MÖRDERISCHE ZWANGSARBEIT
Im KZ Buchenwald brachte die SS die Häftlinge mit dem rosa Winkel in den Baracken der Strafkompanie unter und isolierte sie damit von den Mitgefangenen. Schwere körperliche Arbeit im Steinbruch bestimmte ihren Lageralltag. Hunger, primitive Werkzeuge und die demütigende Behandlung durch die Bewacher erschwerten die harten Arbeitsbedingungen zusätzlich. Viele Häftlinge starben an Entkräftung oder an den Folgen von Verletzungen. Nur einzelnen gelang es, in ein besseres Arbeitskommando zu kommen und damit eine höhere Überlebenschance zu haben.
1943 löste die SS die Strafkompanie auf und brachte hunderte Homosexuelle in das Außenlager Dora. Dort mussten sie unter katastrophalen Bedingungen am Bau der Stollenanlage arbeiten. Viele starben schon nach kurzer Zeit oder wurden als „Invaliden“ in die Konzentrationslager Bergen-Belsen oder Majdanek abgeschoben.
„Ich bekam eine Schaufel in die Hand gedrückt, ich musste da die geschlagenen Steine mit der Schaufel zusammenraffen und dann in die Lore schaufeln. […] Das wurde alles von den Häftlingen getan, da waren immer so sechs bis sieben Personen dran an so einer Lore. […] Da ist manchmal einer zusammengebrochen, einfach liegengeblieben und die anderen sind über ihn getrampelt. So eine grausame Methode war das mit den Loren."
„Ungeheure Opfer zählte die Strafkompanie, die zeitweise alle Steinbrucharbeiten zu verrichten hatte. Ihre Angehörigen wohnten in geschlossenen Blocks, wurden zur Nachtarbeit herangezogen und waren auch sonst die Prügelknaben für das ganze Lager. Ein Buch ergäbe die Geschichte ihrer Leiden, ihrer Quälereien, der hunderte scheußlicher Mordtaten und Erpressungen […].“
Bericht des Internationalen Lagerkomitees über die Situation der Strafkompanie, 1949. (Gedenkstätte Buchenwald)
Das Internationale Lagerkomitee war ein Zusammenschluss vorwiegend politischer KZ-Überlebender aus mehreren Ländern.
„Da hast du immer nur Eintopf, Kartoffelsuppe bekommen und dergleichen und ich habe da, im Traum habe ich immer gedacht, jeh, ich habe von Streuselkuchen geträumt und habe ihn gegessen. Das war doch ein guter Traum gewesen, das muss ich sagen.“
„Ich schlug Häftlinge nur, wenn es minderwertige Subjekte waren, die Homosexualität begangen hatten.“
Aussage des ehemaligen SS-Oberscharführers Wilhelm Simon in amerikanischen Dora-Prozess in Dachau, 3. Dezember 1947. (National Archives, College Park)
Als homosexuell kategorisierte Häftlinge litten besonders unter Misshandlungen durch die SS. Der Angeklagte Simon wurde in dem Militärprozess zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und 1954 vorzeitig aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen. Seine homophobe Gesinnung machte er auch im Gerichtsverfahren mit dieser gewaltverherrlichenden Aussage deutlich.
„HOMOSEXUELLE HEILEN“: MENSCHENVERSUCHE IM KZ BUCHENWALD
Im KZ Buchenwald nahmen SS-Ärzte pseudomedizinische Experimente an Häftlingen vor. Dabei kooperierten sie u.a. mit der Wehrmacht, der IG-Farben AG oder dem Robert- Koch-Institut. In Block 46 richtete die SS eine ständige Versuchsstation ein.
Im Herbst und Winter 1944 führte der dänische Arzt Dr. Carl Værnet, der in Prag in einem SS-Labor arbeitete, Experimente an homosexuellen Häftlingen in Buchenwald durch. Sein menschenverachtendes Ziel: homosexuelle Männer durch eine Hormondrüse „von der Homosexualität zu heilen“. Etwa 12 Häftlinge benutzte er für seine Versuche. Unterstützung erhielt Værnet von den SS-Standortärzten Dr. Gerhard Schiedlausky und Dr. Erwin Ding-Schuler.
