie (also der Erzählung, die Bundes­republik gäbe es gar nicht und unser Grundgesetz sei illegitim), Hetze gegen Geflüchtete, queere Menschen und den angeb­lichen links-grün versifften Mainstream und nicht zuletzt auch Geschichtsrevisionismus in der Form von Verharmlosung und Leugnung der NS-Verbrechen oder auch der Schuld­umkehr, also der Erzählung, die eigentlichen Kriegsverbrecher seien die Alli­ierten gewesen.

Gefördert und gestützt wird das alles durch Höckes AfD. Dort pflegt und umhegt man das „patriotische Vorfeld“, wie Höcke und seine Kameraden das Gemisch aus gewaltbereiten Neonazis, Reichsbürgern, Verschwörungs­ideologen, pseudointellektuellen rechtsextremen Vordenkern wie Kubitschek und Co. aus dem Institut für Staatspolitik in Schnellroda und sogenannten „alternativen Medien“ nennen, also Magazine und Online-Portale wie Compact, Tichys Einblick, Junge Freiheit, Rubicon, Deutschlandkurier, Achse des Guten, PI-News oder AUF1 TV.

Es ist genau dieses Vorfeld, dass sich im vergangenen November in Potsdam getroffen hat, um sich vom Chefideologen der sog. Identitären Bewegung Martin Sellner einen Masterplan zur Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland nach Nordafrika hat vorstellen lassen. Das Unwort von der „Remigration“ ist seither einem größeren Publikum bekannt.

Vielen in Deutschland haben die Correctiv-Recherchen über das Geheim­treffen von Potsdam die Augen über die Ziele von AfD und Co. geöffnet, viele waren erschreckt. Und das ganz zu Recht. Neu war das alles aber nicht. Schon vor sechs Jahren, 2018, beschrieb Björn Höcke in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ sehr deutlich, wie er sich Staat und Gesellschaft nach seiner Machtübernahme vorstellt:

„Vor allem eine neue politische Führung wird dann schwere moralische Spannungen auszu­halten haben: Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muß aller Voraussicht nach Maßnahmen ergrei­fen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen. (...) Ja, neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außen­gren­zen wird ein großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man, so fürchte ich, nicht um eine Politik der 'wohltem­perierten Grausam­keit', wie es Peter Sloterdijk nannte, herumkommen. Das heißt, daß sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden.“

Man kann nicht behaupten, dass Höcke seine Pläne verbirgt. Jeder von uns kann wissen, was diese Leute vorhaben. Höcke ist, daran gibt es keinen Zweifel, ein völkischer Rechtsextremer und Antisemit. „Christentum und Judentum stellen einen Antago­nismus dar“, sagte er 2015 vor der JA in Berlin, und er fügte hinzu: „Darum kann ich mit dem Begriff des christlich-jüdischen Abendlandes nichts anfangen.“ Auch mit nationalsozialistischem Vokabular hält er sich nicht zurück. Dem verschwö­rungsideologischen Sender AUF1 erzählte er vor einigen Wochen im Thüringer Landtag, der „Volkswille“ müsse sich gegen die „kollaboratio­nistischen Eliten“ erheben, die von „raumfremden“ Kräften „fremdgesteuert“ seien.

Wenn ich als Historiker solche Worte höre, schrillen alle Alarmglocken. Und sie schrillen noch lauter, wenn ich auf die jüngsten Wahlumfragen schaue, die die AfD bei 36 Prozent der Wählerstimmen sehen und damit nicht mehr weit entfernt sind von einer absoluten Mehrheit im Thüringer Landtag. Machen wir uns nichts vor: Diese Leute wählen die AfD nicht trotz Höckes Positio­nen, sondern wegen ihnen. Jeder, der die AfD wählt, trifft eine bewusste Entscheidung: gegen die Demokratie, für die Menschenfeindlich­keit.

Unsere Gesellschaft rutscht nach rechts weg, und antiliberale und anti­west­liche Ressenti­ments rücken insbesondere im Osten Deutschlands (aber eben bei weitem nicht nur dort) immer weiter in die Mitte der Gesell­schaft. Dafür gibt es Gründe, etwa demüti­gende Erfahrungen in der Transformationszeit der 1990er-Jahre. Aber auch der zu kurz greifende, weil entlastend wirkende verordnete Antifaschismus der DDR gehört dazu, so paradox das auf den ersten Blick auch klingen mag. Er gehört dazu, weil er ein Geschichtsbild transpor­tierte, das die Schuld für die NS-Verbrechen allein im westdeutschen Monopolkapitalismus verortete und die DDR-Bevölkerung damit von jegli­cher Verantwortung freisprach. „Die Blutspur führt nach Bonn“, hier die erste Dauerausstellung von 1966 in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Sich mit einem derart entlastenden Antifaschismus, der die Schuld bei anderen sah, konnte man sich leicht identifizieren, und es ist nicht verwun­derlich, dass die Organisatoren der Weimarer Montagsspaziergänge, die sich selbst als „Weimarer Revolution“ bezeichnen, die Schwurhand des Buchen­wald-Mahn­mals von Fritz Cremer als Logo missbrauchen. Sie verhöhnen damit die 56.000 Toten des KZ Buchenwald, und sie verhöhnen die Menschen in Deutschland und ganz Europa, die mutig Widerstand gegen den NS-Terror geleistet haben.

