Gedenkstätte Buchenwald KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora Museum Zwangsarbeit im NS

Homosexuelle Häftlinge in den Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora

Die mit einem rosa Winkel gekennzeichneten homosexuellen Häftlinge bildeten in den Lagern Buchenwald und Mittelbau-Dora eine zahlenmäßig kleine Gruppe. Bereits mit der Errichtung des KZ Buchenwald im Sommer 1937 begann die SS auch Homosexuelle in das Lager zu verschleppen. Das KZ Mittelbau-Dora entstand im August 1943 als Außenlager des KZ Buchenwald. Die Häftlinge wurden aus dem Hauptlager in das neu gegründete Außenlager transportiert. Unter ihnen waren auch viele Homosexuelle.

Obwohl die homosexuellen Häftlinge in beiden Lagern nur eine Minderheit darstellten, unterschied sich ihre Stellung in der Lagerhierarchie. Im KZ Buchenwald standen sie an unterster Stelle und ein Aufstieg gelang nur sehr wenigen. Im KZ Mittelbau-Dora hingegen gelang es einigen homosexuellen Häftlingen, Funktionsposten zu erlangen.

Das Netz der Außenlager des KZ Buchenwald.
Die meisten Außenlager des KZ Buchenwald entstanden nach der Kriegswende ab 1942. Häftlinge wurden zu Aufräumungsarbeiten in den Städten und zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Besonders gefürchtet waren unter den Häftlingen wegen ihrer mörderischen Arbeitsbedingungen die Außenlager bei Bauprojekten.
(Studio IT’S ABOUT)

KZ BUCHENWALD

Im Juli 1937 trafen die ersten Häftlinge auf dem Ettersberg bei Weimar ein. Die SS zwang sie, das KZ Buchenwald zu erbauen. Sowohl politische Gegner des Regimes als auch aus sozialen und rassistischen Gründen Verfolgte sollten dort interniert werden.

Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs verschleppten die deutschen Besatzer Hunderttausende Gefangene aus ganz Europa ins Deutsche Reich. Bis zum Kriegsende entwickelte sich das KZ Buchenwald zum Mittelpunkt eines ausufernden Lagernetzes mit insgesamt 139 Außenlagern. Dort waren teilweise auch Frauen untergebracht. Die Häftlinge mussten Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie leisten. Insgesamt waren im Lagerkomplex Buchenwald rund 280.000 Menschen inhaftiert, mehr als 56.000 starben.

Unter den Gefangenen bildeten die als homosexuell Verfolgten eine kleine Minderheit. In der Hierarchie des Lagers standen die mit einem Rosa Winkel markierten Häftlinge weit unten, ihre Todesrate war besonders hoch.

In Viererreihe aufgestellte Häftlinge stehen inmitten hoher Bäume. Neben ihnen liegen Baustoffe und eine Schubkarre. Im Hintergrund stehen SS-Wachmänner vor ihren Mannschaftswagen.
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Ankunft der ersten Häftlinge im KZ Buchenwald, 15. Juli 1937.
Die Gefangenen kamen es aus dem KZ Sachsenhausen. Sie wurden gezwungen, den Wald zu roden und sich ihre Baracken selbst zu errichten. (Foto: Kriminalpolizeistelle Weimar,
Gedenkstätte Buchenwald)
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Zwangsarbeit im Steinbruch.
Unter strenger Beobachtung durch die SS brechen Häftlinge Steine und beladen Loren, 7. September 1937. Die körperlich besonders harte Arbeit im Steinbruch musste von Häftlingen der Strafkompanie verrichtet werden. Als homosexuell Verfolgte wurden grundsätzlich diesem Arbeitskommando zugeteilt. (Foto: Kriminalpolizeistelle Weimar,
Gedenkstätte Buchenwald)
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„Willkommen in Buchenwald“. Karikaturen des Häftlings Karol Konieczny, 1944.
Der polnische Künstler wurde am 4. Juli 1944 in das KZ Buchenwald eingeliefert. Dort fertigte er unter anderem im Auftrag des Lagerwiderstandes zahlreiche Zeichnungen an. In seinem heimlich angefertigten Aquarell aus dem Zyklus „Herrenvolk“ verspottet er die SS-Täter.
(Gedenkstätte Buchenwald)