Trotz anderslautender Behauptungen Værnets zeigen seine Hormondrüsen keinerlei „therapeutische“ Wirkung. Sie schadeten aber seinen Probanden. Mindestens ein Häftling überlebte die Menschenversuche des dänischen Arztes nicht.
„Dr. Værnet bitte ich absolut großzügig zu behandeln. Ich selbst möchte monatlich einen 3-4 Seiten langen Bericht, da ich mich für die Dinge sehr interessiere. Zu einem späteren Zeitpunkt möchte ich Værnet dann auch einmal zu mir bitten.“
Befehl von SS-Chef Heinrich Himmler an den Reichsarzt-SS, Dr. Grawitz, 3. Dezember 1943. (Bundesarchiv)
An den Forschungen von Dr. Værnet war Heinrich Himmler sehr interessiert und unterstützte ihn dabei. So sollten die Versuche in einer Tarnfirma, der „Deutschen Heilmittel“ GmbH, in Prag durchgeführt werden. Auch für Experimente an Häftlingen im KZ Buchenwald erhielt Dr. Værnet Himmlers Zusage.
„Es war bei einem Abendappell nach der Arbeit im Steinbruch. Ich glaube, wir waren insgesamt 16, denen befohlen wurde, am nächsten Morgen in die Krankenbaracke zu gehen. Niemand ist je freiwillig zu Versuchen gegangen, denn man hatte selten gesehen, dass jemand da lebend rausgekommen war. […] Ich wurde betäubt und habe nichts gefühlt, als Dr. Værnet die Drüse in meine Leiste implantierte. Danach habe ich keine Wirkung – weder eine positive noch negative – gespürt. Das war wie ein Schlag in den Wind.“
Bericht von Gerhard S. über die Experimente, 2000.(Hans Davidsen-Nielsen et al., Carl Værnet. Der dänische SS-Arzt im KZ Buchenwald, Wien 2004)
Gerhard S. berichtete, die SS-Ärzte hätten vor dem Eingriff eine Urinprobe genommen und ihm Blut abgenommen, das in Dr. Værnets Tarnfirma in Prag untersucht wurde.
„Belohnung? Es gab keine Belohnung. Die größte Belohnung war, die Baracke lebend zu verlassen. Mein persönliches Gefühl zur Behandlung durch Dr. Vaernet ist vollkommen negativ. Die gesamte Behandlung hatte keinen erkennbaren Erfolg. Aber wer hat jemals die Angst aller beteiligten Häftlinge ermessen können, die durch diese Behandlung erzeugt wurde?“
Bericht von Gerhard S. über die Versuche von Dr. Værnet, 2000. (Hans Davidsen-Nielsen et al., Carl Værnet. Der dänische SS-Arzt im KZ Buchenwald, Wien 2004)
Aus Angst vor weiteren Versuchen behaupteten viele Häftlinge gegenüber dem Arzt, seine Experimente würden ihnen „helfen“. Das Versprechen, sie würden nach den Versuchen aus dem KZ entlassen, wurde nicht erfüllt.
SELBSTBEHAUPTUNG UND ÜBERLEBENSSTRATEGIE
Rosa-Winkel-Häftlinge hatten in den Konzentrationslagern nur geringe Überlebenschancen. Neben schwerster Zwangsarbeit waren sie Gewaltexzessen der SS und medizinischen Experimenten ausgesetzt. Viele Mithäftlinge standen den als homosexuell gekennzeichneten Gefangenen ablehnend gegenüber.
Die als Homosexuelle verfolgten Männer konnten sich kaum zum gegenseitigen Schutz selbstorganisieren, weil sie eine kleine und isolierte Gruppe im Lager bildeten. Dadurch waren sie im Lageralltag häufig auf sich allein gestellt. Trotzdem versuchten sie, sich gegenüber der SS zu behaupten und den Überlebenswillen nicht aufzugeben.
Überlebenswichtig war es, der mörderischen Zwangsarbeit im Steinbruch zu entgehen. Manchen gelang es, sich einem anderen Arbeitskommando zuweisen zu lassen. Nur wenige Homosexuelle gelangten auf rettende Funktionsposten.
