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Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus

Die Nationalsozialisten verstärkten während ihrer Herrschaft in Deutschland zwischen 1933 und 1945 die Verfolgung von homosexuellen Menschen erheblich. Sie hoben 1935 das Strafmaß des § 175 stark an, weiteten den Tatbestand deutlich aus und förderten die polizeiliche Verfolgung von homosexuellen Personen mit besonderem Nachdruck. Hierbei nutzte die Gestapo auch Statistiken und Akten zur Homosexuellenverfolgung aus der Weimarer Republik.

Die NS-Justiz verurteilte bis 1945 rund 50.000 Personen nach § 175, ein Großteil davon zu Gefängnisstrafen. Mehrere tausend Personen wurden als Homosexuelle von der Polizei in Konzentrationslager eingewiesen. Obwohl sich die strafrechtliche Verfolgung per Gesetzestext ausdrücklich auf homosexuelle Männer bezog, wurden auch weitere Personengruppen, wie Lesben, Transpersonen und Sexarbeiter:innen Opfer der homofeindlichen Verfolgung durch den NS-Staat.

QUEERE LEBENSWELTEN NACH 1933

Das zuvor vielfältige queere Leben wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die Illegalität gedrängt. Grundlage der Diskriminierung und Verfolgung queerer Menschen war die nationalsozialistische Geschlechterideologie. Diese war geprägt von patriarchalen Geschlechterrollen, Frauenfeindlichkeit und der Angst vor einer „Verweiblichung“ des Mannes. Menschen, deren Verhaltensweise oder Sexualität nicht heterosexuellen Vorstellungen entsprach, wurden ausgegrenzt oder sogar aktiv verfolgt. Insbesondere homosexuelle Männer, die als Gefahr für den „Volkskörper“ angesehen wurden, trafen harte strafrechtliche Maßnahmen.

Lesbische Frauen wurden ebenfalls diskriminiert, waren aber weniger von Haft bedroht. Allerdings verschleppte die Gestapo viele jüdische Lesben oder auch Frauen, die einen unangepassten Lebensstil führten, in die Konzentrationslager. Queeres Leben konnte während der NS-Diktatur selbst im Privaten nur unter großen Gefahren geführt werden.

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„Gesunde Eltern – gesunde Kinder!“ Propagandaplakat für die „bevölkerungspolitischen Aufklärungsschriften der NS-Volkswohlfahrt“, um 1934.
Die Nationalsozialisten propagierten das Ideal der kinderreichen, „erbgesunden“ Familie. 1934 trat das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft, auf dessen Grundlage vermeintlich „erbkranke“, aber auch viele Schwule und Lesben sowie Transpersonen zwangssterilisiert wurden.
(Deutsches Historisches Museum)
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Postkarte des Tänzerinnenpaars „Pepita und Peter“, 1936/37.
Margot Liu (geb. Holzmann, genannt Pepita) und Marta Halusa (genannt Peter) lernten sich 1932 in Hamburg kennen und wurden sowohl Tanz- als auch Lebenspartnerinnen. Das Paar geriet aufgrund seiner politischen Einstellung, der sexuellen Orientierung und bei Liu zusätzlich auch wegen ihrer jüdischen Herkunft ins Visier der Gestapo. Beide wurden zwischen 1939 und 1945 mehrmals inhaftiert. Im April 1945 gelang den beiden bei einer Gefängnisüberführung die gemeinsame Flucht. 1949 zogen sie nach England, wo sie gemeinsam bis zu Lius Tod 1993 lebten. Halusa starb 1999.
(Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin)
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„Verdacht der lesbischen Betätigung.“ Vermerk der Kriminalpolizei Berlin über Margot Liu, Oktober 1942.
Obwohl lesbische Handlungen im Nationalsozialismus nicht unter Strafe standen, fanden entsprechende Verweise Eingang in polizeiliche Akten. Insbesondere betraf diese Praxis Frauen, die aufgrund mehrerer Merkmale diskriminiert wurden.
(Landesarchiv Berlin)

VERSCHÄRFUNG DER STRAFRECHTLICHEN REPRESSION

Im Sommer 1935 verschärfte die nationalsozialistische Regierung den Strafrechts Paragrafen 175. Nun konnten selbst Küsse und Berührungen zwischen Männern als Straftat ausgelegt werden. Zudem wurde das Strafmaß verschärft. Nach dem neu eingeführten § 175a konnte „schwere Unzucht“ mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus bestraft werden. Auch § 176, der sexuelle Gewalt gegenüber Minderjährigen unter Strafe stellte, wurde häufig auf homosexuelle Handlungen angewendet.

In der Folgezeit stieg die Zahl der Verurteilungen Homosexueller von knapp 1100 im Jahr 1934 auf über 9000 im Jahr 1937. Zentral gelenkt wurde die strafrechtliche Verfolgung durch die im Herbst 1936 eingerichtete „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“, die Homosexuelle in Karteien erfasste.

Die Verschärfung von § 175 entsprach der repressiven Geschlechterideologie der Nationalsozialisten. Begründet wurde sie auch mit dem sogenannten Röhm-Putsch von Juni 1934. Die Homosexualität des Stabschefs der SA Ernst Röhm wurde öffentlich als Rechtfertigung für seine Ermordung genutzt.

Verurteilungen nach §§ 175, 175a und 176 (1933-1939). Grafik: werkraum_media Weimar, Zahlen nach Jürgen Baumann: Paragraph 175, Darmstadt 1968 und Hans-Georg Stümke, Rudi Finkler: Rosa Winkel, rosa Listen, Hamburg 1985, S. 262.