KZ MITTELBAU-DORA

Lagerkomplex Mittelbau-Dora, 1944/45.
Besonders dicht war das Lagernetz des KZ Mittelbau rund um Nordhausen im Südharz. Manche Lager hatten nur einige Dutzend Insassen. Die größten Lager waren Dora (15.000 Häftlinge), Ellrich-Juliushütte (8000 Häftlinge) und Harzungen (4000 Häftlinge).
(KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora; Kartographie: Jens Borleis, Leipzig)

Das KZ Mittelbau-Dora bei Nordhausen in Nordthüringen wurde erst im August 1943 eingerichtet. Zunächst war es unter der Bezeichnung „Dora“ ein Außenlager des KZ Buchenwald. Im Oktober 1944 erklärte es die SS zum eigenständigen KZ Mittelbau. Am Ende bestand es aus einem Komplex von fast 40 Lagern, die sich über den gesamten Harz erstreckten.

Die Häftlinge mussten auszehrende Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie und auf Baustellen leisten. Insgesamt verschleppte die SS etwa 60.000 Häftlinge in das KZ Mittelbau. Nur eine kleine Minderheit von ihnen waren Deutsche. Zu ihnen gehörten gut 200 Häftlinge mit dem rosa Winkel.

Jeder dritte Häftling verlor im KZ Mittelbau-Dora sein Leben. Die meisten starben an Hunger und Krankheiten, durch Arbeitsunfälle und Erschöpfung. Aber auch Hinrichtungen gehörten zum Alltag der Gefangenen. Beim Herannahen der Amerikaner ließ die SS die Lager des KZ-Komplexes Mittelbau-Dora Anfang April 1945 nahezu vollständig räumen.

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Als homosexueller Häftling nach Dora abgeschoben. Häftlingspersonalkarte des KZ Buchenwald von Theodor Heinrich Haag, März 1942.
Nach der Verbüßung einer Haftstrafe auf Grundlage des verschärften §175 wies die Hamburger Kriminalpolizei den 29-jährigen Kellner Theodor Haag am 12. März 1942 in das KZ Buchenwald ein. Am 22. Januar 1944 überstellte die SS ihn zur Zwangsarbeit in das als Todeslager gefürchtete Außenkommando Dora bei Nordhausen.
(Arolsen Archives)
Der Holzschnitt zeigt das Eingepferchtsein der Häftlinge auf den Pritschen, die Enge und Gedrängtheit im Stollen. Die Menschen sind als Silhouetten, ohne individuelle Züge gezeichnet; häufig markieren nur weiße Punkte ihre Köpfe, die Gesichter sind nicht zu erkennen. Aus dieser gleichsam amorphen Masse sind einzelne Situationen beispielhaft herausgehoben: jemand verrichtet seine Notdurft über einem Fass, davor liegt ein Toter, ein Mann kratzt einen Essenkübel aus, ein anderer isst auf dem Fußboden.
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„K.L. Dora: Wohnen im Stollen“ („Bydlení ve štole“). Holzschnitt des tschechischen KZ-Überlebenden Dominik Černý, 1953.
Im Herbst und Winter 1943/44 mussten die Häftlinge des Außenlagers Dora ein unterirdisches Treibstoffdepot in einer Stollenanlage bei Nordhausen zur Raketenfabrik umbauen. Über Monate waren sie unter Tage untergebracht. Als Betten dienten vierstöckige Holzgestelle. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren katastrophal, Tausende starben. Der tschechische Maler Dominik Černý überlebte und verarbeitete seine Erlebnisse in eine Holzschnittfolge bestehend aus fünf Werken unter dem Titel „K.L. Dora-Sangerhausen“.
(KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora)
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Erste Seite einer Transportliste von Buchenwald zum Außenkommando Dora, 22. Januar 1944.
Wegen der hohen Todeszahlen war das Außenlager Dora unter den Häftlingen in Buchenwald berüchtigt. Im Winter 1943/44 schob die SS über 130 homosexuelle Häftlinge aus Buchenwald nach Dora ab. Allein im Transport vom 22. Januar 1944 befanden sich unter insgesamt 500 Häftlingen 72 als homosexuell kategorisierte Gefangene. Sie waren in Buchenwald in Block 30 untergebracht gewesen, der Unterkunft der Strafkompanie.
(Arolsen Archives)
Zu sehen sind Holzbretterstapel, die unter Bäumen liegen. Im Hintergrund sieht man eine langgezogene, halb fertig gebaute Baracke.
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Blick auf das im Bau befindliche Barackenlager Dora, Sommer 1944.
Das eigentliche Lager Dora existierte bei der Ankunft der Häftlinge im Herbst und Winter 1943/44 noch nicht. Erst 1944 entstand ein Barackenlager, in dem durchschnittlich 15.000 Menschen untergebracht waren. Ein Häftling fotografierte den Aufbau des Lagers heimlich.
(Landesarchiv Nordrhein-Westfalen)
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Totenschein für Bernhard Lüdtke, 12. Februar 1945.
Laut SS wurde Lüdtke im Außenlager Harzungen (Deckname „Hans“) „auf der Flucht erschossen“. 1937 war er in Neuruppin wegen homosexueller Beziehungen zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt worden, die er teilweise in den Emslandlagern verbrachte. Nach Verbüßung der Haftstrafe wies ihn die Kripo Ende 1942 in das KZ Buchenwald ein. Dort musste er in der Strafkompanie im Steinbruch arbeiten. Im Januar 1944 überstellte ihn die SS in das Außenlager Dora.
(NARA)

