AN WEN, WIE UND WARUM ERINNERN WIR?
Vortrag von Melanie Hussinger (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) mit anschließender Diskussion mit Dr. Anke Giesen (Vorstand Memorial Deutschland) und Natalia Baryshnikova,
(Gedenkstätte Buchenwald, ehemalige Mitarbeiterin von Memorial International) am Freitag, 20.10.23, 18 Uhr, STADTMUSEUM WEIMAR, Karl-Liebknecht-Straße 5, Weimar
In ihrem Vortrag erläutert die Historikerin Melanie Hussinger MA (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) die Hintergründe des grenzüberschreitenden erinnerungskulturellen Projekts „Die letzte Adresse (Posledni Adres)“. Im Anschluss findet eine Diskussion statt, moderiert durch Dr. Julia Landau, Kustodin Sowjetisches Speziallager Nr. 2 an der Gedenkstätte Buchenwald. Teilnehmerinnen der Diskussion sind neben der Referentin Melanie Hussinger Dr. Anke Giesen (Vorstand Memorial Deutschland) und Natalia Baryshnikova (Gedenkstätte Buchenwald, ehemalige Mitarbeiterin von Memorial International).
Seit dem Jahr 2014 hat die Stiftung „Die letzte Adresse“ in der Russischen Föderation und in anderen postsowjetischen Staaten Gedenktafeln für mehrere Tausend Opfer kommunistischer Verfolgung zwischen 1918 und 1991 an den Wohnhäusern der Betroffenen angebracht. Das Projekt orientiert sich an den seit den 1990er-Jahren verlegten „Stolpersteinen“ für im Nationalsozialismus ermordete oder vertriebene Menschen.
Seit 2019 gibt es das Projekt auch in Deutschland. Bislang sind acht dieser Tafeln eingeweiht worden, weitere vier sind in Vorbereitung.
Im Umfeld der Tafelsetzungen wird kontrovers über die historische Rolle und Verantwortung der mit einer Tafel erinnerten Personen diskutiert: An wen wird wie und warum erinnert? Welche Kriterien sind bei der Auswahl der jeweiligen Personen maßgeblich?
Unter den ersten in Deutschland mit Gedenktafeln gewürdigten Personen sind auch zwei im Speziallager Nr. 2. in Buchenwald verstorbene Personen: Arthur Jubelt (1894-1947) und Edmund Hunger (1904-1948).
Der konservative Heimatforscher, Zeitungsverleger und überzeugte Monarchist Arthur Jubelt hatte sich geweigert, als Offizier nach dem Ersten Weltkrieg einen Eid auf die Weimarer Republik abzulegen. In den 1920er und 30er Jahren wurden in seinem Verlag mehrere republikfeindliche und rassistische Schriften und das der NSDAP nahestehende „Zeitzer Tageblatt“ herausgegeben.
Der Unternehmer Edmund Hunger aus dem sächsischen Mulda beschäftigte während des Zweiten Weltkriegs in seinem Sägewerk sowjetische Zwangsarbeiter und beutete sie aus. Seine Firma lieferte Holz für den zunehmend lukrativen Barackenbau.
Jubelt und Hunger wurden nach Kriegsende von den sowjetischen Besatzungsbehörden im Buchenwalder Speziallager Nr. 2 interniert, wo sie starben. Sie waren Opfer kommunistischer Willkür, denn ihre Verhaftung wurde nicht in rechtsförmigen Verfahren überprüft. Ist jedoch angesichts der NS-Belastung der Betroffenen eine öffentliche Form der Würdigung durch eine Gedenktafel angemessen? Trägt die unkonkrete Erinnerung an diese Personen zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Geschichte bei? Welche Unterschiede bestehen zwischen der Erinnerungskultur in Deutschland und im postsowjetischen Raum heute? Diese und weitere Fragen werden bei der Veranstaltung diskutiert.
Der Eintritt ist frei.