ABSCHRIFT:

UNZUCHT ZWISCHEN MÄNNERN

1. § 175 des Strafgesetzbuchs enthält folgende Fassung:

§ 175
Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft. Bei einem Beteiligten, der zu Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, kann das Gericht in besonders leichten Fällen von Strafe absehen.

2. Hinter § 175 des Strafgesetzbuchs wird als § 175a folgende Vorschrift eingefügt:

§ 175a
Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter drei Monaten wird bestraft:

  1. ein Mann, der einen anderen Mann mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben nötigt, mit ihm Unzucht zu treiben, oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen;
  2. ein Mann, der einen anderen Mann unter Mißbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen;
  3.  ein Mann über einundzwanzig Jahre, der eine männliche Person unter einundzwanzig Jahren verführt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen;
  4. ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von Männern sich zur Unzucht mißbrauchen läßt oder sich dazu anbietet.

3. Der bisherige § 175 des Strafgesetzbuchs wird unter Streichung der Worte
„zwischen Personen männlichen Geschlechts oder“ als § 175b eingefügt.

Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28. Juni 1935, Reichsgesetzblatt Teil I 1935 Nr. 70, 5. Juli 1935.

Geheimerlass von SS- und Polizeichef Heinrich Himmler zur Einrichtung der „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“, 10. Oktober 1936.
Bereits 1940 hatte die Reichszentrale die Daten von 41.000 Personen erfasst, die als Homosexuelle verurteilt oder verdächtigt wurden.
(Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg)

EINWEISUNG HOMOSEXUELLER MÄNNER IN DIE KONZENTRATIONSLAGER

Die Einweisung homosexueller Männer in die Konzentrationslager verfolgte das Ziel der Isolierung und Abschreckung. Ab April 1936 konnten Personen, die nach den Paragrafen 175, 175a oder 176 RStGB verurteilt worden waren, in polizeiliche Vorbeugehaft genommen und in Konzentrationslager eingewiesen werden. Vorher waren bereits etliche Homosexuelle im Rahmen der gegen „Gewohnheitsverbrecher“ und „Asoziale“ erlassenen Regelungen in Konzentrationslager verschleppt worden.

„Die Säuberungs-Aktion des Führers im ganzen Reich durchgeführt!“. Titelblatt der nationalsozialistischen Tageszeitung „Völkischer Beobachter“, 1. Juli 1934.
Ende Juni 1934 ermordete die SS mit Unterstützung der Gestapo und der Reichswehr über 100 Personen aus der Führungsriege der SA sowie interne Gegner und missliebige Oppositionelle. Begründet wurde das mit einem angeblich von SA-Stabschef Ernst Röhm geplanten Putsch. Auch die Homosexualität Röhms und einiger seiner Gefolgsleute wurde als Rechtfertigung für die Morde herangezogen.
(Deutsches Historisches Museum)

Die Überstellung in die Konzentrationslager erfolgte ohne Gerichtsurteil. Viele als homosexuell Verurteilte wurden unmittelbar nach Verbüßung ihrer Haftstrafen von der Gestapo oder der Kriminalpolizei in die Konzentrationslager eingewiesen. Dafür wurden reichsweit Gestapo-Sonderkommandos, örtliche Polizeidezernate und Sonderabteilungen innerhalb der Justiz geschaffen.

Insgesamt wurden etwa 6.000 Männer als Homosexuelle in die Konzentrationslager eingewiesen. Mehr als die Hälfte von ihnen starb.

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„Der Häftling ist mit dem nächsten Sammeltransport in das Konzentrationslager Buchenwald zu überführen“. Schreiben des Reichskriminalpolizeiamtes an die Kriminalpolizei Leipzig, 28. Mai 1943.
Willy Angermann war zwischen 1934 und 1940 viermal wegen „widernatürlicher Unzucht“ verurteilt worden. Am 15. Juni 1943 überstellte ihn die Kriminalpolizei Leipzig in das KZ Buchenwald. Dort wies ihn die SS der Strafkompanie im Steinbruch zu. Fünf Monate später starb Willy Angermann an den Folgen der Zwangsarbeit.
(Sächsisches Staatsarchiv Leipzig)
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„In mitfühlender Weise benachrichtigt und befehlsgemäß belehrt“. Schreiben der Kriminalpolizeistelle Leipzig an die Kommandantur des KZ Buchenwald, 26. November 1943.
Die Übergabe der Urne verstorbener Häftlinge bot die SS ausschließlich Deutschen an. Die Asche gestorbener ausländischer oder jüdischer Häftlinge wurde verscharrt.
(Arolsen Archives)
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„Unverbesserlicher Homosexueller“: Anordnung der Schutzhaft gegen Hans Retzlaff durch die Staatspolizeileitstelle Berlin, 5. September 1940 (Vordseite).
Hans Retzlaff war bereits zweimal nach § 175 verurteilt worden. Kurz nach seiner Haftentlassung hatte er sich angeblich einem auf Heimaturlaub befindlichen Matrosen sexuell genähert. Die Gestapo wies ihn in das KZ Sachsenhausen ein, wo er am 25. November 1940 verstarb.
(Arolsen Archives)
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„Unverbesserlicher Homosexueller“: Anordnung der Schutzhaft gegen Hans Retzlaff durch die Staatspolizeileitstelle Berlin, 5. September 1940 (Rückseite).
Hans Retzlaff war bereits zweimal nach § 175 verurteilt worden. Kurz nach seiner Haftentlassung hatte er sich angeblich einem auf Heimaturlaub befindlichen Matrosen sexuell genähert. Die Gestapo wies ihn in das KZ Sachsenhausen ein, wo er am 25. November 1940 verstarb.

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