MIT UND OHNE ROSA WINKEL: WER GALT IM KONZENTRATIONSLAGER ALS HOMOSEXUELLER HÄFTLING?

Übersicht zur Markierung der unterschiedlichen Häftlingsgruppen.
Lehrmaterial für die SS aus dem KZ Dachau, um 1938.
Auch im KZ Buchenwald verwendete die SS das in Dachau entwickelte System der Markierung unterschiedlicher Häftlingsgruppen. Als homosexuell eingewiesene Männer wurden gezwungen, einen rosa Winkel an ihrer Kleidung zu tragen. Politische Häftlinge trugen einen roten, „Sicherungsverwahrte“ und „Berufsverbrecher“ einen grünen und „Asoziale“ einen schwarzen Winkel.
(Arolsen Archives)

Es ist schwer zu erfassen, wie viele homosexuelle Häftlinge es in den Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora wirklich gab. Etwa 650 Männer wurden in beiden KZs unter der Haftkategorie „homosexuell“ erfasst und mit dem rosa Winkel gekennzeichnet.

Zusätzlich gab es mehrere Häftlinge, die trotz Verurteilung nach § 175 nicht unter der Kategorie „homosexuell“ erfasst wurden, sondern als „Berufsverbrecher“ (BV) oder „Sicherungsverwahrte“ (SV). Auch die Kategorisierung als „asozial“ war möglich. Zudem gab es auch Häftlinge, die aus rassistischen oder politischen Gründen ins KZ eingewiesen worden waren und deren Homosexualität der SS nicht bekannt war. Letzteres betraf auch Frauen in den Außenlagern.

Viele schwule Männer waren ausschließlich aus dem Grund im Konzentrationslager, dass sie Männer liebten. Es befanden sich unter den als homosexuell geltenden Häftlingen aber auch Straftäter, die sexuelle Gewalt gegenüber Minderjährigen ausgeübt hatten. Auch in ihrem Fall war die KZ-Einweisung ein Verbrechen.

„In Buchenwald waren die Homosexuellen bis zum Herbst 1938 auf die politischen Blocks aufgeteilt, wo sie ein ziemlich unbeachtetes Leben führten. Im Oktober 1938 kamen sie geschlossen in die Strafkompanie; sie mussten im Steinbruch arbeiten. Damit gehörten sie gerade in den schwersten Jahren der niedrigsten Kaste des Lagers an. Bei Transporten in Vernichtungslager wie Nordhausen, Natzweiler und Groß-Rosen stellten sie im Verhältnis zu ihrer Anzahl den höchsten Prozentsatz, da das Lager immer die verständliche Tendenz hatte, weniger wichtige und wertvolle oder als nicht wertvoll angesehene Teile abzuschieben.“

„Als nicht wertvoll angesehene Teile abzuschieben“. Bericht von Eugen Kogon, 1946. (Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München 1946)

ABGELEITETE MACHT: DAS SYSTEM DER FUNKTIONSHÄFTLINGE

Die SS zwang Funktionshäftlinge, sie beim Betrieb des Lagers zu unterstützen. Lager- und Blockälteste wachten über die Lagerordnung, „Kapos“ und Vorarbeiter beaufsichtigten und trieben die Häftlinge bei der Arbeit an. Sie erhielten dafür besseres Essen oder auch bessere Kleidung.