Überhaupt betreiben die rechtsextremen Propagandisten in der AfD und ihren Vorfeldorganisationen systematisch Begriffsverwirrung und Schuld­umkehr, indem sie diejenigen, die sich ihnen entgegenstellen und sich für die Demokratie einsetzen, als Faschisten oder Nazis diskreditieren. Björn Höcke setzte die Anti-AfD-Demos der letzten Tage mit den NS-Fackel­märschen von 1933 gleich und behauptete, die Demonstrant:innen seien eine von den „Kartellparteien“ eingesetzte „Straßenkämpfertruppe“, also gewissermaßen eine neue SA.

Ganz ähnlich der Geraer AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner. Er bezeichnet so gut wie alles und jeden als faschistisch, zuletzt die Journa­list:innen Ann-Katrin Müller vom Spiegel und Martin Debes von der TA sowie alle Anti-AfD-Demonstrant:innen, also auch uns. Das Ziel solcher Angriffe ist klar: Es ist der Versuch, unsere Demokratie zu delegitimieren und zugleich die eigenen ideologischen Verbindungslinien zum historischen Faschismus und Nationalsozialismus durch begriffliches Nebelkerzenwerfen zu verwi­schen.

Zum Nebelkerzenwerfen gehört auch die Behauptung aus der AfD, man sei konservativ. Dabei ist nichts an der AfD konservativ, nicht ihre Ideologie und auch nicht ihre Umgangsformen. Konservativ verbinde ich mit Werten wie Anstand, Respekt und einem gesitteten Umgang miteinander. Was wir in Reden und Social-Media-Posts von der AfD hören, ist das Gegenteil davon (und wir kennen es vom Trumpismus aus den USA): Es ist vulgäre, frauen­feindliche Hetze, sprachliche und moralische Verwahrlosung. Die AfD steht für die Verrohung unserer politischen Kultur, und sie spaltet die Gesellschaft.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, 2024 wird für Thüringen und Deutschland ein entscheidendes Jahr. Es ist nicht auszuschließen, dass Thüringen im Herbst dieses Jahres einen Ministerpräsidenten Höcke hat – oder einen MP, der von Höckes Gnaden regiert. Davor bewahren kann uns nur eine wach­same, demokratische Zivilgesellschaft, die sich für ein menschliches, solidari­sches Miteinander und für eine wehrhafte Demokratie einsetzt. Jede und jeder einzelne ist gefordert, sich der Menschenfeindlichkeit und der Hetze entgegenzustellen.

Zugleich brauchen wir stabile Parteien, gerade auch im bürgerlich-konserva­tiven Spektrum, die glaubhaft und verlässlich jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen. In Thüringen ist die NSDAP 1930 erstmals im Deutschen Reich an die Macht gekommen, weil Bürgerlich-Konservative eine Koalition mit ihnen eingingen. So etwas darf sich nicht wiederholen; Thüringen darf nicht noch einmal zum Experimentierfeld konservativ-rechtsextremer Zusammenarbeit werden!

CDU und FDP haben eine große demokratische Verantwortung, so wie auch alle anderen Parteien, die man nur warnen kann, populistisch am rechten Ufer zu fischen. Am Ende wählen die Menschen das Original.

Liebe Zuhörer:innen, die letzten Tage waren ermutigend. Hundert­tausende, wenn nicht Millionen sind in etlichen Städten in Deutschland auf die Straße gegangen, um sich laut und deutlich gegen die AfD und ihre menschenfeindlichen Pläne zu stellen – und das nicht nur in westdeutschen Großstädten, sondern auch in der ostdeutschen Provinz. Das macht Mut für das Wahljahr 2024, und gerade auf dem Land stärkt es die vielen Engagierten, die sich sonst eher alleine fühlen und leider zu häufig auch auf sich allein gestellt sind.

Doch Demonstrationen allein reichen nicht. Wir alle sind im Alltag gefordert. Lasst uns widerspre­chen, wenn im Verein oder bei der Familienfeier gegen Geflüch­tete gehetzt wird oder wenn in Social Media Verschwörungslegen­den, Antisemitismus und Reichsbürger­propaganda verbreitet werden. Einspruch und Zivilcourage sind gefordert, denn wir sind die Hetze Leid.

Wir sind den Hass Leid, wir sind die Lügen Leid, und wir sind die schamlose Fälschung und Instrumentalisierung von Geschichte Leid! Wir wollen keine völkische Einfalt, sondern ein vielfältiges, friedliches und solidarisches Miteinander, wir möchten unsere Demokratie erhalten und werden sie verteidigen.

Demokratie ist nicht selbstverständlich. Sie muss von uns allen gelebt und oft genug auch erstritten werden. Das ist mühsam, aber es lohnt sich – gegen dumpfen Nationalismus und Geschichtsrevisionismus, für eine welt­offene, solidarische und menschliche Gesellschaft und einen liberalen Rechtsstaat, in dem die Würde aller Menschen, egal, woher sie kommen, geachtet wird. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es im Grundgesetz: des Menschen, nicht nur des Deutschen.

 

 

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