„Eines schönen Tages bin ich allein in der Sanitätsbude gewesen, als es klopfte und der Kapo hereinkam, der Legionär. Er kam auf mich zu, nahm mich in den Arm und hat mich geküsst – und hat an mir herumgefummelt. Ich muss darüber lachen. Ich habe mir das natürlich gefallen lassen, weil ich gewusst habe, dass es besser ist, wenn er an mir machen kann, was er will.“
BEFREIUNGEN
Anfang April 1945 erreichte die US-Armee Thüringen. Die SS räumte die Lager Buchenwald und Mittelbau-Dora, fast 70.000 Menschen trieb sie Richtung Dachau, Theresienstadt oder Bergen-Belsen. Viele Häftlinge überlebten die Todesmärsche und Bahntransporte nicht.
Am 11. April erreichten amerikanische Panzer den Ettersberg und zwangen die SS in die Flucht. Politische Häftlinge übernahmen die Kontrolle über das Lager. Damit waren 21.000 Häftlinge in Buchenwald befreit. Das KZ Mittelbau-Dora wurde fast vollständig geräumt. Lediglich in den Lagern Dora und Boelcke-Kaserne blieben einige Hundert Häftlinge zurück. US-Soldaten befreiten sie am 11. April.
Die von Hunger und Zwangsarbeit gezeichneten Überlebenden, darunter eine unbekannte Zahl von Rosa-Winkel-Häftlingen, blieben zunächst in den befreiten Lagern. Trotz sofort eingeleiteter Hilfe durch amerikanische Soldaten und zivile Hilfsorganisationen starben viele noch nach der Befreiung an den Folgen der Haft. In Einzelfällen kamen Rosa-Winkel-Häftlinge auch nicht frei, sondern wurden aus den befreiten Konzentrationslagern in Gefängnisse überstellt.
„Was wird dann geschehen? Werden wir evakuiert? Aber wohin? Im Süden stoßen sie auf Halle zu ... Im Norden nähert sich eine andere Angriffsspitze Hannover. Richtung Osten? Sicher nicht weit, denn 300 Kilometer von uns entfernt ist die russische Front. Wir haben große Furcht vor der Evakuierung, denn wir wissen, wie diejenigen aus Auschwitz und Groß-Rosen während des Transportes gelitten haben.“
Tagebucheintrag von Emile Delaunois, 1. April 1945. (KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora)
Je näher die Befreiung rückte, desto unsicherer wurde die Lage für alle Häftlinge. Sie fürchteten Todesmärsche und Massaker durch die SS. Emile Delaunois (geboren 1910 als Louis Lelong), war Schreiber im Außenlager Woffleben des KZ Mittelbau-Dora. Er starb kurz nach der Befreiung im KZ Bergen-Belsen.
„Die Leute wurden dann aus den Blöcken geholt und aufgestellt, in den Straßen, zum Abmarsch, hat es geheißen. Ich hab‘ gedacht, was mach‘ ich. Ich hatte eine gute Verbindung mit einem Kapo, der den Viehstall, den Schweinestall benutzte. Der hat gesagt: ‚Komm doch zu mir, zu mir werden die zuletzt kommen, wenn sie etwas wollen. Da kann ich dich verstecken, in dem Schweinestall.‘ Und ich habe natürlich nicht Nein gesagt. […] Er hat mich versteckt, bei den Schweinen, da war ein Käfig drin gebaut worden, mit sauberem Stroh, dort habe ich dann in dem Stroh gelegen.“
„Wir sind in die Häuser rein und haben alles rausgenommen, was uns gefallen hat. Kameraden von mir haben eine Frau angehalten und haben der vier Brote gegeben. Und die hat denen einen großen Leiterwagen gegeben. Den haben sie dann vollgepackt mit den ganzen gestohlenen Sachen, Lebensmittel, Grammophone, Geigen alles Sachen, wo sie gedacht haben, das könnten sie jetzt gut verkaufen als ‚Andenken‘ aus Buchenwald, damit sie ein bisschen Geld zum Unterhalt haben.“