Die Übernahme eines Funktionspostens konnte die eigenen Überlebenschancen erhöhen, erforderte aber die Zusammenarbeit mit der SS. Manche Funktionshäftlinge nutzten ihre von der Willkür der SS abhängige Macht, um Mithäftlingen zu helfen. Andere waren als brutale Schläger gefürchtet. Überlebende berichten auch von sexuellen Übergriffen durch Kapos.

Rosa-Winkel-Häftlinge erhielten nur selten Funktionsposten. Eine Ausnahme war das KZ Mittelbau-Dora. Hier betraute die SS mehrere als homosexuell kategorisierte Häftlinge mit Funktionsposten – vermutlich aufgrund ihrer Sprachkenntnisse: Die SS war zur Kommunikation und Organisation auf deutsche Funktionshäftlinge angewiesen.

„Der Block mit seiner Belegung stellt eine kleine nach Vorbild der Nazis in der Rangfolge abgestufte Welt dar. Ganz oben steht der Blockälteste, der mit Knüppel in der Hand alle Anordnungen trifft. Ihm untergeordnet sind Schreiber und Stubendienst, die den Stamm der Gesellschaft bilden. Er hat Macht über sie; sie haben Macht über uns. Die Masse wird von den einfachen Häftlingen gestellt, wie wir es sind.“

„Sie haben Macht über uns.“ Bericht von Charles Sadron, 1947. (Charles Sadron, A l’usine de Dora, in: Témoignages Strassbourgois, Strassbourg 1947)

Charles Sadron war Physiker an der Universität Strassbourg und wurde 1944 als Mitglied der Résistance nach Buchenwald und von dort aus nach Mittelbau-Dora deportiert.

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Léon Delarbre: Le grand Georges, Kapo general Werk II: Une des plus belles brutes au service des allemands [Der große Georg, Oberkapo Werk II: Einer der Brutalsten im Dienst der Deutschen], Zeichnung, Dezember 1944.
Der französische Maler Léon Delarbre wurde im Mai 1944 als politischer Häftling in das KZ Buchenwald und wenig später nach Mittelbau-Dora verschleppt. Dort fertigte er diese Zeichnung an. Der dargestellte Oberkapo im Werk II des unterirdischen Raketenwerkes im KZ Mittelbau-Dora war ein mit dem grünen Winkel als „Berufsverbrecher“ markierter Häftling.
(Musée de la Résistance et de la Déportation, Besançon)
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Pierre Mania: Essai des tubes de canons anti-tanks au / kommando de Leipzig. [Test von Panzerfäusten im / Kommando Leipzig], Feder- und Tuschezeichnung (Lichtdruck), 1945/1946.
Die Brutalität eines stockschwingenden Kapos stellt Pierre Mania in seiner 1946 publizierten Zeichnung dar. Die Mappe basiert auf Skizzen und Zeichnungen aus dem KZ Buchenwald. Zwangsarbeiter mussten im Buchenwald-Außenlager bei der Leipziger Rüstungsfirma HASAG Panzerfäuste herstellen.
(Auguste Favier, Pierre Mania, Buchenwald. Scènes prises sur le vif des horreurs nazies. 78 planches dessinées par A. Favier – P. Mania – Boris, Lyon 1946)
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Karol Konieczny: Prominent „vorarbeiter“ przy pracy [Prominenter „Vorarbeiter“ bei der Arbeit], Aquarellzeichnung, 1944/45.
Der polnische Häftling Karol Konieczny fertigte im KZ Buchenwald eine Zeichnung von einem Funktionshäftling an. Sie diente als Illustration für das sogenannte Segellied im Album seines Kameraden Kazimierz Tymiński. Der Vorarbeiter hat in dieser Darstellung das Privileg, „bei der Arbeit“ lesend im Gras zu liegen.
(Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau)

