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„Wann bekommt man sowas denn schon mal zu sehen?!“

Herausforderungen und Strategien der inklusiven Bildungsarbeit

Blick in einen Seminarraum. Auf dem Boden liegt ein graues Tuch, darauf die Jahreszahlen 1933, dahinter 1937 und 1945. Im Hintergrund sind Stühle und Tische zu erkennen.
Der Zeitstrahl als inklusive Lernmethode, 2022. Foto: Tim Thonagel. ©Gedenkstätte Buchenwald

„Wann bekommt man sowas denn schon mal zu sehen?!“ Auf die Frage, wie es aktuell um Inklusion in den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora steht, liefert diese Aussage einen treffenden und zugleich aufrüttelnden Hinweis.

Seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention vor nunmehr 12 Jahren ist die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung geltendes Recht. Dass Menschen, die im Alltag auf unterschiedlichste Barrieren stoßen, historisch-politische Bildungsangebote gleichwohl
bislang nur bedingt in Anspruch nehmen können, zeigt sich auch in den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau- Dora. Eine selbstständige und barrierearme Orientierung auf räumlicher und kognitiver Ebene – und genau das meint Inklusion unter anderem – ist vielen Menschen beim Besuch vor Ort und in den Bildungsangeboten  bislang nur eingeschränkt möglich. Eine der Folgen: Eben jenen Menschen bleibt eine aktive Mitgestaltung des kulturellen Gedächtnisses und des kollektiven Erinnerns verwehrt.

Kritisch müssen wir uns der Frage stellen, welche Personengruppen bislang in der Ansprache unserer Bildungsangebote ausgeklammert wurden. Durch einen zunehmend desintegrierenden, geschichtsrevisionistischen Zeitgeist wird diese Frage umso drängender. Dass es Menschen – denen insbesondere die kognitive Fähigkeit, historisch-politisch zu lernen, häufig abgesprochen wird – sehr wohl gelingt zu partizipieren, lässt sich bereits andernorts feststellen. Ob als Teilnehmer:innen oder Multiplikator:innen: die Bedingungen zur Teilhabe sind eben nicht an die körperliche und kognitive Verfasstheit Einzelner gebunden, sondern werden durch die Bildungseinrichtungen maßgeblich vorgegeben. Um als Gedenkstätten also nicht Gefahr zu laufen, selbst im Fahrwasser von exkludierenden gesellschaftlichen Tendenzen zu agieren, sondern diesen entgegenzuwirken, müssen die bestehenden Barrieren hinsichtlich sprachlicher und inhaltlicher Ausgestaltung der eigenen Bildungsangebote stärker in den Blick genommen und kontinuierlich abgebaut werden.

Mit dem Ziel, einer größtmöglichen Vielfalt von Menschen die Teilhabe an historisch-politischem Lernen zu ermöglichen, initiierte die Bildungsabteilung der Stiftung im November 2020 daher ein zweijähriges Inklusionsprojekt. Gefördert aus Mitteln des Bundes reagieren
die beiden Gedenkstätten damit auf einen Bedarf, der nicht nur auf theoretischen, menschenrechtsbasierten Annahmen beruht, sondern sich anhand von Anfragen und Bedarfsäußerungen von Besucher:innengruppen mit unterschiedlichsten Lernbedarfen bereits ganz praktisch nachvollziehen lässt.

Unser Projektteam ist interdisziplinär zusammengesetzt und verbindet Perspektiven der Gedenkstätten-, Sozial und Sonderpädagogik. Von Beginn an sind außerdem Menschen, denen Schwierigkeiten im Lernen zugeschrieben werden, aus dem Lebenshilfe-Werk Weimar/Apolda e.V. und dem Horizont e.V. Nordhausen aktiv in die Projektarbeit involviert. In regelmäßigen Treffen erproben sie die bestehenden pädagogischen Konzepte und bringen ihre Expertise im Auffinden von Barrieren ein. So kann gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen der Gedenkstätten an der Modifikation der bestehenden Materialien einerseits und der Neugestaltung sprachlicher, haptischer und ästhetischer Lernzugänge andererseits gearbeitet werden. Um identifizierte Barrieren nachhaltig abzubauen, werden wir insbesondere die Kommunikation
mittels Leichter Sprache sowie die Anwendung methodischer Ansätze der Unterstützenden Kommunikation, der Elementarisierung von Lerninhalten und einer didaktischen Binnendifferenzierung erproben.

Mit diesem Vorgehen wollen wir den besonderen Herausforderungen inklusiver Bildungsarbeit in KZ-Gedenkstätten begegnen, die sich exemplarisch an zwei Punkten aufzeigen lassen. Zum einen findet die Auseinandersetzung mit historischen Quellen, pädagogischen Materialien oder bestehenden Ausstellungstexten derzeit auf einem recht hohen Sprach- und Abstraktionsniveau statt. Ein zentrales Anliegen und zugleich größte Herausforderung des Projektes ist es also, Komplexität zu Gunsten eines besseren Verstehens zu reduzieren, ohne dabei zu trivialisieren und zugleich eine kritisch-reflektierte Auseinandersetzung auch mit Blick auf die (Miss-)Verhältnisse der heutigen Leistungsgesellschaft zu ermöglichen. Zum anderen ist die Einteilung von Menschen nach Leistungsfähigkeit und somit auch eine stigmatisierende sprachliche Etikettierung an Orten mit NS-Geschichte besonders kritisch zu betrachten. Diese Zuordnung geht u. a. auch auf das Wirken von NS-Heilpädagog:innen und der von ihnen seit den 1920er-Jahren entwickelten gewalttätigen Selektionspraxis zurück. Um also die Reproduktion von stigmatisierenden Kategorien zu vermeiden, legt das Projekt den Fokus auf die hausgemachten „behindernden“ Barrieren und deren Dekonstruktion: Die Barrieren liegen nicht in den Menschen, sondern in der sie exkludierenden Gestaltung der Umgebung – das ist der zentrale Ausgangspunkt in unserer Herangehensweise, die perspektivisch die Gedenkstätten zu inklusiven Lernorten machen soll.

„Wann bekommt man sowas denn schon mal zu sehen?!“ Diese eingangs zitierten Worte eines Teilnehmers vom ersten Projektworkshop sind mehr als nur ein Ausdruck von Neugier. Sie dokumentieren ein Erstaunen darüber, nun tatsächlich Zugang zu den Möglichkeiten der Lernorte Buchenwald und Mittelbau-Dora zu erhalten. Somit beinhalten diese Worte auch eine kritische Zustandsbeschreibung von Inklusion in Gedenkstätten und formulieren den selbstverständlichen, wie bisher weitgehend unerfüllten Anspruch an eine barriereärmere zukünftige Bildungsarbeit der Stiftung.


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