„Im KL [Konzentrationslager] wurden diese Gegensätze von der Führung eifrigst aufrechterhalten und geschürt, um so ein festes Zusammenschließen aller Häftlinge zu verhindern. Nicht nur die politischen, auch besonders die farbigen Gegensätze spielten dabei eine große Rolle. Keiner noch so starken Lagerführung wäre es sonst möglich, Tausende von Häftlingen im Zügel zu halten, zu lenken, wenn diese Gegensätze nicht dazu helfen würden. Je zahlreicher die Gegnerschaften und je heftiger die Machtkämpfe unter ihnen, umso leichter läßt sich das Lager führen. Divide et impera! – ist nicht nur in der hohen Politik, sondern auch im Leben eines KL ein wichtiger, nicht zu unterschätzender Faktor."

„Divide et impera!“ Teile und herrsche. Bericht des ehemaligen SS-Lagerkommandanten von Auschwitz Rudolf Höß, 1946.  (Rudolf Höß, Martin Broszat (Hg), Kommandant in Ausschwitz, München 1964)

Mit der Vergabe privilegierter Funktionsposten und der Kennzeichnung der Häftlinge nach Haftkategorie versuchte die SS, die Lagerbelegschaft zu spalten. Seinen Bericht „Kommandant in Auschwitz“ schrieb Höß 1946 in polnischer Haft. 1947 wurde er hingerichtet.

SEXUALITÄT IM KONZENTRATIONSLAGER

Im Konzentrationslager herrschte grenzenlose Gewalt. Das betraf auch die Sexualität. Es liegen darüber aber nur wenige Quellen vor – auch, weil nur wenige Überlebende später über das tabuisierte Thema berichtet haben.

Sexualität gab es in den Konzentrationslagern in verschiedenen Formen. Einvernehmlichen Beziehungen zwischen Häftlingen standen verschiedene Formen sexueller Gewalt gegenüber. Diese wurde sowohl von der SS als auch von Mithäftlingen ausgeübt.

Buchenwald und Mittelbau-Dora waren weitgehend Männerlager. Sexuelle Handlungen waren somit meistens gleichgeschlechtlich. Eine Ausnahme stellten die Lagerbordelle dar, die in beiden Lagern errichtet wurden. Hier wurden weibliche Häftlinge zum Sex gezwungen.

Blick in einen der Schlafräume des Lagerbordels. Links ist eine gepolsterte Schlafpritsche zu sehen. an der wand hängen kleine Bilder. Hinten ist ein Fenster zu sehen vor dem ein Pflanzenarragement steht. Oberhalb des Festers befindet sich eine Hängepflanze in einem Topf der an der Decke befestigt ist.
Blick in einen Schlafraum des Lagerbordells im KZ Buchenwald, 1943.
Im Juli 1943 richtete die SS in Buchenwald ein Häftlingsbordell ein. Hier mussten weibliche Häftlinge Sex-Zwangsarbeit leisten. Der Besuch im Bordell musste von den Freiern mit Prämienscheinen bezahlt werden, die Funktionshäftlinge und auch manche Gefangene in Arbeitskommandos erhielten. Mit der Einrichtung von Lagerbordellen wollte die SS einen Leistungsanreiz für die männlichen KZ-Zwangsarbeiter schaffen. Das Foto stammt aus einem Album, das im Auftrag des Lagerkommandanten Hermann Pister zu Repräsentationszwecken angelegt wurde.
(Musée de la Résistance et de la Déportation, Besançon

„Ich erfuhr, dass in Block 8 an die 100 Jungen lebten, meistens Polen und Russen zwischen vierzehn und sechzehn Jahren. Einige von ihnen dienten einflussreichen Lagerpersönlichkeiten ganz öffentlich als ‚Puppenjungen‘.“

Thomas Geve berichtet von sexuellen Beziehungen zwischen Funktionshäftlingen und jugendlichen Häftlingen im KZ Buchenwald, 1958. (Thomas Geve, Geraubte Kindheit. Ein Junge überlebt den Holocaust, Konstanz 2000)

Mit 16 Jahren kam Thomas Geve 1945 aus Auschwitz nach Buchenwald. Einige Funktionshäftlinge, die eigentlich nicht homosexuell waren, pflegten sexuelle Kontakte zu jungen Gefangenen. Diese Jugendlichen wurden im Lagerjargon „Puppenjungen“ genannt. Die komplexen Beziehungen basierten auf einer Mischung aus Gewaltandrohungen und Versprechungen sowie tatsächlichen Verbesserungen der Lebensqualität im Lager. 1958 veröffentlichte Geve ein autobiografisches Buch über seine Kindheit im KZ.

„Der Sex unter den Männern in Buchenwald war stark gewesen. Nun haben sie den rosa Winkel gesehen und gedacht: ›Ah‹ Mein Benehmen war irgendwie feminin und wahrscheinlich hat das die Männer angezogen. Und wo ich hingegangen bin, dort bin ich freundlich empfangen worden. Da war der Kapo, der Blockwart, der Arbeitskapo und der aus dem Schweinestall, wenn ich zu dem gekommen bin, habe ich immer gutes Essen bekommen. Und alle anderen haben mir etwas zugesteckt. Natürlich hat das die SS nicht wissen dürfen, das ist alles heimlich gegangen, auch was wir miteinander getrieben haben. Das war so Mode und Sitte in Buchenwald, dass Männer untereinander auch geschlechtlichen Verkehr hatten.“

„Das ist alles heimlich gegangen“. Bericht von Rudolf Brazda über Sex im KZ Buchenwald, 2008. (Alexander Zinn, „Das Glück kam immer zu mir“. Rudolf Brazda – das Überleben eines Homosexuellen im Dritten Reich, Frankfurt am Main 2011)

„In Buchenwald war es üblich, Geschlechtsverkehr zu haben. Das war normal, das ist überall wo Kasernierung ist, aber ich bin nie äh homosexuell gewesen, aber das hat/ ich hatte einen jungen Franzosen, mit dem ich befreundet war, das war auch wieder ganz streng verboten, aber jeder hat‘s gemacht, da waren wir in den Trümmern des Gustloff-Werks, wo ich gearbeitet habe in irgendeiner Ecke war man also, um Gottes Willen, das wir nicht erwischt wurden, aber wir haben uns immer mal zurückgezogen und haben da also, irgendwie bisschen schnell schnell schnell.“

Das war normal“. In einem anonymisierten Zeitzeugeninterview spricht ein ehemaliger Buchenwaldhäftling über heimlichen homosexuellen Geschlechtsverkehr im KZ Buchenwald, 2014. (Interview: Florian Zabransky, Gedenkstätte Buchenwald)
Gleichgeschlechtliche Sexualität war in Buchenwald zwar streng verboten, fand im Geheimen aber trotzdem statt. Eine homosexuelle Identität verneint der Befragte jedoch, nach seiner Befreiung verkehrte er wieder mit Frauen.

„Führt die Unterernährung dazu, daß die primitive Triebhaftigkeit, die den Lagerhäftling im zweiten Stadion seiner inneren Anpassung an das Lagerleben ergreift, den Nahrungstrieb in den Bewußtseinsvordergrund rückt, so erklärt wahrscheinlich hauptsächlich diese Unterernährung auch die Tatsache, daß der Sexualtrieb im allgemeinen schweigt[…] Und auch in den Träumen der Häftlinge tauchen sexuelle Inhalte fast niemals auf.“

„…daß der Sexualtrieb im allgemeinen schweigt“. Der Psychologe Viktor Frankl widmete dem Thema Sexualität im KZ einen kurzen Abschnitt in seiner frühen Studie, 1946.(Viktor Frankl, …trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe überlebt das Konzentrationslager 2000)
Der aus Österreich stammende Neurologe und Psychiater Viktor Frankl überlebte das KZ Buchenwald und schrieb 1945 den Erfahrungsbericht „Ein Psychologe überlebt das Konzentrationslager“. Nach seiner Auffassung sei der Sexualtrieb im Lager nicht mehr vorhanden gewesen. Die Berichte von anderen Häftlingen widersprechen dieser Aussage jedoch.


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